Energiesysteme: Potenzial von interaktiven Gebäuden analysiert
Bis 2050 soll – so möchte es die Bundesregierung – der Primärenergiebedarf im Vergleich zu 2008 halbiert werden. Der Gebäudebereich könnte dazu einen gewichtigen Beitrag leisten. Etwa, indem Gebäude und Quartiere zukünftig auf eine fluktuierende Stromerzeugung reagieren.
Im Rahmen des Projekts „FlexGeber – Demonstration von Flexibilitätsoptionen im Gebäudesektor und deren Interaktion mit dem Energiesystem Deutschlands“ hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme drei Case Studies bei Unternehmen durchgeführt. Dabei wurden neuartige Wärme- und Kälteerzeugungstechnologien sowie Lösungen zur Reduzierung der CO2-Emissionen und zur Integration erneuerbarer Energien demonstriert. Neben der effizienten Nutzung und Verknüpfung von Strom, Wärme und Kälte wurde erprobt, wie Industrie und GHD-Sektor (Gewerbe, Handel, Dienstleistungen) in die Energiewirtschaft eingebunden werden können.
Großes Potenzial – fehlende Rahmenbedingungen
„Bislang sind Liegenschaften mittelständischer Industrieunternehmen oder des GHD-Sektors nur primärenergetisch betrachtet worden. Die in ihnen schlummernden Potenziale zur Bereitstellung von Flexibilität sind bisher nur unzureichend erforscht worden, eine Lücke, die unser Projekt geschlossen hat“, so Dr. Jessica Thomsen, Teamleiterin Dezentrale Energieversorgung und Märkte am Fraunhofer ISE. Das Projekt habe gezeigt, wie durch eine ganzheitliche Energiesystembetrachtung auch in mittelständischen Organisationen ein Transformationspfad in eine treibhausgasneutrale Zukunft gefunden werden kann. Dabei könne der Grad der Eigenversorgung nach Erkenntnissen der Freiburger Forschenden vor allem durch Photovoltaik in Kombination mit Wärmepumpen oder thermischen beziehungsweise elektrischen Speichern gesteigert werden. Dies reduziere die Energiekosten sowie CO2-Emissionen. Allerdings, so eine weitere Erkenntnis, sei ein flexibler, netzdienlicher Betrieb mit dem aktuellen rechtlichen Rahmen und den installierten Messtechniken kaum realisierbar. Für eine relevante Veränderung müssten unter anderem die Tarifstruktur des Elektrizitätsbezugs reformiert sowie die technologischen Voraussetzungen geschaffen werden, um die Bereitstellung von Flexibilität wirtschaftlich interessant zu gestalten.
Drei Case Studies: Energiesysteme analysiert und Maßnahmen eingeleitet
Um für eine fundierte Betrachtung relevante Daten erheben zu können, hat das Fraunhofer-Team bei den Unternehmen Hermann Peter KG Baustoffwerke, der Taifun-Tofu GmbH sowie am Campus Heidenhofstraße des Fraunhofer ISE eine Energiesystemanalyse durchgeführt. Das Projektkonsortium entwickelte und installierte dafür detaillierte Messkonzepte. Auf Basis dieser Daten bildeten die Forschenden die Energiesysteme der Case Studies im Energiesystemmodell District ab und erhoben das technische Potenzial der Flexibilisierung von Strom-, Wärme- und Kältenutzung.
Am Fraunhofer ISE wurde ein Kältenetz und ein Kaltwasserspeicher mit 200 Kubikmetern Volumen installiert. Durch den Austausch mehrerer kleiner, dezentraler Kälteanlagen konnte die Systemeffizienz nachweislich gesteigert werden. Der Kältespeicher ermöglicht es zudem, einen größeren Teil der Last durch freie Kühlung zu decken und die Kälteanlagen flexibler zu betreiben, zum Beispiel entlang eines sich ändernden Strompreises. Auch die wichtige Rolle von Wärmepumpen wurde durch das Projekt unterstrichen. „Die Vor-Ort-Analysen haben uns gezeigt, welche Möglichkeiten es für uns gibt, den Prozesswärmebedarf CO2-neutral zu gestalten“, erläutert Alfons Graf, Verantwortlicher „Technischer Ausbau“ bei der Taifun Tofu GmbH. Die neu gewonnenen Erkenntnisse sollen bei zukünftigen Investitionsentscheidungen berücksichtigt werden.
Deutschlandweites Energiemarktmodell entwickelt
Die vom Projektteam für den Nichtwohngebäudesektor erhobenen Flexibilitätsoptionen wurden in ein regionales und deutschlandweites Energiesystem- und Energiemarktmodell eingebunden, um deren Interaktion mit dem Energiesystem und die damit verbundenen Auswirkungen zu bewerten. Um das negative und positive Flexibilitätspotenzial für Deutschland abzuschätzen, erhob das Team den Nichtwohngebäudebestand und berechnete das Flexibilitätspotenzial für verschiedene Technologien.
Um die berechneten Flexibilitätspotenziale einordnen zu können, wurden sie mit der prognostizierten Residuallast (Bedarf an Strom, der nicht durch erneuerbare Energien abgedeckt werden kann) für Deutschland im Jahr 2045 verglichen. Dabei zeigte sich, dass allein die Nichtwohngebäude ein Potenzial besitzen, das bis zu 3,2 % der Residualenergie im Jahr 2045 entspricht.
Unternehmen: Kosten für Flexibilisierung derzeit noch zu hoch
Ein weiterer Schwerpunkt des Projekts lag in der rechtlichen Analyse der Hemmnisse, die derzeit eine Nutzung der Flexibilitätspotenziale verhindern. Diese Analyse wurde vom Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) als weiterer Projektpartner durchgeführt. Sie ergab, dass ohne ökonomische Anreize für die Bereitstellung von Flexibilität Unternehmen aktuell die finanziellen und nicht-finanziellen Aufwendungen zur Erschließung der Potenziale nicht kompensieren können. Das Projektteam entwickelte daher eine Roadmap und eine Handreichung, die notwendige Rahmenbedingungen für die Flexibilisierung aufzeigen. Ein zentrales Hemmnis sind die Netzentgelte: Eine Reformierung, die einen Strombedarf in Anlehnung an das Stromangebot fördert (beispielsweise ein Anreiz zu Spitzenlasten bei Solarstrom-Spitzen), würde die Flexibilisierung wirtschaftlich interessanter machen.