Mechatronische Hinterachslenkung für Elektro-SUV
Eine Hinterachslenkung mit Planetenwälzgewindetrieb wird künftig in einem Elektro-SUV eingesetzt; Serienanläufe bei weiteren Fahrzeugherstellern sollen folgen.
Mehr Agilität in Kurven, mehr Manövrierfähigkeit in der Stadt: Die neue mechatronische Hinterachslenkung von Schaeffler hat jüngst ihre Premiere im elektrischen SUV eines renommierten Fahrzeugherstellers gefeiert. Wie Schaeffler ausführt, gewinnen die Fahrzeuge aufgrund des neuen Lenksystems für die Hinterachse im Stadtverkehr an Handlichkeit, bei Spurwechseln an Stabilität und beim Parken an Manövrierbarkeit. „Schaeffler hat sich vom Komponentenanbieter für Fahrwerksysteme zum Lieferanten für komplette Lenkungssysteme entwickelt. Dafür haben wir in diesem Zukunftsfeld in den letzten Jahren umfangreiche Kompetenzen aufgebaut und wollen hier deutlich wachsen“, sagt Matthias Zink, Vorstand Automotive Technologies der Schaeffler AG.
Das Besondere an der neuen Hinterachslenkung des Unternehmens sei der Planetenwälzgewindetrieb, eine weltweit einzigartige Entwicklung, die auf hochpräziser Mechanik aus der hauseigenen Industrietechnik beruhe. Damit gelinge es Schaeffler, ein System herzustellen, das besonders klein, leise und leicht sei und sich einfach in Fahrzeuge integrieren lasse. Neben seinem ersten Kunden überzeugte der Zulieferer so auch weitere Automobilhersteller, die das Lenksystem künftig in ihren Fahrzeugen einsetzen werden. In den Jahren 2023 und 2024 gehen weitere Modelle mit der Lenkung von Schaeffler in Serie.
Technisches Alleinstellungsmerkmal Planetenwälzgewindetrieb
Das Hinterachs-Lenksystem besteht laut Schaeffler aus zwei Teilsystemen. Herzstück ist eine hochpräzise Mechanik mit einem Planetenwälzgewindetrieb, der aus der Industriesparte des Unternehmens übernommen und an die Anforderungen moderner Fahrzeuge angepasst wurde. Hinzu kommt das Powerpack, das Elektronik, E-Motor sowie Software umfasst. Schaeffler entwickelt das Gesamtsystem und übernimmt die Systemintegration in die Kundenfahrzeuge.
Aufgrund des Planetenwälzgewindetriebs hebt sich das System von Hinterachslenkungen anderer Hersteller ab, so das Unternehmen weiter, die traditionell einen Trapezgewindetrieb nutzen. Damit sei es dem Zulieferer möglich, gleichzeitig sowohl die hohen automobilen Sicherheitsanforderungen (Automotive Safety Integrity Level, ASIL, der Stufe D) zu erfüllen, als auch einen deutlich höheren Wirkungsgrad zu erreichen, die Reibung zu reduzieren und die Reaktionszeit des Systems zu verringern. Damit erreiche Schaeffler eine präzise und gleichzeitig sichere Fahrzeugbewegung, heißt es weiter.
Davon profitieren insbesondere Fahrer von Elektroautos, denn aus den oft im Unterboden verbauten Batterien resultiert ein größerer Radstand der Fahrzeuge im Vergleich zu Autos mit verbrennungsmotorischem Antrieb. Das wiederum bedeutet einen größeren Lenkradius und eine schlechtere Manövrierbarkeit. Abhilfe schafft die Schaeffler-Hinterachslenkung: Bei Spurwechseln, gerade bei höherem Tempo, unterstützt das System die Lenkbewegung der Vorderachse in der gleichen Lenkrichtung. Die Fahrzeugbewegung werde so stabiler, das Handling angenehmer und die Sicherheit steige. In engen Kurven würden die Autos an Agilität gewinnen, weil nun Vorder- und Hinterräder in die entgegengesetzte Richtung lenken. Dadurch entstehe eine sogenannte virtuelle Radstandverkürzung und die Fahrzeuge ließen sich mühelos durch die Kurve dirigieren. Beim Rangieren verringere die Lenkung den Wendekreis und mache das Fahrzeug deutlich besser manövrierbar – ein großer Vorteil gerade in Innenstädten mit wenig Platz und bei U-Turns. Schließlich verbessere das System die Eingriffsmöglichkeiten automatisierter Spurwechselassistenten.
Zu mehr Sicherheit, Komfort und einem neuen Lenkgefühl kommen den Angaben zufolge weitere Vorteile hinzu. „Durch einen optimierten inneren Aufbau ist unsere Hinterachslenkung schlanker und benötigt weniger Bauraum im Fahrzeug. Damit können Automobilhersteller im Vergleich zu alternativen Systemen zudem bis zu 15 Prozent Gewicht einsparen“, sagt Clément Feltz, Leiter des Unternehmensbereichs Fahrwerksysteme bei Schaeffler. Das Design des Systems wurde außerdem akustikoptimiert, was gerade bei leisen E-Autos auch weniger Geräusch bedeute. In der Fertigung könne Schaeffler zudem seine traditionelle Stärke einer besonders hohen mechanischen Präzision ausspielen.
Schaeffler wird zum Anbieter hochkomplexer Fahrwerksysteme
Schaeffler beliefere Automobilhersteller bereits seit vielen Jahren mit einzelnen Bauteilen für Fahrwerke wie Radlager, Federbeinlager, Federtellerlager und spielfreie Gelenkkreuzbüchsen. Im Jahr 2009 ging der Kugelgewindetrieb, der auf der hochpräzisen Mechanik aus dem Werkzeugmaschinenbau basiert, in Serie. Heute ist er fester Bestandteil in zahlreichen Fahrwerksystemen, etwa bei elektromechanischen Lenkungen oder Bremsen. Die Serieneinführung des aktiven Wankstabilisators von Schaeffler folgte im Jahr 2015. Das erste mechatronische Komfortsystem des Unternehmens – bestehend aus Mechanik, Elektromotor und Elektronik – war der weltweit erste Fahrwerksaktuator, der in einer 12– oder 48-Volt-Variante in Serie ging. Die Vorteile: Gegenüber passiven Stabilisatoren reduziert das System von Schaeffler den Wankwinkel und verbessert so Fahrzeugstabilität und Komfort deutlich. Mit der Hinterachslenkung kommt nun ein weiteres mechatronisches Fahrwerksystem des Zulieferers auf die Straße.
Elektro-hydraulisches Lenksystem für die Vorderachslenkung von Nutzfahrzeugen
Noch in diesem Jahr feiert außerdem ein weiteres Fahrwerksystem von Schaeffler sein Marktdebut: Das erste elektro-hydraulische Lenksystem speziell für die Vorderachslenkung von Nutzfahrzeugen geht bei einem chinesischen Fahrzeughersteller in den Serieneinsatz. Das System unterstützt zunächst eine Level 2-Automatisierung und in Folge auch höherwertige automatisierte Fahrfunktionen. „Schaeffler ist mit hochpräzisen mechanischen Komponenten in den Fahrwerksmarkt gestartet. Nun entwickeln und fertigen wir komplette mechatronische Fahrwerkslösungen bis hin zu Rolling-Chassis-Konzepten“, sagt Clément Feltz. Der entsprechende Unternehmensbereich innerhalb der Auto-Sparte wird daher konsequent zu einem Integrator für Fahrwerksysteme für die automobile Großserie und neue Mobilitätsformen ausgebaut. Erste Schlüsselkomponenten für Steer-by-Wire-Lenksysteme kommen Mitte des Jahrzehnts in die automobile Großserie, anschließend sollen Komplettsysteme der innovativen Lenkungstechnologie folgen.
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