Anforderungen an Referenz-Hörräume und deren Realisierung
Zusammenfassung Referenzhörräume werden in verschiedenen Regelwerken spezifiziert. In diesem Artikel werden die wesentlichen Anforderungen dargestellt. Es zeigt sich, dass die Absolutwerte für Nachhallzeiten unterschiedlich spezifiziert sind. Messungen zeigen, dass diese kaum einzuhalten sind, wenn ein gleichmäßiger Nachhallzeitverlauf im Vordergrund steht.
Akustik-Studios bezeichnen allgemein Einrichtungen zur Aufnahme und Bearbeitung von Schallereignissen. Dabei kann es sich um Musik jeglicher Art handeln, ebenso um Sprache und Geräusche für Hörfunk, Television, Cineastik etc. Im Gegensatz dazu steht in Hörräumen die akustische Wiedergabe im Vordergrund, die von der Raumumgebung möglichst nicht verfälscht werden soll. So werden z. B. in Infotainmenteinrichtungen der OEMs Motor- oder andere Bauteilgeräusche synthetisiert und in Hörräumen abgespielt, um sie einem neutralen Auditorium zur Evaluation vorzuspielen. Auch Hersteller von Haushaltsgeräten nutzen Sounddesign und testen die Wirkung in derartigen Räumen. Wie aber sind die Anforderungen an den optimalen Referenzhörraum definiert und sind sie überhaupt einzuhalten?
Anforderungen
Generell umfasst der Hörbereich etwa 10 Oktaven (20 Hz bis 20 kHz), d. h. also Wellenlängen von 17,2 m bis 17,2 mm. Im tiefen Frequenzbereich gilt es Modenbildung, -überlappung und stehende Wellen zu vermeiden. Im mittleren und hohen Frequenzbereich sollte das akustische Raumfeld keine frühen Reflexionen aufweisen, damit Kammfiltereffekte erst gar nicht auftreten. Wenn die direkte Schallwelle mit ihrer um ca. 2–15 ms verzögerten reflektierten Welle interferiert, werden Stehwelligkeiten generiert, die dann zu unangenehm störenden Klangfarben führen. Frühe Reflexionen zwischen 1 kHz und 8 kHz sollen daher mindestens 15 dB unterhalb des Direktsignals liegen. Der Nachhall soll in weiten Bereichen möglichst frequenzunabhängig sein.
Akustische Parameter werden zunächst im Wesentlichen durch die Nachhallzeit (zu messen in Terzen nach ISO 3382) definiert, wobei unterschiedliche Normen oder Standards herangezogen werden:
DIN 18401 [1] gibt ganz allgemein Hinweise, wo die Soll-Nachhallzeit Tsoll abhängig vom Raumvolumen liegen soll. Für mit Musik beaufschlagte Räume (Kategorie A1) wird die Formel
Tsoll, A1 = (0,45 x lg V[m³] + 0,07) s
herangezogen. Die Toleranzen sind in Bild 1 angegeben und liegen im mittleren Frequenzbereich bei ± 20 %.
Das Toleranzband ist mit ± 0,15 s also weiter, insbesondere werden hier bei f < 200 Hz keine Minimalwerte für T gesetzt und für f > 4 kHz beide Grenzen erweitert.
Die European Broadcasting Union [3] macht hierzu die strengsten Vorgaben (Bild 3), da sie die Nachhallzeit im Bereich 200 Hz bis 4 kHz in einem Toleranzband von ± 0,05 s spezifiziert, wobei die nominelle Nachhallzeit Tm im Bereich 0,2 s < Tm < 0,4 s liegen sollte.
Die nominelle Nachhallzeit Tm [s] wiederum rechnet sich aus dem Studiovolumen V [m³] und dem Referenzvolumen V0 = 100 m³ zu
Tm = 0,25x(V/V0)1/3.
Die Vorschrift ITU-R BS:1116-1 [4] entspricht bzgl. der Nachhallzeitvorgaben genau der EBU [3], jedoch werden die Toleranzen ab 4 kHz auf ±0,1 gesetzt.
Darüber hinaus werden in IEC 60268-13 für einen Standard-Hörraum die Dimensionen L x B x H = 7,0 x 5,3 x 2,7 m (V = 100,7 m³) empfohlen. Klare Angaben, bis zu welchen Frequenzen ein derartiger Raum zu betreiben ist, fehlen. Wenn die Anforderungen bis 25 Hz reichen, sollten unter Beachtung von [5] die Längen-, Breiten- und Höhenverhältnisse sorgfältig gewählt und nach [6] ein höheres Volumen (V > 200 m³) angesetzt werden.
Realisierung
Zwei Räume konnten kürzlich realisiert werden; Raum 1 mit den Maßen L x B x H = 7,6 x 6,3 x 3,1 m (V = 148 m³) und Raum 2 mit L x B x H = 8,5 x 5,9 x 3,7 m (V = 185 m³).
Raum 1 wurde zu etwa 2/3 mit speziellen mikroperforierten Platten (Hohlraum 200 mm mit Mineralwolle gefüllt) ausgekleidet, deren Absorptionsgrad aus Bild 4 zu ersehen ist.
Der Rest der Wände blieb schallhart und wurde ca. 15° gegen die Raumachse schräg gestellt, auch um stehende Wellen zu vermeiden. Die Decke wurde mit absorbierenden Modulen (Bild 5), ausgestattet, der Boden mit Velours-Teppichboden (6 mm Flor) belegt.
Zudem wurde ringsum das Deckenfries als Kantenabsorber (Querschnitt 500 x 500 mm) für tiefe Frequenzen eingebaut.
Raum 2 wurde vergleichsweise einfach ausgestattet: Die Wände wurden mit absorbierenden Holzschlitzplatten, deren Absorptionsgrad aus Bild 6 zu ersehen ist, verkleidet.
Der Boden wurde ebenfalls mit Veloursteppich ausgelegt, die Decke mit Modulplatten ausgestattet, deren Absorptionsgrad in Bild 5 dargestellt ist.
Ergebnisse
Bild 7 zeigt die erzielten Nachhallzeiten für Raum 1 und 2 im Rahmen der Vorgaben nach IEC 60268-13 [2].
Raum 2 weist dagegen ein 1,7-fach höheres Volumen auf. Dennoch liegen dessen Nachhallzeiten noch niedriger (Tm,2 = 0,19 s), da generell der Wandabsorber höhere Absorptionswerte und eine größere Fläche aufweist. Reduziert man die Grenzkurven um 0,2 s, liegen die Werte beider Räume im Toleranzfeld.
Nach DIN 18401 [1] errechnet sich für Raum 1 eine Soll-Nachhallzeit von Tsoll,1 = 0,97 s und für den Raum 2 Tsoll,2 = 1,08 s. Beide Werte liegen erheblich über diesen Vorschlägen.
Eine strengere Bewertung muss nach EBU [1] oder ITU-R [4] folgen.
Für Raum 2 ist die Situation in Bild 9 dargestellt, hier beträgt der Toleranzband-Offset –0,06 s. Nach dieser Vorschrift errechnet sich die mittlere Nachhallzeit für Raum 1 Tm,EBU,1 = 0,28 s, für Raum 2 soll sie Tm,EBU,2 = 0,30 s betragen.
Ein weiterer Referenzhörraum (V = 120 m³), aus der Literatur [7] entnommen, sollte danach Tm,EBU,3 = 0,27 s zeigen. Die gemessene Nachhallzeit liegt allerdings auch hier zu niedrig bei 0,15 s.
Bewertung
Absolut entscheidend ist der geradlinige Verlauf der Nachhallzeit und daher die Einhaltung der Toleranzgrenzen nach EBU [1] oder ITU-R [4]. Selbst ein relativ einfacher Rechteckraum (ohne schräge, reflektierenden Flächen, ohne Kantenabsorber) mit breitbandig hohen Absorptionsgraden führt fast zum Ziel.
Die absoluten Vorgabewerte der Standards für die mittleren Nachhallzeiten sind jedoch zu hinterfragen. IEC 60268-13 [1] schreibt keine Korrelation zur Raumgröße vor, sondern offenbar gleiche Werte, unabhängig vom Raumvolumen. Wenn die Einhaltung der Toleranzen an erster Stelle steht, sind auch die Absolutwerte nach EBU [1] schwer einzuhalten.
Die Absolutvorgaben für die mittleren Nachhallzeiten der relevanten Regelwerke sind verschieden. Die Tendenz muss jedenfalls zu niedrigen Werten gehen, da sonst auch das Risiko von Flatterechos in Kauf genommen wird.
Literatur
[1] DIN 18041:Hörsamkeit in Räumen – Anforderungen, Empfehlungen und Hinweise zur Planung. Berlin: Beuth 2016.
[2] IEC 60268-13-2nd edition 1998-03 – sound system equipment – part 13: listening tests on loudspeakers
[3] EBU Tech. 3276-2nd edition 1998 – Listening conditions for the assessment of sound programme material: monophonic and two-channel stereophonic (European Broadcasting Union CH)
[4] ITU-R BS.1116-1: Methods for the subjective assessment of small impairments in audio systems including multichannel sound systems (1994-1997).
[5] Everest, A.: “The Master Handbook of Acoustics” 4th ed. 2001; Chap. 13.
[6] Werner, U.: “Handbuch Schallschutz und Raumakustik”, 2. Aufl. 2015; Bild.6.36.
[7] Fuchs, H.: „Schallabsorber und Schalldämpfer“, S.167 Berlin: Springer 2004.
Dipl.-Phys.Walter Baumann, Leiter Technik Schallmessräume, M.Tech. Abhay Rajmane,Entwicklungsingenieur,G+H Schallschutz GmbH Mannheim