Wenn auf der Baustelle nichts passiert …
Die Aufträge sind vergeben, die Fristen definiert und dennoch geht es mit dem Bauprojekt nicht voran: Welche Möglichkeiten haben Auftraggeber, wenn eine Bauleistung nicht pünktlich aufgenommen wird oder es auf der Baustelle an Personal und Material fehlt?
Nach Paragraf 8 Absatz 3 und Paragraf 5 Absatz 4 VOB/B kann der Auftraggeber einen Vertrag aus wichtigem Grund kündigen, wenn der Auftragnehmer mit der Bauleistung nicht fristgerecht beginnt, mit der Vollendung in Verzug kommt oder trotz Abhilfeaufforderung die Baustelle nicht hinreichend mit persönlichen und sachlichen Mitteln ausstattet.
Kündigung bei mehrfacher Fristüberschreitung?
Über einen derartigen Fall hatte das Kammergericht in Berlin zu entscheiden (Urteil vom 24. 1. 2024 – 27 U 154/21). Der Auftraggeber hatte einen Unternehmer mit Leistungen beauftragt, die von Juli 2010 bis Juli 2011 erbracht werden sollten. Wegen fehlender Fertigstellung der Leistungen eines Vorunternehmers konnte die Leistung erst ab der zweiten Jahreshälfte 2011 erbracht werden. Der Auftraggeber forderte den Auftragnehmer am 15.9.2011 auf, mit der Ausführung der Leistung bis zum 22.9.2012 zu beginnen. Der Unternehmer bestätigte diesen Termin und hat seine Leistung aufgenommen. Unter Berufung auf fehlende Baufreiheit in weiten Bereichen hat der Auftragnehmer allerdings nur vereinzelte Teilleistungen erbracht. Der Auftraggeber forderte den Auftragnehmer wiederholt unter Fristsetzung und Kündigungsandrohung dazu auf, seine Leistungen zu erbringen, zuletzt am 23.7.2012 mit Frist bis zum 24.7.2012. Da der Auftragnehmer dem nicht Folge leistete, kündigte der Auftraggeber den Vertrag am 27.7.2012. Das Gericht hatte zu prüfen, ob es sich bei der Kündigung um eine ordentliche oder eine Kündigung aus wichtigem Grund handelte.
Zunächst stellte sich die Frage, ob überhaupt verbindliche Fristen zwischen den Vertragsparteien bestanden, da die im Vertrag vereinbarten Fristen überholt waren. Das Gericht stellt ausdrücklich klar, dass Vertragsfristen nicht nur bei Abschluss des Vertrages, sondern auch während der Bauausführung vereinbart (nicht einseitig vorgegeben) werden können.
Das Gericht sieht in der Aufforderung zur Leistungsaufnahme und der Bestätigung des Auftragnehmers die stillschweigende Vereinbarung eines neuen Vertragstermins. Aus der ursprünglich vorgesehenen Bauzeit von einem Jahr schließt das Gericht, dass der Auftragnehmer seine Leistung bis zum 22.9.2012 fertigstellen muss. Das Gericht stellt klar, dass sich dasselbe auch ohne Vereinbarung aus Paragraf 6 Absatz 4 VOB/B ergibt, wonach der Auftragnehmer im Behinderungsfall so viel später fertig werden darf, wie er durch die Behinderung verloren hat.
Prognoseentscheidung auf Basis der konkreten Umstände
Werden Arbeitskräfte, Geräte, Gerüste, Stoffe oder Bauteile zu unzureichend auf der Baustelle vorgehalten, dass offenbar Vertragstermine nicht eingehalten werden können, hat der Auftragnehmer nach Paragraf 5 Absatz 3 VOB/B unverzüglich Abhilfe zu schaffen. Eine Frage, die sich vielfach stellt: Unter welchen Umständen kann der Auftraggeber davon ausgehen, dass die Fristen offenbar nicht eingehalten werden können? Das Gericht hält dies für gegeben, wenn der mit den bisher auf der Baustelle vorhandenen Ressourcen erzielte Baufortschritt zu der bereits verstrichenen Bauzeit in einem derartigen Missverhältnis steht, dass nach allgemein anerkannter Erfahrung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erwartet werden kann, dass die Gesamtfertigstellung bis zum Ablauf der Ausführungsfrist stattfinden wird. Es handelt sich um eine Prognoseentscheidung aufgrund der konkreten Umstände: Ist angesichts der bereits erbrachten Leistung zu erwarten, dass die Restleistung im Rahmen der noch zur Verfügung stehenden Zeit ohne beschleunigende Maßnahmen abgewickelt werden kann?
Im konkreten Fall waren bereits zehn von zwölf Monaten Bauzeit abgelaufen, der Auftragnehmer hatte aber lediglich neun Prozent der Leistung erbracht. Damit sind nach Ansicht des Gerichts die Voraussetzungen gegeben. Der Auftraggeber konnte dem Auftragnehmer eine angemessene Frist zur Aufstockung seiner Ressourcen setzen.
Die Frist ist angemessen, wenn sie dem Auftragnehmer hinreichend Zeit gibt, die anstehenden Arbeiten vorzubereiten sowie Material, Geräte und Personal auf die Baustelle zu bringen. Es ist zu berücksichtigen, dass dem Auftragnehmer seine Verpflichtung grundsätzlich bekannt sein muss. Im vorliegenden Fall hatte der Auftraggeber eine Frist von nur einem Tag gesetzt. Angesichts der Tatsache, dass der Auftraggeber den Auftragnehmer bereits wiederholt fruchtlos aufgefordert hatte, die Baustellenbesetzung aufzustocken, hat das Gericht diese kurze Frist für angemessen erachtet.
Fehlende Baufreiheit
Das ganze Prozedere wäre nicht gerechtfertigt, wenn der Auftragnehmer wegen fehlender Baufreiheit gar nicht leisten konnte und der Auftraggeber sich in Annahmeverzug befand. Das Gericht stellt heraus, dass sich der Auftragnehmer nur dann auf mangelnde Baufreiheit berufen kann, wenn er vollständig in seiner Leistungserbringung gehindert ist. Sind Teilleistungen möglich, muss der Auftragnehmer diese erbringen. So war es im zu entscheidenden Fall. Zudem stellte das Gericht fest, dass die tatsächlich partiell bestehenden Hindernisse nicht aus dem Bereich des Auftraggebers stammten, sondern dem Auftragnehmer anzulasten waren, der aufgrund einer fehlerhaften Auslegung des Vertrages meinte, bestimmte Leistungen als Vorleistungen vom Auftraggeber beanspruchen zu können, die tatsächlich von ihm selbst zu erbringen waren.
Nach Fristsetzung mit Kündigungsandrohung konnte daher der Auftraggeber wirksam kündigen (Paragraf 8 Absatz 3 Nr. 1 iVm. Paragraf 5 Absatz 4 VOB/B).
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