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Forschungsprojekt der HTWG Konstanz 20.12.2021, 11:47 Uhr

Infrarot-Direktheizung als Alternative zur Wärmepumpe

Im Rahmen des Pilotprojekts K76 kommen in einem Mehrfamilienhaus in Darmstadt Infrarot-Heizelemente in Kombination mit Photovoltaik zum Einsatz – mit erstaunlichem Ergebnis.

Unauffällige Wärme von oben: Die Infrarot-‧Heizelemente an der Decke des Wohnzimmers fallen kaum auf. Foto: Vitramo

Unauffällige Wärme von oben: Die Infrarot-‧Heizelemente an der Decke des Wohnzimmers fallen kaum auf.

Foto: Vitramo

Der Trend „weg von fossilen Brennstoffen hin zur Nutzung von Strom“ erstreckt sich über alle Lebensbereiche – von der Mobilität bis zur häuslichen Wärmeerzeugung. Im Neubau ist die elektrisch betriebene Wärmepumpe mittlerweile Standard. Berücksichtigt man, dass hoch wärmegedämmte Häuser heute nur noch eine sehr geringe Heizlast haben, scheint der massive Investitionsaufwand für eine solche Zentralheizung oft kaum noch gerechtfertigt – zumal es eine Alternative gibt: die elektrische Infrarotheizung. Dies belegt ein Projekt in Hessen.

Im Darmstädter Hausprojekt K76 kommen Infrarot-Heizelemente in Kombination mit Photovoltaik zum Einsatz.

Foto: Vitramo

2017 wurde in Darmstadt das Mehrfamilienhaus K76 mit einer Bruttogeschossfläche von 2.839 Quadratmetern gebaut. Alle 15 Wohneinheiten werden ausschließlich von elektrischen Infrarot-Wärmestrahlplatten beheizt. Elektroleitungen liegen ohnehin in jedem Zimmer, daher ist der Installationsaufwand gering. Der Strom für die Heizung wird im K76 zu rund 13 % von einer auf dem Dach installierten Photovoltaikanlage mit 30 Kilowatt peak bezogen – ein Wert, der sich durch einen weiteren Ausbau der Photovoltaikkapazitäten noch deutlich steigern ließe. Um hohe Erträge gerade auch bei tief stehender Sonne während der Heizperiode im Winter zu erzielen (und Schneeabdeckung der Module zu vermeiden), würde sich hier außer der bisher gewählten Dachmontage auch eine Fassadenmontage anbieten. Für den Mehrfamilien-Geschosswohnungsbau hat dieses vom Architekturbüro werk.um ersonnene Konzept Pioniercharakter. Bei einer Gegenüberstellung der Vollkosten verschiedener Systeme ermittelte werk.um-Architekt Arne Steffen, dass eine herkömmliche Wärmeerzeugung und -verteilung um einiges teurer wäre.

Hochschule Konstanz analysiert Wärmeerzeugung mit Infrarot-Heizung

Grund genug für das Fachgebiet „Energie-effizientes Bauen“ an der Hochschule Konstanz (HTWG), das Konzept mit einem Forschungsprojekt wissenschaftlich zu begleiten. Ziel war es, den ökologischen und ökonomischen Lebenszyklus dieses Heizsystems mit einer Wärmepumpen-Zentralheizung zu vergleichen. Dabei wurden die Varianten IR mit und ohne Photovoltaik in den Blick genommen. Forschungsleiter für dieses Projekt waren Professor Dr.-Ing. Thomas Stark und Jan Heider, M.A.. Stark lehrt und forscht seit 2008 im Fachgebiet Energieeffizientes Bauen an der HTWG, Heider arbeitet seit 2015 bei ihm als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Ein Projektteam aus Planern, Architekten, Energie- und Gebäudetechnikern mit Unterstützung namhafter Unternehmen aus der Haustechnik- und Energiebranche analysierten Investitions- und Verbrauchskosten beziehungsweise die Gesamtenergiebilanz des Gebäudes. Zudem führten sie Nutzerbefragungen zu den Heizgewohnheiten und dem empfundenen Wärmekomfort durch.

Im Systemvergleich mit einer konventionellen Zentralheizung zeigt sich der große Unterschied des Material- und Installationsaufwands bei einer Infrarotheizung deutlich. Grafik: Abschlussberich „Potenzial von Infrarot-Heizsystemen für hocheffiziente Wohngebäude“, Fraunhofer IRB-Verlag

Im Zuge einer auf 50 Jahre angelegten Lifecycle-Betrachtung setzte das Hochschule-Team die Wärmeerzeugung im Gebäude durch eine IR-Strahlungsheizung mit den voraussichtlichen Kosten und der Energiebilanz einer konventionellen Wärmepumpenheizung ins Verhältnis. Ein wichtiger Faktor war dabei der Bereich der Systemkomponenten. Für eine Wärmepumpenanlage sind dies: Wärmeerzeuger, Wärmequellenerschließung (Erdsonde, Erdkollektor, Luftwärmetauscher, Eisspeicher und so weiter), Wärmespeicherung (Pufferspeicher), Wärmeübergabe (Fußbodenheizung, Heizkreisverteiler), Regelung (Raumthermostate, Stellventile, WP-Regelung), Messdatenerfassung zur Überprüfung der Effizienz und der Abrechnung sowie Aufstellort/Haustechnikraum. Für eine IR-Beheizung sind lediglich die Elemente für die Wärmeerzeugung und eine Regelung erforderlich. Als dritte Variante wurde eine IR-Heizung im Verbund mit Photovoltaik betrachtet, wie sie im Mehrfamilienhaus K76 installiert wurde. In die Berechnung flossen auch die Kosten für den Austausch von Bauteilen ein, die üblicherweise altersbedingt verschleißen. Insgesamt kamen die Lebenszyklusmodule Herstellung, Instandhaltung und Betrieb zum Tragen, um die drei Varianten ökologisch zu vergleichen.

HTWG: IR-Heizung in Kombination mit Photovoltaik-Anlage überzeugt

Dabei ergaben sich bei den Investitionen hohe Einsparpotenziale für IR im Vergleich zu einer etablierten Wärmepumpen-Zentralheizung. Im weiteren Verlauf schien sich das Blatt nach vielen Jahren aufgrund des unmittelbaren Stromverbrauchs kostenmäßig zuungunsten der Infrarotheizung zu wenden. Unter Berücksichtigung des hohen Eigenstromanteils jedoch, der durch die Photovoltaik zustande kam, behielt die Infrarotheizung über die gesamte Lebensdauer von 50 Jahren doch „die Nase vorn“: „Für das Projekt K76 wurden entsprechende vergleichende LCA-Berechnungen (LCA = Life Cycle Assessment = Ökobilanz) durchgeführt. Aus ökologischer Sicht kann demnach ein Infrarot-PV-System (in Abhängigkeit zur Gebäudegröße und Dämmqualität) gegenüber einem Luft-Wärmepumpensystem über einen Zeitraum von 50 Jahren deutliche Vorteile aufweisen. Die Kombination mit einer Photovoltaik-Anlage am Gebäude macht die IR-Heizung in der einfachen Jahresbilanz deutlich besser als die Wärmepumpenvariante“, heißt es im Untersuchungsbericht. Dasselbe Bild ergibt sich übrigens auch bezüglich der CO2-Bilanz. Auch hier „gewinnt“ die Kombination aus Infrarotheizung und Photovoltaik gegenüber der konventionellen Zentralheizung mit Wärmepumpe.

Durch eine Kombination mit Photovoltaik kann ein Teil der für die IR-Heizung benötigten Energie direkt gewonnen werden.

Foto: Vitramo

Die IR-Elemente überzeugen zusätzlich mit ihrer Installation, denn die Wärmestrahlplatten des Hersteller Vitramo (Typen VH und VH-1) sind platzsparend und optisch dezent montiert. Je nach Einbausituation können sie frei hängend oder unmittelbar unter der Decke angebracht werden. Grundsätzlich ist der Einbau dieser Elemente bei einer Raumhöhe zwischen 1,8 und vier Meter möglich. Unter der satinierten Glasscheibe befinden sich der Rahmen und eine thermisch getrennte Abdeckung aus Aluminium. Dort sitzt der glasfaserverstärkte Heizmäander, eingebettet in eine Kunststoffmasse. Er entwickelt eine Oberflächentemperatur von maximal 190 °C, wobei die Wärmedämmung die Sicherheit an der Montagefläche garantiert. Der elektrische Anschluss erfolgt über einen Gerätestecker und die passende Verkabelung. Für den ökodesignkonformen Einsatz wird eine externe Raumtemperaturkontrolle eingesetzt.

IR-Heizung: Gleiche Behaglichkeit und geringere Lüftungswärmeverluste

Gegenüber der konventionellen Zentralheizung hat die Infrarotheizung weitere Vorzüge: Sie erwärmt – wie die Sonne oder ein Kachelofen – nicht die Luft, sondern die Körper, auf die die Wärmestrahlung einwirkt. So wird auch bei niedrigerer Raumtemperatur ein hohes Behaglichkeitsgefühl erreicht. Im Bericht der HTWG Konstanz heißt es dazu: „Die These, dass die Lufttemperatur in einem mit IR-Systemen beheizten und nach identischer operativer Raumtemperatur geregelten Raum geringer ist als bei einem vergleichbar geregelten Raum mit Fußbodenheizung, konnte bestätigt werden. Die Lufttemperatur lag in dem mit IR-System beheizten Raum im Mittel circa 0,6 K unter der Lufttemperatur des Fußbodenheizungsraums. Dies führt bei gleicher Behaglichkeit zu einer Reduktion der Lüftungswärmeverluste. Wie bereits vermutet, konnten Laborraummessungen (auch) bestätigen, dass Infrarotheizungen sehr reaktionsschnell die Temperatur im Raum regeln können. Vorteilhaft bei Infrarotheizungen ist, dass sie kaum thermische Speichermasse besitzen und sie thermisch von der Baukonstruktion entkoppelt sind. Dies führt, zusammen mit einer stufenlos regelbaren Leistungsabgabe dazu, dass die Wärmeabgabe der Heizungen optimal auf die Wärmebedarfsanforderungen des Raums reagieren kann.“ Das ergänzt die Rückmeldung der Bewohner: Sie empfinden die Art der Erwärmung als „thermisch behaglich und gut bedienbar“.

Optimierungsmöglichkeiten: Witterungsabhängige Anpassung der Heizzeiten und fassadenintegrierte Photovoltaik

Die Studie lotete auch das Potenzial von Optimierungsmöglichkeiten in der Energiebilanz des K76 aus. Dabei wurden zwei Varianten betrachtet: Zum einen wurden Überlegungen dazu angestellt, wie sich die vorhandene Anlage im Status quo womöglich noch effizienter betreiben ließe. Verbesserungsmöglichkeiten könnten laut Untersuchungsbericht zum Beispiel in einer witterungsabhängigen Anpassung der Heizzeiten liegen, sodass ein höherer Eigenstromanteil genutzt würde. Dabei könnten die Wohneinheiten bei Sonnenschein zu etwas höheren Innenraumtemperaturen beheizt werden. Da das K76 mit Passivhausstandard so geringe Wärmeverluste aufweist, würde ein weiteres Zuheizen (mit Strom aus Netzbezug) auf die eigentliche Komforttemperatur erst sehr viel später erforderlich. Die zweite Variante würde die Installation eines dezentralen Stromspeichers voraussetzen. Dieser könnte die Eigenverbrauchsrate in den Sommermonaten erhöhen. Bereits erwähnt wurde die Möglichkeit einer Vergrößerung der Photovoltaikfläche, bevorzugt als Fassadenelemente.

Der Untersuchungsbericht der Hochschule Konstanz ist abrufbar auf der Website des Fraunhofer-Informationszentrums Raum und Bau IRB.

 

 

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Von Text: Martin Henze, freier Redakteur aus Lüneburg, und Marion Paul-Färber, Fachjournalistin bei Last-Waldecker PR, Lemförde.