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Kiwi-Früchte als Klimaanlage 25.08.2021, 12:24 Uhr

Fassadenbegrünung zur Gebäudeklimatisierung

Neu ist sie ja nun wirklich nicht, die Verschattung von Fassaden mit heimischer oder exotischer Flora: Schon einige hundert Jahre vor Christi bewunderten Zeitgenossen die Hängenden Gärten am Palast des babylonischen Königs Semiramis. Heute will die Bepflanzung sowohl Schmuck, aber noch mehr klimaschonendes (Umwelt) und klimaförderndes (Innenraum) Architekturelement sein – auch bei der Altbausanierung, wie beim Umbau von Halle 36 auf dem Campus des Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg.

Auf dem DESY-Campus soll künftig kein Regenwasser mehr in die Kanalisation eingeleitet werden. Stattdessen soll es vor Ort verdunsten oder aufgefangen, gespeichert und zum Beispiel für die Fassadenbewässerung der Halle 36 ( im Bild die erwartete Ansicht nach Fertigstellung) verwendet werden. Foto: Umweltbehörde Hamburg

Auf dem DESY-Campus soll künftig kein Regenwasser mehr in die Kanalisation eingeleitet werden. Stattdessen soll es vor Ort verdunsten oder aufgefangen, gespeichert und zum Beispiel für die Fassadenbewässerung der Halle 36 ( im Bild die erwartete Ansicht nach Fertigstellung) verwendet werden.

Foto: Umweltbehörde Hamburg

Fassadenbegrünung und Regenwassernutzung als Elemente der Gebäudeklimatisierung gegen konventionelle Kühlsysteme: Das Institut für Physik der Humboldt Universität in Berlin verglich am eigenen Objekt in Berlin-Adlershof die verschiedenen Parameter, unter anderem spezifische Kosten und Primärenergieeinsparung. Die Verdunstung von Regenwasser kostet demzufolge 0,1 Cent pro Kilowattstunde für den Pumpenstrom zur Verteilung des Niederschlags, während die Absorptionskältemaschine im Institut mit 16,1 Cent pro Kilowattstunde erheblich mehr ins Geld geht. Der gemessene Primärenergiebedarf zum Heizen und Kühlen sank im Vergleich zu einem konventionellen Sonnenschutz vor der Südfassade mit begrünter Südfassade von 57 auf 42 Kilowattstunden pro Quadratmeter. Diese und andere positive Ergebnisse veranlassten die Hamburger Umweltbehörde, auf dem Campus des Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) im Stadtteil Bahrenfeld eines der größten Projekte zur Gebäudebegrünung- und Luftkonditionierung in der Hansestadt zu starten. Ende Mai begannen die Arbeiten. Konkret geht es um die Halle 36, deren 2.660 Quadratmeter große Dachfläche und 1.910 Quadratmeter große Fassade derzeit mit rund 25.000 Gräsern, Stauden und Klettergehölzen bepflanzt wird.

Regenwassermanagement inklusive

Waldrebe, Kiwi, Blauregen – die grüne Fassade soll auch Obst und Blüten tragen. Hamburg unterstützt das DESY-Vorhaben mit 410.000 Euro, DESY steuert ebenso viel bei. Umweltsenator Jens Kerstan wünscht sich, „dass möglichst viele Gebäudeeigentümer der Idee folgen mögen und ihre Dächer oder Wände wie diese begrünen.“ Auch private Gebäudeeigentümer können in den Genuss entsprechender städtischer Zuschüsse zur Begrünung und Luftkonditionierung zu kommen. Bis zu 40 % der Kosten, höchstens 100.000 Euro Förderung sind möglich.

Bei DESY werden Materialien für die Kreislaufwirtschaft erforscht und in den Forschungseinrichtungen will man soweit wie möglich regenerative Energie nutzen. Umweltsenator Jens Kerstan: „Die Bekämpfung des Klimawandels und die Klimafolgenanpassung sind elementarer Bestandteil unserer Politik und zentrale Anliegen der Umweltbehörde. Die Fassadenbegrünung in Verbindung mit einem konsequenten Regenwassermanagement liefert hierzu einen wichtigen Beitrag. Die Fassadenbegrünung verbessert das örtliche Mikroklima und Arbeitsumfeld in den Bestandsgebäuden und der nahen Umgebung durch die Kühlungseffekte und erzielt Einspareffekte an nötiger Kälteleistung für die Klimatisierung der großen Versuchshallen. Und es sieht ansprechend aus.“

Forschungscampus als Ökoprojekt

Als Pilotprojekt befindet sich das Begrünungskonzept auf dem DESY-Forschungscampus aktuell kurz vor der Fertigstellung. Die Forschungseinrichtung wächst. In den nächsten Jahren ist eine Nachverdichtung des mehr als 50 Hektar großen Geländes geplant. Angestrebt wird eine effiziente Regenwasserbewirtschaftung zur Abkopplung vom städtischen Abwasserkanalnetz im Sinne von RISA (RegenInfraStrukturAnpassung). Erste Anlagen zur Regenwasserrückhaltung und -versickerung wurden umgesetzt. Bei weiteren Maßnahmen sind Dach- und Fassadenbegrünungen vorgesehen. Das Niederschlagswasser wird durch Gründächer weitgehend zurückgehalten, verdunstet und erst nach Sättigung der Vegetationsschicht abgeleitet. Abfließendes Oberflächenwasser wird in Teiche eingeleitet und damit das Grünwassernetz gespeist. Das Grünwassernetz dient der bedarfsgerechten Fassadenbewässerung. Für die Forscher von DESY passt das Projekt in vielerlei Hinsicht in die Zentrumsstrategie. „DESY als ein Forschungszentrum mit Weltgeltung muss neben der Sicherung einer internationalen Spitzenforschung auch dafür sorgen, seinen Forschungscampus ständig zu einem effizienten Ökosystem weiterzuentwickeln, in dem attraktive Arbeitsumgebungen, schneller Transfer von Forschungsergebnissen in Gesellschaft und Wirtschaft und insbesondere verstärkt nachhaltige Konzepte realisiert werden“, sagt Professor Helmut Dosch, Vorsitzender des DESY-Direktoriums. „Nachhaltigkeit spiegelt sich heute bei DESY unter dem Motto ‚Green DESY‘ in vielen Facetten wider, von der Erforschung neuartiger Materialien für die Kreislaufwirtschaft, der Nutzung regenerativer Energien für den Betrieb seiner Forschungsinfrastrukturen oder umweltfreundliche Baumaßnahmen, wie der Begrünung von Gebäuden, die wir nun mit einer unserer Experimentierhallen begonnen haben.“ „Das Pilotprojekt demonstriert, was in Hamburg an Alternativen möglich ist und unternommen wird, um die Stadt trotz Bevölkerungswachstum und notwendigem Wohnungsbau grün zu halten oder sogar noch grüner zu machen“, so Jens Kerstan. Er wünsche sich, dass es möglichst viele Nachahmende gibt. Derzeit sind nur etwa fünf Prozent der etwa 70 Millionen Quadratmeter Dachfläche in Hamburg begrünt. Möglich wären aber mehr als 50 %.

 

 

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Von Dipl.-Ing. Bernd Genath, freier Fachjournalist aus Düsseldorf