Wirkungen von Lärm auf das Lesen
Zusammenfassung Lärm am Arbeitsplatz kann nicht nur eine schädigende Wirkung auf das Gehör haben, sondern auch zu vielfältigen anderen Beeinträchtigungen führen. Zu den Wirkungen, die in Situationen mit unerwünschtem Hintergrundschall und bereits bei Geräuschen mit moderaten Schalldruckpegeln auftreten können, gehören nachteilige Wirkungen auf kognitive Leistungen. Im vorliegenden Beitrag stehen die Wirkungen von unerwünschten Geräuschen auf das Lesen als relevante Tätigkeit im beruflichen Alltag im Mittelpunkt. Zunächst werden einige Ergebnisse aus bisherigen Studien in diesem Themenfeld zusammengefasst. Im Anschluss werden die Ergebnisse einer Pilotstudie vorgestellt, in der eine mit Blick auf den Arbeitskontext selbstentwickelte Aufgabe eingesetzt wurde, um Wirkungen eines Sprachgeräuschs auf die Leseleistung beim Korrekturlesen zu untersuchen.
Lärm bei hohen Schalldruckpegeln schädigt das Gehör. Das ist gut bekannt, und die Vermeidung beruflich bedingter Lärmschwerhörigkeit ist daher nach wie vor ein wichtiges Thema im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Regelwerke, die den Schutz von Beschäftigten vor Gefährdungen durch Lärm sicherstellen, beziehen jedoch auch andere mögliche Beeinträchtigungen aufgrund unerwünschter Lärmbelastungen mit ein. So heißt es in den Allgemeinen Grundsätzen des Arbeitsschutzgesetzes u. a. : „Die Arbeit ist so zu gestalten, daß eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird“ ([1], § 4). Auch die Technischen Regeln zur Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung – Lärm (TRLV-Lärm) [2; 3], die die Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung [4] konkretisieren, und deren Anwendungsbereich auf einen äquivalenten Dauerschallpegel ab 80 dB(A) festgelegt ist, beziehen ausdrücklich auch extra-aurale Wirkungen mit ein. Als extra-aurale Wirkungen, also als Wirkungen, die nicht das Gehör betreffen, werden beispielsweise die Erhöhung des Blutdrucks, vermehrte Ausschüttung von Stresshormonen, Verärgerung oder Anspannung genannt [3].
Wirkungen, die nicht das Gehör betreffen, können durch hohe Schalldruckpegel, aber auch bereits durch Geräusche bei niedrigeren Pegeln verursacht werden. Sie können somit in vielen Arbeitsbereichen, wie z. B. in Schulen, Krankenhäusern, Büros oder im Einzelhandel eine Rolle spielen.
In diesem Beitrag steht die Frage im Mittelpunkt, welche Auswirkungen unerwünschte Geräusche auf das Lesen haben. Das Lesen ist eine Tätigkeit, die in sehr vielen Berufen zu den alltäglichen Anforderungen gehört. Selbstverständlich gibt es deutliche Unterschiede, wie häufig in verschiedenen Berufen eine Auseinandersetzung mit schriftlichem Material erforderlich ist. Aber auch in Berufen, die viele andere Tätigkeiten umfassen, wie beispielsweise im Gesundheitsbereich, ist es bedeutsam, im entscheidenden Moment eine Information aus geschriebenem Material korrekt zu erfassen, z. B. wenn die richtige Angabe zur Medikation für einen Patienten abgelesen werden muss.
In der unten präsentierten Pilotstudie wird auf die Leistung in einer entsprechenden Leseaufgabe als abhängige Variable geschaut. Der Blick auf die Leistung gibt zunächst Auskunft, wie das Ergebnis einer Person oder Gruppe in einer bestimmten Situation ausfällt, also wie gut beispielsweise die Leistung in einer Bedingung mit und ohne Lärmbelastung ist. Die Beeinträchtigung der Leistung kann jedoch auch dahingehend betrachtet werden, dass Unterbrechungen und Störungen durch Lärm, die zur beobachteten Leistungsbeeinträchtigung führen, Belastungsfaktoren darstellen, die letztlich noch in anderer Hinsicht wirksam sein können. Die Beeinträchtigung der Leistung wäre in diesem Sinne ein Indikator dafür, dass eine Störung vorliegt.
