Aufzüge und der Stand der Technik
Die Betriebssicherheitsverordnung fordert Aufzugsanlagen nach dem „Stand der Technik“. Müssen jetzt alle Aufzüge modernisiert werden?
Mit Betrachtung der neuen Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) ergeben sich eine Reihe von neuen Anforderungen an den Betrieb und den Betreiber – nun Verwender genannt – von Aufzugsanlagen. Ein Teil der neuen Forderungen sind klar definiert, weitere Punkte sind interpretationsfähig und bedürfen der Auslegung durch Gremien.
Was besagt die neue Verordnung?
Als erstes, und in Bezug auf den Stand der Technik, drängt sich die Frage auf, wie man den § 4 Absatz 1 Nummer 3 der neuen Betriebssicherheitsverordnung verstehen muss. Dort steht:
„Arbeitsmittel dürfen erst verwendet werden, nachdem der Arbeitgeber festgestellt hat, dass die Verwendung der Arbeitsmittel nach dem Stand der Technik sicher ist.“
Auf den ersten Blick scheint die Definition klar: Das heißt nachrüsten bzw. modernisieren. Allerdings hat man sich in Zeiten vor dem 1. Juni 2015, also bevor die neue BetrSichV in Kraft trat, um diesen Punkt nicht bemüht. Dass man es nun so intensiv tut, scheint auf neuesten Mängelanzeigen der zugelassenen Überwachungsstellen (ZÜSen) zu beruhen. Bei der Ursachenrecherche bietet sich zunächst ein Blick in die alte BetrSichV an, in der man unter § 12 Absatz 1 annähernd die gleiche Forderung findet:
„Überwachungsbedürftige Anlagen müssen nach dem Stand der Technik montiert, installiert und betrieben werden.“
Diese Definition ist keine Hilfe, zeigt sie doch in die gleiche Richtung.
Was bedeutet „Stand der Technik“?
An dieser Stelle soll kurz ein Blick auf die Begrifflichkeit „Stand der Technik“ erfolgen, um zu klären, welche Anforderungen hieraus entstehen. Der „Stand der Technik“ stellt die technischen Möglichkeiten zum Zeitpunkt der Betrachtung dar und wird in der Regel durch Normen und Richtlinien definiert. Hier wäre derzeit also maßgeblich die EN 81-Reihe (Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Aufzügen) zu benennen, insbesondere die EN 81–1/2 A3 und EN 81–20/50, die sich bis zum 31.08.2017 in einer Koexistenzperiode befinden.
Was hat sich geändert?
Der § 27 -Übergangsvorschriften- ist in der neuen BetrSichV entfallen. Dieser besagte:
„(1) Der Weiterbetrieb einer überwachungsbedürftigen Anlage, die vor dem 1. Januar 2005 befugt errichtet und betrieben wurde, ist zulässig. Eine nach dem bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Recht erteilte Erlaubnis gilt als Erlaubnis im Sinne dieser Verordnung.
(2) Für überwachungsbedürftige Anlagen, die vor dem 1. Januar 2003 bereits erstmalig in Betrieb genommen waren, bleiben hinsichtlich der an sie zu stellenden Beschaffenheitsanforderungen die bisher geltenden Vorschriften maßgebend. Die zuständige Behörde kann verlangen, dass diese Anlagen entsprechend den Vorschriften der Verordnung geändert werden, soweit nach der Art des Betriebs vermeidbare Gefahren für Leben oder Gesundheit der Beschäftigten oder Dritter zu befürchten sind. Die in der Verordnung enthaltenden Betriebsvorschriften mit Ausnahme von § 15 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 müssen spätestens bis zum 31. Dezember 2007 angewendet werden.“
Aus dem ursprünglichen Verordnungstext könnte man herauslesen, dass eine Anpassung an den Stand der Technik nicht zwingend erforderlich ist und so wurde es wohl auch größtenteils im Feld gelebt. Modernisierungen von Aufzügen wurden bisher unter Berücksichtigung der sicherheitstechnischen Bewertung und/oder Gefährdungsbeurteilung (GBU) veranlasst. Als Regelgrundlage hat man u. a. die EN 81–80 (Regeln für die Erhöhung der Sicherheit bestehender Personen- und Lastenaufzüge) herangezogen, die auf der EN 81–1/2 basiert. Sie bietet im Anhang eine Prüfliste mit 74 Punkten inklusive deren Risikostufenklassifizierung.
