Sensoren und Aktoren einfach integrieren
Vor zwei Jahren wurde die Single Pair Ethernet Alliance gegründet. Nun sind erste Lösungen am Markt und werden auf der SPS präsentiert.
Mit Single Pair Ethernet kann die Feldebene mit Sensoren und Aktoren einfach, platzsparend und kostengünstig in Smart Factory und Smart Building integriert und der durchgängige Datenfluss vom Edge in die Cloud realisiert werden. Die SPE System Alliance treibt die Entwicklung der Technologie voran. Einige ihrer zahlreichen Mitglieder brachten ihre Kompetenzen unter anderem in die Steckverbindernormierung ein. Darauf basieren die international standardisieren Steckgesichtern gemäß IEC 63171–2 und IEC 63171–5. Diese umfassen ein einheitliches, kompaktes Steckgesicht, das neue, platzsparende Gerätedesigns erlaubt. Erste Produkte und Lösungen wurden bereits umgesetzt und werden auf der SPS in Nürnberg von einigen Mitgliedern der System Alliance präsentiert.
Für die Kommunikation in Automatisierungsanwendungen haben sich seit Ende der 1990er Jahre Feldbusse bewährt. Sie sind bis heute in der Fertigungs- und Prozessindustrie das am meisten genutzte Bussystem auf Sensor-/Aktor-Ebene: einfach zu installieren, zu warten und dabei kostengünstig. Doch in der Smart Factory haben sie nun ihre Grenzen erreicht: für die Anforderungen des Industrial Internet of Things (IIoT), also eine schnelle, durchgängige Kommunikation ohne Schnittstellen vom Sensor bis in die Cloud, sind sie nicht geeignet.
Gründung der Alliance auf der Hannover-Messe
Deshalb wird sich in der Sensor-/Aktor-Ebene nach Ansicht der Experten Single Pair Ethernet (SPE) als Zubringer zu den IP-Hochgeschwindigkeitsnetzen etablieren. Der Anstoß für die Entwicklung kam aus der Automobilindustrie, wo erste SPE-Lösungen 2008 vorgestellt wurden. Die Technik bietet jedoch ebenfalls große Vorteile in der Fertigungsautomatisierung, der Prozessindustrie oder der Gebäudeautomation. SPE benötigt im Gegensatz zum klassischen Ethernet, das durch die höheren Datenübertragungsraten bis zu acht Adern erfordert, nur ein Adernpaar. Statt wachsender Übertragungsraten sind aber in der Feldebene der Industrie lange Kabelwege und Miniaturisierung gefordert. Und mit 10 Mbit/s bei einer Übertragungslänge von bis zu 1.000 m und bis zu 1 Gbit/s bei einer Übertragungslänge von 40 m ist SPE selbst für anspruchsvolle Sensorik völlig ausreichend.
Um SPE in den Märkten zu etablieren, wurde zur Hannover-Messe 2019 eine Interessen-Allianz gegründet, aus der im April 2020 die Single Pair Ethernet System Alliance hervorging. In dem Verein sind derzeit 33 Unternehmen zusammengeschlossen. Die Organisation beschäftigt sich mit dem gesamten SPE-Ecosystem und den offenen Fragen, die in diesem Zusammenhang bestehen. Dies umfasst nicht nur physische Komponenten wie Kabel, PHYs, Stecker, Sensoren oder Switches, sondern auch Topologien, Standardisierungsvorhaben, Tests und Anwendungsfälle.
Von der Theorie in die Praxis
Seit dem Zusammenschluss waren die Mitgliedsunternehmen überaus aktiv: In einem ersten Schritt beteiligten sie sich maßgeblich an der Ausarbeitung der international standardisierten Steckgesichter gemäß IEC 63171–2 für Schutzart IP20 und IEC 63171–5 für M8 und M12 (Schutzart IP67). Die IP20– und IP65/67-Steckverbinder besitzen ein einheitliches Steckgesicht: So passt ein IP20-Patchkabel ohne Adapter in einen M8– oder M12-Anschluss. „Das Steckgesicht nach der IEC 63171–2 ist das kompakteste der gesamten Normenreihe und wird dadurch der Forderung nach Miniaturisierung absolut gerecht“, erklärt Verena Neuhaus, Manager Product Marketing bei Phoenix Contact. „Im Vergleich zum RJ45 ist eine Verdopplung der Portdichte möglich, wodurch deutlich kompaktere Gerätedesigns realisiert werden können.“
Phoenix Contact hat für die Fabrikautomation, die Prozessautomation und die Gebäudeautomation inzwischen auch entsprechende Geräte- und Kabelsteckverbinder für das einpaarige Ethernet entwickelt. Die normierten Schnittstellen nach IEC 63171–2 und IEC 63171–5 eignen sich ideal für Büro- und Industrieumgebungen. Das Portfolio umfasst sowohl vorkonfektionierte Patch Cords als auch kompakte Geräteanschlüsse für den Reflow-Lötprozess in unterschiedlichen Bauformen.
Das Portfolio in der Bauform M8 beinhaltet ebenfalls vorkonfektionierte Patch Cords mit unterschiedlichen Kabeltypen für verschiedene Applikationen. Die Verwendung der Standard-M8-Komponenten bietet dem Gerätehersteller den Vorteil des einfachen Designs und der Flexibilität in der Verkabelung. Vorhandene Gehäusegeometrien und Wanddurchführungen können übernommen und mit neuen SPE-Inserts bestückt werden. Die Inserts stehen in gerader und gewinkelter Ausführung und für unterschiedliche Lötverfahren (THR und SMD) zur Verfügung. Neuhaus: „Zusätzlich zu den bereits verfügbaren SPE-Steckverbindern entwickelt Phoenix Contact neue Komponenten in den Bauformen M12 und M12 Hybrid. Erste Prototypen der SPE-M12-Steckverbinder werden wir auf der SPS vorstellen.“
Vorteile auch für die Gebäudeautomation
Auch im Bereich der Gebäudeautomation bietet SPE Vorteile, wie Matthias Gerber, Market Manager LAN Cabling bei Reichle & De Massari AG (R&M) erläutert: „SPE eignet sich ideal dafür, eine Vielzahl von Anwendungen in der Gebäudeautomation ans Datennetz anzuschließen.“ Besonders bei sogenannten Digital-Ceiling-Zonen, zwischen dem Service Outlet (SO) und kleinen IoT-Anwendungen, bieten sich vielfältige und neue Möglichkeiten für SPE. Gerber: „Die Norm ISO/IEC 11801–6 erlaubt bereits heute den Einsatz von anwendungsspezifischer Verkabelung nach dem Service Outlet. Somit ist der Grundstein für eine Lösung zur Netzwerkanbindung von Licht-, Temperatur-, Rauch- oder Luftsensoren oder von Steuerungen für Fenster und Storen gelegt.“
So könne mit SPE die Ethernet/IP-Kommunikation in der Gebäudeautomation und im Industrieumfeld bis zur Sensor-Aktor-Ebene erweitert werden und damit ein großer Teil der Feldbus-Anwendungen ersetzt werden. Gerber: „Zahllose Endgeräte lassen sich dann ohne aufwendige Gateways direkt ins Internet of Things (IoT) einbinden und über ein IP-basiertes, digitalisiertes Gebäudemanagementsystem steuern.“
R&M hat dazu ein vollständiges Verkabelungssystem auf der Basis von zwei SPE-Steckertypen entwickelt: LC-Cu (IEC?63171–1) und MSP (IEC?63171–2). In beiden SPE-Stecksystemen setzt R&M auf die Schneidklemm-(IDC-)Beschaltung. Mit dem Protokoll 10BASE-T1L betrieben, erreicht das R&M-Verkabelungssystem Übertragungsdistanzen bis 600 m.
SPE: Ursprung in der Automobilbranche
Ihren Ursprung hat die Entwicklung des Single Pair Ethernets in der Automobilbranche. Thomas Keller, Project Management Medical & Industries bei Rosenberger und Board Member der Alliance: „Moderne Fahrzeuge sind heute Mikrokosmen der Konnektivität, in der elektronische Geräte mit fahrzeuginternen Netzwerken verbunden werden. Nur so lässt sich zukünftig autonomes Fahren realisieren.“
Aus diesem Grund setzt die Automobilindustrie seit Jahren die Rosenberger Steckverbinderserien MTD und H-MTD ein. „In der industriellen Automatisierung ist es ähnlich“, so Keller: „Extreme Bedingungen, wie große abzudeckende Temperaturbereiche, Schock und Vibration, IPx-Schutz gegen Staub und Nässe, sowie Miniaturisierung, spielen bei der Auslegung der Anschlusstechnik eine wichtige Rolle.“ Rosenberger unterstützt zukünftige Automatisierungslösungen für Industrial-Ethernet-Anwendungen durch die Steckverbinderserien RoSPE-HMTD und RoSPE-Industrial (IEC 63171–2 und –5), die auch auf der SPS gezeigt werden.
Auch Marcel Leonhard, Leiter Geschäftsbereiche ICT & DCF bei Telegärtner Karl Gärtner GmbH freut sich auf die Messe in Nürnberg: „Nachdem wir uns als Allianz vor zwei Jahren auf der SPS Messe 2019 in Nürnberg erstmals vorgestellt hatten, haben wir nun auf der diesjährigen SPS endlich die Gelegenheit, der breiten Öffentlichkeit das inzwischen erreichte vorzustellen.“ Auf technischer Seite hat Telegärtner, wie die anderen Alliance-Partner, SPE-Steckverbindungen sowohl für den IP20– als auch für den IP67– Bereich entwickelt, die auf der SPS präsentiert werden.
Doch gleichzeitig habe die System Alliance, so betont Leonhard, auch das SPE-Gesamtsystem weiterentwickelt: „Denn neben den Steckern spielen natürlich die Kabel in dem System eine ebenso wichtige Rolle. Aber bevor man Kabel und Stecker verbinden kann, ganz besonders bei SPE, muss getestet werden, ob beide kompatibel sind und funktionieren.” Denn der Markt bietet eine große Bandbreite von Kabeln wie AWG 22/1 bis AWG 26/7, die alle zwar der SPE-Kabelnorm IEC 61156 entsprechen, die jedoch mit den Steckern abgeglichen werden müssen. Leonhard: „In der Alliance haben die Stecker- und Kabelhersteller daher zusammengearbeitet, die passenden Produkte abgeglichen und im Round-Robin Test erprobt. Denn unser Ziel als SPE System Alliance ist es ja, nicht nur einzelne Produkte, sondern das komplette System voranzubringen.“
Neben der Platz- und Gewichtsreduzierung stellt die Installation der Komponenten einen weiteren Vorteil dar. Leonhard weiter: „Die feldkonfektionierbaren Steckverbinder eignen sich besonders, wenn die Länge der Kabelstrecke nicht im Voraus definiert werden kann und vor Ort die Kabellänge flexibel bestimmt werden muss. Ebenso können nicht nur Litzenleiter-Kabel, sondern auch Massivleiter-Kabel angeschlossen werden – und das ohne Spezialwerkzeuge.“
Neben Daten auch Energie übertragen
Einen weiteren großen Vorteil der SPE-Technik erläutert Simon Seereiner, Head of Product Management SAI & IE bei Weidmüller: „Neben Daten kann auch Energie über die zweiadrigen Leitungen übertragen werden.“ Mit Power over Data Line (PoDL) lassen sich bis zu 60 W bei gleichzeitiger Datenübertragung (100 Mbit) zu einer Schnittstelle führen. Seereiner: „Das reicht für die meisten Sensor-Anwendungen aus. So ist es möglich, kostengünstig, einfach und mit einer hohen Packungsdichte Sensoriken in der Industrie aufzubauen, die dazu führen, Automatisierungs- und Vernetzungsgrade zu steigern und immer höher automatisierte Prozesse zu realisieren.“
Mit dem klaren Fokus auf Industrie hat Weidmüller Steckverbinder der Variante IEC 63171–2 für die Umgebung IP20 und der Variante IEC 63171–5 für die Umgebung IP67 realisiert. Mit dem Augenmerk auf Querschnitte im Bereich AWG 26 bis AWG 22 entstanden besonders anwenderfreundliche Steckverbinder, die sowohl als Patchkabel als auch frei konfektionierbare Varianten realisiert werden und auf der SPS präsentiert werden.
Der kompakte Steckverbinder ist mit einem Pitch von 7,62 mm nur halb so groß wie ein RJ45-Verbinder, so dass an Geräte mit bisher fünf RJ 45-Steckverbinder nun zehn SPE-Steckverbinder angeschlossen werden können. Die Platzeinsparung der Stecker ist ein großer Vorteil aber, so Seereiner: „Ein weitaus größerer Vorteil von SPE ist, dass Dank der transparenten Architektur die Maschinen viel effizienter gesteuert und betrieben werden können. Das spart enorme Kosten bei der Parametrisierung, bei der Inbetriebnahme und bei der Ausführung der Arbeit. Bei einer von uns durchgeführten Simulation konnten wir mit dem Einsatz von SPE die Betriebskosten um 18 % senken.“
SPE System Alliance steht nicht für bestimmte Produkte
Die SPE System Alliance steht also nicht für ein bestimmtes Steckersystem oder Produkt, die Aktivitäten richten sich vielmehr auf das gesamte zukünftige SPE-Ökosystem. Die erfolgreiche Arbeit der Alliance hat dazu geführt, dass das Single Pair Ethernet Consortium (SPEC) der TIA und die Single Pair Ethernet System Alliance ihre Kräfte seit kurzem bündeln, um den globalen Markt über die Vorteile der SPE-Technologie gemeinsam zu informieren.
Gleichzeitig ermöglicht die Alliance den teilnehmenden Unternehmen einen schnelleren Aufbau des Know-hows, das für eine schnellere und zuverlässigere Implementierung von Single Pair Ethernet in Produkten erforderlich ist.
„Diese Partner haben die Mission, Single Pair Ethernet als durchgängige Infrastruktur in den Markt zu bringen“, so Seereiner von Weidmüller. Und Verena Neuhaus von Phoenix Contact ergänzt: „Die SPE Alliance und ihre Mitglieder treiben die Technologie als Ganzes voran – und das beinhaltet viel mehr als einen Steckverbinder.“