Erstes Windenergietestfeld in bergigem Gelände eröffnet
Es ist eine weltweite Premiere: Auf der Schwäbischen Alb ist das erste Windenergietestfeld in bergigem Gelände entstanden. Künftig soll hier Grundlagenarbeit geleistet werden, die eine verstärkte Nutzung von Windkraft jenseits der gängigen Standorte im Flachland ermöglicht.
Aktuell stehen die meisten Windenergieanlagen weltweit in relativ flachem Gelände, vor allem in küstennahen Ebenen. Auch, weil man für eine vermehrte Aufstellung in topografisch anspruchsvollen Regionen zu wenig weiß. Für eine effiziente Standorterschließung und den zuverlässigen Betrieb fehlt es an Kenntnissen, beispielsweise an Informationen für eine Standortbewertung, an Ertragsgutachten oder Erfahrungswerten zur technischen Lebensdauer von Anlagenkomponenten. Diese Lücken sollen mit den Forschungsarbeiten auf dem Testfeld WINSENT („Wind Science and Engineering Test Site in Complex Terrain“) geschlossen werden. Das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) hat das Testfeld bei Stötten im Landkreis Göppingen gemeinsam mit den Universitäten Stuttgart und Tübingen, der Technischen Universität München, dem Karlsruher Institut für Technologie sowie den Hochschulen Aalen und Esslingen aus dem Windenergie Forschungscluster Süddeutschland WindForS konzipiert, entwickelt und errichtet.
Standort typisch und ideal für Erprobung in bergigem Gelände
Das Windenergietestfeld liegt am Rand des Stöttener Berges an der Gemarkungsgrenze der Städte Donzdorf und Geislingen an der Steige auf einer unbewaldeten Freifläche oberhalb einer Geländesteilstufe, dem Albtrauf. Die Windgeschwindigkeit ist für die Forschung ausreichend hoch und weist hohe Turbulenz sowie wechselnde Schrägströmungen auf. „Das Gelände passt perfekt zu unseren Forschungsthemen, die auch international auf großes Interesse stoßen“, sagt Projektleiter Andreas Rettenmeier und ergänzt: „Die Bedingungen sind typisch für Windenergiestandorte in bergig-komplexem Gelände und somit ideal für die Entwicklung und Erprobung neuer Technologien, aber auch für die Entwicklung von Konzepten zur Stärkung eines naturverträglichen Windenergieausbaus.“ Die Forschung auf dem Testfeld fokussiere zwar auf die Besonderheiten der Windenergienutzung in bergig-komplexem Gelände, die Erkenntnisse zur Windfeldmodellierung, zur robusteren Auslegung der Anlagen oder zur effizienten, anlagenschonenden und ökonomisch optimierten Regelung könnten jedoch für alle Windstandorte sowohl an Land als auch Offshore adaptiert werden.
Doppelter Test: Die Referenzanlage nebenan
Am Standort stehen vier jeweils 100 Meter hohe meteorologische Messmasten, jeweils paarweise vor und hinter den beiden Forschungswindenergieanlagen. Sie zeichnen in unterschiedlichen Höhen Geschwindigkeit und Richtung des Windes, Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftdruck auf. Laseroptische Messsysteme erfassen zusätzlich die An- und Nachlaufströmung der Anlagen. Die zwei baugleichen Windenergieanlagen haben jeweils eine installierte Leistung von 750 Kilowatt. Der Rotordurchmesser beträgt 54 Meter, die Gesamthöhe knapp 100 Meter. Damit sind die Anlagen vergleichsweise klein, aber für die Forschungsaufgaben ideal, weil sich Umbaumaßnahmen für die Erprobung einzelner Elemente mit vertretbarem Aufwand umsetzen lassen. Gleichzeitig können die Ergebnisse dank digitaler Zwillinge auf moderne Großanlagen skaliert werden.
Die Anlagen sind vom Fundament bis zu den Rotorblättern umfangreich mit Messsensoren ausgestattet. Vor allem der uneingeschränkte Zugriff auf die Anlagenkonstruktionsdaten und auf die Steuerung der Windenergieanlagen machen das Testfeld einzigartig. Für Experimente und Erprobungen statten die Forschenden eine der beiden Windenergieanlagen mit den jeweiligen Neuentwicklungen aus, die zweite bleibt unverändert und dient als Referenz. Auf diese Weise kann die Wirksamkeit von Innovationen durch den direkten Vergleich unmittelbar nachgewiesen werden. Die Untersuchungsergebnisse sollen in weiteren Schritten gemeinsam mit der Industrie auf kommerzielle Großanlagen übertragen werden.
Neben der rein technischen Forschung ermögliche das Windenergietestfeld aufgrund seines besonderen Standorts auch eine umfangreiche Naturschutzbegleitforschung, so das ZSW. Sie ziele auf die Vermeidung von Konflikten zwischen Artenschutz und Klimaschutz ab und adressiere somit einen wesentlichen Kritikpunkt an der Windenergienutzung. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie förderte das Projekt mit 12,7 Millionen Euro. Weitere 1,9 Millionen Euro kamen vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg.