Testumgebung für Gaia-X im Aufbau
Wie die Zukunft vernetzter Anlagen aussehen könnte, wird in Kaiserslautern in einem sogenannten Testbed untersucht. Vison ist die „Shared Economy“.
Die europäische Datenplattform Gaia-X nimmt erste praktische Konturen an, teilt die Initiative SmartFactory-KL mit. In Kaiserslautern haben SmartFactory-KL, DFKI (IFS)(1) und TU Kaiserslautern (WSKL)(2) mit dem Aufbau einer vernetzten Produktion an drei Standorten begonnen. „Jeder Organisationsteil bringt seine spezielle Expertise ein“, erklärt Prof. Martin Ruskowski, Vorstandsvorsitzender der Initiative SmartFactory-KL. „In der praktischen Vernetzung sehen wir dann, wie Gaia-X in der Produktion technisch aussehen kann.“ Vom Bundeswirtschaftsministerium sei die SmartFactory-KL aus zwei Gründen als wissenschaftliche Testumgebung (Testbed) für die Produktion ausgewählt worden: „Wir haben schon 2020 mit unserem Production Level 4 – Demonstrator schon einen möglichen Gaia-X-Use-Case gezeigt“, erläutert Ruskowski. „Außerdem beschreibt unsere Vision Production Level 4 von 2019 bereits das Prinzip von Gaia-X.“
Wie SmartFactory-KL ausführt, formulieren Wissenschaftler mit Production Level 4 (PL4) eine Shared Economy, in der sich Maschinenmodule vernetzt austauschen können und ihre Fähigkeiten (Skills) über eine Datenplattform anbieten. So werde es möglich, dass ein Produkt gefertigt werden könne, indem ein Unternehmen in dem Gesamtsystem Fertigungsfähigkeiten einkaufe, über die es in der eigenen Fabrik nicht verfüge. „Diese Optionen eröffnen völlig neue Möglichkeiten“, betont Ruskowski. „Erstens können Unternehmen nun Aufträge annehmen, obwohl sie bestimmte Maschinen nicht besitzen. Zweitens können ungenutzte Maschinen von anderen genutzt werden. Damit können sich die Leerlaufzeiten von Anlagen erheblich reduzieren. Es erinnert ein wenig an die Carsharing-Idee.“
Technische Umsetzung erfordert viel Ingenieursarbeit
„Die Vorstellung, wie eine Shared Economy funktionieren soll, die haben wir“, so Keran Sivalingam, Projektleiter von smartMA-X. „Doch die technische Umsetzung, das ist Neuland, da ist wissenschaftliche Ingenieursarbeit gefragt. An der Stelle bin ich froh, dass wir auf so viele unterschiedliche Expert:innen aus der SmartFactory-KL, dem DFKI und der TU Kaiserslautern zurückgreifen können!“ Jede der drei Einrichtungen steht, wie es weiter heißt, für ein technisches Modul, eine Fertigungsfähigkeit oder einen Service. Zusammen bilden sie zukünftig das Testbed für vernetzte Produktion. Ein Production Level 4 – Demonstrator funktioniert demnach bereits im Innovation Lab der SmartFactory-KL. Ein zweiter mit völlig neuem Transportsystem ist im DFKI-Gebäude im Bau. An der TU Kaiserslautern wird der Lehrstuhl für Werkzeugmaschinen und Steuerungen mit Fräsmaschinen angebunden, die individuell gefräste Bauteile herstellen. „Die Idee von Gaia-X betont, dass jede Maschine oder jeder Service Teil eines Datennetzwerkes ist. Egal welcher Hersteller technisch dahinter steckt. Dieses Netzwerk bildet einen Datenraum, indem Daten souverän und sicher ausgetauscht werden können“, sagt Sivalingam. „Wir müssen nun schauen, wie dieser Datenraum technisch realisiert werden kann. Vor allem mit dem Blick auf die Industrie, deren Bedürfnissen und Anforderungen.“
„Unser Vorteil ist, dass wir als Fabrikvordenker auf über 40 Wissenschaftler:innen am Standort bauen können“, so Ruskowski. „Wir können Wissen bündeln und auf Forschungsfragen beispielsweise im Kontext ‚Shared Production‘ fokussieren. So arbeiten die Kolleg:innen an der TU mit Robotern, 5G und autonomen Fahrzeugen, die aus dem DFKI forschen zu KI und Multiagentensystemen und die SmartFactory-KL organisiert zusätzlich Arbeitsgruppen mit den Industriepartnern, wo unsere Ideen einer Realitätsprüfung unterzogen werden.“ Das Prinzip funktioniere seit der Gründung 2005. Seit 2014 bauen die Wissenschaftler eigene Produktionsanlagen, um die Machbarkeit theoretischer Annahmen technisch zu verifizieren.
Europaweite Zusammenarbeit
Ein Beispiel ist das EU-Projekt MAS4AI, führt SmartFactory-KL aus. „Vernetzte Produktion benötigt eine flexible und schnelle Planung“, erläutert Ruskowski. „Man benötigt so was wie Software-Agenten oder Production Bots, die sich um die Orchestrierung der anliegenden Aufgaben und Transporte in einem flexiblen Produktionsnetzwerk kümmern.“ Dazu arbeiten 17 Projektpartner europaweit zusammen. Die Wissenschaftler haben sich dabei in besonderer Weise mit zwei Industriepartnern verzahnt. „Zwei Doktoranden von mir sitzen am Thema Multiagentensysteme. Einer arbeitet eng mit Volkswagen, der andere mit der Flexis AG zusammen“, sagt Ruskowski. „So ist sichergestellt, dass unsere Entwicklungen ständig von Unternehmen reflektiert werden, damit wir nicht in die falsche Richtung forschen.“
Wie Austausch und Zusammenarbeit praktisch aussehen, zeigt die SmartFactory-KL nach eigen Angaben einmal monatlich auf YouTube mit dem Format SmartFactory-KL LIVE. „In der Mai-Sendung haben wir das Thema Multiagentensysteme diskutiert“, sagt Ruskowski. „Wir finden es wichtig, unser Wissen und unsere Gedankenansätze auszutauschen und sie auch öffentlich zur Disposition zu stellen. Wir machen ja keine geheimen Arbeiten, sondern wollen gemeinsam technische Lösungen mit Partnern entwickeln, die im weitesten Sinne auch der Gesellschaft nützlich sind.“
Gerade Unternehmen tun sich oft schwer, langfristig zu denken, Visionen zu entwickeln und Neuerungen einzuführen. „Viele sind oft in alten und überholten Vorstellungen verhaftet. Ich denke nur an das Thema Nachhaltigkeit. Den Sinn und die Notwendigkeit versteht heute jeder“, weiß Ruskowski. „Aber es war teilweise ein langer Weg. Mittelständische Unternehmen sind da oft viel experimentierfreudiger als die großen.“
Maschinendaten sind ein heikles Thema
Das betrifft auch das Thema Maschinendaten. Gaia-X soll als sicherer Datenrahmen dienen. Trotzdem sind Unternehmen skeptisch, ihre Maschinendaten zu teilen. „Man kann aus den Daten natürlich etwas herauslesen“, sagt Ruskowski. „Beispielsweise, dass eine Maschine sehr energieeffizient arbeitet. Daraus lassen sich dann unter Umständen Produktionskosten ableiten. Viele Firmen haben Angst, dass das Wissen der Konkurrenz nutzen könnte. Wir sehen es eher positiv: von dem Wissen könnten andere profitieren. Alle könnten so lernen, wie man Energie sparen kann. Davon profitieren dann viele. Nach diesem Prinzip arbeiten wir Fabrikvordenker: miteinander statt gegeneinander!“
(1) DFKI – IFS: Deutsches Forschungszentrum für künstliche Intelligenz – Innovative Fabriksysteme (2) WSKL: Lehrstuhl für Werkzeugmaschinen und Steuerungen