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+++ Exklusiver Fachbeitrag +++ 05.10.2023, 00:00 Uhr

Forschung unter Schwerelosigkeit am ZARM

Im Fallturm Bremen arbeiten Industriestoßdämpfer seit 20 Jahren zuverlässig im Auftrag der Mikrogravitationsforschung. Anlässlich der Konstruktion eines zweiten Labors für Experimente in der Schwerelosigkeit kooperierten die Ingenieure des ZARM an der Universität Bremen erneut mit der ACE Stoßdämpfer GmbH. Die Stoßdämpfer kommen hauptsächlich im Sicherheitskonzept des neuen Labors zum Einsatz: hier müssen sie im Notfall bis zu 1000 kg schwere Experimentaufbauten abbremsen, die mit bis zu fünffacher Erdbeschleunigung nach unten fallen.

Bild 1: Die Experimente zur Schwerelosigkeit im Bremer Fallturm sind weithin bekannt. Mit einer neuen Fallanlage soll die Nutzungsfrequenz pro Betriebstag ausgeweitet werden. Die Anlage ist ein hydraulisch betriebener Aufzug, der einem vielfachen der Erdbeschleunigung ausgesetzt wird. Foto: ZARM, Universität Bremen

Bild 1: Die Experimente zur Schwerelosigkeit im Bremer Fallturm sind weithin bekannt. Mit einer neuen Fallanlage soll die Nutzungsfrequenz pro Betriebstag ausgeweitet werden. Die Anlage ist ein hydraulisch betriebener Aufzug, der einem vielfachen der Erdbeschleunigung ausgesetzt wird.

Foto: ZARM, Universität Bremen

Der Fallturm Bremen des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) ist mit 146 m Höhe ein weithin sichtbares und gleichzeitig einzigartiges Forschungslabor. Es bietet Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit, bis zu drei Flüge pro Tag unter den Bedingungen kurzzeitiger Mikrogravitation durchzuführen. Dazu werden die entsprechenden Experimente in eine bis zu 2,5 m hohe und 80 cm breite Fallkapsel integriert.

Schwerelosigkeit in Laborsystemen

Im Allgemeinen wird ein Laborsystem als schwerelos bezeichnet, wenn keine externen Beschleunigungen mehr einwirken. Um Schwerelosigkeit im Laborsystem einer Fallkapsel zu erreichen, muss sich diese auf Bahnen bewegen, die im Schwerefeld der Erde antriebslos möglich sind. Die Trägheitskraft kompensiert dabei die Schwerkraft. Die erreichte Qualität der Schwerelosigkeit wird an den während der Schwerelosigkeitsphase vorhandenen Restbeschleunigungen gemessen und ist abhängig von den äußeren Einflüssen. Im Fallturm Bremen wird eine Qualität von einem Millionstel der normalen Erdbeschleunigung (10–6 g0) erreicht – man spricht dann von Mikrogravitation oder mg0.

In der 1990 in Betrieb genommenen Anlage kann im Abwurfbetrieb unter den physikalischen Bedingungen des einfachen freien Falls für 4,74 s Schwerelosigkeit erreicht werden. In einer späteren Ausbaustufe zur Katapultanlage konnte die Dauer eines Freifallexperiments auf 9,3 s nahezu verdoppelt werden, weil anstelle des einfachen freien Falls ein vertikaler Parabelflug durchgeführt wird. Die Begrenzung auf maximal drei Flüge pro Tag ist bedingt durch Rüstzeiten der Anlage für das Evakuieren und anschließendes Belüften der Fallröhre. Denn die Experimente im Fallturm Bremen fliegen, respektive fallen in einer 120 m hohen Vakuumröhre, um Störungen durch aerodynamische Kräfte auf die Experimentstruktur weitestgehend zu minimieren.

Bild 2: Prinzipskizze des Antriebskonzepts des hydraulisch betriebenen Aufzugs. Grafik: ZARM, Universität Bremen

Die Erforschung fundamentaler wissenschaftlicher Fragestellungen erfordert oftmals Hunderte von Wiederholungen ein und desselben Experiments. Statistische Auswertungsmethoden sollen hierbei selbst kleinste Effekte messbar machen. Die Durchführung solcher Experimentserien kann sich dann entsprechend über längere Zeiträume erstrecken – selbst bei der vergleichsweise guten Verfügbarkeit des Fallturms Bremen. Eine wesentliche Erhöhung der Wiederholungsrate ist mit der vorhandenen Anlage nicht möglich.

Neue Generation der Fallanlage

Der steigenden Nachfrage nach einer höheren Nutzungsfrequenz pro Betriebstag soll nun mithilfe einer Fallanlage der neuen Generation, dem sogenannten „GraviTower Bremen Pro“ begegnet werden. Der GraviTower ist ein hydraulisch angetriebener Aufzug der mit fünffacher Erdbeschleunigung nach oben beschleunigt wird, eine vertikale Parabel mit Schwerelosigkeit durchfliegt und abschließend wieder mit fünffacher Erdbeschleunigung abgebremst wird. Die offene Experimentkapsel steht während der gesamten Flugzeit in einem geschlossenen Schlitten, der die aerodynamischen Kräfte während der Bewegung in der normalen Atmosphäre aufnimmt und somit kein Vakuum in der nahen Umgebung erfordert. Der Übergang der Experimentstruktur in die Schwerelosigkeit erfolgt dabei sehr sanft und niederfrequent. Ein aktiv geregelter Antrieb ermöglicht sehr geringe und variable Startbeschleunigungen von maximal 4 g0 dynamisch. Die Parameter für die erforderlichen experimentspezifischen Parabeln können dabei individuell ausgewählt und an die Anlagensteuerung übertragen werden.

Bild 3: Das wissenschaftliche Experiment befindet sich während der gesamten Flugzeit in dem Schlitten.

Foto: ZARM, Universität Bremen

Die Entkopplung der Experimentkapsel von mechanischen äußeren Strukturschwingungen des Schlittens und dessen Führungssystems erfolgt mithilfe eines eigens entwickelten Release Caging Mechanismus (RCM). Um eine gewünschte höhere Repetitionsrate der neuen Anlage zu ermöglichen, repositioniert der RCM das Experiment zwischen den Flügen innerhalb des Schlittens automatisiert.

Der GraviTower ist also ein hydraulisch angetriebener Aufzug der mit bis zu fünffacher Erdbeschleunigung (dynamisch mit 4 g0) nach oben beschleunigt wird, eine vertikale Parabel mit Schwerelosigkeit durchfliegt und anschließend wieder mit fünffacher Erdbeschleunigung abgebremst wird. Nach dem Abbremsvorgang zum Ende einer jeden Parabel müssen Experiment und Schlitten sanft abgesetzt werden. Dabei kommen diverse hydraulische Dämpfungselemente von ACE bei unterschiedlichen Aufgaben zum Einsatz.

Wiedereinkopplung mit möglichst kleinen Kräften

Bei der Konstruktion des Schlittens wurde darauf geachtet, dass mit vier Industriestoßdämpfern vom Typ MC4575EUM-1 eine Wiederankopplung des Experiments an den Schlitten mit möglichst kleinen Kräften und ohne Prellen erreicht wird. Die als Anschlagdämpfer fungierenden Maschinenelemente müssen im „Worst-case-Szenario“ eine Masse von 500 kg mit einer Geschwindigkeit von 1 m/s sicher abbauen können.

Bild 4: Positionen der Stoßdämpfer im Turm. Grafik: ZARM, Universität Bremen

Im GraviTower selbst haben in der unteren Einbaulage vier modifizierte Sicherheitstoßdämpfer vom Typ SCS63–300EU-R die schwerste Aufgabe zu bewältigen. Sie müssen im Notfall sicherstellen, dass die Versuchsaufbauten bei der genannten Schlittenmasse von 500 kg zuzüglich einer maximalen Experimentmasse von 500 kg und einer maximalen Aufprallgeschwindigkeit von 20 m/s sicher abgebremst werden. Aus diesem Grund wurde bei der Simulation zur Auslegung dieser Dämpfer ein schwerer Fehler angenommen, das heißt der Ausfall aller Motoren bei Abwärtsfahrt im Augenblick der höchsten Abwärtsgeschwindigkeit. Zum Vergleich dazu ist allerdings im Regelbetrieb ein Absetzen des Schlittens inklusive Experiment und dessen Masse mit moderater Geschwindigkeit vorgesehen.

Bild 5: Geschwindigkeits- und Weg-Zeitverlauf des Schlittens. Grafik: ZARM, Universität Bremen

In der Spitze des GraviTower dienen vier Industriestoßdämpfer vom Typ MC64100EUM-0 als obere Anschlagdämpfer. Dort muss im Notfall die gleiche maximale Masse von 1000 kg, allerdings mit einer deutlich geringeren maximalen Geschwindigkeit von 2 m/s, in der oberen Endlage gestoppt werden. Denn die Dämpfer würden bei ihrer Arbeit unterstützt werden, weil das Schwerefeld der Erde gegen den Schlitten wirkt, der sich noch in der Aufwärtsbewegung befinden würde.

Regelbetrieb sieht keinen Kontakt mit Dämpfern vor

Der Regelbetrieb sieht zu keiner Zeit einen Kontakt mit diesen Dämpfern vor, weil dies die Schwerelosigkeitsqualität der Parabel im Umkehrpunkt massiv beeinträchtigen und einen Fehlerfall bedeuten würde. Zur Personensicherheit wird der untere Zugang zum Turm während des Versuchsbetriebes mit massiven Stahltüren verschlossen. Diese Türen haben ein Gewicht von 240 kg und ein seitliches Anschlagen soll durch die Integration von acht Kleinstoßdämpfern vom Typ SC300EUM-9 verhindert werden. 

 

Von Dieter Bischoff, Robert Timmerberg


Dipl.-Ing. (FH) Dieter Bischoff
ZARM Drop Tower Operator Universität Bremen
dieter.bischoff@zarm.uni- bremen.de
Foto: ZARM, Universität Bremen

Robert Timmerberg M. A.
Fachjournalist (DFJV)

Kontakt
ACE Stoßdämpfer GmbH
40764 Langenfeld
Tel. (0 21 73) 92 26 – 10
info@ace-int.eu
www.ace-ace.de