Worauf ist bei einer insolvenzbedingten Kündigung zu achten?
Nach Paragraf 8 Absatz 2 VOB/B liefert die Insolvenz eines Unternehmen einen ausreichenden Grund, um einen bestehenden Vertrag zu kündigen. Dennoch sollte der Auftraggeber sorgfältig prüfen, ob eine Kündigung sinnhaft und verlustfrei durchgesetzt werden kann.
Ein Bespiel aus der Praxis: Das Oberlandesgericht Dresden (Urteil vom 23. Juni 2023 – 22 U 2617/22) hatte über eine Vergütungsklage zu entscheiden. Der Auftraggeber hatte den Auftragnehmer gemäß VOB/B mit Bauleistungen beauftragt. Nach Einleitung eines Insolvenzverfahren auf Antrag des Auftragnehmers – noch bevor dieser Leistungen ausgeführt hatte – hatte der Auftraggeber mit dem Insolvenzverwalter mehrfach über die Fortführung der Arbeiten gesprochen. Der Insolvenzverwalter hatte der Fortführung des Vertrages zugestimmt. Dennoch kündigte der Auftraggeber. Der Insolvenzverwalter des Auftragnehmers klagte pauschal auf entgangenen Gewinn und auf Erstattung der Kosten bereits gekauften Materials abzüglich eines Erlöses aus dem Rückverkauf.
Ein Anspruch des Insolvenzverwalters entfällt, wenn der Auftraggeber aus wichtigem Grund gekündigt hat. Paragraf 8 Absatz 2 Nr. 1 VOB/B lässt eine Kündigung aus wichtigem Grund zu, wenn der Auftragnehmer seine Zahlungen einstellt oder von ihm, dem Auftraggeber oder einem anderen Insolvenzantrag gestellt wird, oder das Verfahren eröffnet oder die Eröffnung des Verfahrens mangels Masse abgelehnt wird.
Fortführung des Vertrages: Insolvenzverwalter hat die Wahl
Hier hatte der Auftragnehmer Insolvenzantrag gestellt, der Insolvenzverwalter aber die Fortführung des Vertrages angekündigt. Es war vor einigen Jahren streitig, ob das Kündigungsrecht bei Insolvenz des Auftragnehmers wirksam sei. Die Insolvenzordnung gibt nämlich dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht, ob er den Vertrag fortführen möchte. Dieses Wahlrecht wird im Fall der Kündigung obsolet.
Nach aktuellem Stand der Rechtsprechung kann der Auftraggeber grundsätzlich aus wichtigem Grund kündigen. Ist allerdings das Insolvenzverfahren eröffnet, scheidet das Kündigungsrecht des Auftraggebers jedenfalls dann aus, wenn der Insolvenzverwalter sein Wahlrecht im Sinne der Fortführung des Vertrages ausgeübt hat. Daher war die Kündigung aus wichtigem Grund nicht wirksam.
Die Kündigungserklärung bleibt dennoch nicht ohne Wirkung; vielmehr wird sie in einem solchen Fall als ordentliche Kündigung aufrechterhalten, allerdings mit der für den Auftraggeber nachteiligen Folge, dass er auch die kündigungsbedingt nicht mehr zu erbringenden Leistungen vergüten muss, wenn auch unter Anrechnung ersparter Aufwendungen und anderweitigen Erwerbs.
Grundsätzlich muss der Auftragnehmer im Fall der ordentlichen Kündigung bei der Ermittlung der Vergütung prüfbar zwischen den erbrachten Leistungen (volle Vergütung) und den nicht mehr erbrachten Leistungen (Abzug wegen ersparter Aufwendungen) differenzieren. Da der Auftragnehmer mit den Leistungen noch nicht begonnen hatte, entfiel hier dieses Erfordernis.
Materialkosten: Wenn der Erlös durch den Verkauf geringer als die Anschaffungskosten ist
Typischerweise stellen Materialkosten ersparte Aufwendungen dar. Im vorliegenden Fall handelte es sich jedoch um Material, das speziell für dieses Bauvorhaben angeschafft worden war und sich nicht (kurzfristig) anderweitig verwerten ließ. Dann sind die Aufwendungen dafür nicht erspart. Nach Treu und Glauben und im Sinne der Schadensminderung hat der gekündigte Auftragnehmer aber in so einem Fall das beschaffte Material dem Auftraggeber zum Erwerb anzubieten und zu übereignen oder es anderweitig zu verwerten. Dies hat der Insolvenzverwalter hier getan, indem er das Material an die Lieferanten rückverkauft hat. Die Lieferanten haben das Material allerdings zu einem niedrigeren Preis zurückgenommen als es vorher verkauft worden war. Die Differenz ist als nichtersparte Aufwendungen vom Auftraggeber zu erstatten. In dieser Höhe hat das Gericht einen Anspruch zugesprochen. Anderweitige Aufträge hat der Auftragnehmer wegen der Insolvent nicht mehr erlangen können.
„Entgangener Gewinn“ auch bei VOB-Vertrag
Paragraf 648 BGB, der für nicht der VOB/B unterliegende Verträge die ordentliche Kündigung regelt, spricht in Satz 3 die Vermutung aus, dass der Vergütungsanspruch des gekündigten Unternehmers für die ausstehenden Leistungen fünf Prozent der auf die gekündigten Leistungen entfallenden Vergütung (unter Berücksichtigung ersparter Aufwendungen und anderweitigen Erwerbs) beträgt. Landläufig wird zuweilen vom „entgangenen Gewinn“ gesprochen. Diesen Anspruch auf „entgangenen Gewinn“ hat der Insolvenzverwalter ergänzend eingefordert.
Die Regelung ist auch in VOB-Verträgen anzuwenden. Das Gericht stellt aber klar, dass es sich nicht um einen eigenständigen Anspruch handelt, der neben den Anspruch aus Paragraf 8 Absatz 1 Nr. 2 VOB/B tritt, sondern nur um eine Beweislastregelung zugunsten des Auftragnehmers: Wenn er seinen Anspruch nicht konkret nachweisen kann, kann er regelmäßig zumindest fünf Prozent der Vergütung geltend machen. Hier hatte der Insolvenzverwalter aber konkret nicht ersparte Aufwendungen eingeklagt (die auch höher als fünf Prozent ausfielen); er bedarf also der Beweisregel nicht.
Der vom Gericht festgestellte Anspruch des Insolvenzverwalters ist durch Aufrechnung mit einer Rückforderung aus Überzahlung wieder erloschen. Der Auftraggeber hatte dem Auftragnehmer schon vor Leistungsbeginn eine Abschlagszahlung geleistet, die der Auftragnehmer mangels Ausführung der Leistung nicht behalten darf. Die Aufrechnung ist durch die Insolvenz nicht gehindert