Wärmeversorgung: E-Fuels zusätzlich, nicht anstatt
„Ein dicht besiedeltes Industrieland wie Deutschland wird auch langfristig auf Energieimporte angewiesen sein. Das ist am einfachsten und wirtschaftlichsten, wenn man, wie heute auch, flüssige Energieträger mit großen Tankschiffen transportiert“. Die Rede ist von E-Fuels, für die Industrie, für den Verkehr – und auch für die Wärmeversorgung? Die HLH sprach darüber mit Christian Küchen, einer der beiden Geschäftsführer des Zusammenschlusses von IWO und Mineralölwirtschaftsverband.
Er ist wohl einer der kompetentesten Gesprächspartner zum Thema E-Fuels in der Energieversorgung allgemein und im Wärmemarkt im Speziellen: Professor Dr.-Ing. Christian Küchen leitete als Sprecher der Geschäftsführung viele Jahre maßgeblich die Geschicke des vormaligen Instituts für Wärme und Oeltechnik (IWO) in Hamburg. Damals wie heute vertrat er die Interessen der großen Mineralölkonzerne und sah die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Produkte im Markt. 2015 wechselte er als Hauptgeschäftsführer zum Mineralölwirtschaftsverband (MWV) nach Berlin. Beide Organisationen verschmolzen Ende vergangenen Jahres zum Wirtschaftsverband Fuels und Energie e. V. (en2x) mit Sitz in der Bundeshauptstadt. Auf seiner Homepage stellt sich der Verband vor: „Weil wir den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt hinterlassen wollen, ist es notwendig, Maßnahmen zur schnellen Senkung der CO2-Emissionen zu ergreifen. Deshalb arbeiten wir vom en2x gemeinsam mit unseren Mitgliedern auf das Erreichen der Klimaziele von Paris hin. Ob CO2-neutraler Wasserstoff, alternative Kraft- und Brennstoffe, neue Produkte für die chemische Industrie oder Ladestationen für Elektroautos an der Tankstelle: Es gibt zahlreiche Lösungen dafür, die Treibhausgasemissionen immer weiter zu reduzieren. Das ändert jedoch nichts an der grundsätzlichen Herausforderung.“ Dies unterstreiche einmal mehr der Russland-Ukraine-Krieg. „Auch wenn wir den weiteren Verlauf des Krieges und dessen Folgen nicht vorhersehen können – eines ist für unseren Verband und unsere Mitgliedsunternehmen klar: Die aktuellen Entwicklungen werden großen und nachhaltigen Einfluss auf die Energieversorgung der Zukunft nehmen. Das Ziel muss sein, unsere Energieversorgung künftig auf eine breitere Basis zu stellen und dabei immer mehr auf treibhausgasneutrale Energie zu setzen. Wir unterstützen daher ausdrücklich den von der Bundesregierung angekündigten deutlich beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien im Inland wie auch den schnellen Aufbau von Importinfrastrukturen für Wasserstoff und alternative Kraftstoffe.“. Was vermögen in diesem Zusammenhang E-Fuels und von wo werden sie kommen, fragte die HLH Cristian Küchen in seinem Büro unmittelbar am Bahnhof Friedrichstraße.
