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VDI-Expertenempfehlung 09.10.2024, 13:23 Uhr

„Hitzeaktionsplanung“ für die kommunale Ebene

Für den gesundheitlichen Hitzeschutz/Hitzevorsorge gibt es bislang in Deutschland noch keine regulatorischen bzw. technischen Vorgaben, weshalb ein harmonisierter Ansatz für die Hitzeaktionsplanung auf kommunaler Ebene im Sinne einer Standardisierung ratsam und hilfreich ist. Die Expertenempfehlung „Hitzeaktionsplanung“ (VDI-EE 3787, Blatt 13) dient den Kommunen als hilfegebender Leitfaden für einen normativen Handlungsablauf mit konkreten Ansätzen für spezifische Umsetzungsoptionen von kurz-, mittel- und langfristigen Anpassungsmaßnahmen in den Bereichen Umwelt, Gesundheit, Verbraucherschutz, Stadtentwicklung, Raum- und Grünplanung und Verkehr, sowie für die in kommunaler Verantwortlichkeit handelnden Externen, wie soziale Fachstellen und Beiräte.

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Um Folgen des Klimawandels für den Menschen zu senken, kann klimagerechtes Bauen helfen.

Foto: PantherMedia / Fahroni

Durch den Klimawandel nehmen Extremwettererscheinungen, wie Hitzeereignisse, nachweislich zu – global, regional und lokal. Hohe Temperaturen können Erkrankungen wie Hitzeerschöpfung, Hitzekrämpfe und Hitzschlag verursachen, aber auch Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege und Nieren auslösen bzw. verschlechtern. Besonders anfällig sind unter anderem Kleinkinder, Hochaltrige, Schwangere, Kranke und Obdachlose, ebenso wie im Freien körperlich aktive und arbeitende Personen, die besonders exponiert sind. Aktuell berichtet die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) unter anderem für Europa einen wachstumsstarken Anstieg des prozentualen Anteils hitzebedingter Verletzungen seit dem Jahr 2000. Dass extreme Hitzeperioden für die Gesamtbevölkerung eine erhebliche Gesundheitsgefahr darstellen, zeigte insbesondere der Hitzesommer 2003, der in Westeuropa bis zu 70 000 hitzeassoziierte Todesfälle (in Deutschland ca. 9 500) verursachte. Wetterdaten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) belegen insbesondere für die vergangenen 20 Jahre eine ausgeprägte Zunahme von Hitzeereignissen in Deutschland – zuletzt 2015, 2018, 2019 und 2022 (Bild 1).

 

Bild 1. Anzahl der heißen Tage mit einem Lufttemperatur-Maximum >= 30 °C (Gebietsmittel jeweils für die Jahre 1950 bis 2023). Grafik: Umweltbundesamt [1], Deutscher Wetterdienst

 

Aktuelle Klimawandelszenarien weisen darauf hin, dass Hitzeextreme in Zukunft häufiger, intensiver und von längerer Dauer vorkommen werden.

Internationale Reaktionen auf Hitzewellen und erste Maßnahmen in Deutschland

Frankreich, Italien und das Vereinte Königreich (UK) haben relativ zeitnah nach dem extremen Sommer 2003 Hitzeaktionspläne als eine wichtige gesundheitsbezogene Anpassungsmaßnahme erstellt. Hitzeaktionspläne sind ein zentrales Instrument des Hitzeschutzes. Sie bündeln verschiedene Anpassungsmaßnahmen an die Folgen des Klimawandels und sind darauf ausgerichtet die Gesellschaft gegenüber den gesundheitlichen Herausforderungen zunehmender Hitzeereignisse zu ertüchtigen, zu schützen und damit die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) zu steigern. Auf Basis eines 2008 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstellten Leitfadens für Hitzeaktionspläne hat die gemeinsame Bund/Länder Ad-hoc Arbeitsgruppe „Gesundheitliche Anpassung an den Klimawandel“ im Jahr 2017 „Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit“ für Deutschland eine abgestimmte fachliche Grundlage publiziert, die zwischenzeitlich bundesweit bekannt gemacht wurden und seither für die Erarbeitung erster Hitzeaktionspläne auf Ebene der Kommunen und Länder genutzt werden. Mithilfe erster Fördermöglichkeiten des Bundes zur Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen im Rahmen der Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel (DAS), die seit 2008 stetig fortgeschrieben wird, konnten ab 2019 erste Projekte für kommunale Hitzeaktionspläne auf Basis dieser Handlungsempfehlungen erstellt werden, so z. B. für Köln, Mannheim und Worms.

Da in Deutschland allerdings bislang keine gesetzlichen bzw. technischen Regelungen existieren – weder für einen entsprechenden gesundheitlichen Hitzeschutz/Hitzevorsorge noch für die spezifische Umsetzung der Handlungsempfehlungen für Hitzeaktionspläne – ist eine harmonisierte Hitzeaktionsplanung im Sinne einer Standardisierung ratsam und hilfreich. Dies wird darüber hinaus gestützt durch aktuelle Forschungsergebnisse einer ersten bundesweiten in 2023 publizierten Studie, die zeigen, dass der Begriff „Hitzeaktionsplan“ von Kommunen unterschiedlich ausgelegt wird. Konkrete Maßnahmen, die Kommunen unter dem Stichwort Hitzeaktionsplan entwickeln, fallen entsprechend vielfältig und unterschiedlich aus. Auch hierdurch begründet sich der Bedarf nach einer abgestimmten Handlungsanweisung.

