Mehr Nachhaltigkeit durch Additive Fertigung
Der industrielle 3D-Druck treibt die Nachhaltigkeit voran. Weil in Deutschland noch eine nationale Strategie fehlt, bleiben viele Potenziale noch ungenutzt.
Eines der berühmtesten 3D-gedruckten Bauteile weltweit ist sicherlich die im Flugzeugbau verwendete Einspritzdüse von GE. Denn sie ist, wie Mesago Messe Frankfurt, ausführt, nicht nur eine technische Meisterleistung, sondern zeigt auch, welchen Einfluss diese neue Technik auf Wirtschaft und Nachhaltigkeit haben kann: Mittels der Einspritzdüsen, die GE Aviation in seinem LEAP-Strahltriebwerk bei modernen Düsenjets verbaut, wurden Tausende Tonnen CO2 eingespart.
Wie das Unternehmen, Veranstalter der Formnext, ausführt, hat der 3D-Druck seit seinen Anfängen vor rund 40 Jahren in zahlreichen Branchen Einzug gehalten und ist dort nicht mehr wegzudenken. Inzwischen erkennen auch immer mehr Unternehmen, Manager und Politiker, welches Potential diese Technik, die im industriellen Einsatz auch Additive Fertigung oder Additive Manufacturing (AM) genannt wird, in Bezug auf Nachhaltigkeit bietet. Das reiche von sparsameren Turbinen oder leichteren Bauteilen für Flugzeuge über effizientere Kraftwerksgeneratoren und maßgeschneiderte Wärmetauscher bis hin zu Motoren, Pumpen und vielen anderen Aggregaten. „Die Additive Fertigung ist eine Technologie, die nachhaltige Produkte möglich macht. Dabei ist das Potential bei weitem noch nicht ausgereizt, in vielen Bereichen stehen wir erst am Anfang und können in den nächsten Jahren noch viele weitere Anwendungen erwarten“, so Matthias Schmidt-Lehr von Ampower, einem auf die Additive Fertigung spezialisierten Beratungsunternehmen aus Hamburg.
AM bei Siemens: CO2-Fußabdruck für AM-Bauteile
Die nachhaltigen Entwicklungen, die die Additive Fertigung ermöglicht, können, wie es weiter heißt, ein wichtiger Baustein sein, damit die EU, aber auch Konzerne wie Volkswagen, Siemens oder General Electric ihre CO2-Einsparziele erreichen. So setzt Siemens bereits seit vielen Jahren auf die Additive Fertigung und betreibt ein umfangreiches AM-Kompetenzzentrum in Erlangen, in dem verschiedene additive Verfahren evaluiert und präsentiert werden – auch verbunden mit Komponenten und Software des deutschen Traditionskonzerns. „Mit der Additiven Fertigung können wir in zahlreichen Konzernbereichen effizienter arbeiten und damit letztendlich auch CO2 einsparen“, so Dr. Karsten Heuser, Vice President Additive Manufacturing bei Siemens Digital Industries. „Wichtig ist es dabei, diesen Erfolg auch messbar zu machen. Mithilfe unserer Softwaretools können unsere Experten den CO2-Fußabdruck eines Bauteils ermitteln. Dadurch entscheidet sich, ob das Bauteil additiv gefertigt wird oder nicht.“
Im schwedischen Finspang hat die ehemalige Konzerntochter Siemens Energy einen der größten Fertigungsstandorte für Metall-3D-Druck in Europa aufgebaut und druckt dort seit vielen Jahren Brenner für Siemens-Gasturbinen. Die 3D-gedruckten Brenner werden in einem Stück hergestellt – wo bei einer konventionellen Fertigung vorher 13 Bauteile zusammengesetzt werden mussten. Aufgrund des optimierten Designs arbeiten die Brenner zudem auch effizienter, was letztendlich laut Siemens den CO2-Ausstoß einer ganzen Turbinen-Anlage um 7.000 Tonnen senken kann.
Gewichtseinsparung bei Robotergreifern
Als weiteres Beispiel nennt Heuser einen 3D-gedruckten Robotergreifer. Aufgrund des topologieoptimierten Designs kann die Additive Fertigung dabei 64 % Gewicht einsparen und den CO2-Fußabdruck um 82 % reduzieren, rechnet der Siemens-Ingenieur für einen Anwendungsfall vor. Allein im Bereich der Robotik sieht Heuser für die Zukunft noch enormes nachhaltiges Potential durch die Additive Fertigung. „Eine Vielzahl der rund 3 Mrd. installierten Roboter weltweit könnten heute schon mit 3D-gedruckten Greifern ausgestattet werden – damit wird nicht nur viel CO2 eingespart, sondern die Greifer können auch die Leistung der Roboter verbessern.“ Ein weiterer positiver Effekt in diesem Anwendungsfall: Der optimierte Roboter benötigt 54 % weniger Energie und 50 % weniger Platz.
