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VDI-Expertenempfehlung 09.10.2024, 13:28 Uhr

Bestimmung der Messunsicherheit der Olfaktometrie – Hintergründe, Ziele und Anwendungsbereich

Vorbereitungen zur Validierungsmessung zur Bestimmung der Messunsicherheit nach DIN EN 13725 an der solaren Klärschlammtrocknung der Kläranlage Bottrop. Foto: VDI

Vorbereitungen zur Validierungsmessung zur Bestimmung der Messunsicherheit nach DIN EN 13725 an der solaren Klärschlammtrocknung der Kläranlage Bottrop.

Foto: VDI

1 Einführung

Jede (Industrie-)Anlage in Deutschland – ganz gleich welcher Anlagengröße – muss ein Regelwerk einhalten, um eine Genehmigung zu erlangen. Stößt eine Anlage neben Emissionen wie Gase, Staub etc. auch Gerüche aus, gehört zu jedem Genehmigungsantrag in der Regel auch ein Geruchsgutachten [1]. Dieses soll klären, ob die Geruchsemissionen oder auch – immissionen im Rahmen der Regelungen zulässig oder ob Maßnahmen zur Geruchsminderung notwendig sind. Auch bereits laufende Anlagen werden regelmäßig überwacht. Die Erstellung der Geruchsgutachten und die Durchführung der dazugehörigen Geruchsmessungen erfolgen über sachverständige Institute und Unternehmen (Messinstitute). Deren fachliche Qualifikation wird regelmäßig von staatlichen Stellen überprüft und überwacht. Messinstitute, die als offizielle Messstelle akkreditiert werden und eine Bekanntgabe nach §29b Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) anstreben, müssen ihre Kompetenz gemäß den Anforderungen der Einundvierzigsten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (41. BImSchV) [2] nachweisen und regelmäßig bestätigen.

Bei den akkreditierten Messstellen handelt es sich überwiegend um kleine und mittlere Unternehmen. Diese sowie die Betreiber von (Industrie)Anlagen sind auf eindeutige Messkriterien und -verfahren angewiesen, um einheitliche und vergleichbare Emissions- und Immissionsmessungen sicherzustellen.

2 Besonderheiten bei der Ermittlung und Bewertung von Gerüchen

Die Besonderheit einer Geruchswirkung besteht darin, dass sie normalerweise durch ein Gemisch von gasförmigen Substanzen hervorgerufen wird, dessen Zusammensetzung nicht bekannt ist und/oder dessen Bestandteile in so geringen Konzentrationen vorliegen, dass sie messtechnisch auf der Seite der Einwirkung (Immission) kaum nachweisbar sind. Zudem lässt sich der Geruchseindruck nicht auf einen Einzelstoff zurückführen. Er wird unter anderem durch Wechselwirkung der Geruchsstoffe untereinander beeinflusst.

Eine weitere Schwierigkeit, die den Einsatz gängiger chemischer oder physikalischer Messverfahren erschwert, ist die Fähigkeit des menschlichen Geruchssinnes, Geruchseindrücke mit einer zeitlichen Auflösung von etwa zwei bis vier Sekunden (atemfrequenzabhängig) zu unterscheiden. Gerüche werden aus diesen Gründen mithilfe von Messverfahren bestimmt, deren Detektor (Messprinzip) die „menschliche Nase“ ist.

Die Messverfahren sind in einer Vielzahl von Normen und Standards beschrieben [3, 4] und werden bundesweit einheitlich angewendet. Fokus bei der Entwicklung dieser Verfahren ist eine Objektivierung und Standardisierung. Bei der Messung von Gerüchen im Rahmen der standardisierten Ermittlung der Geruchsstoffkonzentration an Emissionsquellen werden selektierte „menschliche Nasen“, das heißt besonders ausgewählte Prüferinnen und Prüfer, eingesetzt. Diese sind nicht besonders empfindlich, sondern sie geben reproduzierbare Antworten auf der Basis einer mittleren Geruchsempfindlichkeit. Die Eignung der Prüferinnen und Prüfer wird mit einer Einzelkomponente (n-Butanol) getestet. Ziel ist es, Prüferinnen und Prüfer mit einer definierten Geruchsempfindlichkeit zu selektieren.

Bisher wurde davon ausgegangen, dass die auf der Basis einer Einzelkomponente wie n-Butanol ermittelte Unsicherheit in der Regel größer ist als die für ein Geruchsgemisch bzw. für einen Umweltgeruch (z. B. die Geruchsemissionen einer Gießerei, einer Kompostierungsanlage oder eines Schweinemastbetriebes). Es wurde als konservative Annahme deshalb davon ausgegangen, dass die zu erwartenden Streubreiten von untersuchten Umweltproben geringer sind als solche von Einzelkomponenten [4]. Allerdings sind zu dieser Annahme in jüngster Zeit Zweifel in der Wissenschaft aufgekommen. Daher wurde in der für die Olfaktometrie verbindlichen europäischen Norm DIN EN 13725 in ihrer neuesten Ausgabe von Juni 2022 [3] ein spezielles Verfahren zur Ermittlung der Messunsicherheit bei olfaktometrischen Geruchsmessungen festgelegt.

3 Normung und Standardisierung zur Bestimmung der Messunsicherheit der Olfaktometrie

Die bis Mitte 2022 verbindliche Fassung der DIN EN 13725 aus dem Jahr 2003 [5] gab kein explizites Verfahren zur Ermittlung der Messunsicherheit vor. Da eine Aussage zur Messunsicherheit in Deutschland durch die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft)1 [6] gefordert wird, war es notwendig, einen national abgestimmten Vorschlag dazu zu erarbeiten. Im Rahmen der im Februar 2015 veröffentlichten Richtlinie VDI 3884 Blatt 1 „Bestimmung der Geruchsstoffkonzentration mit dynamischer Olfaktometrie – Ausführungshinweise zur Norm DIN EN 13725“ [4] wurde ein Verfahren zur Bestimmung der Messunsicherheit in Ergänzung zur DIN EN 13725 [5] festgelegt.

Das in der VDI-Richtlinie 3884 Blatt 1 [4] beschriebene Verfahren zur Bestimmung der Messunsicherheit der Prüferinnen und Prüfer hinsichtlich des Referenzgeruchsstoffs n-Butanol stellte bislang eine pragmatische Lösung dar, die es allen Messstellen ermöglichte, zusätzlich zu weiteren Qualitätssicherungsmaßnahmen ihre spezifische Messunsicherheit zu ermitteln und diese im Akkreditierungsverfahren und in Messberichten zu Messungen nach §§ 26, 28 BImSchG und 41. BImSchV anzugeben.

Mit Veröffentlichung der DIN EN 13725 im Juni 2022 [3] wurde ein neues Verfahren zur Bestimmung der Messunsicherheit verbindlich vorgeschrieben. Dieses basiert auf der Methode A6 „Doppelbestimmungen mit identischen Messeinrichtungen“ der DIN EN ISO 20988 [7] und wurde um einen Term für die Standardunsicherheit der systematischen Abweichung einer einzelnen Messung in Bezug auf den Referenzgeruchsstoff n-Butanol ergänzt. Im Anhang J.1 der DIN EN 13725 wird beispielhaft eine Berechnung der Messunsicherheit durchgeführt – allerdings ausschließlich mit theoretischen, fiktiven Daten. Entsprechende Doppelbestimmungen mit realen Messwerten lagen zum Zeitpunkt der Erstellung der DIN EN 13725 [3] nicht vor bzw. haben keinen Eingang in die Norm gefunden.

Grundsätzlich ist die Durchführung von Doppelbestimmungen von an Emissionsquellen entnommenen Umweltproben zu begrüßen, aber eine Validierung des neuen Verfahrens war dringend erforderlich – zumal die Anforderungen der DIN EN ISO 20988 [7] bei olfaktometrischen Geruchsmessungen nicht eins zu eins eingehalten werden können: Beispielsweise verfügen die Messstellen in der Regel nicht über zwei identische Messeinrichtungen für Geruchsmessungen (Olfaktometer). Auch wurde im beschriebenen Verfahren eine Verknüpfung mit n-Butanol-Messungen festgelegt, deren wissenschaftliche Begründung bzw. Ableitung nicht dargelegt wurde.

4 Ziele der Untersuchungen mit realen Umweltproben

Vor diesem Hintergrund wurde in 2022/2023 in Deutschland ein umfangreicher Ringversuch mit Umweltproben durchgeführt und das neue, in der DIN EN 13725 vorgegebene Verfahren zur Bestimmung der Messunsicherheit angewendet. Mithilfe einer Teilfinanzierung durch die VDI/DIN Kommission Reinhaltung der Luft – Normenausschuss (KRdL) wurden zu Jahresbeginn 2023 vergleichende Untersuchungen an der solaren Klärschlammtrocknung der Kläranlage Bottrop, Emschergenossenschaft Lippeverband durchgeführt. Insgesamt zwölf notifizierte und nach §29b BImSchG akkreditierte Messstellen aus nahezu allen Bundesländern haben dabei gemeinsam und gleichzeitig vor Ort 240 Geruchsproben gezogen und an ihren jeweiligen Standorten olfaktometrisch ausgewertet.

Mit den Ergebnissen dieser realen Umweltproben wurde die Messunsicherheit berechnet, u. a.:

  • auf der Basis von Doppelbestimmungen nach DIN EN 13725 [3] unter Berücksichtigung der Werte des Referenzgeruchsstoffs n-Butanol,
  • auf der Basis von Doppelbestimmungen nach DIN EN ISO 20988, Methode A6 (ohne n-Butanol) [7].

Unter anderem zeigte sich hierbei, dass die Auswertung der Doppelbestimmungen nach DIN EN 13725 unter Berücksichtigung der n-Butanol-Werte zu unplausiblen und fehlerhaften Ergebnissen führte [8].