Auch bezüglich der Folgen von Beeinträchtigungen durch Lärm beim Lesen sind unterschiedliche Blickwinkel möglich. In Laborstudien z. B. wird zumeist darauf geschaut, wie sich in einer konkreten zeitlich begrenzten Situation ein bestimmtes Geräusch auf eine bestimmte Aufgabe auswirkt. In der Realität können Fehler aufgrund von Lärmstörungen jedoch gravierende Folgen und/oder lang anhaltende Wirkungen haben. Dies gilt insbesondere bei sicherheitsrelevanten Tätigkeiten. Aber auch in ganz alltäglichen Situationen kann das fehlerhafte Lesen und ggf. falsche Weitergeben einer Information nachteilige Folgen haben, die lange über die ursprüngliche Störung hinaus wirken, z. B. weil Kunden aufgrund falscher Informationen verärgert werden, oder Fehlentscheidungen Nacharbeiten erforderlich machen.
Studien zur Wirkung von unerwünschten Geräuschen auf das Korrekturlesen
Obwohl das Lesen eine alltägliche Anforderung in so vielen Berufen ist, ist die Zahl der Studien, die sich mit genau dieser Frage – den Wirkungen von Lärm beim Lesen im Arbeitskontext – beschäftigen, vergleichsweise gering. Die meisten Studien, die unten dargestellt werden, haben zwar einen Bezug zum Arbeitskontext. Letztlich werden aber meist nur einzelne Komponenten realisiert, die ein Arbeitssystem ausmachen. Beispielsweise wird versucht, die Arbeitsplatzumgebung räumlich nachzubilden oder/und für eine Arbeitssituation realistische Geräusche einzusetzen.
Hinzu kommt, dass es große Variationen in den Untersuchungsansätzen gibt, denn Lesen ist eine komplexe Fertigkeit, die sich grundsätzlich anhand vieler verschiedener abhängiger Variablen erfassen lässt (z. B. Lesegeschwindigkeit, Leseverstehen, Lesegenauigkeit), und je nach Fragestellung werden unterschiedliche Geräusche mit unterschiedlichen Variationen als Versuchsbedingungen eingesetzt. Ergebnisse aus verschiedenen Studien sind daher häufig nicht direkt vergleichbar.
Nachfolgend werden Ergebnisse einiger Studien zusammengefasst, in denen (meist neben anderen Aufgaben) die Leistung anhand von Korrekturleseaufgaben erfasst wurde. Die Bedeutung des Korrekturlesens lässt sich gut mit einem Zitat von Venetjoki et al. [5], zusammenfassen.
Dort heißt es in der Einleitung: “Related to office work in information societies, one of the most relevant tasks is proofreading, because the task includes many elements required in the performance of more demanding tasks. Specific features of the task are its verbal nature, its working memory component and the demands the task makes on concentration and attention whilst reading strategies have to be continually changed” ([5], S. 1070-1071).
Korrekturleseaufgaben können in vielen Variationen durchgeführt werden. So gibt es Variationen hinsichtlich der Fehler, die zu finden sind (z. B. Tippfehler, Rechtschreibfehler, grammatische Fehler, unpassende Wörter), der Darbietungsform und Textart (z. B. einzelne Sätze, Texte, satzweise Darbietung eines zusammenhängenden Textes), des Präsentationsmediums (Papier, Computer), der abhängigen Variablen (z. B. Anzahl der erkannten oder übersehenen Fehler, prozentualer Fehleranteil), der Bearbeitungsdauer oder der Zeitvorgaben und auch hinsichtlich des Untersuchungsansatzes (Vergleiche verschiedener Gruppen, Messwiederholung, Einzeltest, Gruppentest). Um die Breite hinsichtlich der Variationen und Ergebnisse zum Korrekturlesen aufzuzeigen, werden nachfolgend auch Studien berichtet, die nicht explizit mit einem Bezug zu Arbeitssituationen durchgeführt wurden.
Wirkungen von Geräuschen auf das Korrekturlesen wurden bereits in früheren Studien untersucht. Weinstein [6] hat in einer Studie seine Versuchspersonen (33 Studierende) eine Korrekturleseaufgabe während eines Fernschreibergeräuschs bearbeiten lassen. Das Fernschreibergeräusch wurde als intermittierendes Geräusch mit wechselndem Pegel (55 bis 70 dB(A)) dargeboten. Eine Kontrollgruppe bearbeitete die Aufgabe bei einem Hintergrundgeräusch von 36 dB(A). Die zu findenden Fehler waren kontextabhängige Fehler (z. B. grammatische Fehler, fehlende Wörter) und kontextunabhängige Fehler (Rechtschreibfehler, Tippfehler). Die akustische Bedingung hatte keinen Effekt auf die Lesegeschwindigkeit. Ein signifikanter Geräuscheffekt auf die Arbeitsgenauigkeit zeigte sich bei den kontextabhängigen Fehlern, jedoch nicht bei den kontextunabhängigen Fehlern. In der Lärmgruppe lag bei allen abhängigen Variablen eine größere Variabilität der Messergebnisse vor als in der Kontrollgruppe.
Jones und Broadbent [7] haben ihre Probandinnen (32 Hausfrauen) paarweise eine Aufgabe bearbeiten lassen. Eine Person las einen Text ohne Fehler vor; die zweite Person las den Text leise mit und hatte die Aufgabe, Fehler im geschriebenen Text (Abweichung zum Vorgelesenen) zu finden. Als Störgeräusche wurde Bürolärm bei 55 dB(C) und 80 dB(C) eingesetzt (Messwiederholungsdesign mit einer Woche Abstand). Es wurden Effekte der akustischen Bedingung nachgewiesen: In der Bedingung mit höherem Pegel wurden weniger Wörter gelesen, und es wurde bei der Fehlererkennung insgesamt weniger korrekt gearbeitet als in der leisen Bedingung. Die Autoren berichten auch, dass in Nachgesprächen die Vorleserinnen gesagt hätten, dass sie das Vorlesen in der lauten Bedingung zwar nicht schwieriger gefunden hätten als in der leisen Bedingung, dass sie es aber schwieriger fänden, den Text wiederzugeben oder zu verstehen, wenn sie ihn in der lauten Bedingung gelesen hatten.
Schwabe [8] konnte in einer Studie mit jungen Studierenden (N = 38) keine Effekte von Verkehrsgeräuschen (58 dB(A), 68 dB(A)) im Vergleich zu einer Ruhebedingung (48 dB(A)) auf verschiedene Leistungsdaten in einer Korrekturleseaufgabe nachweisen (Arbeitsgeschwindigkeit, Qualität der Arbeit, relative Arbeitsleistung). In dieser Studie lasen die Versuchspersonen am Bildschirm für 3 Stunden und 20 Minuten einen Forschungsbericht. Die Fehler, die gefunden werden sollten, waren Tippfehler, und somit kontextunabhängige Fehler.
Liebl [9] konnte in seiner Studie mit 96 Studierenden keinen Effekt der Schallbedingung (Zwischensubjekt-Faktor) auf das Finden von Fehlern in Sätzen eines naturwissenschaftlichen Textes nachweisen, wenn in die Auswertung alle Fehlerarten (grammatikalische und orthografische Fehler) einbezogen wurden. Die Sätze waren an einem Computerbildschirm dargeboten worden. Die Schallbedingungen waren ein verständliches Sprachgeräusch (deutsch), ein unverständliches Sprachgeräusch (japanisch), ein Straßenverkehrsgeräusch (jeweils 70 dB(A) Leq) und eine Ruhebedingung (24 dB(A) Leq) gewesen. Paarweise Vergleiche zwischen den verschiedenen Bedingungen bezogen auf die grammatikalischen Fehler zeigten jedoch signifikante Unterschiede. Die prozentuale Fehlerrate (nicht entdeckte Fehler) war in der Bedingung mit dem Sprecher in deutscher Sprache signifikant bzw. tendenziell größer als in den anderen drei Schallbedingungen. Bezogen auf die orthografischen Fehler wurden keine signifikanten Unterschiede in den paarweisen Vergleichen ermittelt.
