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Neues Grundlagendokument 01.05.2015, 00:00 Uhr

Normung zum betrieblichen Arbeitsschutz

Seit Januar 2015 steht ein neuer Meilenstein auf dem Weg zu einem einheitlichen Vorschriften- und Regelwerk im Arbeitsschutz. In einem Grundsatzdokument regeln die Arbeitsschutzkreise, welche Rolle Normen künftig im gesamten Vorschriften- und Regelwerk des Arbeitsschutzes spielen können.

Quelle: PantherMedia / Randolf Berold

Quelle: PantherMedia / Randolf Berold

Einleitung

Der betriebliche Arbeitsschutz ist in Deutschland auf vielfältige Weise geregelt. Verbindliche Gesetze, Verordnungen, das technische Regelwerk von Staat und Unfallversicherungsträgern (UVT) neben freiwilligen Normen oder unternehmensinternen Standards sind Teil einer langen Liste.

Als Leitfaden für den Stellenwert von Normen im Reigen dieser Regelungen können der Gemeinsame Deutsche Standpunkt (GDS) von 1993 [1] und das neue Grundsatzpapier zur Rolle der Normung im betrieblichen Arbeitsschutz [2] dienen. Diese Dokumente stellen klar, dass grundsätzlich das technische Regelwerk von Staat und UVT die Rechtsgrundlagen zum betrieblichen Arbeitsschutz konkretisiert. Im Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes und damit des Artikels 153 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sind europäische Normen nicht vorgesehen. Stattdessen füllen die Mitgliedstaaten die europäischen Richtlinien nach Artikel 153, wie z. B. die Lärmrichtlinie 2003/10/EG, mit eigenem Regelwerk aus – in Deutschland mit der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung mit ihren technischen Regeln. Sie dürfen dabei über die Mindestanforderungen der europäischen Richtlinie hinausgehen. Eine europaweite Angleichung durch Normen steht diesem Konzept entgegen.

Dennoch existieren Normen, die z. B. die Messung von Endotoxinen und Mikroorganismen in der Arbeitsplatzatmosphäre beschreiben: eindeutig ein betrieblicher Aspekt. Auch finden sich Normen, die beschreiben, welche persönliche Schutzausrüstung (PSA) bei bestimmten Labortätigkeiten zu tragen ist oder welche Erste-Hilfe-Maßnahmen erforderlich sein können: Entscheidungen, die eigentlich in der Verantwortung des Arbeitgebers nach einer Gefährdungsbeurteilung liegen, und damit außerhalb der Normung. Zudem weisen technische Regeln von Staat und UVT Normenbezüge auf. So bezieht sich die Technische Regel für Gefahrstoffe zur Ermittlung, Beurteilung und Maßnahmen bei Gefährdungen durch Hautkontakt (TRGS 401) auf die DIN EN 455 zu Schutzhandschuhen oder die DIN EN ISO 17075 zur Bestimmung des Chrom(VI)-Gehaltes in Leder.

Theorie und Praxis

Der GDS sowie das zugehörige Interpretationspapier [3] benennen Bereiche, in denen Normen im Einzelfall sinnvoll sein können, z. B. die o. g. Messmethode. In anderen Bereichen, insbesondere solchen, die in der Verantwortung der Arbeitgeber liegen, sollten Normungsprojekte zum betrieblichen Arbeitsschutz abgelehnt werden, z. B. zur Auswahl von PSA. Betriebliche Arbeitsschutznormen fließen jedoch – unabhängig von den deutschen Vorstellungen – aus vielen anderen Mitgliedstaaten auch in das deutsche Normenwerk ein. Diese Normen lassen sich von einem einzelnen Mitgliedstaat – auch mit einem GDS – kaum verhindern, da eine Vielzahl anderer Mitglieder der europäischen oder internationalen Normungsorganisationen CEN und ISO diese Normen wünscht. Das DIN hat zumindest für fertige europäische Normen eine Übernahmepflicht, kann also deren Zufluss nicht stoppen.

Dass Staat und UVT in ihren technischen Regeln Normen in Bezug nehmen, um z. B. Anforderungen der Regeln zu konkretisieren, ist gelebte Praxis. Allerdings erfolgte dies bislang ungeregelt. Die Arbeitsschutzkreise in Deutschland haben sich daher die Frage neu gestellt, welche Normen in Deutschland den betrieblichen Arbeitsschutz sinnvoll unterstützen könnten und unter welchen Voraussetzungen ggf. auch durch die technischen Ausschüsse von Staat und UVT herangezogen werden können.

Was ist neu?

Das jetzt vorliegende neue Grundsatzdokument betont den Vorrang von Vorschriften und Regeln des Staates und der UVT vor Normen. Normen sind jedoch zur Unterstützung des Regelwerks nutzbar.

