Pilotprojekt: Wie Erdkältespeicher helfen Strom zu sparen
Kühlanlagen sind essenziell, um Gebäude und technische Anlagen gerade an heißen Sommertagen betriebsfähig zu halten. In Deutschland beanspruchen solche Systeme etwa 14 Prozent des gesamten Stromverbrauchs. Gleichzeitig bleibt im Winter und nachts natürliche Kälte ungenutzt. Dieses Potenzial möchten Forschende der Fraunhofer IEG für eine nachhaltige Industriekühlung nutzen.
In Bochum hat die Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG gemeinsam mit dem Praxispartner Voltavision ein weltweit einzigartiges Geothermie-Projekt gestartet: Das Vorhaben „MissEllyDemo“ zielt auf die ganzjährige Bereitstellung von nachhaltiger Kälte zur Kühlung von Laboren und Prüfständen für elektrische Energiespeicher ab. Auf diese Weise sei es laut den Ergebnissen einer Machbarkeitsstudie möglich, den Energieverbrauch zur Kühlung um 70 bis 90 Prozent zu reduzieren.
Erdwärmesonden als saisonaler Kältespeicher
Und so soll es gelingen: Während eine Freikühlung im Winter durch Luftkühlung umweltschonend möglich ist, fordert der Sommer den Einsatz von stromintensiver Kompressionskälte. Um den Anteil erneuerbarer Energien bei der Kühlung zu steigern, biete sich Umgebungskälte als natürliche, primäre Quelle an. Hierbei wird Abwärme, also überschüssige Wärmeenergie, die bei industriellen Prozessen entsteht, mithilfe der natürlichen Kühle des Erdbodens abgeleitet beziehungsweise gekühlt. Im Projekt „MissEllyDemo“ wird nun ein neues System zur Speicherung und Nutzung von regenerativer Umweltkälte erprobt, das die im Winter sowie nachts verfügbare Kälte im Erdreich speichert, um sie im Sommer zur Kühlung der Prüfanlagen und Gebäude zu nutzen. Dabei fungieren 40 Erdwärmesonden als saisonaler Kältespeicher, der die Prozesswärme aus den Voltavision-Prüflaboren in den Untergrund abführt. Dank der strategischen Anordnung der Erdwärmesonden und einer prädiktiven Betriebssteuerung ließen sich die Energieaufwände für die Kühlung deutlich reduzieren. „Wir konzipieren einen Erdsonden-Kältespeicher und betreiben ihn so dynamisch, dass er Wärmeenergie in einem weiten Leistungsbereich und in bedarfsgerechten Geschwindigkeiten aufnehmen kann“, erläutert Projektleiter Roman Ignacy von Fraunhofer IEG. „Die smarte Steuerung und das flexible Anlagendesign sind wohl weltweit einmalig.“
Praxisanwendung zur Kühlung von Prüflaboren
Das auf vier Jahre angelegte und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMKW) geförderte Projekt folgt als Demonstrationsanlage mit digitalem Zwilling auf eine 2023 abgeschlossene Machbarkeitsstudie. Der Prototyp soll nun in der Praxis belegen, wie die Dynamik von regenerativer, kostengünstiger aber volatiler Umweltkälte sinnvoll in einen realen ökonomischen Prozess integriert werden kann. Die Realisierung erfolgt am Bochumer Headquarter des Industriepartners Voltavision. Das auf Batterietests spezialisierte Unternehmen betreibt diverse Prüflabore, entwickelt Prüfstands-Equipment und testet Batteriezellen und Module sowie Hochvolt-Batterien etwa für die Automobilindustrie. „Neben der Nutzung der Abwärme zur Heizung der Gebäude im Winter und dem Einsatz von Photovoltaikanlagen, betreiben wir auch das erste Batterie-Prüflabor mit klimaneutraler Kältetechnik auf Basis natürlicher Kältemittel“, so Lore Mall, verantwortliche Projektleitung bei Voltavision.
Kältereservoire für sommerliche Spitzenlast
Das Erdwärmesondenfeld soll im Durchschnitt 150 kW und in Spitzenzeiten bis zu 550 kW liefern, während die Speicherkapazität von 386 MWh bereits etwa 15 Prozent des Gesamtbedarfs bei Voltavision ausmachen wird. Die Analyse der Kühlbedarfe des Unternehmens zeigt deutlich, dass nicht der aufsummierte Jahreskühlbedarf, sondern die Spitzenlastzeiten im Sommer im Fokus stehen müssen. Für diese Zeit braucht es ein flexibles Kältereservoire im Untergrund, welches Kälteerzeugung und -verbrauch räumlich und zeitlich entkoppelt, um Spitzenlasten energieeffizient abdecken und Nennleistungen niedriger planen zu können.
Zur Umsetzung werden die 40 Sonden im Abstand von fünf bis zehn Metern bis zu 100 Meter tief verlegt. Eine Sole läuft als Betriebsmittel in den geschlossenen Rohrschleifen und gibt die abzuführende Prozesswärme an den Untergrund ab. Eine smarte und prädiktive Betriebssteuerung regelt dabei, wie die Sonden tagesaktuell verschaltet werden – ob parallel, seriell oder in bestimmten Zonen – um die optimale Wärmeübertragung beim vorausschauenden „Auf- und Entladen“ zu gewährleisten. „Durch die Verschaltung der Erdsonden entsteht ein dynamisch auf thermische Lasten regelbares System mit einer maximalen Leistungs- sowie Energiespeicherungsfähigkeit. Hierin liegt ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal und gleichzeitig die Innovation des Speicherkonzepts“, beschreibt Anja Hanßke, Leiterin des Competence Center Wärmenetze 4.0 von der Fraunhofer IEG.
Weitere Anwendungen angedacht
Aus den Betriebserfahrungen des Demonstrators bei Voltavision sollen sich die Entwicklungspfade für die Erweiterung auf andere Prozesse und weitere Anwender ergeben. Dazu erstellt die Fraunhofer IEG einen digitalen Zwilling der Anlage, der an den Realdaten validiert wird und dann als Planungstool zur Betriebs- sowie grundlegenden Auslegungsoptimierung zur Verfügung steht.
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