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+++ Exklusiver Fachbeitrag +++ 17.05.2024, 14:18 Uhr

Beurteilung witterungsbedingter Koronageräusche von Höchstspannungsfreileitungen im Zusammenhang mit der Änderung des EnWG 2022

Entladungsgeräusche an Hochspannungsfreileitungen, so genannte Koronageräusche, treten witterungsbedingt auf und erreichen bei Niederschlag die höchsten Werte. Für die Beurteilung dieser besonderen Anlagengeräusche wurde mit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm vom Juli 2022 ein neuer Absatz 2b in § 49 (Anforderungen an Energieanlagen) eingefügt, der zusammen mit der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) anzuwenden ist. Nach der Einführung und Beschreibung des Phänomens und der Eigenheiten von Koronageräuschen beginnt nachfolgender Aufsatz mit einem Exkurs zu Windenergieanlagen, bei denen ebenfalls witterungsbedingt entstehende Geräusche zu ermitteln und zu beurteilen sind. Es folgt eine Darlegung der neuen EnWG-Vorgaben sowie die Herleitung und Begründung eines maßgeblichen Betriebszustands („Hauptbetriebszustand“) für mit Wechsel- bzw. Drehstrom betriebene 220- oder 380-kV-Freileitungen. Dieser Hauptbetriebszustand wird mit einer Niederschlagsintensität definiert, die innerhalb des aktuellen Rechtsrahmens und vor dem Hintergrund statistischer Daten des Deutschen Wetterdienstes aus gutachterlicher Sicht angemessen und für die Ermittlung und Bewertung der entstehenden Koronageräusche geeignet ist. Für diesen Zustand können die beurteilungsrelevanten Geräuschemissionen einer betroffenen Leitungskonstruktion sowohl rechnerisch prognostiziert als auch im Betrieb messtechnisch bestimmt werden. Für Betreiber immissionsschutzrechtlich nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen gilt nach § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG in Verbindung mit Nr. 4.1a der TA Lärm die Grundpflicht, schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche zu verhindern, die nach dem Stand der Technik zur Lärmminderung vermeidbar sind. Angesichts der Besonderheiten der betroffenen Anlagen werden abschließend Kriterien erörtert, nach denen der Stand der Lärmminderungstechnik für Freileitungen im Stromübertragungsnetz bestimmt werden kann.

Bild 1: Freileitung mit 220-kV- und 380-kV-Stromkreis. Foto: TransnetBW

Bild 1: Freileitung mit 220-kV- und 380-kV-Stromkreis.

Foto: TransnetBW

Einführung

Mit dem aktuellen Bundes-Klimaschutzgesetz ist das Bestreben der Bundesregierung, eine Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und damit Netto-Treibhausgasneutralität in der Energiewirtschaft bis 2045 zu erreichen, gesetzlich verankert worden. Dabei unterliegt der Wunsch nach einer Unabhängigkeit von Erdgas und Öl durch die aktuelle geopolitische Lage einer besonderen Dringlichkeit. Einem entsprechend forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien im Stromsektor müssen erweiterte und beschleunigte Ausbauszenarien auch für das Übertragungsnetz folgen, was wiederum eine steigende Zahl behördlicher Genehmigungsverfahren nach sich zieht. Neben zahlreichen anderen Aspekten spielt hierbei der Immissionsschutz eine bedeutende Rolle. Bei Hochspannungsfreileitungen sind insbesondere durch den Betrieb verursachte Schallimmissionen zu ermitteln und nach den Vorgaben der TA Lärm zu beurteilen.

Dies aber stellt wegen der eher seltenen Bedingungen für das Auftreten und der großen Schwankungsbreite von Koronageräuschpegeln nach wie vor eine anspruchsvolle Aufgabe dar. Seit mehreren Jahren bemühen sich daher Experten aus Industrie und Wissenschaft sowie Schallgutachter zusammen mit Übertragungsnetzbetreibern um standardisierte Regeln hierzu [1], [2], [3]. Parallel und begleitend zur vorliegenden Publikation wurde dazu eine neue DIN VDE Vornorm erarbeitet (DIN V VDE 0210–30 „Koronageräusche von Hochspannungsfreileitungen mit einer Nennspannung von 220 kV und darüber“), die vom Normungskomitee für Freileitungen (K 421) unter dem Dach der DKE (Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE) voraussichtlich noch in 2023 als Entwurf herausgegeben wird.

Mechanismus der Geräuschentstehung

Ursache für Geräuschemissionen beim Betrieb von Hoch­spannungsfreileitungen sind äußere Teilentladungen in der Umgebungsluft. Sie werden als Koronaentladungen bezeichnet und treten ggf. unmittelbar an Störstellen auf der Oberfläche der Spannung führenden Leiter auf. Bei mit Wechsel- bzw. Drehstrom betriebenen Leitungen, die Gegenstand der nachfolgenden Betrachtungen sind, machen sich vor allem Regentropfen als Störstellen bemerkbar. Durch die elektrische Dimensionierung der Frei­leitungen ist an ideal sauberen und unbeschädigten Leiterober­flächen bei trockener Witterung keine Korona-Aktivität zu erwarten. Weicht der Zustand der Leiterseile durch Schmutzpartikel oder Wasser, Schnee und Eis von diesem Idealzustand ab, so kann das elektrische Feld an diesen Störstellen Werte erreichen, die eine lokale Stoßionisation der Luft (Korona-Entladung) und einen akustischen Puls zur Folge haben. Durch die Summe vieler Pulse entlang der Leiter entsteht ein relativ breitbandiges, knisterndes oder prasselndes Geräusch.

Dieses Geräusch wird häufig durch ein tonales Geräusch mit zweifacher Netzfrequenz (also 100 Hz in Europa) und deren höheren Harmonischen begleitet [4]. Während das knisternde bzw. prasselnde Geräusch seinen Ursprung in den einzelnen Korona-Entladungen hat, rührt das tonale Geräusch von der Bewegung der durch die Ionisation gebildeten Ionen. Diese driften auf Grund des elektrischen Feldes in der Umgebung der Leiterseile, wo sie der Luft über Stoßprozesse Impulse übertragen. Die Summe all dieser Impulse bewirkt in der Luft eine Wärmezufuhr und eine beschleunigende Kraft [5].

Grundsätzliche Eigenschaften von niederschlagsbedingten Koronageräuschen und Vergleich zu Windenergieanlagen

Koronageräusche von Hochspannungsfreileitungen unterscheiden sich nach dem Wesen (Witterungsabhängigkeit, Wahrnehmung) und der Form der Quelle (ausgedehnte Linienstruktur) von vielen anderen gewerblichen Geräuschemittenten. Auf die Intensität von Koronageräuschen ist an einer bestehenden Frei­leitung keine Einflussnahme durch frei änderbare Parameter im Netzbetrieb möglich. Koronageräusche sind vielmehr stark vom Wettergeschehen abhängig und unterliegen aus diesem Grund signifikanten Schwankungen. Regenniederschlag ist die maßgeb­liche Emissionsursache und Fremdgeräusch zugleich, was häufig Fragen für die Beurteilung mit Bezug auf das Regelwerk der TA Lärm im Hinblick auf den beurteilungsrelevanten Betriebszustand aufwirft.

