CO2-freies Plusenergiehaus mit Baujahr 1970
Wer an ein energetisch optimal konzipiertes Mehrfamilienhaus denkt, wird dabei zumeist einen Neubau vor Augen haben. Das dies nicht zwangsläufig so sein muss, beweist ein Objekt aus der Mitte Nordrhein-Westfalens.
Tatsächlich wird das Haus am Ende der Straße häufig als „Neubau“ bezeichnet. Dabei versteckt sich hinter der weißen Fassade des modernen Zweifamilienhauses im südlichen Ruhrgebiet aber ein Baukörper aus dem Baujahr 1970. Das Gebäude wurde in mehreren Etappen energetisch ertüchtigt und produziert heute mehr Energie als seine Bewohner verbrauchen.
Als die junge Familie im Jahr 2001 das elterliche Zweifamilienhaus mit 240 Quadratmetern Wohnfläche übernahm, befand es sich energetisch im Originalzustand. Das bedeutete einen spezifischen primärenergetischen Energiebedarf von 270 kWh/m2 im Jahr, nach heutiger Einstufung Energieeffizienzklasse H. Es hatte einen durchschnittlichen Gasverbrauch von 45 000 kWh pro Jahr, was etwa mit 4.500 Litern Heizöl gleichzusetzen ist. Die Vorlauftemperatur für die Heizkreise betrug 75 °C. Für die Familie war es deshalb wichtig, das Haus energetisch zu ertüchtigen – jedoch ohne es dafür komplett zu entkernen. Damit fiel auch die grundlegende Entscheidung, dass die Heizwärme wie gehabt über Heizkörper übertragen werden sollte. Daher wurden umfangreiche Dämmmaßnahmen an der Gebäudehülle durchgeführt. Die alten zweifachverglasten Holzfenster (U-Wert etwa 3,0) wurden gegen wärmedämmende Fenster mit einer Zwei-Scheiben-Isolierverglasung (U-Wert 1,4) getauscht, das Dach wurde mit 18,5 Zentimeter Dämmstärke gedämmt und neu gedeckt (U-Wert 0,23). Auf der Südostseite des Daches wurde eine 16 Quadratmeter große Solarthermische Anlage zur Heizungsunterstützung und Warmwasserbereitung installiert und entsprechend für das erzeugte Warmwasser im Keller ein 800-Liter-Pufferspeicher mit 180 Liter Trinkwarmwasser-Tank aufgestellt. Dieses Maßnahmenpaket senkte den Gasverbrauch des Hauses um etwa ein Viertel auf 33.000 kWh. Jetzt entsprach das Gebäude mit einem spezifischen primärenergetischen Energiebedarf von 145 kWh/m2 im Jahr nach heutiger Einstufung der Energieeffizienzklasse E. Die 1993 neu eingebaute Gasheizung mit einer Leistung von 29 kW blieb erhalten. Das Vorgängermodell, eine Ölheizung von 1970, hatte eine Leistung von 53 kW.
Ertüchtigung zum KfW-Effizienzhaus-Standard 55
Nach 18 Jahren wurde der Grundriss nochmals an die neuen Bedürfnisse der Bewohner angepasst und dabei das Gebäude im gleichen Zug energetisch auf den KfW-Effizienzhaus-Standard 55 ertüchtigt. Ziel war, das Haus zu einer modernen Wohn- und Gewerbeeinheit mit hoher Aufenthaltsqualität umzubauen. Die Gewerbeeinheit sollte ins Erdgeschoss einziehen, die Wohnung der sechsköpfigen Familie wurde im ersten Obergeschoss und im Dachgeschoss erweitert. Auf der 30 Quadratmeter großen Dachterrasse entstand ein Holzständeranbau in Passivhausqualität. Im Rahmen der Ertüchtigung der bestehenden Aufsparrendämmung wurde die bestehende Dämmschicht des Satteldaches von 18 auf 28 Zentimeter verstärkt, auf beiden Dachschrägen wurden große Dachgauben eingebaut. Das bedeutete wiederum für die auf dem Dach befindlichen Solarthermie-Module, dass sie an die Fassade „umziehen“ mussten. Dort wurden vier neue Solarthermie-Kollektoren installiert. Die thermische Solaranlage produziert von Februar bis November warmes Wasser, das sowohl dem Pufferspeicher als auch dem Trinkwarmwasserspeicher zugeführt wird.
Statt der 18 Jahre alten, doppelverglasten Fenster sind heute im ganzen Haus Holz-Alu-Fenster mit Dreifachverglasung in Passivhausstandard (U-Wert 0,7) eingebaut. Auch die neue Haustür entspricht dem Passivhaus-Standard. An den Kelleraußenwänden wurde bis auf die Kellersohle hinunter eine Perimeterdämmung angebracht. Außerdem wurden die Außenwände (Urzustand: U-Wert 1,65) des Gebäudes mit einer ökologischen, 20 Zentimeter starken Holzfaserdämmung versehen (U-Wert 0,20). Zwischen die an den Wänden geschraubte Holzkonstruktion und die außen abschließende Holzfaserplattendämmung ist Holzwolle eingeblasen.
Vorlauftemperatur zwischen 38 °C und 45 °C
Durch diese Maßnahmen konnte das neue Gas-Brennwert-Solar-Center deutlich kleiner ausfallen als sein Vorgängermodell. Die Heizung hatte jetzt statt 29 kW nur noch 20 kW Leistung und eine Vorlauftemperatur von 50 °C. Um die jetzt luftdichte Gebäudehülle vor Feuchte-Schäden zu bewahren und gleichzeitig den Wohnkomfort zu erhöhen, haben die Bauherren eine zentrale Wohnraumlüftungsanlage eingebaut. Die Verrohrung in abgehängten Decken wurde in Eigenleistung durchgeführt. Durch diese weiteren Sanierungsschritte war mit einem spezifischen primärenergetischen Energiebedarf von 52 kWh/m2 pro Jahr der KfW-55-Standard bereits unterschritten. Bereits zwei Jahre später folgten die nächsten Maßnahmen mit dem Ziel, das Gebäude energetisch möglichst autark bewirtschaften zu können. Die Berechnung der erforderlichen Einzelmaßnahmen hat der Wärmepumpenspezialist Wattgeht durchgeführt. Jeder einzelne Raum wurde neu berechnet und die Vorlauftemperatur auf die geringstmögliche Gradzahl eingestellt. Somit konnten die Vorlauftemperatur sowie die tatsächliche Heizlast nochmals erheblich abgesenkt werden. Statt 12,2 kW aus der ursprünglichen Heizlastberechnung wurden 6 kW als die tatsächliche Heizlast bestimmt. Damit reduziert sich die Vorlauftemperatur für die Heizkörper je nach Witterung auf Werte zwischen 38 °C und 45 °C.
Für den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energieträger wurde die noch junge Gastherme gegen eine Monoblock-Wärmepumpe mit 10 kW Leistung ausgetauscht. Sie wurde elektronisch auf 6 kW begrenzt.
PV-Anlage und Batteriespeicher machen Sonnenenergie nutzbar
Zuletzt wurde aus 50 Modulen eine rund 100 Quadratmeter große PV-Anlage auf einem Nebengebäude installiert sowie ein Batteriespeicher mit 25,2 kW Ladekapazität im Kelleranschlussraum angeschlossen.
Die Summe aller Maßnahmen hat bewirkt, dass sich das Gebäude zu einem Energie-Plus-Haus gewandelt hat, das deutlich mehr Energie produziert als es verbraucht. Der spezifische primärenergetische Energiebedarf liegt heute bei 8 kWh/m². Die SENEC.Cloud, ein virtuelles Konto für Stromguthaben, führt den im Sommer ins Netz eingespeisten Überschuss an PV-Strom in der Heizperiode der Wärmepumpe zu. Somit sind das Gebäude und die Elektro-Fahrzeuge der Familie so gut wie komplett energieautark.
Das zentrale Element der Haustechnik ist das Energiemanagementsystem des Batteriespeichers. Dieses sorgt dafür, dass der kostenlos erzeugte PV-Strom zuerst direkt im Haus, in der Wärmepumpe oder mit den Elektroautos verbraucht und in zweiter Instanz in den Speicher eingespeist wird. Erst wenn der Speicher voll beladen ist und keine weitere Energie mehr verbraucht werden kann, wird der überschüssige PV-Strom ins Netz eingespeist, wo er nach Bedarf wieder zur Verfügung steht. Die ursprünglichen Energiemengen für die Heizungsanlage (18.500 kWh Erdgas/Jahr) konnten mit der Wärmepumpe auf 3.800 kWh Strom pro Jahr reduziert werden (16.000 kWh Wärmeenergie/JAZ 4,2). Die Gesamtenergiekosten für Heizung, Warmwasser, Haushaltsstrom und Strom für die E-Fahrzeuge belaufen sich auf unter 50 Euro pro Monat (vorher 600 Euro pro Monat). Die Investitionskosten der neuen Wärmepumpenanlage und der PV-Anlage mit Batteriespeicher werden sich nach maximal zehn Jahren amortisiert haben.
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