Baurecht: Wann ist ein Vergleich sittenwidrig?
Bei Bauprojekten kann es zu Situationen kommen, die eine vertragliche, und im besten Fall gütliche Einigung erfordern. Häufig ist dann ein Vergleich das Mittel der Wahl – vorausgesetzt beide Partien sind zu Abstrichen bereit. Nutzt ein Vertragspartner die Zwangslage des anderen hingegen aus, kann die abgeschlossene Vereinbarung sittenwidrig und somit anfechtbar sein.
In gewerblichen Vertragsverhältnissen spielt die Sittenwidrigkeit einer Vereinbarung eher selten eine Rolle. Dennoch gibt es auch dafür Beispiele: Dem Oberlandesgericht München (Beschluss vom 4.2.2021 – 28 U 2756/20 Bau) lag ein Rechtsstreit vor, bei dem es gerade auf diese Frage ankam. Ein Bauträger hatte einen Architekten mit Planungsleistungen für ein Gebäude beauftragt; die Wohnungen sind während der Ausführung der Bauleistung verkauft worden. Während der Ausführung verhängte die Baugenehmigungsbehörde einen Baustopp, da der Baukörper durch Errichtung nicht genehmigter Zwerchgiebel die genehmigte Höhe überschritt. Der Architekt erstellte eine Tekturplanung, machte deren Übergabe und Einreichung bei der Baugenehmigung jedoch vom Abschluss eines von ihm entworfenen Vergleichs abhängig, in dem der Bauträger auf sämtliche Schadensersatzansprüche gegen den Architekten verzichtete. Der Bauträger hat den Vergleich unterschrieben. Später klagte der Bauträger auf Schadensersatz wegen der durch die mangelhafte Planung entstandenen Verzögerung. Das Landgericht hat den Architekten dem Grunde nach auf Zahlung von Schadensersatz verurteilt; der Vergleich sei nach Paragraf 138 Absatz 2 BGB sittenwidrig. Dagegen richtet sich die Berufung des Architekten.
Voraussetzungen für einen Vergleich
Das Oberlandesgericht München bestätigt die landgerichtliche Entscheidung. Nach Paragraf 138 Absatz 2 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, wenn jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder erheblicher Willensschwäche eines anderen sich für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zur Leistung stehen (Wucher). Die Regelung ist auch auf einen Vergleich anwendbar.
Ein Vergleich ist ein Vertrag, durch den Streit oder Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt werden soll. Im Rahmen eines Vergleiches kommt es für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit nicht auf Leistung und Gegenleistung, sondern auf den Umfang des beiderseitigen Nachgebens an. Wenn beide Parteien tatsächlich „nachgeben“, also etwa auf mögliche (wenn auch unsichere) Rechte (teilweise) verzichten, ist eine Abgeltungsklausel („Mit diesem Vergleich sind sämtliche gegenseitigen Ansprüche, insbesondere auch Schadensersatzansprüche, erledigt.“) regelmäßig wirksam.
Beide Parteien mit Zugeständnissen
Im vorliegenden Fall hat der Bauträger auf Schadensersatzansprüche verzichtet, die ersichtlich aufgrund der mangelhaften Leistung des Architekten in größerem Umfang bestanden. Der Architekt meint, er habe auf Honorar für die Tekturplanung verzichtet. Das Gericht stellt klar, dass es sich dabei um Mangelbeseitigung gehandelt habe, die kostenlos zu erbringen gewesen sei. Der Architekt verzichtet tatsächlich auf gar nichts. Damit liegt ein beiderseitiges Nachgeben nicht vor. Es besteht also ein erhebliches Missverhältnis im Hinblick auf das Nachgeben beider Parteien.
Der Bauträger befand sich wegen des Baustopps in erheblicher Bedrängnis, weil er die den Käufern zugesagten Fertigstellungstermine nicht einhalten konnte, was zugleich auch drohende Ersatzansprüche (Ersatzanmietung von Wohnungen) und erhebliche Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Vorhabens zur Folge hatte. Der Bauträger hatte somit dringenden Bedarf nach Vorlage und Einreichung der Tekturpläne, damit es nicht zu noch weiteren Verzögerungen kam. Damit liegt eine relevante Zwangslage vor. Dafür genügt bereits, dass dem Betroffenen schwere Nachteile drohen.
Der Architekt hat diese Zwangslage „ausgebeutet“; er hat sich die Zwangslage bewusst und in Kenntnis des Missverhältnisses des gegenseitigen Nachgebens zunutze gemacht. Bei – hier gegebenem – grobem Missverhältnis, spricht eine tatsächliche Vermutung für ein Ausbeuten.
Das Gericht hat aber auch festgestellt, dass der Architekt die Zwangslage des Bauträgers (die er ja auch zumindest teilweise mitverursacht hat) erkannt (er wusste von den Einzugsterminen der Käufer) und ausgenutzt hat, um eine Befreiung von drohenden Schadensersatzansprüchen zu erlangen. Der Bauträger wurde auch insofern unter Druck gesetzt, als er den nachmittags übersandten Entwurf der Vergleichsvereinbarung bei einem Treffen noch am selben Tag unterzeichnen sollte, sodass auch keine Möglichkeit zu einer intensiveren Auseinandersetzung damit bestand. Damit war der vereinbarte Verzicht auf Schadensersatzansprüche nichtig.
Der vom Gericht entschiedene Fall kann auf andere Konstellationen übertragen werden, in denen eine Partei in Kenntnis einer Zwangslage der anderen von dieser Zugeständnisse verlangt, auf die sie keinen Anspruch hat, ohne ihrerseits eine adäquate Gegenleistung zu bieten. In Kenntnis einer (oft terminlichen) Zwangslage eine Zahlung für Nacherfüllungsleistungen, die kostenfrei geschuldet sind, zu verlangen, kann in diesem Sinne ebenfalls als sittenwidrig eingeordnet werden.