Stimmen zum Koalitionsvertrag: Effekte auf den Klima-, Strom- und Gebäudesektor
Nach mehrwöchigem Austausch hinter verschlossenen Türen ist das Ergebnis nun öffentlich: Die zukünftigen Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP haben ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Erste Reaktionen zu den energie- und klimapolitischen Plänen der Ampelkoalition hat die HLH für Sie zusammengetragen.
„Leidenschaftlich und vertrauensvoll“ hätten die drei Parteien in den vergangenen Wochen miteinander verhandelt hieß es am Mittwoch in Berlin. Das Ergebnis: Ein 177 Seiten umfassendes Arbeitspapier, das die Grundlage für die zukünftige Zusammenarbeit der Ampel-Koalition bilden soll. Das Thema Klimaschutz spielt darin eine tragende Rolle: Bis 2030 soll der Anteil erneuerbarer Energien im Strommix auf 80 % verdoppelt werden, der Kohleausstieg früher als ursprünglich geplant durch Marktinstrumente gelingen. Zudem will man die von der EU-Kommission vorgelegten Entwürfe für die Umsetzung des „European Green Deal“ unterstützen und das deutsche Klimaschutzgesetz erhalten. Ein weiterer Punkt: Anfang der 2030er Jahre sollen in Deutschland nur noch CO2-neutrale Autos verkauft werden. Von Vertretern führender Verbände gibt es dafür viel Lob.
Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie: Solides Fundament pro Wärmewende
Der Spitzenverband der Deutschen Heizungsindustrie sieht positive Anhaltspunkte, dass der seit 2020 eingeschlagene Weg, die Wärmewende über Anreize für die Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen, fortgesetzt werden soll. „Die Koalitionäre erkennen die zentrale Rolle des Wärmsektors für das Gelingen der Energiewende an und setzen den von der Vorgängerregierung eingeschlagenen Kurs in Richtung der dringend benötigten Wärmewende fort“, resümiert BDH-Präsident Uwe Glock. Ein weiteres positives Signal sieht der Verband in der geplanten Entlastung auf der Stromseite und dem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Beides wird die positive Entwicklung der Wärmepumpe weiter unterstützen. Das Vorhaben der Koalitionäre, Wasserstoff nicht auf einzelne Sektoren zu beschränken, stützt die seit langem vom BDH geforderte Technologieoffenheit gegenüber einem Einsatz im Wärmemarkt. Darüber hinaus sieht der Verband noch Klärungsbedarf, wie man beispielsweise Nutzungspflichten von erneuerbaren Energien ab 2025 für die Verbraucherinnen und Verbraucher praxisgerecht und sozialverträglich umsetzen kann. „Zur Erreichung der ambitionierten Ziele im Gebäudesektor brauchen wir unbedingt alle technischen Lösungen in Kombination mit dem Einsatz von erneuerbaren und klimaneutralen Energien, damit die Wärmewende für die Menschen bezahlbar bleibt. Hier werden künftig auch hybride Systeme eine stärkere Rolle als bisher spielen“, so BDH-Präsident Glock.
Bundesverband Erneuerbare Energie: Neustart in der Energiepolitik
„Klimaschutz zieht sich als Querschnittsthema durch alle Bereiche und die Energiewende ist als maßgeblicher Klimaschutz- und Konjunkturmotor in allen Sektoren erkannt“, kommentiert Dr. Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie e. V. (BEE) das Koalitionspapier. Nun gelte es, die formulierten Punkte zügig in dem angekündigten Klimaschutz-Sofortprogramm mit allen notwendigen Gesetzen, Verordnungen und Maßnahmen umzusetzen. Klimaneutralität solle demnach „unter konsequenter Nutzung der eigenen Potenziale Erneuerbarer Energien“ erreicht und der Erneuerbaren-Ausbau zu einer neuen Mission unter Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger gemacht werden. „Das kommt einem Neustart in der Energiepolitik gleich“, so Peter.