HLH: Herr Küchen, der Russland-Ukraine-Konflikt macht einmal mehr deutlich, wie wesentlich eine Versorgungsstrategie ist, die auf verschiedenen Füßen steht. Sie, beziehungsweise Ihr Verband, haben ja dazu Stellung bezogen. Lassen Sie uns hier allgemein über die E-Fuels sprechen, damit gehen wir ja indirekt automatisch auf Konsequenzen aus dem Drama ein. Die Meinungen, Herr Küchen, zu E-Fuels und ihrer Bedeutung für die verschiedenen Sektoren der Industrie sowie für den Verkehr und für den Wärmemarkt gehen weit auseinander, wenn man Veröffentlichungen dazu liest. Die Ersten sehen in den künstlichen Brenn- und Kraftstoffen einen generellen Heilsbringer. Die Zweiten geben ihnen lediglich eine Chance in Sektoren, die sich nur schwer elektrifizieren lassen. Die Dritten glauben an eine Zukunft im Verkehr, indem sie mit diesen Treibstoffen das Aus für den Verbrennungsmotor stoppen wollen. Für die Vierten darf deshalb auch der Ölkessel länger Dienst tun, dann natürlich mit E-Fuels befeuert. Für die Fünften kann man damit Forschungsgelder bei der Regierung locker machen und damit seine Forschungsabteilung finanzieren. Sicherlich gibt es auch noch ein sechstens, siebtens oder achtens. Was halten Sie von E-Fuels zum einen generell und zum anderen für die Wärmeversorgung?
Christian Küchen: Wir werden E-Fuels brauchen und zwar in erheblichem Umfang. Es wird uns gar nichts anderes übrig bleiben, als klimaneutrale Energie zu importieren, weil wir nicht alles mit Wind und Sonne aus Deutschland oder vielleicht noch aus den Nachbarländern und aus der Ost- und aus der Nordsee decken können. Das ist für mich unstrittig. Genauso unstrittig ist aber auch, dass es nicht wirtschaftlich sein wird, alles, was wir heute an flüssigen Energieträgern einsetzen, auch im Wärmemarkt, durch E-Fuels zu ersetzen. Sie sind einfach zu teuer. Wenn heute ein Einfamilienhaus 3.000 oder 4.000 Liter Öl verfeuert, sollte man zunächst einmal Effizienzmaßnahmen, also Dämmmaßnahmen ergreifen, bevor man sich nach einem Brennstoff umschaut, der kesseltauglich ist.
HLH: Also hin zur Wärmepumpe?
Küchen: Wenn es das Gebäude und das Heizsystem erlauben, ist die Wärmepumpe eine gute Lösung. Eine stark zunehmende Zahl von Wärmepumpen stellt die Stromversorgung allerdings vor eine Herausforderung: Sie erhöht definitiv die benötigte Spitzenlast. Ganz einfach deshalb, weil nun mal geheizt wird, wenn es kalt ist. Und das zumeist in allen Gebäuden gleichzeitig. Das ist bei der E-Mobilität anders. Hier verteilt sich die Nachfrage gleichmäßiger über das Jahr, auch wenn es etwa an Urlaubswochenenden zu einer hohen Nachfrage kommen kann. Hinzu kommt, dass die PV-Anlagen in der Heizsaison kaum Erträge liefern. Sie können vielleicht mit einem Pufferspeicher das Heizen für ein paar Stunden überbrücken. Wenn es aber zwei Wochen durchgehend kalt ist und draußen Dunkelflaute herrscht, brauchen wir eine gesicherte Stromversorgung für diese im Vergleich zu heute zusätzliche nicht unerhebliche Stromnachfrage. Wir steigen aus der Atomkraft und der Kohlekraft aus. Deswegen benötigen wir Alternativen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das bedeutet zum einen, dass wir zusätzliche Gaskraftwerke benötigen, die vor allem dazu da sind, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und die perspektivisch mit Wasserstoff betrieben werden müssen, um das Erreichen der Klimaziele nicht zu gefährden. Dazu müssen wir auf der Nachfrageseite dafür sorgen, dass die Lastspitzen nicht zu groß werden. Das bedeutet: Erstens, im Stromsektor bleibt Effizienz enorm wichtig. Zweitens, im Gebäudebereich mit geringem Energiebedarf sollten wir Wärmepumpen einsetzen – im Neubau und im sanierten Bestand. Und drittens sollten wir im Wärmesektor verstärkt auf hybride Heizsysteme setzen: elektrische Wärmepumpen in Kombination mit speicherbaren gasförmigen oder flüssigen Energieträgern. Diese, zum Beispiel E-Fuels, decken dann die Spitzenlasten eben zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit.
HLH: Warum nehmen wir dann nicht besser direkt Wasserstoff? E-Fuels werden aus Wasserstoff und CO2 hergestellt. Beide Komponenten muss ich erst in einem aufwendigen und teuren Prozess mit zusätzlichem Energieaufwand verbinden. Wäre es nicht sinnvoller den Wasserstoff direkt in der Industrie und in Brennstoffzellen einzusetzen? Warum ihn noch mal durch die Chemiemühle drehen?
Küchen: Wenn ich Wasserstoff am Ort und zum Zeitpunkt des Bedarfs zur Verfügung habe, kann und sollte ich ihn in der Tat direkt nutzen. Wir werden ihn in der Industrie natürlich auch direkt verwenden. Die europäische Wasserstoffstrategie plant bereits ein europäisches Wasserstoffnetz für Unternehmen, für die Chemische Industrie und für die Stahlindustrie. Und auch Raffinerien planen und tätigen bereits erhebliche Investitionen in CO2-neutralen Wasserstoff. Dieser wird in den Raffinerieprozessen, genau wie in der Chemischen Industrie, benötigt. Zusätzlich sehen wir einen wachsenden Bedarf im Mobilitätssektor, zunächst im Lkw-Bereich. Hier kündigen die Hersteller für die nächsten Jahre Brennstoffzellen-Fahrzeuge neben den batterieelektrischen Lkw an.
Es gibt jedoch gute Gründe, warum man für viele Anwendungen nicht auf Wasserstoff, sondern auf daraus hergestellte E-Fuels setzt. So benötigt man in der Luft- und Schifffahrt Energieträger mit hoher Energiedichte, die sich gut speichern und transportieren lassen. Und auch für den Fahrzeugbestand mit Verbrennungsmotoren benötigt man weltweit Lösungen, die kompatibel mit den Klimazielen sind. Dazu kommt ein weiterer Aspekt, der häufig vergessen wird. Ein dicht besiedeltes Industrieland wie Deutschland wird auch langfristig auf Energieimporte angewiesen sein. Das ist am einfachsten und wirtschaftlichsten, wenn man, wie heute auch, flüssige Energieträger, die zukünftig erneuerbar sein müssen, mit großen Tankschiffen transportiert. Der Energieaufwand für den Transport, auch über sehr lange Distanzen, ist vergleichsweise gering. Damit wird es möglich, weltweit Standorte für die Erzeugung von Wasserstoff und E-Fuels auf Basis erneuerbaren Stroms zu nutzen, bei denen die Stromerträge pro Windrad oder Solaranlage teilweise mehr als doppelt so hoch liegen wie in Deutschland. Das relativiert die auch Tatsache, dass die Herstellung von E-Fuels aus erneuerbarem Strom mit einem Wirkungsgrad von etwa 50 % erfolgen kann.
HLH: Sie beziehen also Deutschland in die Produktion von E-Fuels mit ein. Hierzulande ist erneuerbarer Strom derzeit aber noch knapp und vergleichsweise teuer. Selbst wenn es gelingt, die Produktion von E-Fuels mit einem Wirkungsgrad von 50 % zu realisieren, lohnt sich das in deutschen Raffinerien?