Hier ergeben sich Analogien zum Emissionsverhalten bei Windenergieanlagen (WEA), bei denen ebenfalls ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Witterungsbedingungen und akustischen Emissionen vorliegt. Das Vorgehen bei der Beurteilung der Geräusche von WEA und witterungsbedingten Koronageräuschen ist aber unterschiedlich. Augenfällig ist, dass für WEA aufgrund ihrer Besonderheiten ergänzende und konkretisierende Regelungen zur Anwendung der TA Lärm vorliegen (siehe u. a. LAI: „Hinweise zum Schallimmissionsschutz bei Windkraftanlagen (WKA)“, 2016-06), während dies für Hochspannungsfreileitungen bislang nicht der Fall ist.

Im Allgemeinen wird im Rahmen einer Schallimmissionsprognose von Anlagengeräuschen der schalltechnisch maßgebliche Betriebszustand der jeweiligen Anlage ermittelt und für die Beurteilung angesetzt, der zu den höchsten Beurteilungspegeln führt.

Analog zu der Entstehung von Koronageräuschen wird die Geräuschcharakteristik von Windenergieanlagen ebenfalls durch meteorologische Größen beeinflusst. Mit zunehmender Windintensität steigen auch die aerodynamischen Geräuschemissionen der WEA an. Der höchste Schallleistungspegel und somit der schalltechnisch ungünstigste Betriebszustand wird üblicherweise bei Erreichen der jeweiligen Nenndrehzahl bzw. bei Betrieb im jeweiligen Nennleistungsbereich der WEA hervorgerufen. In der Genehmigungspraxis wird somit für die Beurteilung der anlagenspezifischen Geräusche von WEA ein Betriebszustand angesetzt, der in Abhängigkeit von einer meteorologischen Größe (Windgeschwindigkeit) und typischerweise von zwei Anlagenparametern (Rotordrehzahl und elektrische Leistung) bestimmt wird.

Im Unterschied zu WEA sind die Geräuschemissionen von Hochspannungsfreileitungen nicht in der Zunahme der Rotordrehzahl bzw. Anlagenleistung zu begründen, sondern korrelieren nahezu ausschließlich mit den Witterungsbedingungen, insbesondere mit Niederschlagsereignissen. Die fehlende Möglichkeit, den ungünstigsten Betriebszustand von Hochspannungsfreileitungen auf messbare Anlagenbetriebsparameter zu beziehen – wovon die TA Lärm in ihrem Regelwerk ausgeht – legt den Bedarf nach einer alternativen Bemessungsgröße nahe. Eine maßgebliche Niederschlagsintensität als Referenzgröße würde sowohl im Rahmen von Prognosen als auch von messtechnischen Überprüfungen eine einheitliche Beurteilungspraxis ermöglichen oder zumindest erleichtern.

Neue Regelung im Energiewirtschafts­gesetz (EnWG) zur Beurteilung von Anlagengeräuschen in Höchstspannungsnetzen

In Ergänzung zu den Vorgaben der TA Lärm wurde mit dem Gesetz zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm vom 19. Juli 2022 (BGBl. I S. 1 214) ein neuer Absatz 2b zu den witterungsbedingten Anlagengeräuschen von Höchstspannungsnetzen in § 49 EnWG eingefügt, der die Beurteilung dieser Geräusche erleichtern und damit die Planungs- und Genehmigungsverfahren vereinfachen und beschleunigen soll:

„(2b) Witterungsbedingte Anlagengeräusche von Höchstspannungsnetzen gelten unabhängig von der Häufigkeit und Zeitdauer der sie verursachenden Wetter- und insbesondere Niederschlagsgeschehen bei der Beurteilung des Vorliegens schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Absatz 1 und § 22 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes als seltene Ereignisse im Sinne der Sechsten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische An­leitung zum Schutz gegen Lärm). Bei diesen seltenen Ereignissen kann der Nachbarschaft eine höhere als die nach Nummer 6.1 der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm zulässige Belastung zugemutet werden. Die in Nummer 6.3 der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm genannten Werte dürfen nicht überschritten werden. Nummer 7.2 Absatz 2 Satz 3 der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm ist nicht anzuwenden.“

Als maßgebliche Immissionsrichtwerte gelten somit für witterungsabhängige Geräusche von Hochspannungsfreileitungen – einheitlich und unabhängig von der Gebietszuordnung der jeweiligen Immissionsorte – die für seltene Ereignisse nach Nr. 7.2 i. V. m Nr. 6.3 S. 1 TA Lärm festgelegten maximal zulässigen Richtwerte im Tageszeitraum von 70 dB(A) und im Nachtzeitraum von 55 dB(A) (ausgenommen Industriegebiete mit ebenfalls nachts 70 dB(A)). Da die Wetterbedingungen und die entsprechenden Betriebsgeräusche ohne relevante Unterschiede zwischen Tag und Nacht auftreten, kann für die Beurteilung der Schallimmissionen gemäß TA Lärm der empfindlichere Nachtrichtwert i. d. R. als ausschließlich maßgebend angewendet werden.

Der neue § 49 Abs. 2b EnWG wurde erst in einem fortgeschrittenen Stadium des Gesetzgebungsverfahrens auf Vorschlag des Ausschusses für Klimaschutz und Energie in das Gesetz aufgenommen. Die Begründung des Vorschlags durch den Ausschuss fällt knapp aus (vgl. BT-Drs. 20/2402, S. 46):

„Die Änderung im neuen § 49 Absatz 2b führt dazu, dass witterungsbedingte Anlagengeräusche von Höchstspannungsnetzen, die in der Regel an wenigen Stunden bzw. Tagen eines Jahres durch Niederschlag oder hohe Luftfeuchtigkeit auftreten können, bei der Beurteilung des Vorliegens schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne von §§ 3 Absatz 1 und 22 Bundesimmissionsschutzgesetz als seltenes Ereignis im Sinne des TA Lärm gelten. Als Konsequenz gelten die höheren Grenzwerte der Nummer 6.3 der TA Lärm. Die bislang für Anlagen geltenden Grenzwerte nach Nummer 6.1 der TA Lärm müssen durch die Änderungen für Höchstspannungsnetze entsprechend nicht mehr eingehalten werden.“

Die Neuregelung greift in das Bewertungssystem der TA Lärm für schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche ein und wirft deshalb einige Fragen auf.

Ausweislich des Wortlauts des § 49 Abs. 2b EnWG und insbesondere des Satzes 4 mit der ausdrücklichen Bestimmung der Nichtanwendbarkeit der Nr. 7.2 Abs. 2 S. 3 TA Lärm sowie der Begründung des Ausschusses wollte der Gesetzgeber die Beurteilung witterungsbedingter Anlagengeräusche von Höchstspannungsnetzen von allen zeitlichen Beschränkungen der TA Lärm für seltene Ereignisse freistellen. In der Praxis bestand vor der Gesetzesänderung das Problem, dass nicht immer sicher prognostiziert werden konnte, ob bestimmte Wetterereignisse an weniger als zehn Tagen und Nächten eines Kalenderjahres und nicht an mehr als an jeweils zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden auftreten und deshalb nach Nr. 7.2 Abs. 1 S. 1 TA Lärm als seltene Ereignisse gelten (z. B. bejaht für starken Schneefall im Stadtgebiet Herdecke von BVerwG, U. v. 12.11.2020 – 4 A 13.18, juris Rn. 48). Dieses Problem ist durch § 49 Abs. 2b EnWG gelöst, witterungsbedingte Anlagengeräusche von Höchstspannungsnetzen sind unabhängig von der Häufigkeit und Zeitdauer ihres Auftretens seltene Ereignisse.

Von der Neuregelung des § 49 Abs. 2b EnWG unberührt bleibt die in § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG und Nr. 4.1 TA Lärm geregelte Grundpflicht des Betreibers, die Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche verhindert werden, die nach dem Stand der Technik zur Lärmminderung vermeidbar sind, und nach dem Stand der Technik zur Lärmminderung unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden (zur Geltung dieser Vorschriften bei Höchstspannungsleitungen vgl. BVerwG, U. v. 27.7.2021 – 4 A 14.19, juris Rn. 37 ff. – ständige Rechtsprechung). Eine Überschreitung der Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 und 6.2 TA Lärm ist bei seltenen Ereignissen nach Nr. 7.2 Abs. 1 S. 1 TA Lärm nur „bei Einhaltung des Standes der Technik zur Lärmminderung“ möglich. Zu klären ist, ob § 49 Abs. 2b EnWG bei witterungsbedingten Anlagengeräuschen auch von dieser Prüfungsvoraussetzung suspendiert (dazu unten).

Weiter stellt sich die Frage, ob dem Betreiber und der Genehmigungsbehörde bei der Inanspruchnahme der Immissionsrichtwerte für seltene Ereignisse eine Prüfung obliegt, in welchem Umfang der Nachbarschaft eine höhere als die nach den Nummern 6.1 und 6.2 zulässige Belastung zugemutet werden kann. Nach Nr. 7.2 Abs. 2 S. 1 TA Lärm ist bei seltenen Ereignissen stets im Einzelfall unter Berücksichtigung der Dauer und der Zeiten der Überschreitungen, der Häufigkeit der Überschreitungen durch verschiedene Betreiber insgesamt sowie von Minderungsmöglichkeiten durch organisatorische und betriebliche Maßnahmen zu prüfen, ob und in welchem Umfang der Nachbarschaft eine höhere als die nach den Nrn. 6.1 und 6.2 TA Lärm zulässige Belastung zugemutet werden kann. Bei Anwendung der Regelungen für seltene Ereignisse dürfen nach Nr. 7.2 Abs. 2 Satz 2 TA Lärm die in Nr. 6.3 TA Lärm genannten Werte (hier: in der Regel 55 dB(A) nachts) nicht überschritten werden. Bezüglich der Festlegung eines niedrigeren Immissionsrichtwertes für seltene Ereignisse besteht ein Entscheidungsspielraum der Genehmigungsbehörde. Nach dem Wortlaut des § 49 Abs. 2b S. 2 EnWG wird jetzt durch das höherrangige Gesetz verbindlich festgestellt, dass der Nachbarschaft bei witterungsbedingten Anlagengeräuschen eine höhere als die in Nr. 6.1 TA Lärm genannte Belastung zugemutet werden kann und in § 49 Abs. 2b S. 3 EnWG wird direkt auf die in Nr. 6.3 TA Lärm genannten Werte verwiesen. Die Begründung des Ausschusses geht dementsprechend von einer Geltung der in Nr. 6.3 TA Lärm genannten Immissionsrichtwerte ohne weitere Zumutbarkeitsprüfung aus. Gesundheitsgefahren dürfen durch den Betrieb der Leitung allerdings nach Nr. 7.2 Abs. 2 S. 4 i.V.m. Nr. 4.3 S. 4 TA Lärm und § 25 Abs. 2 BImSchG auch bei seltenen Ereignissen nicht auftreten. Die offene Rechtsfrage der Reichweite der Zumutbarkeitsprüfung i.S.d. § 49 Abs. 2b S. 2 EnWG muss hier nicht abschließend entschieden werden, denn mit diesem Beitrag wird aufgezeigt, dass witterungsbedingte Anlagengeräusche bei sachgerechter Zugrundelegung der maßgeblichen Niederschlagsstärke in der Immissionsprognose und der daraus abgeleiteten Geräuschbelastung für die Nachbarschaft bis zur Grenze der in Nr. 6.3 TA Lärm geregelten Werte auch zumutbar sind. Die Auftretenswahrscheinlichkeit solcher Ereignisse ist gering und bei steigender Niederschlagsstärke werden die Leitungsgeräusche durch das Regengeräusch überdeckt.

Nicht witterungsbedingte Geräusche werden im neuen § 49 Abs.  2b EnWG nicht erwähnt. Für sie bleibt es deshalb grundsätzlich bei der Regelfallprüfung nach Nr. 4.2 TA Lärm und den Immissionsrichtwerten nach Nr. 6.1 TA Lärm. Nicht witterungsbedingte Geräusche sind für Wechsel- bzw. Drehstromleitungen weitgehend unbedeutend, aber logischerweise existent und können Fragen aufwerfen, die im nachfolgenden Abschnitt erörtert werden.

Koronageräusche ohne Niederschlag – nicht witterungsbedingte Geräusche

Der Betriebszustand ohne witterungsbedingte Einflüsse, d. h. ohne Niederschlag oder Einflüsse durch hohe Luftfeuchte, Raureif o. Ä., ist der zeitlich deutlich vorherrschende Zustand. Mit Wechsel- bzw. Drehstrom betriebene Hoch- und Höchstspannungsleitungen erzeugen zwar auch in diesem Zustand prinzipiell Koronageräusche. Allerdings sind diese – in der Logik des neuen § 49 Abs. 2bEnWG nicht witterungsabhängigen – Geräusche bereits in sehr geringen Abständen zur Leitung kaum mehr hör- oder messbar und es bestehen für in Deutschland übliche Leitungskonfigurationen auch keine sinnvollen konkreten Berechnungsmöglichkeiten.

Quantitative Angaben zur Pegeldifferenz zwischen den niederschlagsbedingten Schallemissionen und jenen ohne Niederschlag lassen sich aus der Literatur wie folgt entnehmen:

  • [6] spricht – zumindest für bestimmte Bedingungen – von einer Differenz von 25 dB zwischen nassen und trockenen Leiterseilen. Die Ergebnisse verschiedener Freifeldmessungen lassen jedoch einen deutlich geringeren Unterschied zwischen beregneten und trockenen Leitern erkennen. Wegen der geringen absoluten Pegel, die meist nahe an jenen der Umweltgeräusche liegen, lassen sich aber zum einen meist nur Obergrenzen angeben. Zum anderen führen vor allem über längere Zeit angesammelte und später wieder abgewaschene Schmutzpartikel sowie schon die auch ohne Regen veränderlichen meteorologischen Bedingungen zu schwankenden Emissionen.
  • Das in [1] und [3] wieder­gegebene, zwischen verschiedenen Wetterbedingungen vergleichende Balkendiagramm von Schall­immissionen in unmittel­barer Nähe einer 380-kV-Leitung weist mindestens 10 dB, im Mittel aber etwa 15 dB Unterschied zwischen Immissionen bei Niederschlag und jenen bei Trockenwetter aus.
  • Aus [2] ist zu entnehmen, dass es bei „dünnen“ Seilen u. U. in seltenen Fällen („worst case“ nach längeren Trockenphasen ohne Niederschläge und Verschmutzung der Leiterseile) zwar nur ca. 10 dB, in der Regel aber deutlich mehr als 10 dB Unterschied gibt. Konkrete Angaben zu regelmäßigen Schallemissionen von „dünnen“ Seilen bei Trockenwetter finden sich in [2] nicht. Auf Basis der Schwankungsbreite der dargestellten Maximalereignisse bei Trockenwetter ist für den Regelfall aber von mindestens 15 dB niedrigeren Pegeln im Vergleich zu niederschlagsbedingten Emissionen auszugehen.
  • Aus [2] geht weiterhin hervor, dass das Emissionsspektrum trockener Leiter im Gegensatz zu niederschlagsbedingten Koronageräuschen keine hervortretenden Brummtöne enthält und daher ein Tonhaltigkeitszuschlag für die Beurteilung entfällt.