Der Strombedarf soll bis 2030 zu 80 % aus erneuerbaren Energien gedeckt werden, um eine Minderung der Treibhausgasemissionen um 65 Prozent zu erreichen. Das entspreche den Ergebnissen des BEE-2030-Szenarios und zeige die wichtige Rolle der Erneuerbaren für Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Wertschöpfung, erläutert Peter. Ebenso sei der angenommene Bruttostrombedarf im Jahr 2030 mit 680 bis 750 Terawattstunden realistisch. Der BEE hatte 745 Terawattstunden errechnet. In diesem Kontext sei es auch zu begrüßen, dass die Planungs- und Genehmigungsprozesse beschleunigt, Ausschreibungsmengen jährlich angepasst, zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie gesichert, Windenergie Offshore auf 30 Gigawatt ausgebaut, die Hemmnisse bei der Photovoltaik abgebaut, eine nachhaltige Biomasse-Strategie erarbeitet und das Potenzial der Geothermie genutzt werden soll. Auch das klare Bekenntnis zur Förderung der heimischen Produktion von grünem Wasserstoff sei zu begrüßen. „Damit ist der angestrebte Kohleausstieg bis 2030 versorgungssicher und sozial verträglich möglich und sollte auf diesen spätesten Zeitpunkt festgelegt werden. Ebenso ermöglicht der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien den zeitnahen Ersatz von Erdgas in der Stromerzeugung. Das ist vor 2040 nötig und möglich, wenn neben dem Erneuerbaren-Ausbau die Sektorkopplung vorangebracht, der Strommarkt auf erneuerbare Energien ausgerichtet und Abgaben und Umlagen reformiert werden“, so Peter. Mit Blick auf ein auf erneuerbare Energien angepasstes Strommarktdesign sollten flexibel steuerbare Elemente wie Biogas, Speicher oder Lastmanagement energiewendedienlich angereizt werden und Vorrang gegenüber Kapazitätsmärkten bekommen. „Mit der Abschaffung der EEG-Umlage zum 1. Januar 2023 muss die Refinanzierung der notwendigen Investitionen gesichert bleiben. Denn diese Investitionen werden benötigt“, fordert Peter. Im Wärmemarkt und im Verkehr müssten fossile Energien noch schneller ersetzt werden. Peter: „Der Ersatz von Erdgas-Heizungen durch Wärmepumpen, Solarthermie, Bioenergie und Geothermie muss jetzt vorangebracht werden. Blauer Wasserstoff ist hingegen keine Lösung, denn er manifestiert fossile Strukturen und Technologien.“
Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie: Ausbaupfad in Schnellstraße verwandeln
Auch beim Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) hofft man auf eine Stärkung der erneuerbaren Energien: „Der Ausbaupfad der Erneuerbaren muss jetzt wie angekündigt tatsächlich in eine Schnellstraße verwandelt, die Infrastruktur modernisiert und die Stromnetze digitalisiert werden“, sagt Wolfgang Weber, Vorsitzender der ZVEI-Geschäftsführung, denn es sei richtig, dass „die Koalition im Kern ihrer Klimaschutzprogrammatik auf die Elektrifizierung und Digitalisierung und ein massiv ausgebautes, flexibles Stromsystem setzt.“ Regenerativ erzeugter Strom brauche Netze, an die künftig andere Anforderungen gestellt werden, schon um den steigenden Strombedarf decken zu können. Es sei daher gut, dass die Planungs- und Genehmigungsverfahren dafür massiv ausgebaut werden sollen. „Genauso richtig ist es, dass die Koalition endlich die EEG-Umlage abschaffen will. Investitionen in die Elektrifizierung der Industrie, Mobilität und Gebäude wird damit auch wirtschaftlich attraktiver“, ist Weber überzeugt.
Zukunft Gas e. V.: Bereit für einen weiteren konstruktiven Austausch
Bei der Initiative von Unternehmen der deutschen Gaswirtschaft, Zukunft Gas e. V., fürchtet man derweil um die Bedeutung des Energieträgers: „Wichtig ist, dass die Rolle des Gassystems anerkannt wird. Für die Phase des Umbaus des Energiesystems ist Erdgas eine unersetzliche Transformationsenergie. Moderne Gaskraftwerke stoßen rund 65 % weniger CO2 aus als Braunkohlekraftwerke. Sie können aber vor allem den notwendigen Ausbau der Erneuerbaren absichern und gewährleisten eine sichere Versorgung, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht“, so Vorstand Dr. Timm Kehler. Heutige Gastechnologien wie Heizungen, Kraftwerke oder KWK-Anlagen würden bereits als wasserstofffähige Anlagen angeboten. Auch die Gasinfrastruktur sei in weiten Teilen schon bereit für Wasserstoff. Auch für den Gebäudesektor könne Kehler den konstruktiven Geist erkennen, der die zukünftige Regierung hoffentlich prägen werde: „Wir bewerten es als sehr positiv, dass auch hier ein technologieoffener Ansatz verfolgt wird, der sich daran orientiert, wie und vor allem dass CO2 eingespart wird, der aber keine Festlegungen auf einzelne Techniken trifft. Wir begleiten die Energiewende konstruktiv und sehen in der Koalitionsvereinbarung das Signal für einen weiteren konstruktiven Austausch.“
Hauptverband der Deutschen Bauindustrie: Serielles und modulares Bauen für bezahlbaren Wohnraum