Aufgrund des Wegfalls von § 27 hat sich der EK ZÜS (Erfahrungsaustauschkreis zugelassener Überwachungsstellen) der Formulierung in § 4 aus der neuen BetrSichV angenommen und eine Position in Form eines Beschlusses definiert. Das Papier mit dem Titel „ZÜS-BA-011 Sichere Verwendung von Aufzugsanlagen nach dem Stand der Technik“ vom 20.05.2015 interpretiert die o. a. Passage des § 4 wie folgt:
„Damit eine Aufzugsanlage nach Stand der Technik sicher verwendet werden kann, sind unter Umständen zusätzliche technische Maßnahmen zu treffen (Altanlagen).“
Mit Blick auf diese technischen Maßnahmen haben die ZÜSen auf Basis der EN 81–80 und mit Referenz zur EN 81–20 eine Auflistung von 21 Gefährdungen erstellt. Dazu gehören unter anderem
Antriebssystem mit schlechter Anhalte- oder Nachregulierungsgenauigkeit
Unsicherer Zugang zur Schachtgrube
Fehlende oder unzulängliche Schachtbeleuchtung
…
Hierbei wurden die über 40 mit „Hoch“ klassifizierten Risiken aus der EN 81–80 auf die besagten 21 Stück verringert. Ob es sich tatsächlich um die erforderlichen Sicherheitsregeln handelt, besonders mit Fokus auf ältere, nicht dem Stand der Technik entsprechende Aufzüge, ist fraglich. Die Gefährdungen aus dem ZÜS-Papier sollen in Abgleich mit dem Aufzug vor Ort zu einer „Korrekturmaßnahme“ führen. Dadurch soll der Aufzug in einen gleichwertigen Sicherheitsstand wie eine Neuanlage versetzt werden. Bei älteren Aufzügen kann diese Anpassung sinnvoll sein, geht aber unter Umständen mit erheblichen Kosten einher, die aus der Vergangenheit heraus weder langfristig geplant noch budgetiert werden konnten. In diesem Zusammenhang ist von besonderer Brisanz, dass die neue BetrSichV (03.02.2015) am 01.06.2015 in Kraft getreten ist und die Auslegung vom 20.05.2015 seit Inkrafttreten der BetrSichV konsequent von Seiten der ZÜSen umgesetzt wird.
Was ist kurzfristig zu tun?
Die zugelassenen Überwachungsstellen verlangen:
„Wenn eine Aufzugsanlage nicht im Sinne der BetrSichV verwendet werden kann, fordert die ZÜS bei der ersten wiederkehrenden Prüfung nach dem 01.06.2015 ein Konzept zur Anpassung des Betriebes der Aufzugsanlage an den Stand der Technik. Der Inhalt dieses Konzeptes besteht mindestens aus dem Abgleich zwischen dem Zustand der Aufzugsanlage und dem Stand der Technik, wie in nachfolgender Tabelle aufgelistet.“
Damit muss ein Konzept vorliegen. Dies wird in der Regel über die Gefährdungsbeurteilung dargestellt. Bei Aufzügen, die der EN 81–1/2 A3 entsprechen, sind keine Notwendigkeiten hinsichtlich des Stands der Technik zu erwarten, jedoch sollte auch dies dokumentiert werden. Bei Aufzügen, die modernisiert werden müssen, ist in der Regel auch kein sofortiger Umbau notwendig, allerdings muss ein Konzept dafür vorhanden sein. Die aus unterschiedlicher Sicht sinnvollen zeitlichen Abfolgen des Plans sollten mit den ZÜSen und/oder der zuständigen Behörde abgestimmt werden.
Fazit
Bei der geforderten Anpassung der Aufzüge an den Stand der Technik gibt es aktuell trotz des EK-ZÜS Beschlusses eine Reihe offener Fragen. So ist nicht geklärt, ob bei Erfüllung des Papiers auch den Anforderungen der BetrSichV und der darin benannten EU-Richtlinien genüge getan wird. Antworten wird es erst in einer Technischen Regel für Betriebssicherheit (TRBS) geben, mit der frühestens im nächsten Jahr zu rechnen ist. Eine Anpassung von Umlaufaufzüge an den Stand der Technik ist bauartbedingt grundsätzlich ausgeschlossen, obwohl, trotz der anstehenden Änderung der BetrSichV, durch den Wegfall des § 27 erforderlich. So bleibt dann auch die Frage offen, ob uns weitere Anpassungen der neuen Verordnung erwarten.
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Dipl.-Ing. (FH) Jan König, ist seit 2012 als Technischer Referent beim VFA-Interlift e.V. – Verband für Aufzugstechnik, Hamburg, tätig. Er ist Mitglied in allen Normungsgremien des Verbands und in VDI-Ausschüssen tätig. International arbeitet er in Brüssel beim Europäischen Aufzugsverband ELA mit.