Künftig soll schon zu Beginn neuer Normprojekte eine Auswahl mit der Kernfrage stattfinden: Ist das neue Normprojekt zulässig und sinnvoll für den Arbeitsschutz? Hierbei wirken alle relevanten Kreise mit. DIN informiert die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) über neue Normvorschläge. Die KAN prüft das neue Projekt entlang festgelegter Kriterien und berücksichtigt dabei die Expertise der technischen Ausschüsse des Staates und der Fachbereiche der UVT:

 Ist der soziale Arbeitsschutz betroffen?

 Decken bestehende Regeln das Normungsthema bereits ab?

 Ist es sinnvoll, das Thema außerhalb der Vorschriften und Regeln zu beschreiben (z. B. bei Messverfahren)?

 Wie ist die Qualität des Normantrags?

 Sind Vertreter des Arbeitsschutzes zur Mitarbeit an dem Projekt bereit?

Sind sich alle Kreise des Arbeitsschutzes einig, ob abgelehnt oder zugestimmt werden soll, kann die KAN entsprechend votieren. Gegenüber den anderen Mitgliedstaaten liegt eine gut begründete Entscheidung aller Arbeitsschutzkreise vor.

Konnte eine ungewollte Norm nicht verhindert werden, kann das nationale Vorwort der Norm genutzt werden, um z. B. verbliebene Widersprüche zum nationalen Regelwerk zu beschreiben.

Wollen Staat und UVT Normen für ihr technisches Vorschriften- und Regelwerk nutzen, ist auch hier eine Prüfung im Sinne der oben genannten Kriterien sinnvoll. Sieht ein technischer Ausschuss eine Norm als hilfreich an, kann er sie auf verschiedene Art und Weise nutzen: Kostenfrei und ohne gesonderte DIN-Erlaubnis ist es möglich, auf eine Norm als Quelle zu verweisen oder sie als Literatur zu listen. Auch kann auf eine Norm verwiesen werden, um z. B. eine Anforderung zu konkretisieren. Die TRGS 519 „Asbest: Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten“ fordert z. B. ein Typenschild gemäß Normen der Reihe DIN EN 60335 zur Sicherheit elektrischer Geräte. Dem Endanwender der technischen Regel sollen keine Kosten entstehen, wenn hierin Normen verwendet werden. Die Vergütung gegenüber DIN, wenn Teile von Normen, wie Texte, Tabellen oder Volltexte, im Vorschriften- und Regelwerk zitiert werden, wird derzeit zwischen Staat, Gesetzlicher Unfallversicherung und DIN beraten.

Ausblick

Der Normung ist ein begrenzter Platz im technischen Vorschriften- und Regelwerk des betrieblichen Arbeitsschutzes zugewiesen. Das hat Folgen:

 Künftig werden die Arbeitsschutzkreise – basierend auf den Vorgaben des Grundsatzdokuments – zu entscheiden haben, ob sie eine betriebliche Arbeitsschutznorm ablehnen oder im Einzelfall als hilfreiche Konkretisierung des Vorschriften- und Regelwerks ansehen.

 Die technischen Ausschüsse von Staat und UVT werden in ihren Regeln und Vorschriften auf Normpassagen oder Hinweise auf Normen zurückgreifen können, wenn sie dies gemäß Grundsatzdokument als sinnvoll ansehen.

 Solche Normen, die nicht verhindert werden konnten, sollen durch den Normanwender über das nationale Vorwort über die relevanten technischen Regeln und Vorschriften in Deutschland informieren.

Derzeit prüft die KAN, ob für die Praxis einzelne Punkte des neuen Grundsatzdokuments vertieft werden müssen und welche Konsequenzen sich für den GDS ergeben. Die Praxis wird zeigen, wie gut sich die Arbeitsschutzkreise bei den konkreten Normungsprojekten einigen werden und wie wirkungsvoll sich die deutsche Position im europäischen und internationalen Geschäft durchsetzen lässt.

Literatur

  1. Gemeinsamer Standpunkt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, der obersten Arbeitsschutzbehörden der Länder, der Träger der gesetzlichen Unfallversicherungen, der Sozialpartner sowie des DIN Deutsches Institut für Normung e. V. zur Normung im Bereich der auf Artikel 118a des EWG-Vertrages gestützten Richtlinien (heute Artikel 137). BArbBl. (1993) Nr. 1, S. 37-39.
  2. Grundsatzpapier zur Rolle der Normung im betrieblichen Arbeitsschutz. GMBI. (2015) Nr. 1, S. 1–7 und www.kan.de
  3. Grenzen und Spielräume für betriebliche Arbeitsschutznormung. KANBrief (2009) Nr. 2, S. 6–7.
  4. www.kan.de/publikationen/kanbrief/ergonomie-gds-bau- aktuelle-schwerpunkte-der-kan/grenzen-und-spielraeume- fuer-betriebliche-arbeitsschutznormung/
Von A. Janowitz

Dipl.-Biol. Angela Janowitz, Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN), Sankt Augustin.