5 Die VDI-Expertenempfehlung VDI-EE 3884 Blatt 1.1

Vor diesem Hintergrund war es erforderlich, eine VDI-Expertenempfehlung zu erstellen, um eine korrekte und DIN EN ISO 20988 [7] und VDI-Richtlinie 4219 [9] konforme Angabe der Messunsicherheit in Messberichten und damit im Vollzug der TA-Luft und des BImSchG zu ermöglichen. Im Rahmen der Erstellung der Expertenempfehlung VDI-EE 3884 Blatt 1.1 „Empfehlungen und Ausführungshinweise zur Bestimmung der Messunsicherheit der Olfaktometrie nach DIN EN 13725“ sind weitere Punkte identifiziert worden, die einer Klarstellung bedürfen, um eine einheitliche Vorgehensweise sicherzustellen. Diese Klarstellungen sind ebenfalls in die Expertenempfehlung eingeflossen.

Die VDI-Expertenempfehlung VDI-EE 3884 Blatt 1.1 richtet sich an Genehmigungsbehörden und Akkreditierungsstellen und gilt für alle in Deutschland tätigen Labore, die nach DIN EN 13725 olfaktometrische Messungen durchführen. Sie sollte bei der Bestimmung der Messunsicherheit olfaktometrischer Emissionsmessungen berücksichtigen und ersetzt den relevanten Abschnitt 10.2 der neuen DIN EN 13725. Damit stellt sie kurzfristig eine einheitliche Berechnung der Messunsicherheit der Olfaktometrie sicher.

Die Expertenempfehlung VDI-EE 3884 Blatt 1.1 „Empfehlungen und Ausführungshinweise zur Bestimmung der Messunsicherheit der Olfaktometrie nach DIN EN 13725“ erscheint am 1. Oktober 2024 sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache. Sie kann über den VDI (https://www.vdi.de/3884) oder den Verlag DIN Media (https://www.dinmedia.de/de) bezogen werden.

Literatur

  1. VDI 3886 Blatt 1:2023-12: Ermittlung und Bewertung von Gerüchen; Geruchsgutachten; Ermittlung der Notwendigkeit und Hinweise zur Erstellung (Determination and assessment of odours; Odour survey; Determination of necessity and references for preparation). Berlin: DIN Media.
  2. Einundvierzigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Bekanntgabeverordnung 41. BImSchV) vom 2. Mai 2013 (BGBl. I S. 973, 1001, 3756), die zuletzt durch Artikel 15 des Gesetzes vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3436) geändert worden ist.
  3. DIN EN 13725:2022-06: Emissionen aus stationären Quellen – Bestimmung der Geruchsstoffkonzentrat-on durch dynamische Olfaktometrie und die Geruchsstoffemissionsrate; Deutsche Fassung EN 13725:2022 (Stationary source emissions – Determination of odour concentration by dynamic olfactometry and odour emission rate; German version EN 13725:2022). Berlin: DIN Media.
  4. VDI 3884 Blatt 1:2015-02: Olfaktometrie; Bestimmung der Geruchsstoffkonzentration mit dynamischer Olfaktometrie (Ausführungshinweise zur Norm DIN EN 13725). Berlin: DIN Media.
  5. DIN EN 13725:2003-07: Luftbeschaffenheit; Bestimmung der Geruchsstoffkonzentration mit dynamischer Olfaktometrie (Air quality; Determination of odour concentration by dynamic olfactometry). Berlin: DIN Media.
  6. Neufassung der Ersten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft – TA Luft), GMBl 2021 Nr. 48–54, S. 1050.
  7. DIN EN ISO 20988:2007-09: Luftbeschaffenheit; Leitlinien zur Schätzung der Messunsicherheit (Air quality; Guidelines for estimating measurement uncertainty). Berlin: DIN Media.
  8. Gorden Bruyn, Boris Zimmermann (2023): Vergleichsuntersuchungen zur Ermittlung der Unsicherheit von Geruchsmessungen – Validierung der methodischen Vorgaben zur Bestimmung der Messunsicherheit der Olfaktometrie entsprechend der neuen DIN EN 13725:2022. VDI-Berichte Nr. 2430 zur 10. VDI-Fachtagung “Gerüche in der Umwelt” am 29. Und 30. November 2023 in Leipzig, S. 161–174.
  9. VDI 4219:2023-06 Emissionen aus stationären Quellen; Ermittlung der Messunsicherheit von Messwerten bei Emissionsmessungen mit manuellen oder automatischen Messverfahren. Berlin: DIN Media.

1 Die TA Luft ist eine Verwaltungsvorschrift und das zentrale Regelwerk zur Verringerung von Emissionen und Immissionen von Luftschadstoffen aus immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen. Sie konkretisiert damit das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG).

Von R. Both, K. Kwiatkowski, A. Niebaum

Dr. Ralf Both
VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft – Normenausschuss (KRdL), Düsseldorf.
Kathrin Kwiatkowski, M.Sc.
Landesamt für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV), Essen.
Dr. Anke Niebaum
VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft – Normenausschuss (KRdL), Düsseldorf.