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Schweizer Forschungsgebäude NEST 14.03.2022, 09:32 Uhr

Abwärmenutzung: Rechenzentren zur Gebäudeheizung

Wie kann die Abwärme von Rechenzentren effektiv zur Beheizung von Gebäuden oder gar Quartieren genutzt werden? Antworten auf diese Frage erhoffen sich Forschende der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) vom Betrieb eines neu installierten Mikro-Rechenzentrums im Forschungsgebäude NEST.

Im Rahmen des Projekts "ECO-Qube" wird unter anderem in der Schweiz getestet, wie die Abwärme von Rechenzentren für die Gebäudeheizung genutzt werden kann. Foto: Empa

Im Rahmen des Projekts "ECO-Qube" wird unter anderem in der Schweiz getestet, wie die Abwärme von Rechenzentren für die Gebäudeheizung genutzt werden kann.

Foto: Empa

Die fortschreitende Digitalisierung hinterlässt weitreichende Spuren: Riesige Datenmengen müssen weltweit verwaltet werden, Nutzende erwarten Zugriffsmöglichkeiten in Echtzeit – und das rund um den Globus. Um diesen Bedürfnissen gerecht werden zu können, muss der Verarbeitungsort der Daten wieder näher an den Entstehungsort rücken – beispielsweise in Form eines Mikro-Rechenzentrums im Quartier. Diese lokalen Rechenzentren würden nicht nur einen schnelleren Datentransfer sicherstellen, sondern könnten auch – angeschlossen an die Energieversorgung – zum Heizen von Gebäuden genutzt werden. Ein Feldtest mit Mikro-Rechenzentren im Forschungsgebäude NEST sowie an zwei weiteren Standorten in der Türkei und in den Niederlanden soll das Potenzial dieser Idee ergründen. Die Serveranlage ist Teil des EU-Forschungsprojekts „ECO-Qube“, das die Integration von Rechenzentren in Gebäudesysteme und deren energieeffizienten Betrieb untersucht.

Intelligentes Monitoring: Kühlung nur bei Bedarf

„Unser Ziel ist es, sowohl den Energiebedarf als auch die CO2-Emissionen von kleinen Rechenzentren um je ein Fünftel zu senken“, berichtet Çağatay Yilmaz, Innovation Manager beim türkischen IT-Lösungsanbieter Lande und Projektleiter von „ECO-Qube“. Das Projekt wird durch das EU-Förderprogramm „Horizon 2020“ unterstützt und bringt Forschungs- und Industriepartner aus der Schweiz, der Türkei, Spanien, Deutschland, den Niederlanden und Schweden zusammen. Herkömmliche Rechenzentren arbeiten nach Aussage der Sustainable Digital Infrastructure Alliance, einer weiteren Projektpartnerin, häufig nur mit einer Auslastung von rund 15 %. Trotzdem brauchen die Server ständig Strom und werden gekühlt. Der Energiebedarf für die Kühlung ist mittlerweile so groß, dass einige Tech-Giganten ihre Serverfarmen an den Polarkreis verlegt haben, um von den dortigen Außentemperaturen zu profitieren. Die Kühlung der „ECO-Qube“-Rechenzentren hingegen nutzt die Sensordaten der einzelnen IT-Komponenten. Sie werden in Big-Data-Strukturen akkumuliert und tragen dazu bei, dass die Wärmeverteilung innerhalb der Anlage jederzeit genauestens erfasst wird. Künstliche Intelligenz kombiniert diese Daten mit Luftstromsimulationen, sodass die Kühlung sehr gezielt eingesetzt werden kann. Gleichzeitig werden die Rechenlasten in den drei Test-Rechenzentren so verteilt, dass alle Anlagen so energieeffizient wie möglich betrieben werden können.

Das Rechenzentrum ist an das bestehende Mittel- oder Nieder-Temperaturnetz von NEST angeschlossen und gibt Abwärme ab.

Foto: Empa

Abwärmenutzung: Rechenzentrum als dynamische Komponente im Gesamtsystem

Die Rechenzentren werden zudem direkt in die Energiesysteme der umliegenden Quartiere integriert und sollen möglichst mit erneuerbarer Energie gespeist werden. Im schweizerischen Forschungsgebäude NEST kommt der Strom für den Betrieb des Rechenzentrums beispielsweise unter anderem von den Photovoltaikanlagen der NEST-Units und des Mobilitätsdemonstrators move. Die Abwärme des Rechenzentrums wird an das bestehende Mittel- oder Nieder-Temperaturnetz abgegeben. Im Winter speist sie so direkt die Gebäudeheizung und dient über das Jahr gleichzeitig als Quelle für eine Wärmepumpe, die das Brauchwarmwasser bereitstellt. „Für uns ist es interessant, das Mikro-Rechenzentrum nicht nur als elektrischen Verbraucher zu betrachten, sondern als eine dynamische Komponente im Gesamtsystem, die wir so einsetzen können, dass Berechnungen dann stattfinden, wenn es ökologisch Sinn macht. Die Kopplung der elektrischen und thermischen Welt mit der IT-Infrastruktur und der Datenverarbeitung bietet ein großes Optimierungspotenzial hin zu einem nachhaltigen Betrieb“, so Philipp Heer, Leiter des „Energy Hub“ an der Empa. Das Projekt ist auf drei Jahre ausgelegt. Nach seinem Abschluss will das Team Richtlinien für Planer und Gebäudebetreiber bereitstellen können, um sie bei einer energieeffizienten Integration von Rechenzentren in Gebäude und Quartiere zu unterstützen.

Forschungsgebäude NEST – was ist das?

Im NEST können Materialien, Technologien und Produkte, Energiekonzepte sowie Nutzungskonzepte im Baubereich risikofrei getestet und weiterentwickelt werden. Das modulare Forschungs- und Innovationsgebäude der beiden Schweizer Forschungsinstitute Empa und Eawag wurde 2016 eröffnet und steht auf dem Empa-Campus in Dübendorf. Über 150 Partner aus Forschung, Wirtschaft und der Öffentlichen Hand arbeiten hier zusammen. Das Gebäude besteht aus einem zentralen Rückgrat und drei offenen Plattformen, auf denen einzelne Forschungs- und Innovationsmodule nach einem „Plug & Play“-Prinzip für eine begrenzte Dauer installiert werden. Nach dem Abschluss der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten werden die Module wieder ausgebaut, um neuen Vorhaben Platz zu machen.

 

 

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Von Empa / Marc Daniel Schmelzer