Einfamilienhäuser mit großem Potenzial zur Selbstversorgung
Forschende haben berechnet, dass 53 Prozent der Einfamilienhäuser in Europa durch den Einsatz von Photovoltaikanlagen in Kombination mit Batteriespeichern technisch komplett energieautark betrieben werden könnten.
Die Strompreise in Europa steigen seit Jahren, gleichzeitig wird es mit Photovoltaik und Batteriespeichern immer einfacher, sich unabhängiger von Energieversorgern zu machen. Wie groß der Schritt von einer teilautarken zu einer vollständigen Selbstversorgung mit Strom und Wärme wäre, hat ein Team des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) gemeinsam mit Forschenden des Forschungszentrums Jülich, der ETH Zürich und des Paul Scherrer Instituts analysiert. Die in der Fachzeitschrift Joule veröffentlichten Berechnungen zeigen: Bereits heute könnten 53 Prozent der Einfamilienhäuser in Europa technisch energieautark betrieben werden. Bis zum Jahr 2050 könnten durch Mehrinvestitionen von 50 Prozent mehr als zwei Millionen Gebäude das Netz verlassen.
Nutzende erkennen die Vorteile der Unabhängigkeit
„Durch Investitionen in lokale Energieversorgungssysteme kann ein Großteil des eigenen Stromverbrauchs selbst gedeckt und damit die Abhängigkeit von hohen Strompreisen reduziert werden“, so Hauptautor Max Kleinebrahm, Gruppenleiter am Institut für Industriebetriebslehre und Industrielle Produktion (IIP) des KIT. Europaweit würden sich deshalb Gebäudeeigentümer verstärkt für mehr Eigenständigkeit entscheiden: „Neben der Wirtschaftlichkeit spielen bei der Entscheidung auch nicht-monetäre Aspekte wie ein hoher Anteil erneuerbarer Energien, die Ablehnung der Nutzung nuklearer und fossiler Energien und ein hoher Grad an Autarkie eine immer wichtigere Rolle“, berichtet Kleinebrahm.
„Bis 2050 könnten bis zu zwei Millionen Einfamilienhäuser das Stromnetz verlassen“
Grundlage für die Berechnungen des Forschungskonsortiums ist eine Datenbank, in der geografisch hoch aufgelöste Informationen zum europäischen Gebäudebestand und den darin lebenden Haushalten mit lokalen klimatischen und wirtschaftlichen Bedingungen kombiniert wurden. Durch den Einsatz neuartiger Methoden zur Komplexitätsreduktion auf Hochleistungsrechnern wurden zunächst für 4.000 Einfamilienhäuser kostenoptimierte energieautarke Versorgungssysteme konfiguriert. In einem weiteren Schritt wurden dann neuronale Netze eingesetzt, um die Ergebnisse auf die 41 Millionen untersuchten Einfamilienhäuser zu übertragen.
„Unter heutigen Bedingungen sind 53 Prozent der 41 Millionen Gebäude technisch in der Lage, sich unabhängig von externer Infrastruktur allein durch die Nutzung der lokalen Sonneneinstrahlung auf dem Dach zu versorgen. Aufgrund verbesserter Technologien könnte dieser Anteil bis 2050 auf 75 Prozent steigen“, berichtet Professor Russell McKenna von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH Zürich) und Leiter des Labors für Energiesystemanalyse am Paul Scherrer Institut. „Wenn man nun annimmt, dass Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer dazu bereit wären, bis zu 50 Prozent mehr zu investieren, als für ein vergleichbares Energiesystem mit Netzanschluss notwendig wäre, dann könnten bis 2050 bis zu zwei Millionen Einfamilienhäuser das Stromnetz verlassen“, rechnet McKenna vor.
Vorteil in Regionen mit saisonalen Wetterschwankungen
Ein ausgeprägtes Potenzial für energieautarke Wohngebäude sehen die Forschenden vor allem in Regionen mit geringen saisonalen Wetterschwankungen, wie beispielsweise in Spanien oder mit hohen Strompreisen wie in Deutschland. Auch die konkrete Ausgestaltung der kostenoptimierten Energiesysteme steht fest: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein erfolgreiches, kostenoptimales und autarkes Energieversorgungssystem für Gebäude in Mitteleuropa aus Photovoltaik zur Stromerzeugung sowie einer Kombination von kurzfristiger Batteriespeicherung und einem langfristigen, saisonalen Wasserstoffspeichersystem bestehen wird“, so Dr. Jann Weinand, Abteilungsleiter am Forschungszentrum Jülich.
Ausblick: Auswirkungen auf Stromnetze prüfen
Welche Auswirkungen eine mögliche großflächige Verbreitung energieautarker Versorgungssysteme auf das europäische Energiesystem hätte, wollen die Forschenden in weiteren Arbeiten genauer analysieren. „Teilautarke Wohnhäuser könnten in Zukunft dazu beitragen, das übergeordnete Energiesystem zu stabilisieren. Ein weniger stark ausgeprägtes Nachfrageprofil der Haushalte könnte etwa die Nachfrage nach Spitzenlastkraftwerken dämpfen“, sagt Elias Naber vom IIP des KIT. „Allerdings müsste dann verhindert werden, dass sich Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer komplett vom Netz abkoppeln – etwa indem sie für netzfreundliches Verhalten mit speziellen Strompreistarifen belohnt werden.“