Dass Nachhaltigkeit mittlerweile ein wichtiges Thema für die industrielle Produktion geworden ist, zeigt sich auch auf der Formnext, der weltgrößten Messe für Additive Fertigung, die jährlich in Frankfurt stattfindet. Im Rahmen der diesjährigen Partnerregion Nordic (Norwegen, Schweden, Finnland und Dänemark) werden nachhaltige Fertigungslösungen besonders akzentuiert.
Paradebeispiel Flugzeugbau
Auf der Formnext ist auch GE vertreten. Im Jahr 2016 hatte der amerikanische Mischkonzern mit seiner Tochter GE Aviation zwei führende Metall-3D-Druck Unternehmen übernommen: Concept Laser aus dem deutschen Lichtenfels und Arcam AB aus Schweden. Inzwischen hat sich GE Aviation im Werk in Auburn, Alabama, eine Additive Produktion mit Dutzenden 3D-Druckern aufgebaut, auf der schon mehrere Zehntausend Einspritzdüsen hergestellt wurden. 19 davon finden sich jeweils in einem LEAP-Triebwerk, das unter anderem beim Airbus A320neo zum Einsatz kommt und den Treibstoffverbrauch um bis zu 15 % reduzieren soll.
Der Flugzeugbau ist den Angaben zufolge generell ein wichtiges Anwendungsfeld der Additiven Fertigung. Denn gerade dort kann die Technik eine ihrer größten Stärken ausspielen: Über Topologieoptimierungen lassen sich zum Beispiel bionische Designs umsetzen, die an die Knochenstruktur von Menschen erinnern. Diese Designs, die sich in der Regel nur im 3D-Druck und zum Beispiel nicht in der Zerspanung umsetzen lassen, sind extrem stabil und sehr leicht. Die Gewichtsersparnis nutzen die Konstrukteure von Airbus, Boeing und anderen Herstellern, um Flugzeuge leichter zu machen – was letztendlich den Treibstoffverbrauch deutlich reduzieren kann.
Tausende Liter weniger Kerosin
Jedes reduzierte Kilogramm Gewicht spart jährlich rund 2000 Euro oder 2000 Liter Kerosin – in den nächsten Jahren dürften monetäre Einsparungen aufgrund weiter steigender Preise für CO2-Zertifikate sicherlich noch höher ausfallen. Und über eine Lebensdauer von 30 bis 40 Jahren pro Flugzeug kann damit jedes Kilogramm Gewicht weniger rund 100.000 Liter Kerosin einsparen.
Entsprechend intensiv haben die großen Flugzeughersteller bereits vor Jahren damit begonnen, ihre Flugzeugmodelle dahingehend zu scannen, wo sich durch Additive Fertigung das Gewicht senken lässt. Aufgrund der langen Entwicklungszeiten und der sehr hohen Sicherheitsanforderungen im Flugzeugbau benötigen die Änderungen, besonders beim Einsatz einer neuen Technik, viele Jahre. Doch inzwischen wird die Zahl der „fliegenden“ AM-Bauteile immer größer.
Ein gutes Beispiel für das hohe nachhaltige Potential der Additiven Fertigung seien sogenannte Brackets, die sich zahlreich in den Flugzeugen finden. Ampower hat in einer Studie den CO2-Abdruck bei der Fertigung dieser Bauteile berechnet. Im Produktionsprozess verursacht die Additive Fertigung im Vergleich mit der konventionellen Fertigung weniger Treibhausgase (8 kg CO2 im Vergleich zu 10). Doch das wahre Einsparpotential zeigt sich, wenn man die Bauteile in der Anwendung betrachtet: Durch sein niedrigeren Gewichts reduziert ein 3D-gedrucktes im Vergleich zu einem konventionell gefertigten (und designten) den CO2-Verbrauch um mehr als 43 Tonnen.
„Vor allem bei der Verarbeitung von Titan spart der 3D-Druck signifikant Energie im Vergleich zu anderen Produktionsmethoden“, berichtet Schmidt-Lehr, der mit Ampower einen CO2-Kalkulator entwickelt hat, der von der Materialherstellung über das Recycling bis zur Produktion den CO2-Fußabdruck für additive Bauteile berechnen kann. Dabei zeige sich auch, dass im Produktionsprozess einzelne Details eine wichtige Rolle spielen – zum Beispiel die Herkunft des Pulvers: „Abhängig von dem regionalen Energiemix kann die Pulverherstellung in Ländern wie China zu deutlich höheren CO2-Emissionen führen, als wenn regenerative Energiequellen genutzt werden, wie es einige Werke im Europäischen Raum derzeit tun,“ so der Ingenieur.