Im Vergleich zu niederschlagsbedingten Immissionen ergeben sich wegen der entfallenden Tonhaltigkeit der Geräusche ohne Niederschlag also i. d. R. um mindestens 15 dB + 3 dB = 18 dB niedrigere Beurteilungspegel. Die Differenz zwischen niederschlagsbedingten Immissionen und solchen ohne jeglichen Witterungseinfluss fällt vor allem bei Seilen mit größerem Durchmesser u. U. erheblich höher aus [2].

Für nicht witterungsbedingte Betriebsgeräusche an in Deutschland üblichen (AC-)Hochspannungsfreileitungen sind die formal nach Nummer 6.1 der TA Lärm zulässigen Immissionsrichtwerte in der Regel pauschal als eingehalten anzusehen.

Beurteilung von witterungsbedingten Geräuschen von Hochspannungsfreileitungen

Im Bereich praxisüblicher Freileitungsanordnungen und moderaten Niederschlagsintensitäten steigt die Schallemission mit der Niederschlagsintensität stetig an. Zunehmend starke Regenereignisse treten andererseits im statistischen Mittel nur noch mit abnehmender Häufigkeit und Dauer auf und sind darüber hinaus oft mit erheblichen Nebengeräuschen (Platzregen, Gewitter, Wind) verbunden, die mögliche Anlagengeräusche in zunehmenden Maß überdecken und deren Störwirkung im immissionsschutzrechtlichen Sinn infrage stellen.

Nachfolgend wird anhand von Praxiserfahrungen und langjährig ausgewerteter Niederschlagsdaten eine geeignete Obergrenze für eine Regenintensität identifiziert und diskutiert, für die entsprechende Koronageräuschimmissionen innerhalb der nächtlichen Beurteilungszeit nach Ziffer 6.4 TA Lärm (lauteste Nachtstunde) noch sachgerecht als maßgeblich einzustufen sind. Im Hinblick auf die Neuregelung für witterungsbedingte Anlagengeräusche in Höchstspannungsnetzen im EnWG und der nach 7.2 TA Lärm grundsätzlich geforderten Zumutbarkeitsprüfung wird schließlich der Umfang der Mehrbelastung der Nachbarschaft gegenüber der früheren Beurteilungspraxis auf vereinheitlichter wetterstatistischer Grundlage abgeschätzt.

Bisherige Messerfahrung und „Konvention“ von 2016

Bereits in der Publikation [1] aus der „Lärmbekämpfung“ wird die Größenordnung 3 bis 4 mm/h als Referenzwert erwähnt und als „Landregen“ bezeichnet. Die praktische Eignung dieser Niederschlagsintensität als Referenz ergibt sich daraus, dass sie mit relevanter Häufigkeit auftritt, mitunter auch länger anhält und möglicherweise relevante und nicht wesentlich durch Regengeräusche maskierte Koronageräuschpegel verursacht, die noch gut mess- und vergleichbar sind. Bei sehr günstigen Mess- und Umgebungsbedingungen können Koronageräusche auch bei stärkeren Niederschlägen bis etwa 5 mm/h noch passabel ausgewertet werden. Aus messtechnischen bzw. pragmatischen Gründen, etwa der begrenzten Auflösung bei klassischen Regenmessgeräten und angesichts bislang fehlender eindeutiger und verbindlicher Vorgaben wird in [2] eine Abgrenzung bei 4,8 mm/h zwischen leichtem bis mäßigem und starkem Niederschlag gewählt. Mit der Wahl dieser Grenze wird auch die sichere Einschätzung verknüpft, dass Korona-Ereignisse bei noch höherer Regenintensität und einer nächtlichen Einwirkdauer von einer Stunde oder mehr als sehr seltener Ausnahmefall gelten dürfen.

Im DAGA-Beitrag [3] wird schließlich eine im Zuge einer damaligen Normungsinitiative im DIN vorgeschlagene „Konvention“ beschrieben, die auf Ausnahmesituationen und die seltenen Ereignisse nach Nummer 7.2 TA Lärm Bezug nimmt. Ausgehend von einer mit der Niederschlagsintensität ansteigenden Schallemission einer bestimmten Leitungsanordnung wird diejenige Regensituation als bestimmungsgemäß angenommen, die innerhalb der Grundgesamtheit von 365 Nächten zum höchsten Beurteilungspegel je Nacht führt.

Derart spezielle statistische Daten für die Beurteilung von Koronageräuschen wurden bislang nur punktuell und für einzelne Jahre erhoben. Die Ergebnisse liegen meist zwischen 3 und 4 mm/h und deuten zumindest auf den ersten Blick für unterschiedliche Orte auf eine einheitliche Größenordnung hin. Weitergehende Erkenntnisse über die regionale Verteilung oder die langjährige Streuung dieser Größe wurden jedoch bisher nicht gewonnen. Wegen der räumlichen Ausdehnung von Stromübertragungsleitungen und im Sinne einer allgemeinen und möglichst repräsentativen Gültigkeit erscheint aber die Erhebung und Anwendung überregional und langjährig gemittelter Werte sinnvoll.

Stündliche Niederschlagshöhen – flächendeckend und langjährig gemittelt

Auf Anfragen beim Deutschen Wetterdienst (DWD) wurde auf nunmehr umfangreiche Bestände langjähriger Niederschlagsdaten verwiesen, die seit einigen Jahren nicht mehr nur aus lokalen Wetterstationen gespeist, sondern auch hoch aufgelöst flächendeckend aus Wetterradardaten vorliegen und quantitativ universell auswertbar sind.

Für die Auswertungen wurden folgende Datenquellen genutzt:

„RADOLAN“ (= Radar-Online-Aneichung [7]) liefert seit 2005 erstmals flächendeckende Stundenwerte der Niederschlagshöhen aus Radarmessungen im Echtzeitbetrieb, die mithilfe von punktuell gewonnenen Stationsdaten stündlich kalibriert („angeeicht“) worden sind. Während in der Vergangenheit genauere quantitative Analysen und deren Aussagekraft im Wesentlichen auf Stationsstandorte beschränkt blieben, ermöglicht RADOLAN landesweite und nahezu beliebige Auswertungen in räumlich sehr hoher Auflösung (1 km · 1 km).

Da das RADOLAN-Verfahren über die Jahre stetig weiterentwickelt wurde und um dadurch entstandenen Unstetigkeiten in der Datengrundlage entgegenzuwirken, erarbeitet der DWD seit 2014 eine regelmäßige Reprozessierung, den sogenannten RADKLIM-Datensatz ([8], Radarklimatologie). Dieser bietet Daten ab dem Jahr 2001, die mit einer einheitlichen Methode erzeugt wurden, die gegenüber dem operativen RADOLAN-Verfahren verschiedene Vorteile bietet und ausnutzt. Zum Beispiel können bei RADKLIM mehr Stationen in die Kalibrierung (Aneichung) einfließen oder klimatologisch gewonnene Erkenntnisse und Korrekturen angewendet werden.

Auswertung der Radarklimatologie (RADKLIM)

Der gesamte RADKLIM-Datensatz wurde für die Nachtstunden (hier jeweils zwischen 22:00 und 06:00 Uhr MEZ) für den Zeitraum 2001–2020 ausgewertet. Betrachtet wurden Stundensummen („RW-Produkt“, stündlich angeeichte Niederschlagsfelder). Dabei wurden für alle 20 Jahre und alle 1 km · 1 km Rasterfelder der jeweilige Schwellenwert für den elfthöchsten Nachtstundenwert im Jahr ermittelt. Das jährliche Flächenmittel dieses Wertes für Deutschland schwankt hier zwischen 2,66 und 3,71 mm/h (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Deutschlandweite Flächenmittelwerte Ø und korrespondierende Standardabweichungen des elfthöchsten Niederschlagswerts während der Nachtstunden (22:00-6:00 Uhr MEZ) je Jahr in mm/h.

Für die Bestimmung eines langjährigen deutschlandweiten Mittelwertes wurden zunächst für jedes Rasterfeld einzeln ein 20-jähriges Mittel berechnet und diese 20-Jahres-Mittelwerte anschließend wiederum über alle Rasterfelder gemittelt. Als entsprechendes langjähriges Flächenmittel ergibt sich schließlich 3,26 mm/h. Die Standardabweichung der Flächenmittelung beträgt 0,49 mm/h. Während von Jahr zu Jahr Einzelereignisse das Geschehen bestimmen, ist im langjährigen Mittel bereits eine gewisse Abhängigkeit von der Orographie zu erkennen, d. h. im Nordostdeutschen Flachland (2–3 mm/h) fällt die Intensität des elfthöchsten Nachtstundenwertes im Jahr geringer aus als z. B. in den Mittelgebirgen oder im unmittelbaren Alpenvorland (bis zu 6,5 mm/h, siehe Bild 2). In Deutschland verlaufen 220-kV- oder 380-kV-Freileitungen allerdings in der Regel in einigem Abstand von Gebirgszonen und sind somit von höchstens durchschnittlichen oder eher geringeren Niederschlags­werten betroffen.

Bild 2: Langjähriges Mittel (2001–2020) des elfthöchsten Niederschlagswerts während der Nachtstunden (22:00–6:00 Uhr MEZ) je Jahr.

Foto: DWD, abgeleitet aus RADKLIM

Aktueller Ergebnisvorschlag und Plausibilisierung der maßgeblichen Niederschlagsintensität

Inwieweit niederschlagsbedingte Koronageräusche an Hochspannungsfreileitungen bei einer Beurteilung im Sinne der Nr. 2.1 TA Lärm schädliche Umwelteinwirkungen sind, also insbesondere „erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen“ für die Nachbarschaft herbeiführen können, wird wesentlich durch Intensität und Dauer der ursächlichen Niederschlagsereignisse bestimmt. Maßgeblich wird demnach die höchste Intensität sein, die wiederkehrend über eine volle Stunde oder auch einen längeren Zeitraum anhält und zugleich nicht wesentlich von Regengeräuschen und zusätzlichen wetterbedingten Geräuschen begleitet ist, die das Anlagengeräusch maskieren oder überdecken.

In einer aktuell von der DKE erarbeiteten Vornorm DIN V VDE 0210–30 „Ermittlung von Koronageräuschen an Hochspannungsfreileitungen mit einer Nennspannung von 220 kV und darüber“ wird daher analog zu den einschlägigen Richtlinien zur Bestimmung von Schallleistungspegeln von Maschinen und Anlagen (DIN 45635–1, Normenreihe ISO 3740 bis 3747) der witterungsbedingte Betriebszustand mit 3,5 mm/h Niederschlag als „Hauptbetriebszustand“ definiert. Im Sinne von DIN 45635–1 dient die Festlegung eines Haupt­betriebszustands vor allem höchstmöglicher Vergleichbarkeit der Geräuschemissionen von vergleichbaren Anlagen. Die Anlagen­geräusche sind daher möglichst für Bedingungen zu ermitteln, die reproduzierbar und repräsentativ für die lauteste Betriebsweise bei üblichem Betrieb sind.

Ausgehend von der ursprünglich im Sinne der „Konvention“ nach [3] als Häufigkeitsschwelle zu „Seltenen Ereignissen“ nach Nr. 7.2 TA Lärm ausgewerteten Niederschlagsintensität von 3,26 mm/h liegt 3,5 mm/h erkennbar jenseits dieser Schwelle und wäre somit statistisch gesehen schon seit jeher nach 7.2 TA Lärm zu beurteilen gewesen. Insoweit kann der Referenzwert 3,5 mm/h auch als kompatibel mit der neuen EnWG-Regelung gelten, nach der witterungsbedingte Leitungsgeräusche generell den seltenen Ereignissen zuzuordnen sind.

Stundenwerte über 3,5 mm treten in Deutschland im flächendeckenden und langjährigen Mittel nur noch in 0,3 % der Nachtstunden und in durchschnittlich 7 Nächten pro Jahr auf.

Grundsätzlich ist auch Schneefall vor dem Hintergrund des neuen § 49 Abs. 2b EnWG als für Koronageräusche ursächliche Witterungsbedingung in Betracht zu ziehen und im Hinblick auf die Tonhaltigkeit der Immissionen sogar ungünstiger als durch Regen verursachte Geräusche zu beurteilen. Statistisch gesehen ist vor allem starker Schneefall allerdings in unseren Breiten eher als Ausnahmefall anzusehen und als Maßstab für eine Geräuschbe­urteilung nach der TA Lärm eher ungeeignet. Zwar liegen zur Häufigkeit von Schneefällen bisher keine flächendeckenden DWD-Daten (entsprechend „RADKLIM“) vor. Allerdings zeigen langjährige Auswertungen aus 125 Wetterstationen mit mindestens 7 300 Beobachtungstagen bzw. in diesem Fall Nächten, dass starker Schneefall im Mittel nur in 0,085 % aller Nachtstunden vorkommt. Das Maximum liegt bei gut 0,52 % an den Stationen Brocken und Feldberg/Schwarzwald. „Starker Schneefall“ liegt nach den Beobachtungsrichtlinien des Deutschen Wetterdienstes vor, wenn bei Schneefall mehr als 4,0 mm äquivalente Niederschlagsmenge in 60 min oder mehr als 0,7 mm in 10 min oder ein Schneedeckenzuwachs von mehr als 4 cm in 60 min oder mehr als 1 cm in 10 min zu beobachten ist.

Regenniederschlag von 3,5 mm/h erweist sich vor dem Hintergrund umfangreicher Erfahrung aus Feldmessungen an Hochspannungsfreileitungen als praxisgerechter „Hauptbetriebszustand“ und erscheint als geeignet für eine TA Lärm-konforme Bestimmung von Anlagengeräuschen im Sinne von DIN 45635–1 – auch unter Berücksichtigung von § 49 Abs. 2b EnWG bzw. Nr. 7.2 TA Lärm. Wegen der zunehmenden Seltenheit, der mit zunehmender Intensität des Niederschlags abnehmenden Dauer der entsprechenden Ereignisse sowie der wetterbedingten Fremdgeräusche, die mit hohen Regenintensitäten einhergehen, können die Verhältnisse bei noch größeren Niederschlagsstärken oder auch starkem Schneefall weder normgerecht ermittelt werden noch sind diese mit vertretbarem Aufwand reproduzierbar.

Umfang der Belastung durch witterungsbedingte Geräusche aus Sicht der Wetterstatistik

Für die nach 7.2 TA Lärm geforderte Zumutbarkeitsprüfung für die Geräuschbelastung durch witterungsbedingte Anlagen­geräusche gibt es zahlreiche Aspekte, die nach Art und Gewicht unterschiedlichen Einfluss auf die Beurteilung haben können, deren umfassende Beschreibung aber nicht im Fokus der vorliegenden Abhandlung stehen. Als „Umfang“ der höheren Belastung, die der Nachbarschaft von Hochspannungsfreileitungen bei den nach Nummer 6.3 TA Lärm zulässigen Immissionsrichtwerten statt jenen nach Nummer 6.1 TA Lärm zugemutet wird, soll in erster Linie auf Grundlage statistischer Wetterdaten aufgezeigt werden, welches Maß an wahrnehmbaren Geräuschimmissionen in welcher Häufigkeit in der Nähe z. B. einer 380-kV-Freileitung tatsächlich auftreten kann.

Der Umfang der Mehrbelastung kann allerdings nur auf Basis der konkret geplanten Leitungskonstruktion und deren voraussichtlicher Emissionen bzw. Beurteilungspegeln an den gegebenen Immissionsorten eingeschätzt werden. Da Pegel und Dauer der Anlagengeräusch-Immissionen mit dem Wetter-, vor allem dem Niederschlagsgeschehen verknüpft sind, erscheinen quantitative Prognosen wiederum nur auf der Grundlage langjähriger Beobachtungen sinnvoll. Da zudem der Anlagengeräuschpegel nicht synchron und unmittelbar, sondern nur verzögert bzw. träge der augenblicklichen Niederschlagsintensität folgt und die Variabilität der zahlreichen sonstigen Einflussfaktoren (Niederschlagsart, Tropfengröße, Schwankungen sowie Aus- und Einsatz, Temperatur, Wind) nicht detailliert abgebildet werden kann, enthält die nachfolgende stundenbasierte Auswertung entsprechende Unschärfen.

Für die nachfolgende Darstellung der voraussichtlichen jähr­lichen Schallimmissionen wird ein Beispiel einer Standard-­Freileitung mit zwei 380-kV-Stromkreisen mit 4 · 240/40 mm² Viererbündeln angenommen. Im Hinblick auf die Größenordnung der Geräuschemissionen ist der dominierende Anteil der insgesamt knapp 35 000 Trassenkilometer aller bestehenden Höchstspannungsfreileitungen in Deutschland dieser und ähnlichen Bauarten zuzuordnen.

Für die ausschließlich relevante Nachtzeit wurde die deutschlandweit durchschnittliche Auftrittswahrscheinlichkeit von Niederschlagsstärken ermittelt, die für potenziell TA Lärm-relevante Anlagengeräusche ursächlich sind. Es handelt sich um Niederschlagshöhen zwischen 0,1 mm/h, einer Schwelle, ab der überhaupt von einer Tropfenbildung auf den Leiteroberflächen mit relevanten Geräuschemissionen ausgegangen werden kann, bis zur vorstehend definierten Grenze von 3,5 mm/h. Niederschläge in dem genannten Bereich sind langjährig und über Deutschland gemittelt während 6,8 % der jährlichen Nachtstunden (ca. 200 von 2 920 h) zu erwarten. Eine Aufteilung dieses „nassen“ Zeitanteils in einige Klassen mit ihren entsprechenden Auftrittshäufigkeiten ist aus nachstehender Tabelle 2 zu ersehen.

Tabelle 2: Langjährig und über Deutschland gemittelte stündliche Niederschlagshöhen und deren Auftrittshäufigkeit in den Nachtstunden.

Foto: DWD, abgeleitet aus RADKLIM

Im Bild 3 ist anhand einer Häufigkeitsverteilung zu erkennen, zu welchem %-Anteil der jährlichen Nachtstunden (2 920 h = 100 %) mit welchen Koronageräuschimmissionen in dB(A) unmittelbar unter – sowie in 100 m Abstand zu – einer 380-kV-Freileitung üblicher Bauart zu rechnen ist.

Bild 3: Regenintensitäten und Immissionspegel von Koronageräuschen einer 380-kV-Leitung (2 Stromkreise mit 4 · 240/40 mm² Viererbündelleitern) sowie von den Regengeräuschen über dem prozentualen Anteil jährlicher Nachtstunden: 3,5 mm/h als maßgebliche Niederschlagsstärke für Zumutbarkeitsprüfungen bei seltenen Ereignissen nach 7.2 TA Lärm.

Foto: Autor

Gleichermaßen sind die ursächlichen Niederschlagsstärken sowie die entsprechenden, für eine typische Ortsrand-Umgebung ermittelten Regen-Eigengeräuschpegel über dem entsprechenden Stundenperzentil aufgetragen. Dieser Fremdgeräuschpegel bleibt mit größerem Abstand von der Leitung annähernd gleich und maskiert das Anlagengeräusch zunehmend, s. a. [2] und [3].

Zur Einordnung der angegebenen Geräuschpegel ist schließlich der nach 6.3 TA Lärm vorgegebene nächtliche Immissionsrichtwert (IRW) für seltene Ereignisse markiert.

Ein Betriebszustand mit 3,5 mm/h Niederschlag ist also für die TA Lärm-gerechte Beurteilung von witterungsbedingten Geräuschen sinnvoll und sollte dementsprechend als maßgeblich bzw. als „Hauptbetriebszustand“ im Sinne von DIN 45635–1 untersucht werden. Bei diesen niederschlagsbedingten, als „seltene Ereignisse“ eingestuften Zuständen ist gemäß Nr. 7.2 TA Lärm ebenso die Frage der Zumutbarkeit zu prüfen. Ist diese für den gewählten Hauptbetriebszustand zu bejahen und sind die Richtwerte nach Nr. 6.3 TA Lärm unterschritten, so wären aus gutachterlicher Sicht Anlagengeräusche bei noch höheren Niederschlagsintensitäten aufgrund der Randbedingungen und der noch geringeren Auftretenswahrscheinlichkeit erst recht zumutbar.

Zudem erscheint eine Ausweitung der Zumutbarkeitsprüfungen auf weitere (höhere) Niederschlagsintensitäten auch insoweit unverhältnismäßig, als die höheren Emissionen lediglich durch vom Betreiber nicht steuerbare äußere Umstände auftreten, während der anlagenseitige Betriebszustand identisch bleibt. Unterschiedliche Ergebnisse der Zumutbarkeitsprüfung für verschiedene Niederschlagsintensitäten erscheinen ebenfalls nicht sachgerecht, da der Betreiber keine Maßnahmen treffen kann, die auf unterschiedliche Niederschlagsintensitäten abgestimmt sind. Maßnahmen, welche ausschließlich aufgrund der Berechnungsergebnisse für außergewöhnliche Niederschlags­ereignisse getroffen werden, würden den Anlagenbetreiber somit für den überwiegenden Teil der Betriebszeiten mit Ausnahme weniger einzelner Stunden pro Jahr unverhältnismäßig stark beeinträchtigen.

