Künstliche Intelligenz entlastet Mitarbeitende
Unternehmen aus Ostwestfalen-Lippe profitieren von einem von it’s OWL initiierten Kompetenzzentrum.
Wie Künstliche Intelligenz (KI) die Arbeitswelt neugestalten kann, um Mitarbeitende zu entlasten, zeigt das vom Technologie-Netzwerk it’s OWL initiierte Kompetenzzentrum Arbeitswelt.Plus. Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus Ost-Westfalen-Lippe entwickeln gemeinsam mit der IG Metall im Kompetenzzentrum konkrete Anwendungen, wie durch KI die Arbeitsbedingungen verbessert und die Beschäftigten entlastet werden können. Dies gelingt dem Delbrücker Badspezialisten Bette beispielsweise durch eine intelligente Produktionsplanung. Bei Kannegiesser, dem Weltmarktführer für Wäschereitechnik aus Vlotho, übernimmt eine KI die Sortierung von Schmutzwäsche.
- Wie wird Künstliche Intelligenz die Arbeitswelt verändern?
- Wie können Unternehmen neue Technologien einsetzen, um ihre Beschäftigten zu entlasten und zudem ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern?
- Und wie können Beschäftigte auf den Wandel eigentlich vorbereitet werden?
Antworten auf diese Fragen liefert das Kompetenzzentrum Arbeitswelt.Plus. „Mit dem Kompetenzzentrum Arbeitswelt.Plus wollen wir Unternehmen ermutigen, KI als Chance zu begreifen und gleichzeitig mögliche Herausforderungen proaktiv anzugehen. Unsere Projekte zeigen, welche Möglichkeiten der Einsatz von KI Unternehmen bietet und wie Beschäftige davon profitieren können“, sagt Prof. Dr. Roman Dumitrescu, Projektleiter des Kompetenzzentrum Arbeitswelt.Plus und Geschäftsführer der it’s OWL Clustermanagement GmbH.
In acht Leuchtturmprojekten erproben Forschungseinrichtungen und Unternehmen im Verbund mit Gewerkschaftspartner:innen Lösungen, in denen KI-Technologien für unterschiedliche Anwendungsfelder verfügbar gemacht werden. Dabei geht es zum Beispiel um die Arbeitsplatzgestaltung, die Qualifizierung von Mitarbeiter:innen sowie den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Produktion.
Ob Badewannen, Duschflächen oder Waschtische: Die Fertigung bei Bette ist Hightech-Produktion und Manufaktur zugleich. „Mehr als die Hälfte der Produkte werden bei uns auf Kundenwunsch individualisiert. Aufgrund der hohen Variantenvielfalt können wir über 35 Millionen unterschiedliche Produkte produzieren“, sagt Marvin Mönikes von der Bette GmbH & Co. KG. Seine Aufgabe ist es, die Prozesse der Produktionsplanung, -steuerung und -kontrolle zu optimieren.
Aufgrund der Produktvielfalt und dadurch, dass die Produktion darauf ausgerichtet ist, die Produkte in Stückzahl eins in einem sehr hohen Automatisierungsgrad zu fertigen, erfolgen die Produktionsschritte bei Bette in einer individuellen Reihenfolge. Die Produkte belegen Maschinen und Arbeitsplätze unterschiedlich lang.
KI assistiert bei der Produktionsplanung
„Diese Komplexität macht es mit konventionellen Methoden der Arbeitsvorbereitung unmöglich, alle Arbeitsplätze gleichmäßig auszulasten. Es kommt zu Staus an einzelnen Maschinen und Arbeitsplätzen und so zu Belastungsspitzen, in denen die Beschäftigten stark gefordert sind“, sagt Mönikes.
Das hat sich nun geändert. Im Rahmen des Projekts im Kompetenzzentrum Arbeitswelt.Plus hat das Unternehmen in Zusammenarbeit mit der Hochschule Bielefeld, der Fachhochschule der Wirtschaft sowie der IG Metall ein KI-basiertes Assistenzsystem entwickelt.
Mit Hilfe von KI kann Bette die Belastung von Beschäftigten sowie die Auslastung von Arbeitsplätzen und Maschinen bis zu fünf Stunden im Voraus zu ermitteln. Trainiert wurde das System mit Daten aus der Produktion. Außer der individuellen Seriennummer erhebt Bette beispielsweise Arbeitsvorräte, Maschinendaten und Maschinenparameter. Zudem ermöglichen in Echtzeit erhobene Daten später im betrieblichen Alltag eine sichere Prognose. Die Ergebnisse des KI-Assistenzsystems fließen in die Arbeitsvorbereitung ein und unterstützen Mönikes und seine Kolleg:innen bei der Erstellung von Arbeitsplänen. Basierend auf den ermittelten Auslastungsprognosen können sie so gezielt Produkte mit unkritischen Arbeitsschritten zur Nivellierung der Arbeitsplatzauslastung einplanen.
Weniger Belastungsspitzen und Materialstau
„Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Belastungsspitzen für die Mitarbeiter:innen oder zu Materialstaus an Maschinen oder Arbeitsplätzen kommt, wird deutlich reduziert. Durch die Lösung treten somit Belastungsspitzen für Beschäftige nur noch selten auf. Das im Projekt entwickelte KI-Tool ist derzeit in der Optimierungsphase und wird noch nicht produktiv verwendet. Verschiedene Tests haben gezeigt, dass sich mit dem Tool derzeit die tatsächliche Anlagenauslastung mit einer Genauigkeit von circa 95 % für die nächsten fünf Stunden vorhersagen lässt. Das bedeutet, bei Fertigungsplänen, für welche die KI keine Staus vorhersagt, auch in der Realität zu mindestens 95 % keine Staus auftreten werden“, sagt Mönikes.