Lob für die Pläne eines nachhaltigen Infrastrukturausbaus sowie für vorgesehene bauindustrielle Lösungen kommt vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V.: „Serielles und modulares Bauen tragen dazu bei, schnell bezahlbaren Wohnraum zu realisieren. Zur Erreichung der Klimaschutzziele im Gebäudesektor bekennen sich die Koalitionsparteien außerdem zurecht zu Technologieoffenheit, Lebenszyklusbetrachtung und Quartiersansätzen“, kommentiert Bauindustrie-Präsident Peter Hübner den Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien. Die entschiedenen Maßnahmen zur Planungsbeschleunigung, mehr Tempo bei der Digitalisierung sowie nachhaltige Bauweisen seien weitere wegweisende Pläne. „Mit einem eigenen Bundesbauministerium unterstreicht die neue Regierung nicht nur die volkswirtschaftliche Bedeutung des Baus in Deutschland, sondern auch die Rolle der Bauindustrie als Schlüsselbranche für Umwelt- und Klimaschutz und bezahlbaren Wohnraum“, so Hübner und ergänzt: „Der Anfang ist gemacht. Jetzt müssen Politik und Wirtschaft an einem Strang ziehen, um auch die strukturellen Voraussetzungen schnell zu schaffen. Hierzu gehören auch die Stärkung der Tarifautonomie sowie die geplante Flexibilisierung des Vergaberechts.“
Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft: Wichtig, die öffentliche Trinkwasserversorgung zu priorisieren
Zufrieden mit den Ausarbeitungen der Koalitionsparteien zeigt man sich auch beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW): „Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung enthält viele wichtige und dringend notwendige Impulse für den Schutz der Wasserressourcen“, so der BDEW-Hauptgeschäftsführer Wasser/Abwasser, Martin Weyand. Dies gelte insbesondere mit Blick auf Wassermanagement, Vermeidung von Einträgen in die Gewässer sowie die Vorlage einer Wasserstrategie. Erfreulich sei, dass sich die Koalition zu einer Nationalen Wasserstrategie mit Leitlinien zur Wasserentnahme sowie einem Vorrang der Trinkwasserversorgung bekennt. „Mit Blick auf die Folgen des Klimawandels ist es dringend erforderlich, der öffentlichen Trinkwasserversorgung einen Vorrang bei der Trinkwassernutzung einzuräumen“, fordert Weyand. Die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser für den menschlichen Gebrauch müsse bei der Nutzung von Trinkwasserressourcen immer an erster Stelle stehen. Sie sei Teil der Daseinsvorsorge. Dieser Vorrang müsse im Vollzug und bei der Ausgestaltung sowie Genehmigung der Wassernutzungsrechte konsequent umgesetzt werden. Außerdem hebt Weyand hervor: „Positiv ist auch, dass die neue Bundesregierung eine vorsorgende Klimaanpassungsstrategie erarbeiten möchte. Die Flutkatastrophe im vergangenen Sommer hat uns ein weiteres Mal eindrücklich vor Augen geführt, welchen Schaden und welches Leid Extremwetterereignisse anrichten können. Um die Auswirkungen von Extremwetterereignissen abzumildern, brauchen wir eine gut durchdachte Hochwasser- und Gewässerschutzpolitik. Wichtige Bausteine hierzu – wie die Unterstützung bei Investitionen in Klimaresilienz und klimafeste Infrastrukturen sowie Flächenentsiegelungsprojekte – sind im Koalitionsvertrag enthalten und sollten zeitnah umgesetzt werden.“
Allerdings gibt es von Seiten des BDEW auch Kritik: „Kritisch sehen wir, dass die neue Bundesregierung eine Novelle des Abwasserabgabengesetzes plant. Hierbei muss der Anreiz zur Vermeidung von Gewässerverunreinigungen sowie die Umsetzung einer Herstellerverantwortung der Maßstab sein. Es darf nicht sein, dass Bürgerinnen und Bürger allein die Kosten für die Einführung zusätzlicher Reinigungsstufen in der Abwasserentsorgung zahlen. Entscheidend ist es deshalb, dass die Novelle gleichzeitig Anreize zur Vermeidung von Gewässerverunreinigungen bei den Herstellern schafft“, so Weyand. Eine Möglichkeit hierzu böte ein Fondsmodell, das die Kosten zur Abwasserreinigung nach dem Verursacherprinzip umlegt.
Klima-Allianz Deutschland: Nun kommt es auf die Umsetzung an
Abwartend äußert sich die Klima-Allianz Deutschland zu den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen. „Mit dem Koalitionsvertrag ist seit langem erstmals Bewegung in den Klimaschutz gekommen. Ob daraus der dringend notwendige Aufbruch wird, hängt nun von der Umsetzung ab“, sagt Dr. Christiane Averbeck, Geschäftsführerin der Klima-Allianz Deutschland. „Positive Ansätze und Bewegung sehen wir bei der Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien auf 80 % der Stromerzeugung bis 2030. Die neue Bundesregierung muss nun sicherstellen, dass der Kohleausstieg tatsächlich auch 2030 kommt.“ Zudem habe man sich beim Klimaschutzgesetz ein stärkeres Bekenntnis gewünscht, die Klimaziele in Einklang mit dem 1,5 Grad-Ziel zu bringen. „Auch in punkto Gas hätte es eine Verständigung für ein konkretes, früheres Ausstiegsdatum gebraucht, der Aufbau neuer überdimensionierter Gasinfrastruktur ist kontraproduktiv“, so Averbeck. Grundsätzlich begrüße man die Fortschritte beim Klimaschutz. Nun komme es auf die Umsetzung und das Sofortprogramm für den Klimaschutz an.
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