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Klarstellung aus Berlin 03.05.2021, 09:45 Uhr

Energiewirtschaftsgesetz: Wasserstoff ist kein Erdgas

Im März verabschiedete der Deutsche Bundestag als Folge einer Vorgabe aus Brüssel einen Gesetzentwurf, der die Bedeutung des Hoffnungsträgers Wasserstoff als Erdgassubstitut in der Hausenergieversorgung deutlich relativiert. Demnach ist H2 für die Wärmewende im Gebäudesektor nicht relevant.

Wärmeerzeuger mit der Möglichkeit der Wasserstoff-Beimischung haben zahlreiche Hersteller bereits heute im Programm. Auf der digitalen ISH 2021 stellte unter anderem Viessmann (im Bild das Technikum) in Aussicht, in ein paar Jahren auch zu 100 % mit Wasserstoff gespeiste Geräte anbieten zu können. Hinsichtlich der Versorgungs-Infrastruktur und der gesetzlichen Grundlagen sind allerdings noch zahlreiche Fragen unbeantwortet. Foto: Viessmann

Wärmeerzeuger mit der Möglichkeit der Wasserstoff-Beimischung haben zahlreiche Hersteller bereits heute im Programm. Auf der digitalen ISH 2021 stellte unter anderem Viessmann (im Bild das Technikum) in Aussicht, in ein paar Jahren auch zu 100 % mit Wasserstoff gespeiste Geräte anbieten zu können. Hinsichtlich der Versorgungs-Infrastruktur und der gesetzlichen Grundlagen sind allerdings noch zahlreiche Fragen unbeantwortet.

Foto: Viessmann

Frühere Entwurfstexte und Stellungnahmen sahen H2 als Ersatz für Erdgas in den Sektoren Industrie, Mobilität und Gebäudetechnik. Später war dann vom Wärmemarkt nicht mehr die Rede. Neuerdings erwähnen halbamtliche und amtliche Papiere wieder den Einsatz von Wasserstoff im TGA-Gewerk, allerdings mehr der Vollständigkeit halber, so des Typs „in erster Linie zur Dekarbonisierung der Industrie und des Verkehrs“, um dann anzuhängen „oder auch im Wärmemarkt“. Die Rede ist von reinem H2, nicht der Beimischung zu Erdgas. Der bescheren Verlautbarungen aus Brüssel und Berlin überhaupt keine Zukunft. Sie mache keinen Sinn, weil sie zumindest in den ersten zehn bis 20 Jahren nicht zur Klimaneutralität beitrage. Denn eine diskutierte Quote von anfangs maximal 20 %, die der aktuelle Stand der Gerätetechnik eventuell vertragen könnte, verzögert den Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre lediglich minimal. Sie führt den Klimaschutz nicht näher an die Ziele für 2030 heran. Sollten zukünftige Installationen mehr Wasserstoff im Erdgas vertragen, müsste mit jedem 10-Prozent-Sprung wahrscheinlich eine Marktraumumstellung einhergehen, weil sich die Verbrennungseigenschaften verändern. Diesen Aufwand beurteilt selbst die Gaswirtschaft als unzumutbar.

Bundesnetzagentur: Eigene Infrastruktur für Wasserstoff

Ganz abgesehen von weiteren unsicheren Faktoren. Wie die bekannte Frage, ob das Erdgasnetz überhaupt wasserstofftauglich ist und bis zu welchem Prozentsatz, ferner der bürokratische Aufwand zur Abrechnung der jeweiligen Mischung, die Zulässigkeit des Transports durch private Grundstücke und anderes. So kommt die Bundesnetzagentur in ihrer Analyse des Komplexes Wasserstoff als Erdgas-Substitut mit dem Titel „Regulierung von Wasserstoffnetzen – Bestandsaufnahme“ zu dem Ergebnis: „Eine Beimischung von Wasserstoff ins Gasnetz im großen Stil ist unwahrscheinlich. Zum einen sind viele Verbraucher/Endgeräte sensibel bezüglich einer Erhöhung der Wasserstoff-Beimischungsquoten und ein hoher Anpassungsbedarf wäre nötig (im Sinne einer weiteren Marktraumumstellung). Zum anderen besteht bei Verbrauchern auch in Zukunft der Bedarf an reinem Wasserstoff und reinem Erdgas. Vermutlich wird sich daher eine Wasserstoffnetzstruktur parallel zum bestehenden Gasnetz entwickeln.“

Liest man also die halbamtliche Stellungnahme und die der verschiedenen Interessensgemeinschaften zu diesem Thema, scheint die Verabschiedung von Wasserstoffmethan als Alternative zu einem reinen Wasserstoffnetz ziemlich klar zu sein. Die Beimischung beziehungsweise entsprechende aufzunehmende Passagen und Paragrafen für die EnWG-Novelle und andere Gesetze spricht der Parlament-Entwurf „Gesetz zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und zur Regelung reiner Wasserstoffnetze im Energiewirtschaftsrecht“ von März dieses Jahres deshalb erst gar nicht an.

Wenig Trümpfe für Wasserstoff im Gebäudesektor

Das Nein zum Gasgemisch besiegelt nun nicht automatisch die Zukunft des Wasserstoffs als Brennstoff für die Heizungstechnik. Es erschwert jedoch diese Zukunft. Denn der eigentliche Charme der stufenweisen Anreicherung bestand ja für die Erdgaswirtschaft darin, relativ kostenarm die bestehende Netzinfrastruktur als Verteidigungsmittel gegen das vollelektrische Haus nutzen zu können. Andere Trümpfe hält sie nicht in der Hand. Und selbst dieser Trumpf ist kein As. Denn den Umwandlungsverlusten bei der industriellen Herstellung eines Brennstoffs aus Wasser und grünem Strom stehen erhebliche Effizienzgewinne bei der direkten Verwendung von grünem Strom zu Heizzwecken gegenüber. In Summe dürfte für die Grünstrom-Wärmepumpe der Faktor 6 sprechen. Die erwähnte Analyse der Bundesnetzagentur klammert deshalb in ihrer Betrachtung den Bereich Heizenergie völlig aus, weil „die zukünftige Verwendung von Wasserstoff vor allem in den Sektoren Industrie und Verkehr wahrscheinlich ist. Im Gebäude- und Stromsektor wird aufgrund der noch notwendigen Erprobung der Wasserstofftechnologien und der aufwendigen technischen Anpassungen zunächst keine Zunahme erwartet.“

Mit dem favorisierten separaten Netz für H2 schwindet naturgemäß die Chance eines großflächigen Einsatzes in der bundesdeutschen Gebäudetechnik. Die Mehrzahl der Häuser wird vollelektrizitätsfähig sein. Die verbleibende Minderheit wird sich mit Biomasse erwärmen, wenn nicht zufällig eine industrielle Wasserstoffleitung in der Straße vor der Haustür liegt.

Die Frage des Preises: Wie teuer darf Wasserstoff sein?

Und schließlich umgehen alle öffentlichen Diskussionen im Moment die Preisfrage. Wie teuer darf Wasserstoff sein? Als Ersatz für Erdgas nicht wesentlich mehr. Nur: Es kommt ausschließlich grüner Wasserstoff aus Klimaschutzgründen infrage. Der wird aus grünem Strom mit Verlusten gewonnen. Folglich müsste die Kilowattstunde H2 teurer sein als die Kilowattstunde des Rohprodukts grüne Elektrizität. Wind- und PV-Strom offerieren die Versorger dem Endverbraucher derzeit mit 30 bis 32 Cent/kWh, der Industrie mit 17 oder 18 Cent. Das Ergebnis der Aufbereitung zu grünem H2 dürfte demnach für Haushalte nicht unter 22 oder 25 Cent/kWh zu haben sein. Mit diesem Angebot brauchen die Versorger erst gar nicht auf ihre potenziellen Kunden zugehen. Der Vorgänger, das Erdgas, hatte ja nur sechs oder acht Cent gekostet. Auf der anderen Seite wäre es – sollte die Politik einen politischen Preis verordnen – Grünstrom-Kunden sehr schwer vermittelbar, warum sie für das unbehandelte Vorprodukt 30 Cent zahlen müssen, sich dieses jedoch für das Nachbarhaus nach der verlustbehafteten Umwandlung zu Wasserstoff auf vielleicht 10 Cent/kWh verbilligt.