Stand der Technik der Lärmminderung bei Freileitungen aus rechtlicher Sicht

Hochspannungsfreileitungen unterfallen als sonstige ortsfeste Einrichtungen (§ 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG) dem Anlagenbegriff des BImSchG. Da sie keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürfen, gelten die Betreiberpflichten des § 22 Abs. 1 BImSchG (BVerwG, U.v. 27.07.2021 – 4 A 14.19, juris Rn. 37). Sie sind danach so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind (§ 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG) und nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen durch Lärm auf ein Mindestmaß beschränkt werden (§ 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG). Damit wird – im Unterschied zu genehmigungsbedürftigen Anlagen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG) – nicht generell die Einhaltung des Standes der Technik verlangt, sondern nur, soweit dies zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen notwendig ist (Jarass, BImSchG, 14. Aufl. 2022, § 22 Rn. 43). Der Gesetzgeber hat witterungsbedingte Anlagengeräusche mit der Neuregelung des § 49 Abs. 2b EnWG bei der Beurteilung des Vorliegens schäd­licher Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 und § 22 BImSchG den seltenen Ereignissen zugeordnet. Für seltene Ereignisse fordert Nr. 7.2 Abs. 1 S. 1 TA Lärm bei nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen die Ausschöpfung des Standes Technik jedenfalls zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen ([10], Nr. 7 Rn. 22). Das Verhältnis der Regelungen des § 22 Abs. 1 BImSchG und Nr. 7.2 Abs. 1 TA Lärm einerseits sowie § 49 Abs. 2b EnWG andererseits muss dazu geklärt werden.

Man kann die Auffassung vertreten, dass bei witterungsbedingten Anlagengeräuschen wegen der Sonderregelung des § 49 Abs. 2b EnWG die schädliche Umwelteinwirkung erst bei Überschreitung der höheren Immissionsrichtwerte der Nr. 6.3 TA Lärm beginnt. Die Prüfung der Einhaltung des Standes der Technik wäre dann bei Einhaltung der Immissionsrichtwerte der Nr. 6.3 TA Lärm entbehrlich, weil die Pflichten aus § 22 Abs. 1 BImSchG erst bei Vorliegen schädlicher Umwelteinwirkungen einsetzen, die Bestimmung des seltenen Ereignisses abschließend durch § 49 Abs. 2b EnWG erfolgt und Nr. 7.2 Abs. 1 S. 1 TA Lärm mit der Einhaltung des Standes der Technik zur Lärmminderung als Anwendungsvoraussetzung daneben nicht mehr ergänzend anzuwenden ist (in diese Richtung Bourwieg, in [11], § 49 Rn. 42).

Dem Wortlaut des § 49 Abs. 2b S. 1 EnWG und der Gesetzesbegründung lässt sich aber nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit entnehmen, dass der Gesetzgeber die Anwendungsvoraussetzungen für seltene Ereignisse nach Nr. 7.2 Abs. 1 TA Lärm vollumfänglich durch § 49 Abs. 2b S. 1 EnWG ersetzen und damit auf die Prüfung der Einhaltung des Standes der Technik zur Lärmminderung verzichten wollte. Nach § 49 Abs. 2b S. 1 EnWG spielen bei witterungsbedingten Anlagengeräuschen „Häufigkeit und Zeitdauer“ abweichend von Nr. 7.2 Abs. 1 TA Lärm für die Einordnung als seltenes Ereignis keine Rolle, auf die Einhaltung des Standes der Technik verzichtet die Regelung nicht ausdrücklich. Aus § 49 Abs. 2b S. 4 EnWG folgt ebenfalls, dass die Regelungen der Nr. 7.2 TA Lärm grundsätzlich neben § 49 Abs. 2b EnWG anwendbar bleiben. § 49 Abs. 2b S. 4 EnWG bestimmt ausdrücklich, dass Nr. 7.2 Abs. 2 S. 3 TA Lärm (unzumutbare Belastung bei Überschreitungen an mehr als 14 Kalendertagen) nicht anzuwenden ist. Bei vollständiger Suspendierung der Nr. 7.2 TA Lärm durch § 49 Abs. 2b EnWG wäre diese Bestimmung nicht erforderlich. Damit ging der Gesetzgeber davon aus, dass Nr. 7.2 TA Lärm neben § 49 Abs. 2b EnWG anwendbar bleibt, soweit nicht durch die vorrangige gesetzliche Regelung etwas anderes bestimmt wird. Die Einhaltung des Standes der Technik zur Lärmminderung ist damit auch im Anwendungs­bereich des § 49 Abs. 2b EnWG nach Nr. 7.2 Abs. 1 S. 1 TA Lärm gefordert.

Der Stand der Technik zur Lärmminderung wird für den Anwendungsbereich der TA Lärm in Nr. 2.5 TA Lärm definiert. Es handelt sich dabei um den auf die Lärmminderung bezogenen Stand der Technik nach § 3 Abs. 6 BImSchG. Der in § 3 Abs. 6 BImSchG definierte Stand der Technik ist ein genereller Maßstab, für den die Besonderheiten des Einzelfalls keine Rolle spielen. Differenzierungen nach der Leistungsfähigkeit des Betreibers oder nach den Gegebenheiten am Standort in der Nachbarschaft der Anlage sind demnach ausgeschlossen (BVerwG, B.v. 13.01.2021 – 4 B 23.20, juris Rn. 5). Es geht um die objektive Bestimmung des Entwicklungsstandes fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen zur Begrenzung von Emissionen. Erfasst werden alle Umstände, denen emissionsbegrenzende Wirkung zukommt (BVerwG, aaO, juris Rn. 6). Die „praktische Eignung“ der Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen muss objektiv „gesichert erscheinen“. Nach Nr. 4 der Anlage zu § 3 Abs. 6 BImSchG ist dabei zu klären, ob vergleichbare Verfahren, Vorrichtungen oder Betriebsmethoden „mit Erfolg im Betrieb erprobt wurden“. Schließlich ist bei der Bestimmung des Standes der Technik nach der Anlage zu § 3 Abs. 6 BImSchG die „Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand und Nutzen“ der praktisch geeigneten Maßnahmen zur Emissionsreduzierung zu berücksichtigen. Der wirtschaftliche Aufwand für die emissionsbegrenzende Maßnahme muss einem durchschnittlichen Betreiber der Anlage der bestimmten Art in dem entsprechenden Sektor wirtschaftlich und technisch zumutbar sein (BVerwG, U.v.23.7.2015 – 7 C 10.13, juris Rn. 18). Dabei ist nach Nr. 7 der Anlage zu § 3 Abs. 6 BImSchG auch zu berücksichtigen, ob es sich um eine Altanlage oder eine Neuanlage handelt.

Stand der Technik der Lärmminderung bei Freileitungen aus praktischer Sicht

Die Intensität der Koronaentladungen und dadurch emittierten Koronageräusche wird maßgeblich von der Höhe der elektrischen Feldstärke an den Leiterseilen bestimmt. Somit zielt die Minderung von Geräuschemissionen an Höchstspannungsfrei­leitungen primär auf die Verringerung der elektrischen Feldstärke auf der Leiterseiloberfläche durch konstruktive Merkmale ab. Die elektrische Feldstärke wird vor allem beeinflusst durch

  • die Durchmesser der Leiterseile,
  • die Anzahl und Anordnung der Leiterseile je Bündel,
  • die Höhe der Leiter über dem Boden sowie die Mastgeometrie (insbesondere die Phasenabstände), sowie
  • sonstige Einflussgrößen (z. B. Oberflächenbeschaffenheit, Störstellen).

Bei der Planung einer neuen Höchstspannungsfreileitung sind diese Parameter in gewissen Grenzen variabel, wodurch technische Möglichkeiten der Geräuschminderung bestehen. Allerdings werden an die Leitung neben Aspekten der Geräuschminderung noch eine Vielzahl weiterer Anforderungen gestellt. So sind beispielsweise statische, konstruktive oder betriebliche Aspekte sowie die Rücksicht auf schutzbedürftige Nutzungen im Umfeld oder Schutzgüter (u. a. Mensch, Habitate, Biotope) wesentliche Faktoren bei der Planung. Inwieweit Geräuschemissionen minimiert werden können, ist daher Gegenstand einer Abwägung. Bei der einzelfallbezogenen Beurteilung zum Stand der Technik zur Lärmminderung ist hierbei insbesondere auch die Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand, ggf. Nachteilen im Hinblick auf sonstige Belange und der erzielbaren Geräuschminderung zu beachten. So können bei Neubauvorhaben mehrere Einflussgrößen frühzeitig bei der Planung berücksichtigt werden, wohingegen einer Umrüstung bestehender Leitungen v. a. aufgrund der Statik der Bestandsmasten sowie der zur Verfügung stehenden Trassenbreite enge Grenzen gesetzt sind.

Wesentliche Belange, welche im Einzelfall abgewogen werden können, sind also:

  • die Höhe der durch die jeweilige Maßnahme erzielbaren emissions- und immissionsseitigen Geräuschminderung,
  • der jeweilige (zusätzliche) technische, betriebliche, zeitliche und / oder finanzielle Aufwand zur Umsetzung dieser Maßnahme sowie
  • ggf. Nachteile im Hinblick auf sonstige Belange.

Konkret kann beispielsweise eine Optimierung der Leitungskonstruktion hin zu geringeren Feldstärken und einer reduzierten Koronaintensität zu tendenziell höheren elektrischen Feldstärken und magnetischen Flussdichten in Bodennähe führen. Im Sinne der Feldminimierung konzipierte z. B. kompakte, „phasenoptimierte“ Leitungsanordnungen führen aber wiederum zu erhöhten Feldstärken an den Leitern und wirken sich daher nachteilig auf die Geräuschemission aus. Damit entsteht im Hinblick auf die gesetzlich gebotene Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch elektrische und magnetische Felder entsprechend dem Stand der Technik nach § 4 Ziff. 2 der 26. Bundes-Immissionsschutzverordnung [9] eine Konfliktsituation im Hinblick auf die Begrenzung der Geräuschemissionen nach dem Stand der Technik gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG.

Die in der Praxis entscheidende Frage, ob bzw. wann eine Freileitung im Stromübertragungsnetz dem aktuellen Stand der Technik zur Lärmminderung zuzuordnen ist oder nicht, kann nach Ansicht der Autoren wie folgt beantwortet werden:

Für 380-kV-Bestandsleitungen sind i. d. R. Konstruktionen mit Dreier- oder Viererbündelleitungen dem aktuellen Stand der Technik zur Lärmminderung zuzuweisen, deren Immissionen in etwa denen im Bild 3 entsprechen. Wie oben ausgeführt ist dies beim überwiegenden Anteil der insgesamt 35 000 Trassenkilometer Höchstspannungsfreileitungen in Deutschland der Fall.

Für 380-kV-Neubauleitungen hingegen – unabhängig davon, ob es sich um einen Ersatz-, Parallel- oder sonstigen Neubau handelt – sind heute Konstruktionen mit Leiterseildurchmessern ≥ 30 mm im Viererbündel mit einem Teilleiterabstand von 400 mm gängig und als Stand der Technik zur Lärmminderung anzusehen. Der Einsatz dieser vergleichsweise dicken und schweren Beseilung auf älteren Bestandsmasten ist aus statischen Gründen in der Regel nicht möglich. Ein Neubau allein im Sinne einer Anpassung von Bestandsleitungen an den Stand der Technik zur Lärmminderung erweist sich hier jedoch wegen des unverhältnismäßigen Mehraufwands sowie umfangreicher Umwelteingriffe als unangemessen und widerspricht auch dem so genannten NOVA-Prinzip (Netzoptimierung vor -verstärkung vor -ausbau).

Fazit

Nicht zuletzt aufgrund der jüngsten Gesetzesänderung zur Beurteilung niederschlagsbedingter Koronageräusche von Hochspannungsfreileitungen ist es erforderlich geworden, einen sinnvollen Beurteilungszustand zur Ermittlung von Schallimmissionen zu definieren. Diese Veröffentlichung legt dar, dass neben der Betriebsspannung und konstruktiven Merkmalen vor allem Niederschläge maßgeblich für die Schallemissionen von Freileitungen sind; eine Größe, auf die die Betreiber keinen Einfluss nehmen können. Daher wird mit diesem Beitrag empfohlen, den Niederschlagswert von 3,5 mm/h als maßgeblichen Beurteilungszustand festzulegen. Sowohl hinsichtlich der Physik der Geräuschent­stehung als auch unter Berücksichtigung von Analysen von Wetterstatistiken wird dieser Wert als geeignet und sachgerecht angesehen. Auch die Erfahrung aus gutachterlicher Praxis spricht für diesen Wert. Zudem ist der gewählte Ansatz mit der in § 49 Abs. 2b EnWG vorgesehenen Zumutbarkeitsprüfung gemäß TA Lärm kompatibel.

Bei der Einhaltung des Standes der Technik zur Lärmminderung, die auch im neuen Rechtsrahmen des § 49 Abs. 2b EnWG nach Nr. 7.2 Abs. 1 S. 1 TA Lärm gefordert ist, muss insbesondere die Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand und Nutzen gewahrt sein. Bei der Planung von Hochspannungsfreileitungen sind zudem zahlreiche andere Belange zu berücksichtigen. Das Niveau der witterungsbedingten Geräuschemissionen als einer dieser Belange wird wesentlich von der Art bzw. Geometrie der Beseilung bestimmt. Da diese wiederum unmittelbar mit der Statik einer Leitung verknüpft ist, ist die Unterscheidung zwischen Altanlage oder Neuanlage für die Frage nach dem Stand der Technik zur Lärmminderung ausschlaggebend.

Literatur

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Von D. Bötsch, Ch. Hettig, Th. Junghänel, M. Lehner, A. Lusiewicz, S. Möllenbeck, M. Ottink, W. Porsch, P. Sames, B. Schröder, W. Tausend

M. Eng. Daniel Bötsch
Wölfel Engineering GmbH + Co. KG, Höchberg
Dipl.-Ing. (FH) Christian Hettig
KURZ und FISCHER GmbH, Winnenden
M. Sc.Thomas Junghänel
Deutscher Wetterdienst, Offenbach am Main
M. Eng. Markus Lehner
TenneT TSO GmbH, Bayreuth
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TransnetBW GmbH, Stuttgart
Dr. Saskia Möllenbeck
Amprion GmbH, Dortmund
M. Sc. Marco Ottink
Müller-BBM Industry Solutions GmbH, Hamburg
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Dolde Mayen & Partner Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Stuttgart
M. Sc. Pascal Sames
TÜV Technische Überwachung Hessen GmbH, Frankfurt am Main
Dr. Benjamin Schröder
Amprion GmbH, Dortmund
Dipl.-Ing. Wolfgang Tausend
TransnetBW GmbH, Stuttgart