Säuren helfen gegen Viren in der Luft
Eine Studie zeigt: Der pH-Wert der Aerosole beeinflusst, wie schnell Viren in der Luft inaktiv werden.
Eine aktuelle Studie verschiedener Schweizer Hochschulen zeigt, dass Aerosole in der Raumluft unterschiedlich sauer sein können. Der Säuregehalt bestimmt, wie lange Viren in der Luft infektiös bleiben – mit tief greifenden Auswirkungen auf die Virusübertragung und Strategien zu deren Eindämmung.
Wie werden Aerosole sauer?
Viren wie SARS-Cov-2 oder das Grippevirus verbreiten sich über Aerosole in der Luft von Mensch zu Mensch. Wie lange die Viren in Aerosolpartikeln infektiös bleiben, ist jedoch nicht klar. Einige Studien deuten darauf hin, dass der Feuchtigkeitsgehalt und die Temperatur der Luft eine Rolle spielen können. Ein anderer, bislang unterschätzter Faktor ist die chemische Zusammensetzung und insbesondere der Säuregehalt der ausgeatmeten Aerosolpartikel in Wechselwirkung mit der Raumluft. Viele Viren sind säureempfindlich und die Aerosolpartikel können flüchtige Säuren und Luftinhaltsstoffe wie Essigsäure, Salpetersäure oder Ammoniak aus der Raumluft aufnehmen, was wiederum den pH-Wert der Partikel beeinflusst. Die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich hat nun erforscht, welchen Einfluss die nach dem Ausatmen eintretende Ansäuerung der Aerosolpartikel auf die mitgeführten Viren hat. Die Studie zeigt, wie sich der pH-Wert der Aerosolpartikel nach dem Ausatmen während Sekunden bis Stunden unter verschiedenen Umgebungsbedingungen verhält – und wie sich dies auf die Viren auswirkt.
Salpetersäure senkt pH-Wert in der Luft
Wie schnell die ausgeatmeten Aerosolpartikel versauern, hängt von der Konzentration der Säuremoleküle in der Umgebungsluft und der Größe der Partikel ab. In typischer Luft in Wohnräumen erreichen Partikel aus Nasenschleim – und aus eigens für die Studie synthetisierter Lungenflüssigkeit, die kleiner als ein Mikrometer sind – schon nach rund 100 Sekunden einen pH-Wert von 4, was etwa dem Säuregehalt von Orangensaft entspricht. Gemessen wird der Säuregehalt durch den pH-Wert, wobei eine neutrale Lösung pH 7 hat.
Für die Ansäuerung von Aerosolen machen die Forschenden vor allem die Salpetersäure verantwortlich. Diese gelangt mit der Außenluft in Innenräume, z. B. beim Lüften. Salpetersäure entsteht durch den Abbau von Stickoxiden, die hauptsächlich mit den Abgasen von Dieselmotoren und Hausfeuerungsanlagen in die Umwelt gelangen. Es gibt also in Ballungsräumen permanent Stickoxid- und damit Salpetersäure-Nachschub. Die Säure haftet rasch an Oberflächen, wird aber auch von Aerosolpartikeln aufgenommen. Die Säuremoleküle machen sie sauer und lassen damit ihren pH-Wert sinken.
PH-Wert beeinflusst, wie schnell Viren inaktiv werden
Die Studie belegt, dass das saure Milieu entscheidenden Einfluss darauf hat, wie schnell die Viren auf den Aerosolen inaktiviert werden. Dabei erwiesen sich die beiden untersuchten Virusarten als unterschiedlich säureempfindlich: Influenza A-Viren werden schon bei sauren Bedingungen mit einem pH-Wert von 4 nach einer Minute inaktiv, wie sie sich in den Partikeln knapp zwei Minuten nach dem Ausatmen einstellen. Bis 99 Prozent der Influenza A-Viren in der Luft inaktiviert werden, dauert es ungefähr drei Minuten. SARS-Cov-2 ist hingegen äußerst säureresistent: Die Coronaviren wurden erst bei einem pH-Wert unter 2 inaktiv, also bei sehr sauren Bedingungen, etwa wie in Zitronensaft. Da in typischen Wohnräumen der Aerosol-pH kaum je unter 3,5 fällt, braucht es Tage, bis 99 Prozent der Coronaviren inaktiv werden. Die Studie zeigt, dass die Inaktivierung von Influenza A-Viren in gut gelüfteten Räumen effizient funktioniert. Auch die Bedrohung durch SARS-Cov-2 kann immerhin reduziert werden. In schlecht gelüfteten Räumen ist das Risiko aktiver Viren – verglichen mit Räumen mit starker Frischluftzufuhr – 100-Mal höher.
Klimaanlagen entfernen Säuren aus der Luft
Normale Klimaanlagen mit Luftfiltern können zu einer Verringerung der wichtigen Säuren in Innenräumen führen. Damit steigt z. B. das Risiko einer Influenza-Übertragung im Vergleich zu Gebäuden, die mit ungefilterter Außenluft versorgt werden. Möglich wäre, der gefilterten Luft geringe Mengen an flüchtigen Säuren wie Salpetersäure zuzusetzen und basische Stoffe wie Ammoniak zu entziehen. Das könnte die Ansäuerung der Aerosole beschleunigen. Laut Studie könnte eine geringe Konzentration von 50 ppb Salpetersäure (das entspricht 1/40 des gesetzlichen 8-Stunden-Grenzwertes am Arbeitsplatz) das Risiko einer Corona-Infektion um das Tausendfache senken. Solche Maßnahme sind jedoch umstritten, da nicht klar ist, welche Folgen diese Säuremengen haben können. Die Forschenden sind sich deshalb einig, dass es Langzeitstudien bedarf, um die Risiken für Mensch und Bauten zu bewerten. Daher wird sich die Erkenntnis, dass flüchtige Säuren effizient Viren in Aerosolpartikeln eliminieren, nicht so leicht etablieren lassen, während die Entfernung von Ammoniak – der den pH-Wert anhebt und die Viren stabilisiert – nicht kontrovers sein dürfte. Weitere Informationen finden Sie hier.