Küchen: Da wir in Deutschland erste kleinere Anlagen bauen werden, ist davon auszugehen, dass die nach allen Analysen benötigten großen Mengen der flüssigen E-Fuels weitgehend aus Regionen außerhalb Europas importiert werden. Vielleicht noch aus Spanien oder Portugal. Auch Norwegen baut erste Anlagen auf Basis von Wind- und Wasserkraft. International erste Projekte entstehen gerade in Chile, mit Australien ist man im Gespräch. Und natürlich stehen auch für E-Fuels die bisherigen Ölförderländer wie Saudi-Arabien in den Startblöcken. Um den Transport über lange Distanzen zu realisieren, bietet es sich an, dort aus Wasserstoff grünes Methanol oder ein synthetisches Rohöl herzustellen und dieses mit Schiffen zu transportieren. Zwei Gründe sprechen bei den langen Transportwegen für die Umwandlung in synthetisches Rohöl oder Methanol: Zum einen müsste man den Wasserstoff verflüssigen und tiefkühlen. Die dazu erforderliche Temperatur von minus 253 °C erfordert viel Energie und eine aufwendige Technik in Spezialschiffen. Zum anderen benötigen wir für viele Anwendungen ohnehin flüssige speicherbare Energieträger, zum Beispiel in der Luftfahrt. Der Transport von Rohöl in Tankschiffen rund um die Welt beläuft sich auf ein Energieäquivalent in der Größenordnung von einem Prozent des transportierten Energiegehalts.
HLH: Von Erdgas aus europäischen Nachbarländern abgesehen haben wir keine allzu guten Erfahrungen mit Energieimporten. In Bezug auf Endenergie dachten wir schon vor 15 oder 20 Jahren über Desertec nach. Das Projekt ist gescheitert, aus welchen Gründen auch immer. Darüber hinaus machen wir uns versorgungstechnisch von politisch instabilen Ländern abhängig. Aktuell statt Erdgas aus Russland jetzt unter anderem Flüssiggas aus Katar. Sie erwähnten ja selbst den hohen Stellenwert einer Versorgungssicherheit. Ob da der Import von Endenergie oder ihrer Vorprodukte der richtige Weg ist, anstatt hier nicht doch besser ein paar Windräder mehr aufzustellen?
Küchen: Sie sprechen viele wichtige Punkte an. Vorweg noch einmal: Wir werden beides brauchen, einen massiven Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung in Deutschland, auch off-shore. Das reicht aber nicht. Zusätzlich brauchen wir in großen Mengen treibhausgasneutrale Energieimporte. Dabei sollte es sich insbesondere bei flüssigen Energieträgern gerade nicht um die Fertigprodukte oder Endenergieträger wie Kerosin, Benzin oder Heizöl handeln, sondern um synthetisches Rohöl (Fischer-Tropsch-Crude) oder grünes Methanol, das über verschiedene Syntheserouten zu Chemieprodukten, Benzin oder Kerosin weiterverarbeitet werden kann. Das hätte verschiedene Vorteile. Erstens: Die Wertschöpfung zur Weiterverarbeitung würde in Deutschland oder Europa gehalten beziehungsweise neu aufgebaut. Zweitens: Logistikketten sowohl für die weltweite Versorgung als auch für die Verteilung der Endprodukte, zum Beispiel von Kerosin über Pipelines von Raffinerien direkt zu Flughäfen, könnten weiter genutzt werden. Und drittens: Schlussendlich sind wir über die Einbindung der Raffinerien in der Lage, auch eine sich kontinuierlich veränderte Nachfrage nach Endprodukten flexibel zu bedienen.
Zu Desertec – ein interessantes Thema. Dabei ist wichtig, die Unterschiede der ursprünglichen Planung des Imports von grünem Strom und der heutigen Diskussion, in der es um den Import von aus grünem Strom hergestellten Wasserstoff und daraus hergestellten Folgeprodukten geht, zu betrachten. Als man Desertec vor 20 Jahren plante, kostete der Photovoltaikstrom hier in der Herstellung 30 Cent je Kilowattstunde und in Nordafrika gerade mal zehn Cent. Für die 20 Cent Differenz hätten wir den Strom über eine Fernleitung transportieren können. Das hätte sich gerechnet. Die Preise fielen jedoch schon während der Planung. Heute betragen die reinen Produktionskosten von PV-Strom in Deutschland nur noch sechs Cent, in Nordafrika um die zwei Cent. Der Faktor 3 ist geblieben. Er spiegelt im Wesentlichen die unterschiedliche Sonneneinstrahlung aber natürlich auch die unterschiedliche Verfügbarkeit von Flächen wider. Nur ist die absolute Preisdifferenz auf vier Cent abgeschmolzen. Für diesen Betrag ist der Stromtransport über lange Strecken kaum realisierbar. Der Leitungsausbau und die Leitungskosten haben sich ja nicht reduziert. Es funktioniert also rein ökonomisch nicht mehr, Strom als Elektrizität aus der Wüste zu holen.
Dass es politisch ein Risiko ist, sich an Leitungen aus instabilen Ländern zu hängen, ist ein zweites Thema. Das ist ein weiterer Grund, dass Desertec in der ursprünglichen Form wohl keine Zukunft hat. Der Transport über eine feste Leitung aus einer Region, die ja damit eine Art Monopol hält, ist wesentlich anfälliger mit Blick auf die Versorgungssicherheit als ein vergleichsweise flexibler Transport mit Schiffen. Die Abhängigkeit mindert sich erheblich, wenn es entsprechende Erzeugungsanlagen und somit Lieferanten in verschiedenen Ländern gibt. Heute bezieht Deutschland Öl aus rund 30 verschiedenen Ländern. Nach Analysen des Weltenergierats kommen für die Produktion von E-Fuels bis 100 Länder infrage. Was wir brauchen, ist genau das: einen globalen Markt für grüne Energieträger. Den gibt es heute nur sehr begrenzt. Wenn wir ihn nicht in den nächsten zehn Jahren aufbauen, werden wir unsere Klimaziele nicht erreichen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich spreche nicht gegen die Elektrifizierung: Bio- und E-Fuels nicht anstatt, sondern zusätzlich.
HLH: Wären diese E-Fuels im Heizungskessel wie im Auto und im BHKW einsatzfähig?
Küchen: Alle Gespräche und Projekte, ob mit der Automobilindustrie oder mit der Heizungsindustrie, haben das Ziel, dass zukünftige CO2-neutrale Kraft- und Brennstoffe in bestehenden Fahrzeugen beziehungsweise Anlagen problemlos eingesetzt werden können. Durch die Herstellungsverfahren der E-Fuels hat man genügend technische Möglichkeiten, die Produkteigenschaften so einzustellen, dass sich diese innerhalb der bestehenden Normen bewegen. Es macht ökonomisch keinen Sinn, spezielle Produkte etwa nur für dafür zugelassene Neuanlagen zu entwickeln und in den Markt zu bringen. Für das Erreichen der Klimaziele ist ja der Bestand entscheidend. In diesem müssen die CO2-neutralen Produkte eingesetzt werden können – in Reinform oder zunächst auch als Beimischung.
HLH: Die Automobilindustrie hat sich, so scheint es, entschieden, auf die E-Mobilität umzusteigen. Damit könnte Ihnen ein großer Kostenträger, über die Mindermenge, verloren gehen.
Küchen: Hier muss man Ursache und Folge unterscheiden. Die EU-Regulierung lässt nichts anderes zu. Die Fahrzeuge werden anhand des CO2-Ausstoßes am Auspuff bewertet. Da E-Fuels im Gegensatz zum Wasserstoff Kohlenstoff enthalten, wird ein Fahrzeug, das mit 100 % CO2-neutralen Kraftstoffen betrieben wird, in der CO2-Flottenregulierung für die Fahrzeughersteller behandelt, als wäre der Kraftstoff zu 100 % fossil. Deshalb hat der Automobilhersteller gar keine andere Wahl, als auf E-Mobilität oder vielleicht auf Wasserstoff als Antriebsenergie zu setzen. Bei diesen Fahrzeugen kommt kein CO2 aus dem Auspuff. Um es kurz zu sagen: Die Politik hat mit der jetzt existierenden Flottenregulierung für die Automobilindustrie entschieden, dass diese nur auf E-Mobilität setzen kann, um die vorgegebenen Ziele zu erreichen. Technologieneutralität in der Regulierung sähe anders aus. Ein Verfahren, wie die Vorteilhaftigkeit alternativer Kraftstoffe in der CO2-Regulierung berücksichtigt werden könnte, hat zum Beispiel Frontier Economics im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie entwickelt.
HLH: Das gleiche Problem haben Blockheizkraftwerke: Selbst wenn sie ein Biogas verwenden, gelten sie nach EU-Taxonomie nicht als nachhaltig, weil sie auch Erdgas verfeuern können und niemand den Betreiber kontrolliert, ob dieser ausschließlich grünes Biogas bezieht.
Küchen: Genau. Letztlich gibt es in vielen Bereichen keine Technologieoffenheit. Das kann man gut oder schlecht finden, das will ich hier nicht bewerten. Aber funktionierende Verbrennungsfahrzeuge zu verschrotten, und immerhin fahren ja noch immer 1,3 Milliarden auf der Welt herum, ist auch nicht nachhaltig.
HLH: Statt für die Brennstoffzelle und für E-Fuels könnten also mehr Impulse aus der Automobilindustrie für die häusliche Batterie kommen? Die brauchen wir für die Solaranlage auf dem Dach.
Küchen: Das ist denkbar. Die E-Mobilität wird einen großen Anteil bei den Neuzulassungen im Bereich der Pkw haben. Die Batterieforschung hat damit hohe Priorität. Im Lkw-Bereich erwarten wir insbesondere für die Langstrecke jedoch auch einen wachsenden Markt für Brennstoffzellen. Ob sich das auf den Markt der KWK-Anlagen für Gebäude auswirkt, bleibt abzuwarten. Man darf nicht vergessen, dass der Wärmebedarf in Gebäuden rückläufig sein wird und KWK macht besonders dann ökonomisch und ökologisch Sinn, wenn ein zeitgleicher Bedarf von Wärme und Strom vorhanden ist. Der Wärmebedarf geht zurück und Strom kommt in wachsenden Anteilen aus Solarenergie und Wind. Das Fenster, in denen KWK-Anlagen sinnvoll betrieben werden können, wird zumindest im Gebäudebereich damit kontinuierlich kleiner.
Bei Batteriespeichern in Gebäuden sieht das nach unserer Einschätzung anders aus. Die hohen Strompreise für Endverbraucher führen dazu, dass sich PV-Anlagen besonders dann rechnen, wenn der Strom selbst genutzt wird. Die durch die Massenproduktion für die E-Mobilität sinkenden Batteriepreise können es zunehmend attraktiv machen, den Strom aus der Mittagszeit zu speichern und damit einen hohen Anteil des auf dem Dach erzeugten Stroms im Gebäude zu nutzen.
HLH: Die hohen Strompreise werden auch den E-Fuels zu schaffen machen und zwar aus einer ganz anderen Blickrichtung. Da sie aus grünem Strom hergestellt werden und dieser kostenseitig zu 70 % mit künstlichen Abgaben belastet ist, müssten für den Endverbraucher grüne E-Fuels wesentlich teurer als grüner Strom sein …
Küchen: Dazu wird sich die Politik äußern müssen. Hier ist es wichtig, sich einmal die Fakten anzusehen. Im Vergleich zu Benzin oder Diesel ist Strom deutlich niedriger besteuert, anders als es die öffentliche Diskussion häufig suggeriert. Ich glaube, die Deutsche Bank war es, die das einmal errechnet hat: Bei einem gehobenen E-Mittelklassewagen verzichtet der Staat über die Lebensdauer des Fahrzeugs gesehen auf 20.000 Euro Einnahmen gegenüber dem Verbrenner. Wie und in welchem Umfang er das aufrechterhalten kann und wird, steht auf einem anderen Blatt.
HLH: Woher kommen die Unterschiede?
Küchen: Zum einen aus der niedrigeren Stromsteuer im Vergleich zur Energiesteuer auf Kraftstoffe. Auch bei der Kfz-Steuer, die immerhin auch neun Milliarden Euro jährlich in die Staatskasse spült, verzichtet der Staat derzeit noch komplett auf Einnahmen aus E-Fahrzeugen. Von der Kaufprämie für E-Fahrzeuge ganz zu schweigen.
HLH: Im Vorgespräch haben Sie darauf hingewiesen, dass zusätzlich schnell regelbare Gaskraftwerke zugebaut werden müssen, auch um auf die Dunkelflaute vorbereitet zu sein. Das wird vermutlich auch so kommen. Diese Spitzenlastkraftwerke laufen unter Umständen nur ein paar Stunden im Jahr, müssen aber vom Stromkunden über den Grundpreis bezahlt werden. E-Fuels in der Haustechnik seien preiswerter für alle Seiten. Wieso?
Küchen: Aus Sicht des nationalen Energiesystems macht es durchaus Sinn, so viel wie möglich Flexibilität auf der Nachfrageseite einzubauen. Für den Wärmemarkt könnte das bedeuten, dass zunehmend hybride Systeme aus Wärmepumpe und Ölkessel zum Einsatz kommen. Wenn der Platz da ist wie in vielen bestehenden Einfamilienhäusern, ist es deshalb nicht verkehrt, den Ölkessel nicht zu entsorgen, sondern 200 oder 300 Liter E-Fuels im Jahr einzukalkulieren, um damit Spitzenlasten abzudecken, die im Stromsystem hohe Kosten verursachen würden. Es geht nicht darum, den heutigen Heizöl oder auch Gasbedarf durch erneuerbares Heizöl oder CO2-neutralen Wasserstoff zu ersetzen. Aber das Vermeiden von Lastspitzen im Strommarkt, die durch eine flächendeckende Elektrifizierung der Gebäudebeheizung quasi unvermeidlich sind, sollte im Energiesystem der Zukunft einen hohen Wert haben. Eine wesentliche Aufgabe für die Bundesregierung wird es daher sein, nicht nur die Elektrifizierung voran zu treiben, sondern auch für grüne Moleküle im Markt zu sorgen. Ich kann nur wiederholen: Ohne sie werden wir die Klimaziele nicht erreichen.
HLH: Eine technische Frage zu E-Fuels als Diesel-Ersatz. Mit dem Kraftstoff Diesel hatten die KWK-Hersteller in der Vergangenheit ihre Probleme. Mehrheitlich stellten sie die Entwicklungen wieder ein. Die Schwierigkeiten steckten im Detail. Gilt das für E-Fuels nicht?
Küchen: Was den Einsatz von Diesel gegenüber E-Fuels in KWK-Anlagen vom Einsatz im Fahrzeugsektor vor allem unterscheidet, ist die unterschiedliche Lagerzeit. Bei normalem Betrieb muss Dieselkraftstoff in KWK-Anlagen oder noch mehr in der Notstromversorgung viel länger gelagert werden als im Fahrzeugtank eines Pkw oder Lkw. Im Mobilitätssektor mit dem relativ schnellen Verbrauch spielt die Langzeitstabilität keine große Rolle. Im Kellertank für Kessel und BHKW schon. Im Dieselkraftstoff sind Anteile von Biokomponenten enthalten. Hier muss durch geeignete Additivierung sichergestellt werden, dass die auch über längere Zeiträume gelagert werden können. Bei E-Fuels ist die allgemeine Einschätzung die, dass in diesem Punkt keine Probleme zu erwarten sind.
Das könnte Sie auch interessieren:
Bundesregierung: Einsatz von verflüssigtem Erdgas beschleunigen
Großenergiespeicher an früheren Kraftwerksstandorten
Wärmeversorgung: Komplexes Hybrid-System für Familienzentrum
Handwerk: Stundensätze massiv gestiegen
Light+Building: „One-Stop-Shop“ für Licht- und Gebäudetechnik
VDI überarbeitet Richtlinienreihe VDI 6000