Bauvertrag: Ist eine Abweichung von anerkannten Standards möglich?
Bei Bau- und Planungsverträgen sind grundsätzlich die allgemein anerkannten Regeln der Technik zu beachten, damit die Leistung des Auftragnehmers mangelfrei ist. Abweichungen sind möglich – wenn frühzeitig und ausreichend darüber informiert wird.

Foto: Panthermedia/discovery (YAYMicro)
Die VOB/B sieht in Paragraf 4 Absatz 2 Nr. 1 Satz 2 vor, dass der Auftragnehmer die Leistung unter eigener Verantwortung unter Beachtung der anerkannten Regeln der Technik auszuführen habe. Entsprechend wird in Paragraf 13 Absatz 1 Satz 2 VOB/B die Mangelfreiheit der Leistung an die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik geknüpft. Eine Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik führt damit regelmäßig zur Annahme eines Mangels. Das BGB trifft keine Regelung zu den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Es ist allerdings seit längerem anerkannt, dass auch im BGB-Bauvertrag die allgemein anerkannten Regeln der Technik einzuhalten sind; sie sind stillschweigend mitvereinbarte Beschaffenheit der Leistung. Dasselbe gilt auch für Ingenieurverträge.
Technische Regeln mit Empfehlungscharakter
Unter allgemein anerkannten Regeln der Technik werden technische Regelungen für die Planung und Ausführung von baulichen und technischen Anlagen verstanden, die wissenschaftlich nachvollziehbar sind, sich praktisch bewährt und in der Praxis auch durchgesetzt haben: Die Mehrzahl der in einem bestimmten Gewerk tätigen Bauunternehmer wenden die Regeln fraglos an, weil sie als zutreffend empfunden werden. Diese Regeln sind typischerweise, aber nicht zwingend kodifiziert.
Die allgemein anerkannten Regeln der Technik können nicht ohne weiteres mit DIN-Normen und vergleichbaren Regelwerken (VDE-Normen, DVGW-Normen et cetera) gleichgesetzt werden. DIN-Normen sind – wie der Bundesgerichtshof betont (Urteil vom 14.5.1998 – VII ZR 184/97) – keine Rechtsnormen, sondern private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter. Sie können die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiedergeben, aber auch dahinter zurückbleiben oder sogar darüber hinausgehen. Allerdings hat sich in der Rechtsprechung eine Vermutung etabliert, dass die aktuelle Fassung einer DIN-Norm die Vermutung in sich trägt, dass sie den aktuellen Stand der allgemein anerkannten Regeln der Technik zutreffend wiedergibt (BGH, Urteil vom 24.5.2013 – V ZR 182/12; OLG Hamm, Urteil vom 14.8.2019 – 12 U 73/18). Die Vermutung kann widerlegt werden; wer sich darauf beruft, dass eine DIN-Norm die allgemein anerkannten Regeln der Technik nicht zutreffend wiedergibt, trägt dafür die Beweislast. Neuerdings hat das OLG Düsseldorf (Urteil vom 9.2.2023 – 5 U 227/21) in Frage gestellt, ob man DIN-Normen generell eine entsprechende Vermutungswirkung zuschreiben könne. Dies könne wohl für Regelungen mit sicherheitstechnischen Festlegungen gelten, nicht aber etwa für Regelungen, die nur ein Ausstattungsniveau beschreiben (etwa DIN 18015–2 zur Anzahl der zu verbauenden Elektroanschlüsse).
Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik möglich
Die Parteien können von den Vorgaben der allgemein anerkannten Regeln der Technik abweichen; insbesondere kann ein darüber hinausgehendes Qualitätsniveau vereinbart werden, aber auch eine dahinter zurückbleibende Ausführung. Die individuellen Festlegungen zum Leistungssoll im Vertrag gehen dem Maßstab der allgemein anerkannten Regeln der Technik vor.
Wenn in einem Ingenieurvertrag eine (negative) Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik vereinbart wird, setzt dies voraus, dass der Auftragnehmer den Auftraggeber über die Bedeutung der allgemein anerkannten Regeln der Technik aufklärt und auf die mit der Nichteinhaltung verbundenen Risiken und Konsequenzen hinweist. Dies ist ausnahmsweise dann nicht erforderlich, wenn dem Auftraggeber die Risiken bekannt sind oder sich diese ohne weiteres aus den Umständen ergeben (OLG Stuttgart, Urteil vom 17.12.2024 – 10 U 38/24).
Qualität der Aufklärung abhängig von Verständnismöglichkeiten
Im Fall des OLG Stuttgart hatte der von einem Bauträger mit den Planungsleistungen für den Umbau eines Altbaus zu Eigentumswohnungen betraute Architekt Sonnenschutz für Fenster geplant. Der Auftraggeber entschied, den Sonnenschutz entfallen zu lassen. Nachdem Schadensersatzansprüche der Erwerber gegen den Auftraggeber gestellt worden waren, nahm er den Architekten wegen eines Planungsfehlers in Anspruch. Der Architekt hatte dem Auftraggeber auf seinen Änderungswunsch hin mitgeteilt, dass die Leistung „ohne Sonnenschutz nicht funktioniert“. Weitere Ausführungen oder einen Hinweis auf DIN-Regelungen gab es nicht. Aus der Sicht des Gerichtes war dies ein ausreichender Hinweis. Selbst einem Laien sei klar, dass der Sonnenschutz einen Schutz gegen Lichteinfall und Wärme bieten solle. Erst recht habe sich dem bauerfahrenen Bauträger auch ohne weitere Einzelheiten aufdrängen müssen, dass der fehlende Sonnenschutz einen Mangel der Wohnung darstelle. Die Qualität der Aufklärung ist abhängig von den Verständnismöglichkeiten des Auftraggebers. Im Zweifel sollte die Aufklärung jeweils möglichst konkret erfolgen. Bei einem bauerfahrenen Auftraggeber sind etwas geringere Anforderungen zu stellen.
Bauunternehmer haben, wenn der Auftraggeber eine Leistung vorgibt, die gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik verstößt, nach Paragraf 4 Absatz 1 Nr. 4, Absatz 3 VOB/B Bedenken anzumelden, um sich von etwaigen Folgen freizuzeichnen. Das gilt – obwohl im BGB nicht ausdrücklich vorgesehen – auch in BGB-Bauverträgen.
Ebenfalls interessant: