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Studie zur Robotik 10.03.2025, 13:17 Uhr

Fraunhofer IPA analysiert Potenzial Humanoider Robotik

Eine Studie, die das Fraunhofer IPA im Rahmen des KI-Fortschrittszentrums veröffentlicht hat, analysiert den Status quo und leitet Handlungsempfehlungen für einen sinnvollen industriellen Einsatz ab.

Handhabungsaufgaben werden als geeignete Anwendungen für Humanoide gesehen. Foto: Mit Dall-E 3 generiertes KI-Bild / IPA

Handhabungsaufgaben werden als geeignete Anwendungen für Humanoide gesehen.

Foto: Mit Dall-E 3 generiertes KI-Bild / IPA

Neuigkeiten über Humanoide Roboter mit typischerweise zwei Armen und wahlweise zwei Beinen oder einer mobilen Plattform überschlagen sich momentan. Neue Modelle oder Fähigkeiten und mitunter massive Investitionen in die Technik sind regelmäßig in den Medien zu finden. Reale Piloteinsätze von Humanoiden sind jedoch noch rar. Deshalb stellt sich die Frage, was diese Technik Unternehmen tatsächlich für Mehrwerte bringen kann und was es braucht, um sie in die Praxis zu bringen.

Möglichkeiten und Grenzen Humanoider Roboter

Wie das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA mitteilt, gibt eine neue IPA-Studie, die auf über 100 Rückmeldungen von Fachleuten aus der Industrie basiert, darauf Antworten. So wurden als mögliche und sinnvolle Einsatzszenarien von Humanoiden am häufigsten der Materialtransport, das Maschinenbeladen und das Greifen komplexer Gegenstände genannt. Gegenüber bisherigen Lösungen sollten Humanoide insbesondere durch ihre Flexibilität bei der Ausführung verschiedener Aufgaben hervorstechen. Werner Kraus, Leiter des Forschungsbereichs Automatisierung und Robotik und Mitherausgeber der Studie, erklärt: „Genau die Kombination aus möglichen Ortswechseln und flexibler Greiftechnik ist in meinen Augen „gamechanging“. Denn hiermit können auch Aufgaben in bestehenden Anlagen, dem Brownfield, mit geringem Integrationsaufwand automatisiert werden.“

Die Befragten der Studie sehen die technischen Möglichkeiten von Humanoiden aktuell jedoch noch zurückhaltend. Technologisch gesehen werden Humanoide laut den Umfrageergebnissen vermutlich erst einmal Aufgaben ausführen, bei denen Genauigkeit, Systemstabilität oder Prozessgeschwindigkeit als Roboterfähigkeiten weniger relevant sind. So wurde häufig der Transport von Kisten als mögliche Aufgabe gesehen. Ob Humanoide für die gewünschten Aufgaben zwei Beine haben müssen, bezweifeln allerdings 60  % der Befragten. Sie finden eine radgetriebene Plattform oder gar eine stationäre Anwendung mit einem Zweiarmroboter zweckmäßiger.

„Meiner Ansicht nach wird es für einen erfolgreichen Einsatz von Humanoiden nicht nur Use Cases brauchen, die technisch möglich sind, sondern insbesondere auch Business Cases, die betriebswirtschaftlich interessant sind.“

Sicherheit und Wirtschaftlichkeit als zentrale Kriterien

Die größte Herausforderung beim Praxiseinsatz ist die funktionale Sicherheit, die aktuell noch weitgehend ungeklärt ist und aufgrund des Roboteraufbaus besondere Anforderungen stellt, beispielsweise hinsichtlich ihrer Stabilität. „Deshalb sehe ich als wahrscheinliche Szenarien für erste Einsätze vorerst keinen Mischbetrieb mit dem Menschen“, so Kraus.

Eine zu große Erwartungshaltung und Unklarheit über die Wirtschaftlichkeit sind weitere Hürden, die Unternehmen aktuell sehen. Etwa die Hälfte aller Befragten wäre bereit, für einen Humanoiden bis zu 100 000 Euro zu zahlen. Simon Schmidt, Geschäftsbereichsleiter am Fraunhofer IPA und Mitautor der Studie, stellt resümierend klar: „Meiner Ansicht nach wird es für einen erfolgreichen Einsatz von Humanoiden nicht nur Use Cases brauchen, die technisch möglich sind, sondern insbesondere auch Business Cases, die betriebswirtschaftlich interessant sind.“

Diese sieben Handlungsempfehlungen leitet das Autorenteam aus seinen Untersuchungen ab. Gafik: Fraunhofer IPA

Eine große Tendenz zeichnet sich bezüglich der Zeitschiene ab, wann Humanoide schätzungsweise in den Praxiseinsatz kommen könnten. Lediglich 6 % der Befragten sehen sie bereits in den nächsten 2 Jahren in industriellen Anwendungen. Mit 74  % sieht eine große Mehrheit einen möglichen Einsatz in 3 bis 10 Jahren als realistisch an.

Vier Arbeitsschritte ermöglichen Handlungsempfehlungen

Das Autorenteam um Simon Schmidt, Joshua Beck, Lasse Höltge, Alexandra Huber und Ramez Awad erarbeitete die Studie in vier Etappen. Zunächst verschaffte sich das Team durch Recherchen einen wissenschaftlichen und technischen Überblick über Humanoide. Es folgten Experteninterviews mit Systemintegratoren und potenziellen Endanwendern zum Stand der Technik, Einsatzmöglichkeiten und künftigen Herausforderungen. Aufbauend auf diesen qualitativen Daten wurden mithilfe einer Umfrage quantitative Daten gesammelt. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) unterstützte dabei, um möglichst viele Rückmeldungen zu erhalten. Im letzten Schritt wertete das Team die Daten aus und leitete Handlungsempfehlungen ab.

KI-Fortschrittszentrum bringt KI und Kognitive Robotik in die Anwendung

Die Studie ist aus Fördermitteln des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg entstanden und ein Ergebnis aus dem KI-Fortschrittszentrum „Lernende Systeme und Kognitive Robotik“. Das KI-Fortschrittszentrum wird gemeinsam vom Fraunhofer IPA und dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO betrieben und hat das Ziel, Anwendungen rund um die Künstliche Intelligenz (KI) und Robotik in die unternehmerische Praxis zu bringen. Ein Arbeitsschwerpunkt ist die Studienreihe „Lernende Systeme“, zu der auch die Studie über Humanoide zählt und die aktuell um weitere Veröffentlichungen zur KI und kognitiven Robotik erweitert wird.

Stuttgart ist im März Europas KI- und Robotik-Hotspot

Vom 25. bis 27. März 2025 findet das hochkarätige „European Robotics Forum“ des europäischen Roboterverbands euRobotics in der Stuttgarter Liederhalle statt. Mit dem diesjährigen Motto „Boosting the Synergies between Robotics and AI for a stronger Europe“ hat es, wie das Fraunhofer IPA mitteilt, das Ziel, Forschung und Industrie zusammenzubringen, den aktuellen Stand von Robotik und KI auf großer Bühne zu präsentieren und kommende technische Entwicklungen mitzugestalten.

Branchenspezifische Industrieprogramme und inspirierende Keynotes

Das ERF vereint den Angaben zufolge zahlreiche Veranstaltungsformate und ist deshalb ein einzigartiges, englischsprachiges Event in der europäischen Robotik-Community. Keynotes, Workshops und viele weitere Aktivitäten wie ein B2B-Matchmaking machen einen großen Teil des breit gefächerten Programms aus. So können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beispielsweise zwischen mehr als 50 Workshops wählen, die auch in branchenspezifischen Programmempfehlungen zusammengefasst sind:

  • Advanced industrial robotics and humanoids
  • Safety, security, and privacy of cobots
  • Industrial and service robots
  • AI and data solutions for robotics
  • Sustainability like disassembly or automation in agriculture
  • Robots in healthcare and pharma
  • Strategy and policy of robotics in Europe
  • Startups and entrepreneurships in Robotics

Alle Details zu den Programmpunkten: https://erf2025.eu/programme

Von Fraunhofer IPA/Udo Schnell