Leitfaden für Kommunen und wesentliche Bestandteile der VDI-Expertenempfehlung

Die neue Expertenempfehlung „Hitzeaktionsplanung“ (VDI-EE 3787, Blatt 13) dient den Kommunen als Hilfestellung für einen normativen Handlungsablauf und sie kann damit die aufgezeigte Lücke schließen. Die übergeordnete Struktur und Inhalte orientieren sich an den vorgenannten Bund/Länder-Handlungsempfehlungen für Hitzeaktionspläne aus 2017. Unter Berücksichtigung aktueller Literatur aus Wissenschaft und Normung sind konkrete Ansätze für spezifische Umsetzungsoptionen von kurz-, mittel- und langfristigen Anpassungsmaßnahmen beschrieben, die von den Kommunen für einen nachhaltigen hitzebezogenen Gesundheitsschutz ergriffen werden sollten. Dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend obliegt die Umsetzungsverantwortlichkeit primär – jedoch nicht ausschließlich – den Kommunen und ihrer betroffenen Einrichtungen unter Berücksichtigung naturräumlicher Gegebenheiten und lokaler Spezifika. Entscheidend für eine erfolgreiche Umsetzung ist die interdisziplinäre und fachübergreifende Zusammenarbeit der verschiedenen in Zuständigkeit befindlichen kommunalen Ebenen (Dienststellen), beispielsweise für Umwelt, Gesundheit, Verbraucherschutz, Stadtentwicklung, Raum- und Grünplanung und Verkehr, sowie der in kommunaler Verantwortlichkeit handelnden Externen, wie soziale Fachstellen und Beiräte.

Die VDI-EE 3787 Blatt 13, die Anfang 2025 erscheinen soll, umfasst gut 80 Seiten und beschreibt detailliert das mögliche Vorgehen im Umgang mit Hitzeereignissen (Bild 2)

Bild 2. Heiße Tage (orange/rot) und Tropennächte (blau) an der DWD-Station Frankfurt/Main-Westend, 2001 bis 2020. Grafik: Umweltbundesamt [1], Deutscher Wetterdienst

und in einer auf Prävention ausgerichteten Hitzeaktionsplanung auf kommunaler Ebene für die folgenden Kernelemente:
  • Zentrale Koordinierung und interdisziplinäre Zusammenarbeit
  • Nutzung des Hitzewarnsystems
  • Information und Kommunikation
  • Reduzierung von Hitze in Innenräumen
  • Besondere Betrachtung von Risikogruppen
  • Vorbereitung der Gesundheits- und Sozialsysteme
  • Langfristige Stadtplanung und Bauwesen (Sammlung von Hinweisen und Verweisen zu im Kontext stehenden, existierenden Richtlinien, Normen und Standards)
  • Monitoring und Evaluierung der Maßnahmen.

Gesetzliche Vorgaben und der Weg zur flächendeckenden Hitzevorsorge

Mit der Expertenempfehlung „Hitzeaktionsplanung“ begleitet und unterstützt der VDI die Möglichkeit der Umsetzung sowohl a) der Beschlüsse der Gesundheitsministerkonferenz – goutiert auch von den Ministerkonferenzen für Umwelt sowie für Arbeit und Soziales – aus 2020 und 2022, nach denen in den Ländern und Kommunen bis 2025, unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten, flächendeckend Hitzeaktionspläne aufzustellen sind, als auch b) die entsprechenden Empfehlungen der Gutachten der Sachverständigenräte für Umwelt (SRU) sowie für Gesundheit und Pflege (SVR) aus dem Jahr 2023 hierzu. Die aktuelle übergeordnete politische Entwicklung ist ein essenzieller Teil der Arbeiten zur Umsetzung von Maßnahmen zur Hitzevorsorge und Hitzeschutz des Aktionsplans Anpassung III (2020 bis 2025) der DAS. Im Rahmen der neuen vorsorgenden Klimaanpassungsstrategie des Bundes trat am 1. Juli 2024 das Klimaanpassungsgesetz in Kraft. Mit ihm werden die wachsenden Herausforderungen des gesundheitsbezogenen Hitzeschutzes im Kontext einer alternden Gesellschaft bekräftigt. Es betont die Notwendigkeit, auf kommunaler Ebene Klimaanpassungskonzepte mit Maßnahmenplänen unter Berücksichtigung von Hitzeextremen zu erstellen – beispielsweise durch Hitzeaktionspläne.

Literatur

  1. Gesundheitsrisiken durch Hitze. Hrsg.: Umweltbundesamt 2023. www.umweltbundesamt.de/daten/umwelt-gesundheit/gesundheitsrisiken-durch-hitze#indikatoren-der-lufttemperatur-heisse-tage-und-tropennachte
Von H.-G. Mücke

Dr. Hans-Guido Mücke
Umweltbundesamt, Berlin.
Foto: Autor