Dieser Kalamität entgehen Wirtschaft und Politik am einfachsten, indem sie grünen Wasserstoff für den häuslichen Wärmemarkt erst gar nicht groß proklamieren. Seine Verwendung dort wird sich voraussichtlich auf Inselnetze für Quartiere beschränken, die also nicht an die öffentliche Versorgung angeschlossen sind und mithin auch amtlich nicht reguliert werden müssen. Erste Quartiersprojekte auf Basis solcher Insellösungen entstehen derzeit mit finanzieller staatlicher Unterstützung in mehreren Bundesländern (H2 Wyhlen, Neue Weststadt Esslingen (beide Baden-Württemberg), Westküste100 in Schleswig-Holstein, Energiepark Bad Lauchstädt/Sachsen-Anhalt, Norddeutsches Reallabor in Hamburg und Schwerin als Beispiele). Soll sagen, die Bundesregierung und ebenfalls die EU sind intensiv dabei, zu erproben und festzulegen, wie eine Wasserstoffinfrastruktur aufzubauen ist.

EnWG: Keine Gleichstellung mit Erdgas und Strom

Eigens dazu legte im Februar dieses Jahres die Regierung eben jenen Entwurf einer Rechtsnorm mit dem etwas sperrigen Namen „Gesetz zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und zur Regelung reiner Wasserstoffnetze im Energiewirtschaftsrecht“ vor. Ende März nickte der Deutsche Bundestag bereits die Umsetzung eines Teils des Inhalts des EU-Legislativpakets „Saubere Energie für alle Europäer“ ab. Der europäische Erlass umfasst vier Richtlinien und vier Verordnungen. Zu den Richtlinien gehören die EU 2018/2001 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen, die EU 2012/27 zur Energieeffizienz sowie die EU 2019/ 944. Die Letzte verpflichtet die Mitgliedsstaaten, Hemmnisse abzubauen, die Verbraucher daran hindern, Elektrizität selbst zu erzeugen, zu verbrauchen, zu speichern oder zu vermarkten. Die Verteilnetzbetreiber sollen Strom aus erneuerbaren Quellen und neue Lasten wie zum Beispiel aus Wärmepumpen oder Elektrofahrzeugen kosteneffizient integrieren. Die zusätzlichen vier Verordnungen regeln vornehmlich den Strombinnenmarkt. Der Parlamentsentwurf ermächtigt zur Anpassung des deutschen Rechts an das überarbeitete europäische Recht und formuliert gleich Änderungen und Paragrafen zur Übernahme in die betroffenen Gesetze aus.

Die Anpassung betrifft in erster Linie das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und das KWK-Gesetz. Das gültige EnWG kennt den Begriff Wasserstoff überhaupt nicht. Es regelt lediglich Erdgas und Strom. Vornehmlich die Gaswirtschaft drängt darauf, Wasserstoffe in den Gasbegriff einzubeziehen, damit all das, was für Erdgas gilt, sich auch auf H2 bezieht. Bisher ohne Erfolg. Berlin lehnt die Gleichstellung aus technischen und juristischen Gründen ab. Wasserstoff habe nun mal abweichende Eigenschaften. Das zukünftige EnWG behandelt deshalb das neue Produkt Wasserstoff als eigenständiges Medium. Das „Gesetz zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben …“ schreibt das mit dem einzufügenden Paragrafen 28 k ins Energiewirtschaftsgesetz vor: „Betreiber von Wasserstoffnetzen, die neben dem Betrieb von Wasserstoffnetzen weitere Tätigkeiten ausüben, haben zur Vermeidung von Diskriminierung und Quersubventionierung in ihrer internen Rechnungslegung ein eigenes Konto für die Tätigkeit des Betriebs von Wasserstoffnetzen zu führen …“

Lastvariable Tarife im EnWG

Die Distanz der Bundesregierung zu den Forderungen aus der Erdgasbranche hat die Konsequenz, dass die Kosten der Transformationen – der Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur – nicht die Gemeinschaft der Gasnutzer, sondern ausschließlich die Wasserstoffnutzer zu tragen haben. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sieht darin schon das Aus für eine breite Wasserstoffwirtschaft: „Der Aufbau einer zukunftsfähigen Wasserstoffinfrastruktur kann mit diesen Regelungen nicht gelingen“, heißt es in der Stellungnahme zum Gesetzentwurf, „eine solche zweigleisige Regulierung verhindert eine aufeinander abgestimmte Entwicklung von Gas- und Wasserstoffinfrastrukturen und setzt keinen verlässlichen Rahmen für Investoren und Marktteilnehmer.“

Mit dem Vorschriftenpaket „Saubere Energie für alle Europäer“ greift Brüssel des Weiteren in die Stromversorgung ein. Die Lieferanten verpflichtet die Kommission dazu, zukünftig lastvariable Stromtarife anbieten zu müssen. Dieser Auflage kommt die Novelle des EnWG in § 41a nach:

  • „(1) Stromlieferanten haben, soweit technisch machbar und wirtschaftlich zumutbar, für Letztverbraucher von Elektrizität einen Tarif anzubieten, der einen Anreiz zur Energieeinsparung oder Steuerung des Energieverbrauchs setzt. Tarife in diesem Sinne sind insbesondere lastvariable oder tageszeitabhängige Tarife …“
  • „(2) Stromlieferanten, die zum 31. Dezember eines Jahres mehr als 200 000 Letztverbraucher beliefern, sind im Folgejahr verpflichtet, den Abschluss eines Stromliefervertrags mit dynamischen Tarifen für Letztverbraucher anzubieten, die über ein intelligentes Messsystem im Sinne des Messstellenbetriebsgesetzes (MsbG) verfügen. Die Stromlieferanten haben die Letztverbraucher über die Kosten sowie die Vor- und Nachteile des Vertrags umfassend zu unterrichten sowie Informationen über den Einbau eines intelligenten Messsystems im Sinne des Messstellenbetriebsgesetzes anzu- bieten.“

Gericht gegen Bundesamt

Im Moment ist allerdings nicht absehbar, ab wann dieser Pflicht nachgekommen werden kann. Die vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifizierten und von der Industrie bereits ausgelieferten intelligenten Messsysteme hielten einer Qualitätskontrolle im Zug eines Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht Münster nicht stand. Das stoppte den Smart-Meter-Rollout in Deutschland. Geklagt hatte ein privates Unternehmen aus Aachen, das ebenfalls Messsysteme vertreibt. Zudem sind beim 21. Senat des OVG noch etwa 50 gleichgelagerte Beschwerdeverfahren von Messstellenbetreibern, insbesondere Stadtwerken, anhängig. Zur Begründung führt der Senat aus, dass die am Markt verfügbaren Produkte hinsichtlich der Funktionalitätsanforderungen nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, zertifiziert seien. Im Vorfeld hatten schon andere Institutionen die „geringe Interoperabilität“ bemängelt. Die vom BSI freigegebenen Systeme seien kaum in der Lage, mehr Messdaten zu liefern als bisher genutzte analoge Zähler. Das Bundesamt zeigte sich von der Entscheidung des OVG Münster überrascht, nachdem das Verwaltungsgericht Köln in der Vorinstanz noch zu seinen Gunsten entschieden hatte. Die Behörde kündigte an, die Entscheidungsgründe des OVG eingehend zu prüfen. Man hoffe, die Bedenken im noch anstehenden Hauptsacheverfahren umfassend entkräften zu können.

Das Verfahren bezog sich auf Produkte für erneuerbare Energieanlagen oberhalb von 25 KW. Das BSI hatte oder hat bisher erst diese Geräte getestet. Für PV- und KWK-Anlagen mit Leistungen zwischen sieben und 25 KW, die ebenfalls ausrüstungspflichtig sind, stehen, Stand Frühjahr 2021, überhaupt noch keine zertifizierten Messsysteme zum vorgeschriebenen Erfassen von lastvariablen Tarifen zur Verfügung.

 

 

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Von Dipl.-Ing. Bernd Genath, freier Fachjournalist aus Düsseldorf