Wo ist das Infektionsrisiko am höchsten?
Im Supermarkt, in der Schule oder dem eigenen Wohnzimmer – eine Infektion mit dem neuartigen Corona-Virus ist überall möglich. Aber wo ist das Risiko am höchsten? Das Hermann-Rietschel-Institut (HRI) hat die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung für verschiedene Alltags-Szenarien berechnet.
Eine Infektion über die Atemluft gilt derzeit als Hauptübertragungsweg für eine Ansteckung mit dem neuartigen Corona-Virus. Wissenschaftler und Ärzte empfehlen deshalb die Luft in Innenräumen regelmäßig auszutauschen und dadurch die Konzentration der Viren in der Raumluft abzusenken. Mit einem komplexen Berechnungsmodell haben Forscher des Hermann-Rietschel-Instituts jetzt analysiert, wie sich Aerosolkonzentration und Infektionsrisiko in verschiedenen Alltagssituationen durch das Zuführen virenfreier Außenluft verändern. Das Ergebnis: Besonders kritisch stufen die Berliner die untersuchten Szenarien für Klassenräume und Restaurants ein.
Die Grundlagen der Simulation im Überblick
Für seine Berechnungen betrachtete das HRI insgesamt sieben Raumszenarien:
- einen Besprechungsraum (Raumfläche: 30 Quadratmeter, 10 Personen, typische Aufenthaltsdauer: zwei Stunden)
- einen Büroraum (Raumfläche: 20 Quadratmeter, zwei Personen, typische Aufenthaltsdauer: acht Stunden)
- ein Klassenzimmer (Raumfläche: 90 Quadratmeter, 29 Personen, typische Aufenthaltsdauer: 6 mal 45 Minuten)
- ein Restaurant (Raumfläche: 60 Quadratmeter, 30 Personen, typische Aufenthaltsdauer: zwei Stunden)
- einen Supermarkt (Raumfläche: 1.500 Quadratmeter, 300 Personen, typische Aufenthaltsdauer: 30 Minuten)
- einen Veranstaltungsraum (beispielsweise ein Kino, Raumfläche: 340 Quadratmeter, 85 Personen, typische Aufenthaltsdauer: drei Stunden) sowie
- ein durchschnittliches Wohnzimmer (Raumfläche: 20 Quadratmeter, vier Personen, typische Aufenthaltsdauer: eine Stunde).
Als virenfreie Zuluft wurde ausschließlich Frischluft (Außenluft) angenommen, damit eine übliche Verbindung zur Luftqualität über die CO2-Konzentration hergestellt werden kann. Betrachtet wurden vier Lüftungssituationen (ohne Unterscheidung zwischen Fensterlüftung und maschineller Lüftung):
- keine Lüftung – Fenster geschlossen
- mäßig gelüftet – mittlere CO2-Konzentration etwa 2.000 ppm (15 m³/(h · Per)
- gut gelüftet – mittlere CO2-Konzentration etwa 1.200 ppm (30m³/(h · Per)
- sehr gut gelüftet – mittlere CO2-Konzentration etwa 1.000 ppm(40m³/(h · Per)
In allen betrachteten Szenarien wurde angenommen, dass eine infizierte Person den Raum betritt. Alle weiteren Personen (ausschließlich Erwachsene) befinden sich bereits in dem Raum oder betreten ihn gemeinsam mit der infizierten Person. Abstandsregeln werden eingehalten. Würde der Mindestabstand zwischen den Personen nicht eingehalten, wäre generell mit einem deutlich höheren Infektionsrisiko zu rechnen, so das HRI. Nach einer für jedes Szenario individuell definierten, typischen Aufenthaltsdauer verlassen alle Personen gemeinsam den Raum. Für die Berechnung berücksichtigt wurden nur die Aerosolpartikel, die die infizierte Person abgibt, da nur von diesen ein Infektionsrisiko ausgeht.
Höchste Infektionswahrscheinlichkeit im Zweier-Büro, höchste Infektionszahlen im Klassenzimmer und Restaurant
Basierend auf einem komplexen Berechnungsmodell haben die Wissenschaftler des HRI aufbauend auf der Konzentration an Aerosolpartikeln das Risiko einer Infektion abgeschätzt. Dabei wurde davon ausgegangen, dass die Personen keine Masken tragen. Das höchste Risiko sich zu infizieren besteht demnach in einem Zwei-Personen-Büro, wenn eine der beiden Personen bereits infiziert ist. Allerdings müsse berücksichtigt werden, so das HRI, dass in diesem Fall nur eine weitere Person erkrankt, während beispielsweise in einem Besprechungsraum trotz sehr guter Lüftung und eines geringen Risikos mit hoher Wahrscheinlichkeit direkt drei der neun gesunden Personen infiziert würden. Zudem ist bei der betrachteten Bürosituation die Aufenthaltszeit mit acht Stunden die längste unter allen untersuchten Begegnungen.
Als besonders kritisch – bezogen auf die Anzahl der potenziell Neuinfizierten – stellt sich das Szenario des Klassenzimmers und des Restaurant dar. Für das Klassenzimmer sind besonders die langen Aufenthaltszeiten kritisch, während für das betrachtete Restaurant die Aufenthaltszeit zusammen mit der vermehrten Aktivität (viele sprechende Personen) ausschlaggebend für die hohe Infektionswahrscheinlichkeit sind. Sowohl das private Umfeld (Wohnzimmer) als auch der Supermarkt sind in den gewählten Situationen als weniger kritisch einzustufen, so das HRI. Bei dem Veranstaltungsraum, der ebenfalls ein geringes Risiko beziehungsweise wenige neuinfizierte Personen zeigt, müsse allerdings beachtet werden, dass die betrachtete infizierte Person im Publikum angenommen wurde. Würde man davon ausgehen, dass die infizierte Person als Sängerin/Sänger auf der Bühne steht, liege das Infektionsrisiko deutlich höher (zwischen 65 und 75 %). Damit steigt auch die Zahl der potenziell neuinfizierten Personen (55 bis 65). „Zusammenfassend, kann gesagt werden, dass die Zufuhr von viel sauberer Außenluft, geringere Aufenthaltszeiten sowie die Einhaltung des Abstandes zu einer deutlichen Reduktion des Infektionsrisikos führen“, so die Berliner Wissenschaftler. Zusätzlich seien große Räume dann als weniger kritisch zu bewerten, wenn die Aufenthaltszeit kurz ist (Supermarkt). Ein Infektionsrisiko von Null könne praktisch nie erreicht werden. Räume mit beschränkter Personenanzahl haben aber den Vorteil, dass nur wenige weitere Personen angesteckt werden können.
Tool zur Berechnung des Infektionsrisikos
Für individuelle Berechnungen hat das Hermann-Rietschel-Institut auf seiner Webseite ein Tool bereitgestellt, mit dem das Infektionsrisiko via Aerosole in Innenräumen überprüft werden kann. Die Berechnungen basieren auf der gemeinsamen Veröffentlichung „Predicted Infection Risk for Aerosol Transmission of SARS-CoV-2“ von Wissenschaftlern der Technischen Universität Berlin, der Charité, dem Robert-Koch-Institut und einem Gesundheitsamt in Berlin.
Mit dem folgenden Link geht es zum Podcast „Technik aufs Ohr“, Folge 31: Ist Fensterlüftung das beste Mittel gegen Corona-Viren?
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