30 Jahre Biostoffe im IFA
Das Messsystem Gefährdungsermittlung der Unfallversicherungsträger (MGU) feiert sein 50-jähriges Bestehen. Ein Bestandteil ist auch der in Teil 5 unserer Serie vorgestellte Umgang mit Biologischen Arbeitsstoffen und die Entwicklung und Anpassung der Regelwerke zum Schutz der Arbeitnehmer vor.
Am 26. November 1990 wurde die Europäische Richtlinie 90/679/EWG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit veröffentlicht [1]. Es war das Jahrzehnt, in dem die biotechnologische Produktion von pharmazeutischen Wirkstoffen, Diagnostika und Impfstoffen sich mehr und mehr entwickelte. Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz beim Umgang mit Mikroorganismen und Zellkulturen im Labor, aber auch in Industriebetrieben, wurden dadurch zentrale Themen, um Beschäftigte vor Infektionen, Sensibilisierungen und toxischen Einwirkungen zu bewahren.
Wie alles begann
Weiterhin trat Mitte der 1990er-Jahre in Deutschland auch das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz in Kraft. Bei vielen Wiederaufbereitungsprozessen in der Abfallwirtschaft, bei der Kompostierung oder auch der Wasseraufbereitung spielen Mikroorganismen eine wichtige Rolle. Deshalb wurde gerade den Beschäftigten in diesen Branchen ebenfalls große Aufmerksamkeit mit Blick auf eine mögliche Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe gewidmet.
1992 wurde im damaligen Berufsgenossenschaftlichen Institut für Arbeitssicherheit (BIA) mit Sitz in Sankt Augustin das Referat Mikrobiologie begründet. Zwei Jahre später richtete das BIA ein mikrobiologisches Labor der Schutzstufe 2 ein, in dem 1994 die ersten Proben auf das Vorhandensein von Biostoffen, z. B. an Arbeitsplätzen in der Abfallsortierung, untersucht wurden.
Mit Blick auf die bevorstehende Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht wurde in Deutschland 1995 der Ausschuss für Biologische Arbeitsstoffe (ABAS) gegründet. In mehreren Unterausschüssen und Projektgruppen wurden die Voraussetzungen dafür geschaffen, eine Gefährdung durch Biostoffe am Arbeitsplatz ermitteln und bewerten zu können. Über die sogenannte Projektgruppe 4 des ABAS, aus der sich später der Arbeitskreis Arbeitsplatzbewertung entwickelte, war das ehemalige Referat Mikrobiologie des heutigen Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA, vormals BIA, 2003 bis 2007 Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitsschutz, BGIA) von Anfang an in die Erarbeitung des Technischen Regelwerks für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) eingebunden [2]. Dies galt insbesondere für die Entwicklung von Messstrategien zur Erfassung einer Biostoff-Exposition am Arbeitsplatz und für die Standardisierung von Biostoff-Messverfahren.
In dieser Zeit verfügbare Probenahmegeräte für Bioaerosole wurden vorrangig zur Beurteilung mikrobiologischer Verunreinigungen bei der Reinraumüberwachung eingesetzt und waren für Arbeitsplatzmessungen mit höheren Biostoff-Konzentrationen oder eine personengetragene Probenahme nur bedingt geeignet. Auf der Grundlage des personentragbaren Gesamtstaub-Probenahmesystems (GSP-PGP) wurden deshalb erste Verfahren zur Konzentrationsbestimmung von Schimmelpilzen, Endotoxinen und Bakterien in der Luft entwickelt und in der IFA-Arbeitsmappe beschrieben (Kennziffern 9420, 9450 und 9430 [3]). Sie werden seither als Standardverfahren zur Erfassung von Biostoffen am Arbeitsplatz im Messsystem Gefährdungsermittlung der Unfallversicherungsträger (MGU) eingesetzt und sind national und international anerkannt.
Gemäß Biostoffverordnung (BioStoffV), die im April 1999 als nationale Umsetzung der obengenannten EU-Richtlinie in Kraft trat, besteht keine Verpflichtung zur Durchführung von Biostoff-Messungen am Arbeitsplatz. Dennoch gibt es Anlässe, für solche Untersuchungen z. B. Biostoff-Messungen zur Expositionsermittlung und Informationsbeschaffung im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung, zur Ermittlung im Fall von Berufskrankheitsanzeigen oder auch zur Überprüfung der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen. Sehr häufig werden auch Schimmelpilzmessungen in Innenräumen durchgeführt, wenn dort z. B. nach Wasserschäden eine entsprechende Belastung der Raumluft vermutet wird oder der Erfolg einer Sanierungsmaßnahme überprüft werden soll.
Aktuelle Aufgaben
Der heutige Bereich Biostoffe in der Abteilung 2 des IFA, Chemische und biologische Einwirkungen, ist Ansprechpartner für alle Fragen zu Biostoffen sämtlicher Kooperationspartner im MGU [4]. Viele Bakterien, Schimmelpilze und Hefen sind natürlicher Bestandteil unserer Umgebung sowie des menschlichen Körpers (Besiedelung von Haut und Schleimhäuten). Aufgrund besonders günstiger Lebensbedingungen – weil sie selbst Teil des Produktionsprozesses sind (z. B. bei der Herstellung von Lebensmitteln, der biotechnologischen Wirkstoffproduktion, Kompostierung oder Abwasserreinigung), Arbeitsmaterialien besiedeln (z. B. Klärschlamm, Kompost, Boden, Altpapier, Stroh) oder Menschen/Tiere infiziert haben – können Mikroorganismen an vielen Arbeitsplätzen in deutlich höheren Konzentrationen als unter natürlichen Umweltbedingungen auftreten und dadurch potenziell eine Gefährdung für die dort Beschäftigten darstellen.
Seit 2001 obliegt dem Bereich Biostoffe die Aus- und Weiterbildung der für die Biostoff-Probenahme im MGU autorisierten Beschäftigten. Mittlerweile finden außer dem Grundlagen-Seminar (B 1) regelmäßig zwei weitere Seminare statt, die vorrangig dem Erfahrungsaustausch (B 2) und der Weiterbildung mit Blick auf die Durchführung von Biostoff-Messungen, der Vorstellung neu entwickelter Probenahmeverfahren sowie der Bewertung von Messergebnissen dienen (B 3).
In den ersten Jahren nach Inkrafttreten der BioStoffV wurden hauptsächlich Messungen zum Vorkommen von Biostoffen bei unterschiedlichen Tätigkeiten für die Gefährdungsbeurteilung in vielen Branchen durchgeführt (z. B. Abfallwirtschaft, Papierherstellung, Textilindustrie, Fahrzeugwaschanlagen, Schlachtbetriebe). Dabei wurden Konzentrationen von Bakterien und Schimmelpilzen in der Luft als Gesamtkoloniezahl pro m3 ermittelt. Mittlerweile werden sehr viel mehr Untersuchungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren zu Berufskrankheitsanzeigen durchgeführt: Dabei wird meist auch eine Identifizierung der jeweils vorhandenen Bakterien- oder Pilzarten gefordert oder direkt nach dem Vorhandensein bestimmter Mikroorganismenarten gefragt. Derzeit sind 568 Bakterienarten (einschließlich Aktinomyzeten) und 263 Pilzarten (Schimmelpilze und Hefen) in der Stoffdokumentation des MGU verzeichnet, die bisher aus Luft- und Materialproben vom Arbeitsplatz isoliert und identifiziert wurden – und es kommen immer neue hinzu.
Eine Biostoff-Messung wird im direkten Kontakt mit den autorisierten Mitarbeitenden in den Messtechnischen Diensten der Unfallversicherungsträger durch das mikrobiologische Labor geplant. Bei besonders aufwendigen Messungen mit hohen Probenzahlen, spezieller Messstrategie oder der Anwendung von Verfahren in Erprobung unterstützt der Bereich Biostoffe die Messtechnischen Dienste auch vor Ort.
Analytik der Biostoff-Proben
Biostoffe können Infektionen auslösen, aber auch sensibilisierend oder toxisch wirken. Nach ihrem Infektionspotenzial werden sie insgesamt vier sogenannten Risikogruppen zugeordnet, die für die Festlegung von Schutzmaßnahmen bei der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen sind. Infektionen werden nur von lebenden Zellen oder aktiven Viren verursacht. Als Standardverfahren in der Analytik hat man sich deshalb für den Nachweis der Organismen nach Wachstum im Labor entschieden. Die Grundlage dieses Verfahrens ist die Vermehrungsfähigkeit lebender Zellen. Sie darf weder durch die Probenahme am Arbeitsplatz noch durch den Probentransport beeinträchtigt werden und stellt eine besondere Herausforderung dar.
Die Analyse der Biostoffproben, die im Rahmen des MGU in den Betrieben genommen werden, erfolgt im mikrobiologischen Labor des IFA oder auch in Zusammenarbeit mit externen Laboratorien. Mit Blick auf qualitative Analysen von Biostoffen in Arbeitsplatzproben verfügt das mikrobiologische Labor über besondere Expertise bei der Analytik von Bakterien. Seit 2021 wird hierfür auch MALDI-TOF-Massenspektrometrie (MALDI-TOF: Matrix assisted laser desorption ionization – time of flight) verwendet, mit der Bakterienarten anhand von Proteinspektren charakterisiert werden. In der medizinischen Mikrobiologie wurde dieses Verfahren bereits erfolgreich zur Identifizierung von Infektionserregern etabliert. Mittelfristiges Ziel der Anwendung ist der Aufbau einer Datenbank mit den Bakterienarten, die in Arbeitsplatzproben häufig vorkommen.
Seit dem Jahr 2000 werden alle mikrobiologischen Analysenergebnisse mithilfe der OMEGA-Software erfasst (OMEGA: Organisationssystem zur Ermittlung und Nutzung von Messdaten über die Exposition von Gefährdungen am Arbeitsplatz) und in der Expositionsdatenbank MEGA dokumentiert (MEGA: Messdaten zur Exposition gegenüber Gefahrstoffen am Arbeitsplatz). Diese Daten werden z. B. für die Erstellung von DGUV Informationen oder Technischen Regeln genutzt (z. B. DGUV Information zur Keimbelastung wassergemischter Kühlschmierstoffe [5] und TRBA 400 zur Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen [6]).
Messprogramme zu Biostoffen beschäftigten sich z. B. mit der Schimmelpilzbelastung von Beschäftigten bei der Gebäudesanierung und Reet-Dachdeckern oder mit Biostoffen im Befeuchterwasser der Lüftungsanlagen von Verwaltungsbetrieben. Aktuell werden Biostoff-Messungen im Rahmen von Messprogrammen z. B. an Kühlschmierstoffarbeitsplätzen in der metallverarbeitenden Industrie, in der Humananatomie oder beim Einsatz von mit besonderer Technik ausgestatteten Fahrzeugen zur Abfallsammlung durchgeführt.
Die Vielfalt der Biostoffe – und der Fragestellungen zu ihrer Bedeutung hinsichtlich einer Gefährdung von Beschäftigten – führt bei der Messstrategie und Anwendbarkeit von Messverfahren immer wieder zu neuen Herausforderungen. Der Bereich Biostoffe verfolgt deshalb kontinuierlich die Entwicklung neuer Messverfahren und sorgt für ihre Erprobung im MGU, um sie als Standardverfahren für Arbeitsplatzmessungen zu etablieren. Dazu erfolgt ein ständiger Austausch mit nationalen und internationalen Institutionen bzw. in verschiedenen Gremien, die sich sowohl im Arbeitsschutz als auch im Umweltbereich mit der Erfassung von Bioaerosolen befassen.
Literatur
- Richtlinie 90/679/EWG des Rates vom 26. November 1990 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit (Siebte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG). Abl. EG (2000) Nr. L 262, S. 21-45.
- Übersicht über den Stand der Technischen Regeln und Beschlüsse für Biologische Arbeitsstoffe des ABAS. Hrsg.: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund. https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/TRBA/TRBA.html
- Kolk, A.: Verfahren zur Bestimmung der Schimmelpilzkonzentration in der Luft am Arbeitsplatz (Kennzahl 9420). In: IFA-Arbeitsmappe Messung von Gefahrstoffen. Lfg. 30/2003 – Losebl.-Ausg. Hrsg.: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Berlin. Berlin: Erich Schmidt 1989. www.ifa-arbeitsmappedigital.de/9420 Verfahren zur Bestimmung der Bakterienkonzentration in der Luft am Arbeitsplatz (Kennzahl 9430). In: IFA-Arbeitsmappe Messung von Gefahrstoffen. Lfg. 32/2004 – Losebl.-Ausg. Hrsg.: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Berlin. Berlin: Erich Schmidt 1989. www.ifa-arbeitsmappedigital.de/9430 Verfahren zur Bestimmung der Endotoxinkonzentration in der Luft am Arbeitsplatz (Kennzahl 9450). In: IFA-Arbeitsmappe Messung von Gefahrstoffen. Lfg. 28/2002 – Losebl.-Ausg. Hrsg.: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Berlin. Berlin: Erich Schmidt 1989. www.ifa-arbeitsmappedigital.de/9450
- Gabriel, S.; Schneider, G.: 50 Jahre MGU – gestern, heute, morgen. Gefahrstoffe 82 (2022) Nr. 3-4, S. 90-91.
- DGUV Information: Keimbelastung wassergemischter Kühlschmierstoffe (209-051). Hrsg.: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Berlin 2016.
- Technische Regel für Biologische Arbeitsstoffe: Handlungsanleitung zur Gefährdungsbeurteilung und für die Unterrichtung der Beschäftigten bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen (TRBA 400). GMBl. (2017) Nr. 10-11, S. 158-182; zul. geänd. GMBl. (2018) Nr. 30, S. 589.
Dr. rer. nat. Annette Kolk
Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), Sankt Augustin.