Große Potentiale, doch nationale Strategie fehlt
Das große Potential liegt aber, wie es weiter heißt, in den Anwendungen, das Feld dafür ist äußerst vielfältig. Oft lassen sich durch kleine, intelligent designte Bauteile ganze Systeme verbessern. Die Suche danach ist wie die Suche nach dem heiligen Gral der Anwendungsingenieure. Doch es muss nicht immer der große Wurf sein, oft haben auch kleine Verbesserungen deutliche Effekte. „Bis zu 80 % des Einflusses auf die Umwelt wird beim Design der Produkte festgelegt“, erklärt Heuser. Und auch dabei kann die Additive Fertigung enorm helfen, denn sie hebt die Produktentwicklung auf ein neues Niveau. „Schnelle Iterationen sind möglich – die Produkte können damit nachhaltige Qualität erreichen, die anders nicht möglich wäre“, so Heuser. Aber die Möglichkeiten der Additiven Fertigung sind noch weitaus vielfältiger: So können zum Beispiel Bauteile repariert werden, die dann nicht neu produziert werden müssen. Auch die dezentrale Produktion ist eine große Stärke der Additiven Fertigung: So können zum Beispiel Brillen regional und nicht wie üblich in China produziert werden – das spart weite Transportwege.
3D-Druck für Ersatzteile und Circular Economy
Auch große Automobilhersteller wie Daimler, aber auch viele andere Unternehmen wollen diesen Vorteil nutzen, um ihre Ersatzteilversorgung weiterzuentwickeln. Ein weiteres großes ökonomisches Plus von AM: Anders als bei konventionellen abtragenden Produktionstechniken wird nur das Material, das auch tatsächlich für das gedruckte Produkt benötigt wird, verbaut.
Generell ebnet die Additive Fertigung auch in anderen Industriebereichen einen nachhaltigen Weg: Es gibt zahlreiche Projekte der Circular Economy, bei denen Abfälle für den 3D-Druck wieder aufbereitet werden. Ein Beispiel dafür ist das Start-up PalPrint aus Paderborn, das maßgeschneiderte Kunststoff-Verpackungen zum Beispiel für den Transport von Maschinen- und Ersatzteilen in Unternehmen ressourcenschonend 3D-druckt und das Material immer wieder recycelt. So muss kein wertvolles Holz mehr für Kisten und Paletten verwendet werden.
Additive Fertigung auch in der Bauindustrie ein Thema
Auch in der Bauindustrie lassen sich aufgrund der Additiven Fertigung neue Gebäudedesigns umsetzen und beim Hausbau Material einsparen. So fertigt das junge dänische Unternehmen Wohn Strukturelemente für Häuser und verwendet dafür eine Mischung aus Sägemehl und recyceltem Kunststoff. Darüber hinaus haben Bauprojekte, bei denen nachhaltige lokale Materialien wie Lehm und Stroh verarbeitet wurden, die enormen nachhaltigen Möglichkeiten des 3D-Drucks unter Beweis gestellt. „AM hat das Potential, die Fertigung nachhaltiger zu machen, wenn man die Technologie breit einsetzt“, erklärt Heuser. „Allerdings wird das Potential dieser Technologie heute noch nicht ausreichend erkannt. Die Politik in Deutschland hat bisher wenig Aufmerksamkeit auf sie gerichtet.“ Im Gegensatz dazu ist die Additive Fertigung in den USA und China Teil der nationalen Wachstumsstrategien. „Eine AM-Strategie in Deutschland, die Teil der nationalen Wachstumsstrategie wäre, könnte auch der deutschen Branche erheblich zugutekommen.“
Rahmenprogramm und Konferenzen thematisieren nachhaltige Lösungen
Eine verstärkte Aufmerksamkeit erhält das Thema Nachhaltigkeit im Additive Manufacturing durch die jährliche internationale Fachmesse Formnext in Frankfurt am Main. Dort zeigen nicht nur die weltweit führenden Unternehmen der AM-Branche Lösungen, die CO2 reduzieren können. Auch das Rahmenprogramm und die Konferenzen der Formnext thematisieren aktuelle und künftige nachhaltige Lösungen, die der industrielle 3D-Druck möglich macht – von vertikalen Windturbinen über bio-inkludierte Städte bis zur nachhaltigeren Schuhproduktion. Partnerregion der Formnext 2023 sind zudem die „Nordics“ mit Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden, die besonders viel Wert auf eine nachhaltige Industrie legen und auf der Formnext unter anderem im Rahmen einer Sonderschau Musterbeispiele und Anwendungen aus den nordischen Ländern zeigen.
Weitere Beiträge zum Thema: