Aufzugstechnik: Richtlinie VDI 2168 wird überarbeitet
Im Sommer vergangenen Jahres startete die Überarbeitung der VDI-Richtlinie 2168 „Aufzüge; Qualifizierung von Personal”. Über die Hintergründe, die Motivation zur Neuauflage und die geplanten Inhalte berichtet der Vorsitzende des Richtlinienausschusses Horst Schickor im Interview.
HLH: Herr Schickor, die aktuell gültige Fassung der VDI 2168 stammt aus dem April 2007. Wie wird die Richtlinie heute in der Aufzugsindustrie genutzt?
Schickor: In der VDI-Richtlinie werden für Qualifizierungen der Mitarbeitenden geeignete Schulungsinhalte und Rahmenbedingungen der Schulungen auf vier unterschiedlichen Niveaus beschrieben. Daneben bietet das Papier die Möglichkeit, einen Nachweis der Fachkenntnisse zu führen.
HLH: Gibt es zur VDI 2168 vergleichbare Normen in Europa, den USA und dem Rest der Welt?
Schickor: Dazu haben wir bisher im Ausschuss noch keine Informationen vorliegen. Vielleicht wird die VDI-Richtlinie aber wieder europa- und/oder weltweit übernommen. Dies ist auch schon bei der VDI 4705 Energieeffizienz passiert, die heute in adaptierter Fassung als ISO 25745 am Markt ist. Die sogenannte „Macht des ersten Papiers“ führt dazu, dass viele Ideen und Inhalte übernommen werden, was im Interesse der deutschen Aufzugsbranche ist. Eine konkrete Unterstützung durch die European Lift Association (ELA) in einem solchen Prozess wäre hilfreich und wünschenswert.
HLH: Weshalb hat sich der VDI zu einer Überarbeitung der Richtlinie entschlossen?
Schickor: Ein Grund für die Überarbeitung ist, dass die daraus resultierenden Lehrgänge inzwischen fast 20 Jahre alt sind. Damals wurden andere Anforderungen an die Seminarinhalte gestellt. In Steuerungen wurden damals zum Beispiel noch Relais eingesetzt; heute wird ein „schwarzes Kästchen“ ein- und ausgebaut. In der Elektrotechnik musste man damals wissen, wie ein Drehstrommotor gewickelt ist, heute nur noch, wie er durchgemessen wird. Damals musste man wissen, was ein Stern- oder Dreieck-Motor ist; heute unterscheiden wir zwischen Synchron- und Asynchron-Motoren. Ich brauche nur noch die Leistungsdaten des Motors, um den Antrieb auslegen zu können. Vieles wird wegfallen, Neues dazukommen wie die Digitalisierung.
Außerdem fordert die VDI 1000 eine Überprüfung jeder VDI-Richtlinie alle fünf Jahre auf ihre Aktualität. Vor dem gerade geschilderten Hintergrund konnte der VDI-Fachausschuss Aufzugstechnik diese nicht mehr bejahen. Im Ausschuss fanden sich jetzt vor dem Hintergrund des Mangels an Fachpersonal auch das erste Mal wieder ausreichend viele, starke Interessenten, die bereit sind, eine Überarbeitung ehrenamtlich zu stemmen.
HLH: Was wird die Zielsetzung der Richtlinie sein?
Schickor: Das Ziel der „alten“ VDI-Richtlinie war die Qualifizierung von Fachpersonal für die Aufzugsbranche. Über die Jahre haben sich die Anforderungen an Aufzüge und damit auch das Personal in der Aufzugsbranche geändert. Als ich anfänglich noch als Dozent in den Seminaren der VFA-Akademie nach VDI 2168 gearbeitet habe, wurde viel Basis- und Hintergrundwissen vermittelt. Dieses wird heute nicht mehr gebraucht und die Inhalte müssen daran angepasst werden.
HLH: Was ändert sich an der Gliederung?
Schickor: In der alten VDI-Richtlinie fanden sich unter anderem folgende Kapitel: 4. Kategorien der Qualifizierungsmaßnahmen und erforderliche Eingangsqualifikationen, 5. Qualitätsmerkmale von Fortbildungen, 6. Anforderungen an die Referenten, 7. Themen und Inhalte der Schulungen, 8. Prüfung, 9. Zertifikat, 10. Erworbene Kompetenzen und Grenzen. Zwar ist die neue Gliederung noch offen, aber wir wissen schon, dass die alte Struktur nicht mehr zu den neuen Inhalten und Zielgruppen passt.
HLH: Was ändert sich an den Inhalten?
Schickor: Insgesamt wird der Inhalt praxisgerechter ausgerichtet. In der neuen Ausgabe wird es vermutlich sechs oder sieben Module geben, die an speziellen Zielgruppen ausgerichtet sind wie Betreiben, Planen, Warten, Prüfen. Sie werden individuell auswählbar sein, gegebenenfalls einer Empfehlung folgend. So werden zum Beispiel Servicetechniker einen Basis-Kurs belegen plus einer Vertiefung, in der dann unter anderem Aufbau und Aussehen des Aufzugschachts wie auch der Bremstest behandelt werden. Auch die Personenbefreiung wird Gegenstand dieser Weiterbildung sein. Bisher sind zu den Inhalten erst Stichworte vorhanden.
In der neuen Fassung werden auch die Regelwerksverweise aktualisiert. Dann weiß jede/r Teilnehmende, was zu beachten ist. Beim Aufzug ist es wie bei der Straßenverkehrsordnung: Macht man etwas falsch, zahlt man Bußgeld oder verursacht sogar einen Unfall. Das gilt es zu verhindern. Man muss die entsprechenden Technischen Regeln einmal durchlesen – auch die Betreiber. In den Seminaren können wir erklären, weshalb etwas so und nicht anders geregelt ist. Das macht es interessant. Darüber hinaus sensibilisiert es speziell Personen mit technischem Hintergrund, was passieren könnte, wenn man sich nicht kümmert. Ich appelliere an alle Teilnehmenden, schon heute diese Inhalte auch über den Lehrgang hinaus zu vertiefen.
HLH: An wen richtet sich die Richtlinie?
Schickor: Die alte VDI-Richtlinie richtete sich an Personen, die bei Notified Bodies (NB) oder Zentralen Überwachungsstellen (ZÜS) tätig sind. In der überarbeiteten Fassung wird ein deutlich heterogenerer, breiterer Teil der Aufzugsbranche adressiert, unter anderem Betreiber, Planer und Aufzugsbauer. Die Zielgruppen stehen aber noch nicht endgültig fest.
HLH: Wird es weiterhin Prüfungen nach VDI 2168 geben?
Schickor: Das ist völlig offen. Ein Zertifikat ist sicher weiterhin wünschenswert. Eine Kooperation mit zum Beispiel einer Handwerkskammer könnte den Weg zu einer öffentlich-rechtlichen Anerkennung eines Abschlusses ebnen. Mit dem VDI wäre eine Schulungspartnerschaft mit lizensierten Schulungsanbietern und einem Zertifikat-Register möglich. Darüber hinaus könnten Industrieverbände wie VFA und/oder VDMA Prüfungen abnehmen. Wir befürchten, dass es eventuell zu wenig Teilnehmende für Prüfungen gibt, sodass eine Abwicklung maximal zentral mit bundesweitem Einzug möglich wird.
HLH: Wie sieht der weitere Arbeitsplan aus?
Schickor: Wir werden als Erstes im Ausschuss Material sammeln und sichten. Als Nächstes werden wir Themen und Begriffe festzurren. Dann müssen Textentwürfe dazu ausgearbeitet werden, damit auch nach außen klar wird, was wir darunter verstehen und was wir damit erreichen wollen. Wir bevorzugen es, zu den vielen und intensiven Diskussionen am Beginn der Überarbeitung möglichst persönlich zusammenzukommen. Feinabstimmungen und Redaktionsarbeiten können dann später in einer kleineren Gruppe auch online durchgeführt werden.
HLH: Wann rechnen Sie mit dem Erscheinen des Entwurfs der Richtlinie?
Schickor: Wir werden im Ausschuss mindestens bis Ende 2024 aktiv daran arbeiten. Mit Redaktion wäre dann ein Erscheinen frühestens im April 2025 möglich. Auf dem Weg dahin gilt es aber noch diverse Schwierigkeiten zu überwinden. Die VDI-Richtlinie hat einen breiten inhaltlichen Umfang, der kompetent abgedeckt werden muss. Die Dauer der Seminare und deren Abläufe bei den Anbietern – zum Beispiel VFA einzelne Tage/Roßwein eine Woche am Stück – unterscheiden sich stark und müssen vereinheitlicht werden. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Überarbeitung auf Weiterbildungsanbieter und -teilnehmende müssen durchdacht und minimiert werden.
HLH: Was passiert mit dem Papier, wenn der Entwurf, der sogenannte Gründruck, erschienen ist?
Schickor: Man kann bereits den Entwurf nutzen, muss es aber noch nicht. Wichtig ist, dass die Inhalte gelesen und ihre Umsetzung breit getestet werden. Schriftliche Einsprüche müssen innerhalb einer vorgegebenen Frist im VDI-Richtlinienausschuss diskutiert und über ihre Annahme entschieden werden. Erst dann erscheint die Endfassung, der sogenannte Weißdruck, der mindestens fünf Jahre bis zur ersten Überprüfung auf Aktualität unverändert gültig ist and grundsätzlich breit angewandt wird.
HLH: Was motiviert Sie, die Arbeit und Verantwortung als Vorsitzender des Richtlinienausschusses zu übernehmen?
Schickor: Das Wichtigste für mich ist, dass sich auch Betreiber um ihre Pflichten kümmern. Gesetze zu Aufzügen sind dort oft unbekannt und doch müssen sich auch Betreiber daran halten. Sie müssen sie sicher beherrschen und das Wissen auf dem aktuellen Stand halten, damit der Aufzug das sicherste Verkehrsmittel bleibt. Gleiches gilt für die vielen Quereinsteiger in der Aufzugsindustrie. Die Weiterbildungen nach VDI 2168 bieten eine komfortable Gelegenheit, dieses Wissen zu erlangen, zu vertiefen, aufzufrischen.
HLH: Benötigen Sie noch Unterstützung?
Schickor: Ich hoffe, die Schulungen werden nach der neuen VDI 2168 effizienter, effektiver, einfach besser. Die Lehrgangsunterlagen werden überarbeitet und angepasst. Da steckt viel Arbeit drin, für die ich mich heute schon bei allen Mitwirkenden im Namen aller zukünftigen Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer bedanke. Wir brauchen dafür auch neue Dozentinnen und Dozenten.
Und zuletzt rufe ich auch schon alle alten Teilnehmenden auf, sich mit der Wiederholung der Seminare nach VDI 2168 anzufreunden. Es wird sehr große Änderungen in der VDI-Richtlinie geben, die aktuelles Wissen und großen Praxisbezug widerspiegelt. Hören Sie interessiert zu, machen Sie aktiv mit, um schlauer zu werden und zu erfahren, wie alles im Aufzug aussieht und wie es abläuft!
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