Ökostrom-Anteil war noch nie so hoch
Der Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Bruttostromverbrauch ist im ersten Halbjahr des Jahres 2023 erstmals auf mehr als 50 Prozent gestiegen – mit Unterstützung der deutschen Verbraucher.
Deutschland spart: Unter dem Strich haben die heimischen Haushalte im ersten Halbjahr 2023 deutlich weniger Strom verbraucht als im Vorjahreszeitraum. Der Bruttoinlandsstromverbrauch sank nach Berechnungen von ZSW und BDEW von 281 Milliarden Kilowattstunden (Januar bis Juni 2022) auf 262,8 Milliarden Kilowattstunden (Januar bis Juni 2023). Zugleich ist der Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Bruttostromverbrauch von Januar bis Juni 2023 weiter gestiegen. Nach vorläufigen Daten des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) und des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) liegt er bei 52,3 Prozent (137,5 Milliarden Kilowattstunden) und damit drei Prozentpunkte höher als im ersten Halbjahr des Jahres 2022.
So viel Photovoltaikstrom wie noch nie
Insbesondere im Mai war der Anteil der Erneuerbaren am Stromverbrauch mit 57 Prozent ungewöhnlich hoch. Lediglich im Februar 2022 wurde aufgrund außergewöhnlich hoher Windeinspeisungen bislang mit 62 Prozent ein höherer Anteil erreicht. Ausschlaggebend für die hohen Mai-Werte sei das sonnige Wetter, so ZSW und BDEW. Photovoltaik-Anlagen erzeugten in diesem Monat mit gut 8,8 Milliarden Kilowattstunden so viel Strom wie noch nie. Nach vorläufigen Schätzungen der Experten könnte der Erzeugungsrekord bei Photovoltaik im Juni sogar nochmals übertroffen werden und die Erzeugung erstmals bei mehr als zehn Milliarden Kilowattstunden liegen.
Ziele für 2030 noch immer in weiter Ferne
Die Erreichung der für 2030 definierten Ziele dürfte dennoch weiterhin äußerst ambitioniert sein. In sieben Jahren sollen erneuerbare Energien 80 Prozent des deutschen Bruttostromverbrauchs decken. Dafür wird eine Strommenge von etwa 600 Terawattstunden benötigt. Somit müsste sich die grüne Stromerzeugung in den nächsten sieben Jahren mehr als verdoppeln. Dafür liefern die Zahlen von ZSW und BDEW aber keinen Hinweis: Die Anteile von Biomasse (1. Halbjahr 2022: 22,4 Milliarden Kilowattstunden, 1. Halbjahr 2023: 22,2 Milliarden Kilowattstunden, ), Wind auf See (1. Halbjahr 2022: 12,2 Milliarden Kilowattstunden, 1. Halbjahr 2023: 11,5 Milliarden Kilowattstunden) und Wind an Land (1. Halbjahr 2022: 58,5 Milliarden Kilowattstunden, 1. Halbjahr 2023: 58,2 Milliarden Kilowattstunden) an der Bruttostromerzeugung sind allesamt gesunken. Der Anteil der Photovoltaik ist mit 33,0 Milliarden Kilowattstunden konstant geblieben. Zuwächse gab es im ersten Halbjahr 2023 lediglich bei der Stromerzeugung aus Wasser (2022: 9,3 Milliarden Kilowattstunden, 2023: 9,8 Milliarden Kilowattstunden).
Nur da deutlich weniger Energie aus konventionellen Energieträgern erzeugt wurde (2022: 143,2 Milliarden Kilowattstunden, 2023: 121,2 Milliarden Kilowattstunden), der Anteil der Kernenergie rückläufig ist (2022: 16,8 Milliarden Kilowattstunden, 2023: 7,2 Milliarden Kilowattstunden) und der Stromverbrauch aufgrund des strikten Sparkurses vieler Verbraucher sinkt, steigt der Anteil erneuerbarer Energien an der Bruttostromerzeugung auf mehr als 50 Prozent.
„Alle Beteiligten müssen den Turbo zünden“
Entsprechend relativiert Professor Dr. Frithjof Staiß, geschäftsführender Vorstand des ZSW, die Ergebnisse: „Dass in Deutschland die Erneuerbaren bereits mehr als 50 Prozent des Strombedarfs decken, ist ein Erfolg. Berücksichtigt man jedoch, dass für das Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 die Stromerzeugung bereits 2035 vollständig auf erneuerbaren Energien basieren muss, wird deutlich, dass der weitere Ausbau erheblich schneller erfolgen muss, als in der Vergangenheit.“ Die Bundesregierung habe dazu mit dem Vorrang für erneuerbare Energien oder der Digitalisierung der Verfahren bei Netzausbauvorhaben erste Weichen gestellt, um die Prozesse zu beschleunigen. „Um das ‚Deutschlandtempo‘ dauerhaft zu erreichen, müssen nun aber auch alle in der Praxis am Umsetzungsprozess Beteiligten den Turbo zünden. Dies gilt für den Aufbau der Erzeugungstechnologien ebenso wie für die Infrastrukturen, allen voran das Stromnetz insbesondere auch auf Verteilnetzebene“, fordert Staiß. Hinzu komme der Markthochlauf der Wasserstofftechnologien, die nicht zuletzt als Backup-Technologie für die Stromerzeugung und als Flexibilitätsoption für die Aufnahme von Leistungsspitzen erforderlich sei.
Publizität der Ergebnisse: Ökostromanteil an Bruttostromverbrauch und Bruttostromerzeugung bei 52 Prozent
Den Ökostromanteil am Bruttostromverbrauch zu bemessen, ist die gängigste Berechnungsgrundlage. Sie geht zurück auf europäische Vorgaben und steht im Einklang mit den Zieldefinitionen der Bundesregierung zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Der Bruttostromverbrauch bildet das gesamte Stromsystem eines Landes ab. ZSW und BDEW kommen somit für die ersten sechs Monate des Jahres 2023 auf einen Erneuerbaren-Anteil am Bruttostromverbrauch von 52 Prozent.
Eine andere Möglichkeit ist, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung zu messen. Sie umfasst die gesamte in Deutschland erzeugte Strommenge, also auch die exportierten Strommengen. Nutzt man diesen Ansatz, kommt man für das erste Halbjahr 2023 ebenfalls auf einen Anteil von 52 Prozent (an der Bruttostromerzeugung).