Dabei ist das Assistenzsystem nicht dazu gedacht, den menschlichen Entscheidungsvorgang zu ersetzen. „Das System liefert notwendige Informationen für bessere Entscheidungen und entlastet damit sowohl die Beschäftigten in der Produktion als auch die Planenden in der Arbeitsvorbereitung. Das System ist zwar für das Unternehmen Bette konzipiert. Allerdings ist eine Übertragung des Modells auf andere Produktionssysteme, die eine ähnliche Fertigung besitzen, möglich“, sagt Lukas Vollenkemper, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Bielefeld. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit eben jener humanzentrierten Produktionsplanung und hat im Projekt das Assistenzsystem mit entwickelt.
KI sortiert schmutzige Wäsche
Die Mitarbeitenden von Großwäschereien mit Hilfe von KI zu entlasten, hat sich auch das Vlothoer Unternehmen Kannegiesser vorgenommen. Der Familienbetrieb ist Weltmarktführer für Wäschereitechnik. Fast alle industriellen Wäschereien stehen vor demselben Problem: Die Sortierung der Schmutzwäsche für verschiedene Waschkategorien wird bisher entweder gar nicht oder anhand von Barcodes oder RFID-Chips vorgenommen. Letzteres erfordert den Kontakt des Menschen mit der verdreckten und oftmals auch kontaminierten Wäsche, was eine große physische und psychische Belastung für die Mitarbeitenden in den Wäschereien darstellt und zudem ein erhebliches gesundheitliches Risiko in sich birgt.
„Aus diesem Grund haben wir aufbauend auf einer vorhandenen automatischen Maschine zur Wäschesortierung zusammen mit der Universität Bielefeld eine Lösung zur Schmutzwäschesortierung entwickelt, die primär auf Kamerabilder und künstlicher Intelligenz basiert“, sagt Dr. Mathias Wöhler, Herbert Kannegiesser GmbH.
Algorithmus mit knapp 10.000 Bildern trainiert
Mit knapp 10.000 Bildern hat die Universität Bielefeld einen Algorithmus angelernt, die jedes Kleidungsstück nach Farbe, Typ, Verschmutzungsgrad und -art, sowie nach Schäden und Waschtemperatur sortieren kann. Und die KI arbeitet zuverlässig: „Unser Demonstrator zeigt, dass neun von zehn Test-Wäschestücke richtig kategorisiert werden, wodurch ein direkter Kontakt der Mitarbeiter:innen mit diesen vermieden werden kann. In einem nächsten Schritt sollte die KI direkt in einer Wäscherei angelernt werden, um möglichst automatisiert und schneller Daten aufnehmen und annotieren zu können“, sagt Nico Rabethge, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsinstitut für Kognition und Robotik (CoR-Lab) der Universität Bielefeld.
Diesen Schritt will Kannegiesser gehen. Derzeit befindet sich der Demonstrator in der Entwicklungsphase, anschließend soll die Herstellung eines Prototyps und letzte Erprobungen in einer Nullserie folgen, bevor die Serienproduktion beginnt.
„Die technische Umsetzung der automatisierten Schmutzwäschesortierung ist ein wichtiger Teil unseres Gesamtkonzepts zur Roboterisierung von Kannegiesser. Um weltweit erfolgreich zu sein, planen wir regionale Kompetenzen und Stärken aus dem Netzwerk it’s OWL zu nutzen und in weiteren Projekten mit Forschungseinrichtungen wie Hochschulen und Fraunhofer Instituten in der Region zusammenzuarbeiten“, sagt Wöhler. Im Projekt des Kompetenzzentrums Arbeitswelt.Plus haben neben der Universität Bielefeld, die IG Metall und die Deutsche Angestellten-Akademie (DAA), eines der größten Weiterbildungsunternehmen in Deutschland, mit Kannegiesser zusammengearbeitet.
In einem weiteren Projekt von it’s OWL beschäftigt sich Kannegiesser damit, wie Digitale Zwillinge, eine virtuelle Abbildung einer Maschine, dem Unternehmen bei Nachhaltigkeitsmaßnahmen unterstützen können. Über die reinen Ergebnisse der Projekte hinaus sieht Wöhler weitere Vorteile in der Zusammenarbeit: „Unsere Projekte bei it’s OWL dienen auch der Akquise von Spitzenkräften und steigern den Bekanntheitsgrad der Firma Kannegiesser. Gleichzeitig pflegen wir damit auch regionale Firmenkontakte, was für alle Beteiligten von Vorteil ist, da regionale Kooperationen die Effizienz der Unternehmen steigern können.“
Konkrete Angebote für Unternehmen
In sechs weiteren Projekten des Kompetenzzentrums Arbeitswelt.Plus erproben Forschungseinrichtungen und Unternehmen wie Dr. Oetker, Lenze, Miele, NTT DATA, Wago, und Weidmüller im Verbund mit Gewerkschaftspartnern ebenfalls konkrete Lösungen, in denen KI-Techniken für unterschiedliche Anwendungsfelder verfügbar gemacht werden.
Die Erfahrungen, Lösungen und das Know-how aus dem Kompetenzzentrum werden durch Angebote und Transferaktivitäten an mittelständische Unternehmen weitergeben. Die Forschungsergebnisse stehen unter anderem durch das Technologie-Netzwerk it’s OWL kleinen und mittleren Unternehmen zur Verfügung. So können Unternehmen kostenfrei von Analysen, Vorträgen und Workshops profitieren.
Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt wird als eines von elf Kompetenzzentren durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Zukunft der Wertschöpfung – Forschung zu Produktion, Dienstleistung und Arbeit“ gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut.