„Klimaanlagen“ – Virenschleudern oder Mittel zur Infektionsprophylaxe?
Die Ereignisse in fleischverarbeitenden Betrieben haben zu Schlagzeilen in den Medien geführt, die viele Menschen verunsichern. Hierdurch ist bei vielen Menschen die Sorge entstanden, raumlufttechnische Anlagen trügen zur Ausbreitung von Coronaviren bei. Diese Sorge ist im Allgemeinen nicht gerechtfertigt.
Raumlufttechnische Anlagen, kurz RLT-Anlagen, können durch das Verdünnen und Abscheiden von Schadstoffen das Infektionsrisiko in Innenräumen deutlich reduzieren. Voraussetzung sind richtige Planung und bestimmungsgemäßer Betrieb, darin enthalten die Instandhaltung. Allerdings ist es notwendig, dass Betreiber bestimmter Anlagen den Betrieb ihrer Anlagen neu bewerten.
Was ist eine „Klimaanlage“?
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird häufig undifferenziert der Begriff „Klimaanlage“ für unterschiedlichste Anlagen- und Gerätetypen verwendet. Kein Wunder: Für den Laien ist das Splitgerät aus dem Baumarkt ebenso eine „Klimaanlage“ wie die Anlage mit fußballfeldgroßer Technikzentrale im 500-Zimmer-Hotel mit Schwimmbad, Küche und Veranstaltungsbereich. Die undifferenzierte Verwendung des Begriffs führt zu Verunsicherung bei den Nutzern von „Klimaanlagen“.
In den fleischverarbeitenden Betrieben, die derzeit besonders im Fokus stehen, wird nur ein geringer Frischluftanteil zugeführt, für die Kühlung kommen Umluftkühlgeräte zum Einsatz. Solche Geräte saugen lediglich die im Raum vorhandene Luft an, kühlen sie und geben sie wieder in den Raum ab. Eine Verdünnung von Luftverunreinigungen findet nur über den Mindestluftwechsel statt. Obwohl die Richtlinie VDI 6022 Blatt 1 auch für Sekundärluftgeräte und die besagten Umluftkühlgeräte Filter fordert, werden diese zumeist ohne Filter betrieben. Luftgetragene Pathogene und Schadstoffe werden also auch nicht abgeschieden. Demgegenüber weisen moderne RLT-Anlagen in Bürogebäuden mehrere und vor allem feinere Filterstufen auf und werden möglichst mit 100 % Außenluft betrieben. Hier werden Schadstoffe, auch virenbeladene Tröpfchen, teilweise durch die Filter abgeschieden und ihre Konzentration durch Verdünnung mit Frischluft reduziert. Tatsächlich ist für die Abscheidung von Viren nicht einmal unbedingt ein HEPA-Filter nötig; Viren sind selten „nackt“ unterwegs (dann wären sie in der Tat sehr klein), sondern angelagert an andere, größere Partikel und Flüssigkeitströpfchen. Hierzu passt das Ergebnis einer Untersuchung, dass die Infektionsraten in staubhaltiger Luft erhöht sind.
Manche Viren können auf Oberflächen lange überleben. Sie werden sich dort – also auch in einer RLT-Anlage – jedoch mit ziemlicher Sicherheit nicht vermehren. Dazu fehlt ihnen ein Wirtsorganismus. (Das ist bei Bakterien anders: Bakterien vermehren sich durch Teilung und brauchen dazu nur Wasser, Wärme und Nahrung.)
Kann man Filter nachrüsten?
In bestehende Geräte Filter einzubauen ist nicht unmöglich. Ein Allheilmittel ist das aber nicht. Und ob es praktikabel ist, steht dahin. Gerade bei HEPA-Filtern ist der Druckverlust nicht vernachlässigbar. Das Lüftungskonzept wäre daher sicher zu überprüfen. Die Hallenabluft in der Fleischverarbeitung bringt eine erhebliche Feuchte- und Partikellast mit. Es ist daher davon auszugehen, dass HEPA-Filter sich schnell zusetzen und – auch aufgrund der Kapillarwirkung im Filtergewebe – schnell feucht werden. Damit wächst die Gefahr von mikrobieller Vermehrung auf den Filtern bis hin zum Durchwachsen. Es wären mit Sicherheit mindestens sehr häufige Filterinspektionen nötig.
