So wird synthetischer Kautschuk “grün“
Vier Fraunhofer-Institute unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Polymerforschung IAP erschließen alternative, biobasierte Rohstoffquellen für synthetischen Kautschuk, die ganz neue Kautschuktypen für Autoreifen ermöglichen werden. Das dreijährige Projekt wird von Fraunhofer mit 3,25 Millionen Euro finanziert und begann im April 2024.
Jährlich werden etwa 15 Mio. t synthetischer Kautschuk produziert – mit steigender Tendenz. Autoreifen sind dabei mit etwa 70 % der Hauptabnehmer für synthetischen Kautschuk. Die benötigten Monomere Butadien, Styrol und Isopren werden derzeit fast ausschließlich aus Erdöl gewonnen. Angesichts der schwindenden fossilen Ressourcen und der dringenden Notwendigkeit, CO2-Emissionen zu reduzieren, besteht weltweit ein großer Bedarf an nachhaltigen Alternativen. Zudem erfordern gesellschaftliche Bestrebungen, die Mobilität nachhaltiger zu gestalten, neue Anforderungen an Autoreifen, die fortschrittliche Materialien, Design- und Fertigungstechnologien benötigen.
Kunststoff-Fahrrad geht mit neuem Namen in Serie
Nachhaltige Rohstoffe für den synthetischen Kautschuk
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, erschließt ein Team aus vier Fraunhofer-Instituten im Rahmen des Projekts „Nachhaltige Biomonomere für synthetische Kautschuke mit anwendungsbezogenen einstellbaren viskoelastischen Eigenschaften NaMoKau“ biobasierte Rohstoffquellen für synthetischen Kautschuk. Beteiligt sind die Fraunhofer-Institute für Angewandte Polymerforschung IAP, für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS, für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM und für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik Umsicht. „In diesem Projekt erzeugen wir die Kautschuk-Monomere Butadien, Isopren und Dimethylbutadien aus biobasierten Alkoholen“, erklärt Dr. Barbara Zeidler-Fandrich vom Fraunhofer Umsicht. „Für diesen Prozess ist es entscheidend, einen besonders aktiven und selektiven Katalysator zu verwenden. Dafür entwickeln wir neue Materialien auf Basis von Tonmineralien.“
Einfluss des Strahlmittels auf die Oberflächenqualität
„Besonders die Herstellung von nachhaltigem Dimethylbutadien ist ein markantes Merkmal des Projekts, da dieses Monomer bisher technisch nicht verfügbar war und somit nicht in der Kautschukproduktion eingesetzt wurde“, fügt NaMoKau-Projektleiter Dr. Ulrich Wendler, Polymerexperte am Fraunhofer IAP, hinzu. „Wir werden Dimethylbutadien für die Kautschuksynthese zugänglich machen. Zusammen mit den Bausteinen Butadien und Isopren werden wir neue Polymerstrukturen mit einzigartigen mechanischen und thermischen Eigenschaften synthetisieren. So entstehen völlig neue biobasierte Kautschuktypen mit bisher unerreichbaren Materialeigenschaften, die sehr präzise eingestellt werden können“, so Wendler.
Auf dem Weg zu Autoreifen mit bisher unerreichten Eigenschaften
Eine der großen Herausforderungen bei der Entwicklung von Autoreifen ist es, einen idealen Ausgleich zwischen Rollwiderstand, Nassgriff und Abrieb zu finden. Zur Verbesserung dieser Parameter werden Füllstoffe, Verarbeitungshilfsmittel und andere Additive dem Kautschuk zugesetzt, die die Lauffläche des Autoreifens wesentlich beeinflussen. „Unser Ziel ist es, auf Basis der Kautschuktypen, die wir im Projekt erforschen werden, neue Mischungen für PKW-Laufflächen mit bisher nicht erreichbaren Eigenschaftsprofilen zu entwickeln. Das wird der Reifenindustrie neue Perspektiven eröffnen“, erklärt Professor Mario Beiner vom Fraunhofer IMWS.
Optimierung von additiv gefertigten Greifersystemen
Reifen-Demonstrator beschreibt den ökologischen Fußabdruck
Um die Markteinführung des Kautschuks so schnell wie möglich zu erreichen, ist der Einsatz digitaler Methoden im Materialdesign unverzichtbar – etwa um die Eigenschaften der komplexen Kautschukcomposite vorherzusagen. „Mittels datengestützter Simulationen machen wir gezielte Vorschläge für Versuche zur Synthese und zur Materialcharakterisierung. Dafür entwickeln wir einen Softwareprototypen zur modellbasierten Vorhersage, Unsicherheitsbewertung und Versuchsplanung“, sagt Professor Michael Bortz vom Fraunhofer ITWM.
Letztendlich wird aus den entwickelten Materialien ein vollständig testbarer Reifen-Demonstrator entstehen. „Die gesamte Wertschöpfungskette vom Monomer über das Polymer bis zum Kautschukcompound im Demonstrator wird mit einem Life Cycle Assessment begleitet. Durch diese systematische Analyse sind wir in der Lage, den ökologischen Fußabdruck ISO-konform zu ermitteln und zur Grünen Chemie beizutragen“, erläutert Dr. Markus Hiebel vom Fraunhofer Umsicht.
Mehr Nachhaltigkeit durch Additive Fertigung
Die Evolution des synthetischen Kautschuks schreitet rasch voran
Mit dem Projekt NaMoKau bauen die Fraunhofer-Forschenden ihre Expertise im Bereich synthetischen Kautschuks konsequent weiter aus: „In einem früheren institutsübergreifenden Fraunhofer-Projekt haben wir den biomimetischen synthetischen Kautschuk BISYKA entwickelt, der die herausragenden Abriebeigenschaften des Naturkautschuks sogar übersteigt. Das hier gewonnene Wissen im Bereich Synthese und Maßstabsübertragung ist äußerst hilfreich“, erläutert Wendler. Dank der Möglichkeiten im Fraunhofer-Pilotanlagenzentrum für Polymersynthese und -verarbeitung PAZ können Kautschukproduktion und -compoundierung im industrienahen Maßstab durchgeführt werden – ein absoluter Pluspunkt für Industriekunden wie Reifenhersteller, ebenso wie für Erzeuger von technischen Gummiwaren oder Medizinprodukten.
„Während wir im Projekt BISYKA einen synthetischen Kautschuk mit möglichst wenig Abrieb entwickelt haben, adressieren wir mit NaMoKau die Ökobilanz von synthetischem Kautschuk. Dies stellt eine sinnvolle und bedeutsame Ergänzung dar, die perfekt zu den gegenwärtigen Bemühungen der Gesellschaft zur Reduzierung von CO2– und Mikroplastikemissionen passt. Auf diese Weise setzen wir die Entwicklung eines nachhaltigen synthetischen Kautschuks fort und treiben seine Evolution voran“, so Wendler.