Zum E-Paper
Fraunhofer IEG testet Mikrobohrturbine 29.05.2024, 08:30 Uhr

Unterirdische Wärmespeicher: Bohrtechnik für effiziente Fließwege

Eine neu entwickelte Mikrobohrturbine soll die Leistungsfähigkeit unterirdischer Energiespeicher verbessern. Erste Praxiserfahrungen sammelten die Entwickler des Fraunhofer IEG in der Schweiz.

Bohrplatz in direkter Nachbarschaft zur Energiezentrale Forsthaus. Foto: N. Geissler/ Fraunhofer IEG

Bohrplatz in direkter Nachbarschaft zur Energiezentrale Forsthaus.

Foto: N. Geissler/ Fraunhofer IEG

Der Untergrund ist eine wichtige Ressource für die Wärmewende. Abwärme aus dem Gewerbe lässt sich dort im Sommer speichern und im Winter für die Heizung von Wohngebäuden nutzen. Durch den Einsatz eines neuen Bohrverfahrens ist es Forschenden der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG nun gelungen, die Speicherkapazitäten für Wasser zu erweitern – und das in bis zu 500 Metern Tiefe. Die Bohrtätigkeit war Teil einer laufenden Erschließung unter der Schweizer Hauptstadt Bern, die in kommenden Projektphasen zum Wärmespeicher ausgebaut werden soll.

Radiale Nebenarme erhöhen die Durchlässigkeit

„Wärmespeicher sind ein wichtiger Baustein der Wärmewende“, so Niklas Geissler vom Fraunhofer IEG, der mit seinem Team das Verfahren „Micro Turbine Drilling (MTD) – Bohren mittels Mikrobohrturbine“ entwickelt hat. Die Turbine kann aus konventionellen Bohrlöchern heraus eingesetzt werden, um radiale Nebenarme in das Speichergestein zu bohren. Dadurch vergrößert sie kontrolliert und zuverlässig die innere Oberfläche des Bohrlochsystems und erhöht dadurch die Durchlässigkeit für das Arbeitsmedium Wasser. „Wir sind sehr stolz, mit unserem Verfahren beizutragen, sodass innovative Projekte wie jenes der Berner Stadtwerke erfolgreich werden“, sagt Geissler.

Von den senkrechten Hauptbohrungen ausgehend, bohrt MTD horizontale Nebenarme (schematische Darstellung, nicht maßstabstreu). Grafik: N. Geissler / Fraunhofer IEG.

Energievorrat von bis zu 15 Gigawattstunden Wärme

Der regionale Energieversorger „Energie Wasser Bern ewb“ entwickelt an seiner Energiezentrale Forsthaus das Pilotprojekt „Geospeicher“. Es soll überschüssige Wärme speichern und im Winterhalbjahr nutzen. In der Energiezentrale betreibt ewb eine Kehrichtverwertungsanlage, ein Holzheizkraftwerk und ein Gas- und Dampf-Kombikraftwerk. Diese Anlagen erzeugen Strom und Wärme. Die produzierte Wärme wird an das Fernwärmenetz abgegeben. Insbesondere im Sommer aber kann die Wärme aus der Kehrichtverbrennung nicht vollständig genutzt werden. Im Winter hingegen wäre diese Wärme sehr gefragt.

Hier setzt das Pilotprojekt „Geospeicher“ an. Im Sommer soll das Speichergestein in einer Tiefe bis zu 500 Metern mit überschüssiger Abwärme der Energieanlagen erhitzt werden. Der Sandstein im Untergrund würde mit 90 Grad heißem Wasser erwärmt wie ein Kachelofen. In den Wintermonaten ließe sich die gespeicherte Energie des Gesteins dann wieder mit Wasser als Arbeitsmedium bei etwa 60 Grad Celsius zurückgewinnen und in das Fernwärmenetz einspeisen – also genau dann, wenn der Bedarf hoch ist. Auf diese Weise könnte der Energieversorger einen saisonalen Energievorrat von 12 bis 15 Gigawattstunden Wärme anlegen. Der Geospeicher würde die Effizienz der Energiezentrale weiter steigern, den Bedarf an Rohstoffen senken und die Emissionen an Treibhausgasen reduzieren, so das Fraunhofer IEG.

Über 20 Nebenarme in 500 Metern Tiefe

Mittlerweile sind drei Hauptbohrlöcher bis zu einer Tiefe von 500 Metern gebohrt worden. Dabei stieß man auf Sandstein in mehreren Schichten, die insgesamt 35 Meter mächtig sind. Die Auswertung der geologischen Daten und erste Zirkulationstests haben gezeigt, dass die Gesteinsschichten kompakter sind als erhofft und die erreichbare Zirkulation von Wasser nicht den notwendigen Wärmeein- und -austrag erbringen kann. Um die Zirkulation zu verbessern, hat das Team des Fraunhofer IEG nun mit der neu entwickelten Technologie weitere Wegsamkeiten für das Wasser gebohrt.

Die Mikrobohrturbine wurde dafür mit einem speziellen Bohrmeißel ausgestattet. Mit Abmessungen von gerade einmal 3,6 Zentimetern im Durchmesser und fünf Zentimetern in der Länge ist das Gerät extrem klein. Die Mikrobohrturbine ist an einem Schlauch befestigt, über den sie mit bis zu 150 Liter Wasser pro Minute bei etwa 150 bar Eingangsdruck angetrieben wird, um den Meißel in Rotation zu versetzen. Dieser besteht aus einer Wolframcarbid-Matrix mit eingearbeiteten Diamantkörnern und schleift sich mit bis zu 80.000 Umdrehungen pro Minute zunächst durch die Stahlverrohrung der Bohrung und anschließend weiter in das Gestein. In einer Stunde schafft die Turbine mehrere Meter. Das Wasser, das die Mikroturbine antreibt, dient zugleich als Kühlung, damit der Bohrer nicht heiß läuft, und auch als Spülung, um den Bohrstaub abzutransportieren. Insgesamt wurden im Projekt „Geospeicher“ auf diese Weise mehr als 20 Nebenarme mit einer Durchschnittslänge von fünf Metern erbohrt. Energie Wasser Bern führt nun die weiteren hydraulischen Tests durch, die die notwendigen Daten für die nächsten Ausbauphasen liefern sollen.

Ebenfalls interessant:

  1. Rechtsgutachten zu „Fernwärme-Zwang“
  2. Wärmeerzeuger: Absatzeinbruch im ersten Quartal
  3. UBA: Wärme- und Kälteplanung kombinieren
Von Fraunhofer IEG / Marc Daniel Schmelzer