Welche Bedeutung haben Lufttemperatur, Luftfeuchte und Lärm
Leclerc et al. listen in ihrer Datenbank eine ganze Reihe von sogenannten Superspreading-Events weltweit gerade in lebensmittelverarbeitenden Betrieben. Woran liegt das? In der Lebensmittelverarbeitung, besonders aber in der Fleischverarbeitung sind niedrige Temperaturen (fünf bis zehn Grad Celsius) nötig, weil Fleisch bei höheren Temperaturen rasch verdirbt. Zusätzlich zur Kühlung wird die Luft entfeuchtet. Aber Luft mit einer relativen Feuchte von 100 % bei 5 °C hat noch 20 % Feuchte, wenn sie auf 25 °C erwärmt wird. Genau das passiert aber beim Einatmen. Die Luft nimmt also viel Wasser aus den Schleimhäuten auf. Lauc, G. et al. schreiben hierzu: „Dadurch wird die Schleimhautbarriere deaktiviert und die Übertragung von Viren gefördert“ (Übersetzung durch den Autoren). Die Atemwege werden anfälliger für Infektionen; es reichen weniger Keime für eine Infektion.
In vielen Produktionsbereichen, in denen aus prozesstechnischen Gründen niedrige Temperaturen und geringe Feuchten nötig sind, gelten daher Pausenregelungen: Die Beschäftigten dürfen nur begrenzte Zeiten am Stück unter den belastenden Bedingungen arbeiten und müssen sich dann in einer Umgebung mit angenehmen Bedingungen erholen, bevor sie das nächste Intervall in der belastenden Umgebung arbeiten.
Laute Arbeitsumgebung und schwere körperliche Arbeit spielen ebenfalls eine wichtige Rolle: Lautes Sprechen oder Schreien und körperliche Anstrengung erhöhen nicht nur den Ausstoß von virenbeladenen Tröpfchen, sondern auch deren Ausstoßgeschwindigkeit, und verändern das Größenspektrum der Tröpfchen.
Reichen zwei Meter Abstand aus?
Aktuelle Fotos aus fleischverarbeitenden Betrieben zeigen zu geringe Abstände zwischen den Beschäftigten. Nun sind zwei Meter keine magische Zahl, die alles gut macht. Qureshi et al. diskutieren diese Zahl in einer Meta-Studie und kommen zu der Schlussfolgerung, dass dieser Mindestabstand tatsächlich empfehlenswert ist, weil die großen Tröpfchen innerhalb dieses Radius auf den Boden fallen. Bourouiba et al. haben aber mittels Hochgeschwindigkeitsvideos zeigen können, dass das beim Husten oder Niesen erzeugte Aerosol Tröpfchen mit breitem Größenspektrum enthält: von großen, mit bloßem Auge sichtbaren, die im Nahbereich der sie ausstoßenden Person auf den Boden fallen, bis hin zu kleinen, die mit der ausgestoßenen Luft teilweise auch gerne sechs bis acht Meter zurücklegen.
Trockene Luft begünstigt das Verdunsten der virenbeladenen Aerosoltröpfchen. Diese werden dadurch schnell kleiner und können länger in der Schwebe bleiben, also weitere Distanzen überbrücken. Untersuchungen über Flugweiten betrachten die Ausbreitung der Tröpfchen nur unter dem Einfluss der Schwerkraft, also ohne Rücken- oder Gegenwind oder Thermik. Strömung und Thermik verzerren die Ausbreitungsmuster erheblich. Eine laminare Strömung von der Decke zum Boden beispielsweise ist seit langem das Mittel der Wahl, um OP-Tische von Partikeln freizuhalten. Aufsteigende Thermik hingegen hält Partikel länger in der Schwebe. Dem Lüftungskonzept für Räume kommt daher mit Blick auf die Auswahl von Maßnahmen zur Infektionsprophylaxe eine hohe Bedeutung zu.
UV-Bestrahlung als Allheilmittel?
UV-C-Bestrahlung wird in RLT-Anlagen seit vielen Jahren erfolgreich zur Desinfektion und zur Verhinderung des Aufwachsens von Biofilm eingesetzt, zum Beispiel in Wärmeübertragern. Die Wirksamkeit von UV-C-Strahlung zur Abtötung von Viren ist ebenfalls bekannt. Forscher der Universität Boston berichten eine sogar hohe Wirksamkeit bei der Abtötung speziell von SARS-CoV-2 auf Oberflächen. Das ist keine Überraschung: Für viele Viren sind die Dosen zur Erzielung einer vorgegebenen Abtötungsrate bekannt und liegen in einem Bereich, der sich mit UV-Strahlern erreichen lässt. Die Reduktion von verschiedenen luftgetragenen Viren in RLT-Anlagen wurde unter anderem in einem Forschungsvorhaben der Stiftung Industrieforschung nachgewiesen (Forschungsvorhaben S770 gefördert durch die Stiftung Industrieforschung: „Analyse der Verbreitung aerogener Viren über Raumlufttechnische Anlagen und Entwicklung von Desinfektionsmaßnahmen“, durchgeführt von der Ruhr-Universität Bochum).
