Welcher Toleranzrahmen gilt bei Kostenüberschreitung?
Immer wieder ergeben sich nach Ausführung einer Bauleistung höhere Kosten als im Vorfeld vorgesehen, insbesondere als in einer Kostenobergrenze vorgegeben. Unter welchen Umständen haftet der Planer?
Das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 17. 9. 2020 – 17 U 75/19) hatte im Fall einer Kostenobergrenze zu entscheiden: Der Auftraggeber hat den beklagten Architekten mit Planungsleistungen für ein Einfamilienhaus beauftragt. Streitig ist, ob eine Baukostenobergrenze vereinbart worden ist. Der Kläger behauptet, in dem Gespräch, in dem der Auftrag erteilt worden war, habe er auf „ein unbedingt zu beachtendes Kostenlimit von 339 924 Euro hingewiesen“. Der Beklagte habe sich damit einverstanden erklärt. Während der Bauausführung kam es zu Streitigkeiten über die Baukosten, die zur Kündigung des Vertrages durch den Auftraggeber führten. Tatsächlich habe das Objekt 392 450 Euro gekostet. Der Kläger macht Schadensersatz geltend.
Haftung, wenn die Kosten explodieren – Bausummengarantie und Beschaffenheitsvereinbarung
Das Gericht stellt fest, es sei jedenfalls keine Bausummengarantie vereinbart worden. Bei einer Bausummengarantie muss der Planer unbedingt und ohne, dass es auf ein Verschulden ankommt, für die Einhaltung der Summe einstehen. Er haftet in Höhe der tatsächlichen Kostendifferenz (und nicht nur auf Schadensersatz) – auch für Umstände, die er nicht beeinflussen kann, etwa konjunkturell bedingte Baukostensteigerungen oder Mehrkosten durch witterungsbedingte Verzögerungen. Ausgenommen sind lediglich Mehrkosten, die auf Sonderwünschen des Auftraggebers beruhen. Wegen dieser weitreichenden Folgen kann die Erklärung eines Planers, eine bestimmte Bausumme einhalten zu wollen, grundsätzlich nicht als Garantie ausgelegt werden. Es kann aber eine Baukostenobergrenze vorliegen. Deren Vereinbarung wird als Beschaffenheitsvereinbarung verstanden. Damit ein Werk mangelfrei ist, muss es in erster Linie den vereinbarten Beschaffenheiten entsprechen (§ 633 Abs. 2 Satz 1 BGB). Neben anderen Beschaffenheiten – etwa Planung als Nullenergiehaus – kann auch die Einhaltung bestimmter Baukosten vereinbart werden. Eine Beschaffenheitsvereinbarung liegt nur vor, wenn die unbedingte Einhaltung der Kosten vereinbart wird; Circa-Vorgaben genügen nicht.
Gericht: Toleranzgrenze nach den Umständen des Einzelfalls
Das Gericht lässt offen, ob eine Kostenobergrenze vereinbart ist, weil es nach seiner Ansicht darauf nicht ankommt. Das Gericht gesteht dem Planer nämlich einen gewissen Toleranzrahmen zu. Nicht jede Abweichung von den in den Kostenermittlungen des Planers enthaltenen Zahlen könne zu einer Haftung unter dem Gesichtspunkt der Baukostenüberschreitung führen. Die Toleranzgrenze bestimme sich nach den Umständen des Einzelfalls. Mit zunehmendem Genauigkeitsgrad der Kostenermittlungen verringere sich der Toleranzrahmen. Es könne regelmäßig von folgenden Werten ausgegangen werden: Bei der Kostenschätzung sei dem Planer eine Toleranz von 30 bis 40 % (bezogen auf die Kostenfeststellung) einzuräumen, bei der Kostenberechnung 20 bis 25 %, beim Kostenanschlag (heute: bepreiste Leistungsverzeichnisse) zehn bis 15 %. Der Auftraggeber müsse darlegen und beweisen, dass der Planer den Toleranzrahmen überschritten habe. Vorliegend hatte der Kläger die Überschreitung des Toleranzrahmens nicht dargelegt. In den tatsächlichen Kosten waren auch Kosten der Ausstattung enthalten, die dem Beklagten nicht zuzurechnen waren. Nach deren Abzug lag die Überschreitung der Kostenobergrenze unter zehn Prozent und damit nach Ansicht des Gerichts innerhalb des Toleranzrahmens.
Konzept des Toleranzrahmens fragwürdig
Die Entscheidung ist kritisch zu betrachten. Literatur und Rechtsprechung erkennen allerdings Toleranzrahmen an. Dies gilt indessen (bislang) für Fälle, in denen keine Baukostenobergrenze vereinbart ist. Die Leistung des Planers kann mangelhaft sein, wenn er die Kostenermittlungen fehlerhaft aufstellt. Aufgrund des Prognose-Charakters und damit verbundener unvermeidbarer Unsicherheiten und Unwägbarkeiten sollen aber Abweichungen, soweit sie sich in einem gewissen Rahmen halten, keinen Mangel darstellen (für grobe Fehler kann der der Toleranzrahmen nicht in Anspruch genommen werden).
Das Oberlandesgericht Hamm überträgt – soweit ersichtlich erstmals – Toleranzrahmen auf eine Kostenobergrenze. Dies erscheint kritikwürdig. Schon das Konzept der Toleranzrahmen generell ist meines Erachtens fragwürdig, weil es vom konkreten Fehlverhalten (oder Nichtfehlverhalten) des Planers absieht und rein auf abstrakte Werte abstellt. Eine vereinbarte Beschaffenheit, die das Ziel hat, die Anforderungen des Werkes zu definieren und damit auch festlegt, wann das Werk mangelfrei ist, kann jedenfalls nicht durch Toleranzen unterlaufen werden. Die Beschaffenheitsvorgabe soll gerade die präzisen Anforderungen des Auftraggebers festlegen und zum Maßstab der Vertragserfüllung machen. Bei einer Bauleistung genügt es nicht, dass das Werk ungefähr den auftraggeberischen Vorgaben entspricht, sondern die Beschaffenheiten müssen präzise eingehalten werden. Auch eine gleichwertige oder sogar bessere Ausführung als vorgegeben ist mangelhaft. Nichts anderes kann für Beschaffenheitsvereinbarungen bei Planungsverträgen gelten. Toleranzrahmen haben hier keinen Platz, wenn sich nicht im Vertrag ausnahmsweise Anhaltspunkte finden, dass die Vorgabe nicht strikt verbindlich sein soll.
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