Baupraxis: Was ist bei der Vergabe von Ersatzleistungen zu beachten?
Es kommt immer wieder vor, dass während einer laufenden Baustelle ein Unternehmer ausscheidet und durch einen anderen ersetzt werden muss. Was müssen speziell öffentliche Auftraggeber in diesem Fall bei der Vergabe von Ersatzleistungen beachten?
Kann sich der Auftraggeber, wenn während der laufenden Bauausführung ein Unternehmer ausfällt, vergaberechtlich auf „äußerste Dringlichkeit“ berufen? Öffentliche Auftraggeber müssen auch Ersatzleistungen in einem förmlichen Verfahren vergeben. Fraglich ist, ob sie dafür das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb in Anspruch nehmen können.
Über diese Frage hatte das OLG Frankfurt (Beschluss vom 7. 6. 2022 – 11 Verg 12/21) zu entscheiden. Der Auftraggeber hatte einen Unternehmer mit der Errichtung von Aufzügen für den Neubau eines Klinikgebäudes beauftragt. Der Vertrag wurde aus wichtigem Grund gekündigt. Der Auftraggeber machte ein Jahr später bekannt, dass er die Restleistungen an ein anderes Unternehmen vergeben habe. Der Auftraggeber hat unter Berufung auf Paragraf 3a EU Absatz 3 Nr. 4 VOB/A den Auftrag wegen äußerster Dringlichkeit im Verhandlungsverfahren ohne Vergabebekanntmachung vergeben. Der gekündigte Unternehmer hat dagegen geklagt und geltend gemacht, der geschlossene Vertrag sei unwirksam. Das Gericht musste der Frage nachgehen, ob sich der Auftraggeber im vorliegenden Fall auf „äußerste Dringlichkeit“ berufen konnte und das Vergabeverfahren rechtmäßig abgelaufen war.
Wann darf man sich auf „äußerste Dringlichkeit“ berufen?
Der Auftraggeber kann sich nur dann auf Dringlichkeit berufen, wenn sie auf Umständen beruht, die er nicht selbst verursacht hat und nicht voraussehen konnte. Umstände aus der Sphäre des Auftraggebers selbst (unzureichende Besetzung der Vergabestelle, drohender Verfall von Fördermitteln) können nicht als Begründung herangezogen werden. Die Kündigung des Vertrages ist zwar vom Auftraggeber selbst vorgenommen worden, aber ihm gleichsam durch die Umstände aufgezwungen worden. Wenn es dem Auftraggeber nicht zumutbar ist, mit einem Unternehmen den Vertrag weiter durchzuführen und er deshalb kündigt, liegt die Ursache letztlich beim Unternehmer, nicht beim Auftraggeber.
Das Problem im vorliegenden Fall war die „äußerste Dringlichkeit“. Der Auftraggeber hatte die Dringlichkeit mit Termindruck bei der Fertigstellung des Klinikgebäudes begründet: Es drohten monatliche Schäden im siebenstelligen Bereich. Zudem gehe es um Daseinsvorsorge, da wichtige Disziplinen, die bislang über das ganze Krankenhausgelände verstreut untergebracht seien, in dem Neubau zusammengeführt werden sollten. Durch seine Vorgehensweise habe er zwei Monate einsparen können.
Das Gericht geht davon aus, dass äußerte Dringlichkeit bei unaufschiebbaren Ereignissen anzunehmen sei, bei denen eine gravierende Beeinträchtigung für die Allgemeinheit und die staatliche Aufgabenerfüllung drohe. In Betracht kommen akute Gefahrensituationen oder höhere Gewalt, bei denen ein sofortiges Handeln notwendig sei, um Schäden für die Allgemeinheit zu vermeiden. Als Beispiele nennt das Gericht die Beseitigung von Sturm-, Brand- oder anderen Katastrophenschäden, die Beschaffung von Leistungen zur kurzfristigen Bewältigung von Krisen (Corona-Pandemie) oder zur Aufrechterhaltung des Verwaltungsbetriebs. Rein wirtschaftliche Erwägungen können demgegenüber den Tatbestand der äußersten Dringlichkeit nicht begründen. Ein weiteres Tatbestandsmerkmal für die Ausnahmeregelung ist, dass wegen der Dringlichkeit die Mindestfristen für das offene oder nichtoffene beziehungsweise Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nicht eingehalten werden können, wobei die Paragrafen 10a EU Absatz 3 und 10b EU Abatz 5 VOB/A eine Verkürzung der Fristen im Fall der Dringlichkeit zulassen. Die Dringlichkeit muss also ein Ausmaß haben, dass auch die verkürzten Fristen zu lang sind, um den Bedarf zu decken.
Alleine wirtschaftliche Gründe nicht ausreichend
Die vom Auftraggeber geltend gemachten wesentlichen wirtschaftlichen Gesichtspunkte können also nicht herangezogen werden. Der Auftraggeber muss die Mehraufwendungen, die sich aus der insolvenz- oder kündigungsbedingten Verzögerung ergeben, insbesondere auch Ersatzansprüche der dadurch in der Ausführung ihrer Leistung behinderten anderen Unternehmer, in Kauf nehmen. Gründe des Allgemeinwohls konnte das Gericht nicht erkennen. Zumindest für den Zeitraum von zwei Monaten, der nach Angaben des Auftraggebers habe eingespart werden können, hätten die Leistungen auch in bisherigen Gebäuden noch erbracht werden können, ohne dass die Versorgung der Bevölkerung gefährdet gewesen wäre. Zudem beruft sich das Gericht noch darauf, dass der Auftraggeber eine Angebotsfrist von über sieben Wochen vorgesehen habe. Allein daraus folge, dass die Vergabe auch im offenen oder nichtoffenen Verfahren habe durchgeführt werden können.
Damit ist der abgeschlossene Vertrag nach Paragraf 135 Absatz 1 Nr. 2 GWB unwirksam. Das Gericht legt die Ausnahmevorschrift im Einklang mit den Entscheidungen anderer Gericht sehr eng aus, um willkürliche Einschränkungen des Vergabewettbewerbs zu verhindern.
Das könnte Sie auch interessieren:
BIM: Bauakteure bestätigen Effizienzsteigerung
Verbraucher überdenken ihr Heizverhalten
Wärmepumpen: Fraunhofer-Projekt mit Effizienzrekord
BDH und en2x testen Einsatz von „grünem“ Heizöl
Verbände fordern Beibehaltung der derzeitigen F-Gase-Verordnung
Baupraxis: Vorsicht bei der Vergabe und Annahme von Aufträgen
Forschende testen UVC-Technologie auf dem Oktoberfest
Wärmepumpe: Luft, Erdreich oder Wasser – was sind die Unterschiede?