Zur Abtötung von Bakterien und Viren in einem Luftstrom mittels Bestrahlung müssen die sich mit der Luft bewegenden Pathogene sich hinreichend lange im Einwirkbereich der Strahlungsquelle aufhalten und die Strahlungsintensität muss hoch genug sein. Die Bestrahlungskammer muss also richtig ausgelegt sein und die Strahlungsquelle eine ausreichend hohe Leistung aufweisen. Es werden derzeit in Geräten zum Einbau in RLT-Anlagen Niederdruck- oder Hochdruck-Strahler verwendet.
Wichtig ist die Wellenlänge der verwendeten Strahlung. UV-C-Strahler emittieren Strahlung mit Wellenlängen deutlich unter den 254 nm, die zur Abtötung von Viren ausreichen. Eine sehr kurzwellige Strahlung bei 185 nm erzeugt Ozon. Während dieses Gas einerseits selbst Viren töten kann, darf es wegen seiner reizenden Wirkung nicht in Aufenthaltsräume gelangen. Ozonfreie UV-C-Bestrah- lungsgeräte filtern diese kurzwellige UV-C-Strahlung aus und verwenden zur Desinfektion nur die Emission bei 254 nm. Ozon kann allerdings durch mit Aktivkohle beschichtete Filter katalytisch eliminiert werden.
Ein Spin-off der UV-Technologie ist der Hype bei Wohnraumleuchten mit UV-C-Lampen, die als „Sterilisationslampen“ angeboten werden, in einem Fall sogar mit einem Foto eines im Licht der UV-C-Lampe sorglos mit einem Säugling spielenden jungen Paares. Aber: UV-C-Strahlung ist zellschädigend. Nicht nur Viren sterben am „Sonnenbrand“, auch menschliche Zellen werden geschädigt. UV-C kann nicht gleichzeitig Viren töten und harmlos sein. Eine Raumdesinfektion mittels der als „Sterilisationslampen“ angebotenen Geräte erscheint daher nicht realistisch, schon einmal gar nicht bei belegten Räumen.
Wie schützen Masken und Plexiglas-Schirme?
(Textil-)Masken dienen in erster Linie als Auswurfbremse. Sie fangen vieles von dem ausgeatmeten Aerosol auf, vor allem größere Tröpfchen. Da jedoch viel von der ein- und ausgeatmeten Luft an der Maske vorbei statt durch das Gewebe hindurch strömt, sind sie ganz sicher kein Ersatz für beispielsweise das Einhalten des nötigen Abstands, sondern eine unterstützende Maßnahme. Sie schützen im Wesentlichen andere Menschen, nicht den Träger. Echten Schutz für den Träger in kontaminierten Umgebungen bieten nur dicht sitzende Schutzmasken, FFP2 oder besser. Dichtheit und Tragekomfort stehen in Konkurrenz: Eine Maske mit Gummidichtung über Stunden zu tragen ist recht belastend.
Bei Einsatz jedweder Art von Maske in einer Arbeitsumgebung ist eine Einweisung des Personals in Maskenhygiene dringend empfehlenswert.
Die inzwischen an vielen Stellen angebrachten Plexiglas-Schirme sind ebenfalls im Wesentlichen physikalische Barrieren gegen die ballistische Ausbreitung von großen Tröpfchen. Diesen Effekt können sie nur haben, wo zwei Menschen sich von Angesicht zu Angesicht mit zu geringem Abstand gegenüberstehen, also in Empfangsbereichen, an Kassen und so weiter. Wichtig ist eine häufige Wischdesinfektion. Schirme sind nicht das magische Hilfsmittel, um die Raumbelegung zu erhöhen, denn die Konzentration der kleinen, weit fliegenden Tröpfchen reduzieren sie nicht. Diese müssen wiederum durch Lüftung entfernt oder reduziert werden.
Was können Betreiber tun? Technische Lösungsansätze
- Lüftung: Die größte Bedeutung wird derzeit einer Erhöhung des Frischluftanteils beigemessen. Frischluft verdünnt die Konzentration der luftgetragenen Viren im Raum. Wo immer möglich, sollten RLT-Anlagen mit 100 % frischer Außenluft betrieben werden. Je nach Außenbedingungen sollte die Luft befeuchtet werden. In Räumen ohne maschinelle Lüftung ist auf effektive Fensterlüftung zu achten.
- Filterung: Wo aus technischen Gründen Umluftbetrieb nötig ist, sollte die Raumluft nach Möglichkeit durch Umluftreinigungsgeräte gefiltert werden. Feine Aerosole können durch Feinfilter abgeschieden werden. Diese setzen sich bei hoher Partikelfracht schnell zu, und bei hoher Feuchte besteht die Gefahr von Schimmelbildung und des Durchwachsens von Mikroorganismen. Häufige Inspektionen und nötigenfalls Filterwechsel sind erforderlich.
- UV-Bestrahlung: Ozonfreie UV-C-Bestrahlungsgeräte zum Einbau in RLT-Anlagen sind am Markt verfügbar und versprechen hohe Abtötungsraten. Auf Ozonfreiheit ist zu achten.
- Verkürzung von Instandhaltungsintervallen: RLT-Anlagen und alle ihre Komponenten sind nach den Vorgaben der Hersteller sowie nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik instandzuhalten. Hier sind für RLT-Anlagen insbesondere die Richtlinienreihe VDI 6022 und die Richtlinie VDI 3810 Blatt 4 zu nennen. Vor dem Hintergrund des aktuell erhöhten Risikos kann eine Verkürzung der sonst üblichen Instandhaltungsintervalle (insbesondere für Inspektionen und Filterwechsel) erforderlich sein.
- Organisatorische Maßnahmen wie die Verringerung der Belegungsdichte von Räumen oder größere Abstände, Kohortenregelungen oder die Einführung von Regenerationspausen beim Arbeiten in trockener, kalter Luft und persönliche Schutzausrüstung wie Atemmasken bieten weiteres Potenzial zur Risikominderung.
Alle Maßnahmen, die einer Mitarbeit der zu schützenden Personen bedürfen, funktionieren umso besser, je besser die Personen um die Wirkungsweise der Maßnahmen wissen. Sie müssen von den Betroffenen verstanden und akzeptiert sowie durch stringente persönliche Hygiene unterstützt werden.
Was muss der Anlagenbetreiber tun?
Die in diesem Beitrag beschriebenen Risiken treten nicht nur in der fleischverarbeitenden Industrie auf. Immer wenn besondere Gefahren auftreten, wie hier Corona, müssen sich Betreiber von Anlagen nicht langfristig bewährter, sondern fortschrittlicher Techniken und aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse bedienen, um vermeidbare Risiken auszuschließen. Bei neuen Erkenntnissen über Risikopotenziale müssen sie vorausschauend agieren. Die vorhandene Gefährdungsbeurteilung ist vor dem Hintergrund der neuen Erkenntnisse zu überprüfen und zu aktualisieren. Dieser Pflicht kann sich der Betreiber einer Anlage auch nicht durch vertragliche Delegation der Arbeitgeberverantwortung auf einen Dienstleister oder durch einen Werkvertrag entziehen; er bleibt immer mindestens in Pflicht zur angemessenen Kontrolle. Und was er nicht durch Dokumentation nachweisen kann, …
Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung an RLT-Anlagen bedarf hoher Fachkompetenz, wie sie beispielsweise die VDI-geprüften Fachingenieure RLQ (Raumluftqualität) mitbringen. Auch für die Auswahl des eingesetzten Personals und von Fachleuten liegt die Verantwortung originär beim Betreiber.
Gefährdungsbeurteilung für RLT-Anlagen?
In den Fachkreisen wird mitunter infrage gestellt, ob eine RLT-Anlage ein Arbeitsmittel im Sinne von § 3 der BetrSichV ist; damit wird die Notwendigkeit einer Gefährdungsbeurteilung in Abrede gestellt. Gerade für die Lebensmittelverarbeitung sind RLT-Anlagen aber häufig eine notwendige Voraussetzung für die Arbeit. Daher gilt für diese Anlagen mindestens der Geltungsbereich der ArbStättV, die im § 3 gleichfalls eine Gefährdungsbeurteilung fordert.
Danksagung
Für fachlichen Input zu diesem Artikel schulde ich Dank: Prof. Ulrich Finke, RA Hartmut Hardt, Prof. Christoph Kaup, Dr. Christof Sinder, Dr. Roland Suchenwirth, Dr. Andreas Winkens, Ralf Joneleit und den vielen Fachleuten in den VDI-Ausschüssen, die ihr Wissen der Allgemeinheit zur Verfügung stellen.