Venetjoki et al. [5] setzten in ihrer Untersuchung eine Korrekturleseaufgabe ein, die auf dem Papier bearbeitet werden sollte. Aufgabe für die 36 teilnehmenden Studierenden war es, in einem vierseitigen Text unter Zeitdruck (10 min) Fehler zu finden. Die insgesamt 48 eingefügten Fehler waren sehr vielfältig (verschiedene Variationen von Rechtschreibfehlern und kontextabhängigen Fehlern). Die Fehler wurden gezielt auch in verschiedenen Wortarten (Funktionswörter, Inhaltswörter) realisiert. Als Hintergrundgeräusche wurden Mischungen aus Sprache (S) und Rauschen (N) in unterschiedlichem Verhältnis (S/N = +13 dB; –8 dB; –23 dB) und somit mit unterschiedlicher Sprachverständlichkeit eingesetzt („Speech Transmisson Index“ (STI) = 0,8; 0,3; 0). Der Pegel der Darbietung lag jeweils bei 48 dB(A). Die Ergebnisse für die Korrekturleseaufgabe zeigten einen signifikanten Effekt der Unterschiede im STI auf die Leseleistung. In der Bedingung mit der höchsten Sprachverständlichkeit wurden weniger Fehler im Text gefunden als in der Bedingung mit der geringsten Sprachverständlichkeit. Die absoluten Unterschiede der Mittelwerte betrugen < 2 richtig erkannte Fehler bzw. < 4 % der anteilig richtig erkannten Fehler zwischen den beiden genannten Bedingungen.
In der Untersuchung von Haka et al. [10] sollte ähnlich zu Venetjoki et al. [5] überprüft werden, ob sich die Effekte eines Sprachgeräuschs (48 dB(A)) auf kognitive Leistungen in Abhängigkeit vom „Speech Transmissions Index“ des Geräuschs (STI dreifach gestuft: 0,1; 0,35; 0,65) unterscheiden. Als Korrekturleseaufgabe bearbeiteten die 37 Versuchspersonen (Studierende) die gleiche Aufgabe wie in der Studie von Venetjoki et al. [5]. Haka et al. konnten keinen signifikanten Effekt der Verständlichkeit auf die Ergebnisse in der Korrekturleseaufgabe finden. Sie weisen jedoch darauf hin, dass der beobachtete Trend mit den Ergebnissen von Venetjoki et al. übereinstimme (geringere Leistung bei höherer Sprachverständlichkeit). Die Beurteilung der selbsteingeschätzten Aufgabenschwierigkeit zeigte signifikant geringere Urteile für die Bedingung mit geringer Sprachverständlichkeit im Gegensatz zu den Bedingungen mit höherer Sprachverständlichkeit.
In der Studie von Smith-Jackson et al. [11] hatten die 54 Teilnehmenden ebenfalls die Aufgabe, in einem geschriebenen Text unter Zeitdruck Fehler zu finden. Alle Versuchspersonen bearbeiteten in einer Testsitzung die Aufgabe (drei ähnliche Varianten) unter drei verschiedenen Geräuschbedingungen. Die Geräuschbedingungen, die in drei unterschiedlichen Abfolgen präsentiert wurden, waren: Ruhe 45 bis 50 dB(A); ein Sprecher mit Pausen, wie bei einem Telefongespräch 65 dB(A); ein kontinuierliches Gespräch von zwei Sprechern 65 dB(A). Es wurde ein signifikanter Effekt auf den Anteil der bearbeiteten Zeilen (höchster Wert in der Bedingung mit einem Sprecher) sowie auf die Zahl der falschen Alarme (höchster Wert in der Bedingung mit zwei Gesprächspartnern) gefunden. Analysen hinsichtlich eines möglichen Übungseffekts zeigten einen deutlichen Anstieg in jeder Geräuschbedingung in Abhängigkeit von der Position im Untersuchungsablauf und auch einen Anstieg von einem Durchgang zum anderen in jeder Abfolge-Gruppe. Der höchste Wert für die Bearbeitungsgenauigkeit fand sich in der Ruhebedingung, wenn diese die dritte Geräuschbedingung war. Die selbst eingeschätzte Arbeitsbelastung war in der Bedingung mit kontinuierlicher Sprache am größten und in der Ruhebedingung am geringsten.
Sukowski und van de Par [12] setzten in einer Lärmwirkungsstudie mit 31 Personen (Studierende und Beschäftigte) eine ursprünglich für Kinder konstruierte papierbasierte Fehler-Suchaufgabe (vgl. [13]) ein. In dieser Aufgabe mussten unterschiedliche Fehler in voneinander unabhängigen Sätzen gefunden werden. Jede Person bearbeitete eine Version der Aufgabe in Ruhe und eine Woche später die jeweils andere Version in einer Bedingung mit einem verständlichen Sprachgeräusch (62 dB(A) Leq; Mitte des Raums). Die Situation der Datenerhebung war ähnlich einer Prüfungssituation gestaltet. Die Versuchspersonen nahmen in kleinen Gruppen (max. acht Personen) in einem Seminarraum an der Studie teil. Das sprachliche Störgeräusch, das stereophon über Lautsprecher eingespielt wurde, hatte im Vergleich zur Ruhebedingung einen nachteiligen Effekt auf die Leseleistung, der sich in einer geringeren Anzahl richtig bearbeiteter Items und einem höheren prozentualen Fehleranteil (fehlerhaft bearbeitete Items) zeigte. Die Unterschiede im prozentualen Fehleranteil zwischen der Ruhe- und der Sprachgeräuschbedingung waren vor allem durch die Fehlersuche bei den grammatischen Fehlern verursacht worden.
Was zeigen die berichteten Studien zusammenfassend?
Die Ergebnisse zeigen, Geräusche können sich nachteilig auf das Finden von Fehlern in geschriebenen Sätzen/Texten auswirken. Es wurde beobachtet: Nicht nur Sprache, sondern auch Bürolärm oder ein Fernschreibergeräusch führten zu nachteiligen Effekten auf das Korrekturlesen. Im direkten Vergleich verschiedener Geräusche zeigte sich zumeist: Sprache stört mehr als andere Hintergrundgeräusche; verständliche Sprache stört mehr als unverständliche Sprache; Bürolärm bei höheren Pegeln stört mehr als bei geringeren Pegeln. Enthielt das Studiendesign eine Ruhebedingung, dann wurden – bis auf eine Ausnahme – die besten Leistungen in den Ruhebedingungen erzielt, auch wenn es sich um eine „natürliche“ Ruhebedingung (keine Akustikkabine) handelte.
Hinsichtlich der Gestaltung der Korrekturleseaufgaben zeichnet sich ab, dass die Art der Fehler, die zu finden sind, eine wesentliche Komponente ist, die mit darüber entscheidet, ob eine Beeinträchtigung „sichtbar“ wird oder nicht. In den berichteten Studien wurden Effekte auf kontextunabhängige Fehler seltener berichtet als Effekte auf kontextabhängige Fehler. Dies zeigte sich beim Vergleich verschiedener Fehlerarten innerhalb einiger Studien sowie über verschiedene Studien hinweg. Vor allem das Finden von Tippfehlern oder offensichtlichen Schreibfehlern wurde durch ungünstige akustische Bedingungen nicht oder nur wenig beeinträchtigt.
Zudem scheint die Vielfältigkeit der eingesetzten Fehler innerhalb einer Aufgabe von Bedeutung zu sein. In Studien, in denen die Fehler sehr vielfältig waren und systematisch in verschiedenen Wortarten realisiert wurden, zeigten sich eher Effekte von Geräuschen oder Geräuschvariationen als in Studien, in denen nur wenige Fehlertypen verwendet wurden.
Da sich die Studien jeweils in mehreren Komponenten unterscheiden, können grundsätzlich auch andere Erklärungen für Unterschiede in den Ergebnissen verantwortlich sein. Aber über die verschiedenen Studien hinweg verfestigt sich die Beobachtung, dass die Fehlerart und die Vielfältigkeit der Fehler eine wichtige Rolle im Hinblick darauf spielen, ob Beeinträchtigungen mit der Aufgabe überhaupt erfasst werden können.
Wie eingangs erwähnt, haben die berichteten Studien nicht alle einen Bezug zum Arbeitskontext, oder sie greifen nur wenige Komponenten des Arbeitssystems im Studiendesign auf. Auffällig ist, dass vorwiegend Studierende als Versuchspersonen teilgenommen haben, also Personen, die relativ jung sind und die tagtäglich sehr viel mit geschriebenem Material umgehen müssen. Diese Stichprobenzusammensetzung schränkt die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf reale Beschäftigungssituationen ein, denn die Gruppe der Beschäftigten variiert stark hinsichtlich Alter und der zugrunde liegenden Ausbildung. Auch die Auswahl des Lesematerials und der realisierten Störgeräusche hatte in mehreren der berichteten Studien wenig Nähe zum beruflichen Alltag.
Steht also die Frage im Mittelpunkt, wie sich Geräusche aus realen Arbeitsumgebungen auf möglichst realistische Aufgaben im beruflichen Alltag bei tatsächlich Beschäftigten auswirken, dann gibt es dazu bislang nur wenige Antworten. Um in diesem Feld neue Erkenntnisse hinzuzugewinnen, wurde als Ausgangspunkt für weitere Forschung zunächst die nachfolgend beschriebene Pilotstudie durchgeführt. In dieser Studie wurden bereits einige Elemente mit Blick auf den Arbeitskontext realisiert.
Pilotstudie
Die Pilotstudie wurde mit dem Ziel durchgeführt, einen ersten Eindruck hinsichtlich Praktikabilität, Durchführbarkeit und Lärmsensitivität einer selbstentwickelten Leseaufgabe zu gewinnen. Das langfristige Anliegen ist es, diese Aufgabe so weiterzuentwickeln, dass schließlich für Forschungszwecke ein einfach handhabbares Instrument zur Verfügung steht, das Effekte nachteiliger Geräuschbedingungen zuverlässig sichtbar machen kann und Unterschiede in den Wirkungen verschiedener Geräusche erkennbar werden.
Die Aufgabe ist als Fehlersuch-Aufgabe gestaltet, bei der die Probanden in voneinander unabhängigen Items (bestehend aus ein oder zwei Sätzen), die am Bildschirm präsentiert werden, unter Zeitdruck unterschiedliche Fehler finden sollen. Die Testitems haben sowohl Inhalte, die auch in Arbeitssituationen vorkommen können, als auch Inhalte, die sich nicht auf Arbeitssituationen beziehen. Bei der Gestaltung der Aufgabe wurde darauf geachtet, dass die bisherigen Erkenntnisse aus dem Themenfeld „Lesen unter Lärm“ berücksichtigt wurden, um eine möglichst lärmsensitive Aufgabe zu entwickeln. Daher wurden viele verschiedene Fehler in unterschiedlichen Wortarten und unterschiedlich komplexen Aussagen verwendet. Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse ist zu erwarten, dass bei einer kurzen Bearbeitungszeit nur eine Aufgabe mit einem hohen Anforderungsniveau mögliche Beeinträchtigungen erkennbar macht. Die Durchführung wurde daher hinsichtlich Zeitdruck und Itemschwierigkeit so gestaltet, dass sie für Erwachsene mit normaler Lesefähigkeit anspruchsvoll ist.
Die Testversionen enthalten zwar auch kontextunabhängige Fehler, aber es wurden dabei eher schwer zu findende Fehler realisiert. Durch die vielfältige Fehlergestaltung und den Wechsel zwischen Items aus unterschiedlichen Kontexten sollte vermieden werden, dass Fehler erahnt werden können. Bislang wurden zwei Testversionen (A und B) mit jeweils 52 Items konstruiert. Jeweils vierzig Items enthalten einen Fehler, zwölf Items enthalten keinen Fehler. Die beiden Testversionen sind hinsichtlich Satzlänge, Fehlerart und Position des Fehlers im Satz parallel. Der Zeitdruck wurde realisiert, indem jedes Item nur für kurze Zeit am Bildschirm sichtbar war und bearbeitet werden konnte. Dies war den Teilnehmenden vorab bekannt. Ein Zurückspringen auf vorherige Items war nicht möglich. Es gab somit keine Möglichkeit, eine Unaufmerksamkeit bei einem Item durch ein Rückspringen zu kompensieren.
Die Pilotstudie wurde in zwei Teilstudien durchgeführt. In Teilstudie I stand die Untersuchung des Einflusses unterschiedlicher akustischer Bedingungen auf die Leseaufgabe im Mittelpunkt. Ziel der zweiten Teilstudie war es, einen ersten Eindruck zu gewinnen, ob es zwischen dem ersten und zweiten Durchgang einen Anstieg in der Zahl der richtig bearbeiteten Items gibt, wenn die Aufgabe zweimal in der gleichen akustischen Bedingung durchgeführt wird, um so auch Hinweise auf mögliche Übungseffekte zu erhalten.
Teilstudie I
Methode
Versuchspersonen
An dieser Teilstudie nahmen zwölf Personen teil (sechs Frauen, sechs Männer, Alter: 26 bis 62 Jahre). Alle Versuchspersonen waren Beschäftigte der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, die sich freiwillig bereit erklärt haben, an der Pilotstudie teilzunehmen. Sie sind in unterschiedlichen Bereichen tätig. Das Testmaterial war den Teilnehmenden vorab nicht bekannt.
Akustische Bedingungen
Die Leseaufgabe wurde in zwei unterschiedlichen akustischen Bedingungen durchgeführt – einer Ruhebedingung und einer Bedingung mit einem sprachlichen Hintergrundgeräusch. Die Ruhebedingung (nachfolgend auch „Ruhe“ oder „R“) war die akustische Umgebung in einem ruhigen Einzelbüro mit geschlossenen Fenstern und geschlossener Tür, das in einem ruhigen Teil des Gebäudes liegt. Der energieäquivalente Dauerschallpegel lag zu verschiedenen Tageszeiten für 10 min und 15 min deutlich unterhalb von 40 dB(A). Auch in der Ruhebedingung trugen die Teilnehmenden Kopfhörer. Damit wurde einerseits eine weitere Abschirmung von unerwünschten Nebengeräuschen sichergestellt und andererseits wurde damit die Testsituation so ähnlich wie möglich zur Bedingung „mit Hintergrundgeräusch“ gestaltet.
Als sprachliches Hintergrundgeräusch (nachfolgend auch „SprachGeräusch“ (G) oder „Sprache“) wurden einige Ausschnitte aus einem Hörspiel zusammengestellt. Das Sprachgeräusch enthielt Szenen mit mehreren Sprechern, die zum Teil in unterschiedlichen Räumen waren. Das Sprachgeräusch wurde stereophon über Kopfhörer (Sennheiser HD 380 pro) dargeboten. Der mittlere Schalldruckpegel für die maximale Länge des Geräuschausschnitts betrug auf dem rechten Ohr 62 dB(A) Leq und auf dem linken Ohr 57 dB(A) Leq. Der Unterschied des Schalldruckpegels für beide Ohren ergab sich direkt aus der stereophonen Darbietung.
Versuchsablauf
Alle Personen, die Interesse an der Teilnahme hatten, wurden zunächst mündlich und schriftlich über den Hintergrund und die Idee der Pilotstudie informiert. Wenn sie zur Teilnahme bereit waren, unterschrieben sie eine Einverständniserklärung. Vor dem ersten Testdurchlauf erhielten die Teilnehmenden eine schriftliche Instruktion zur Bearbeitung der Aufgabe. Die Bearbeitung der Items wurde zudem anhand von ausgedruckten Beispielsätzen besprochen und die Durchführung konnte am Computer geübt werden. Die beiden Testdurchläufe wurden an unterschiedlichen Tagen meist mit einem kurzen zeitlichen Abstand (1 bis 3 Tage) zwischen den Messzeitpunkten durchgeführt. Die Testungen fanden alle zu normalen Bürozeiten zwischen 8:00 und 17:00 Uhr statt. Bei der Terminplanung wurde darauf geachtet, dass die beiden Testdurchläufe einer Person in etwa zur gleichen Tageszeit durchgeführt wurden, um mögliche tageszeitlich bedingte Effekte auf die kognitive Leistung weitgehend konstant zu halten.
Jede Versuchsperson nahm einmal in der Ruhebedingung und einmal in der Geräuschbedingung teil. Sechs Personen bearbeiteten die Aufgabe in der Abfolge 1. Ruhe, 2. Sprachgeräusch (Abfolge-Gruppe RG) und sechs Personen in der Abfolge 1. Sprachgeräusch, 2. Ruhe (Abfolge-Gruppe GR). Die Abfolge der Testversionen wurde ebenfalls ausbalanciert.
Einschätzung der erlebten Anstrengung
Nach jedem Testdurchgang wurden die Teilnehmenden gefragt, wie anstrengend sie es fanden, die Aufgabe zu bearbeiten. Sie wurden darauf hingewiesen, dass sie ihre erlebte Anstrengung einschätzen sollten und nicht die Schwierigkeit der Aufgabe. Ihre Einschätzung konnten sie auf einer Skala von 0 (gar nicht anstrengend) bis 100 (sehr anstrengend) direkt am Computer abgeben.
Abhängige Variablen
Die nachfolgenden Auswertungen beziehen sich auf die Anzahl der richtig bearbeiteten Items und die angegebenen Anstrengungswerte.
Erste Ergebnisse der Teilstudie I wurden beim 22nd International Congress on Acoustics (ICA 2016) berichtet [14] und für einen Beitrag in den Proceedings of Meetings on Acoustics (POMA) [15] zusammengefasst. Die nachfolgende Darstellung enthält auch Ergebnisse von weiteren Auswertungen.
Ergebnisse
Anzahl der richtig bearbeiteten Items
Ein t-Test für abhängige Stichproben ergab einen signifikanten Unterschied zwischen den Mittelwerten der richtig bearbeiteten Items in der Ruhebedingung und der Sprachgeräuschbedingung (t(11) = 4,509, p = 0,001). In der Ruhebedingung wurden signifikant mehr Items richtig bearbeitet (Mittelwert (M), MRuhe = 36,17) als in der Geräuschbedingung (MSprache = 31,33). Ergebnisse werden hier als signifikant bezeichnet, wenn p < 0,05 ist. Bild 1 zeigt die Mittelwerte, getrennt für die beiden „Abfolge-Gruppen“ RG und GR. Die Abbildung verdeutlicht, dass der Unterschied zwischen den Mittelwerten in beiden Bedingungen in der Gruppe Ruhe-Sprachgeräusch kleiner ist als in der Gruppe Sprachgeräusch-Ruhe.
Eine Korrelationsanalyse ergab einen Korrelationskoeffizienten (Pearson) von r = 0,88. Dieses Ergebnis ist in Bild 2 dargestellt. Die Abbildung verdeutlicht auch, dass mit Ausnahme einer Person bei allen Teilnehmenden eine höhere Anzahl richtig bearbeiteter Items in der Ruhebedingung vorlag als in der Sprachgeräuschbedingung.
Anstrengung
Mit einem t-Test für abhängige Stichproben wurde ein signifikanter Unterschied zwischen den Mittelwerten beider Versuchsbedingungen ermittelt (t(11) = -5,003, p < 0,01). Die Anstrengung in der Ruhebedingung wurde signifikant geringer eingeschätzt als die Anstrengung in der Sprachgeräuschbedingung (MRuhe = 42,17, MSprache = 69,83). Der Korrelationskoeffizient (Pearson) lag in dieser Berechnung bei r = 0,524. Von keiner Versuchsperson wurde die Bearbeitung in der Ruhebedingung mit höheren Werten eingeschätzt als in der Bedingung mit dem sprachlichen Störgeräusch.
Teilstudie II
Methode
Die Teilstudie II war hinsichtlich der Punkte Vorbereitung der Testung (Information, Instruktion, Training), akustische Bedingungen, Einschätzung der erlebten Anstrengung, abhängige Variablen und Leseaufgabe in gleicher Weise gestaltet, wie die Teilstudie I. Abweichungen sind nachfolgend beschrieben.
Versuchspersonen
In dieser Teilstudie nahmen wiederum sechs Mitarbeiter und sechs Mitarbeiterinnen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin aus verschiedenen Arbeitsbereichen teil. Es waren andere Personen als im ersten Teil der Studie. Das Alter lag zwischen 21 und 63 Jahren.
Versuchsablauf
Jede Versuchsperson bearbeitete die Aufgabe zweimal (einmal Version A, einmal Version B) in der Ruhebedingung (Bedingung „RR“) oder zweimal in der Sprachgeräuschbedingung (Bedingung „GG“). Die Abfolge der Testversionen wurde dabei ausbalanciert. Die akustischen Bedingungen waren die gleichen wie oben beschrieben. Die Zeit zwischen beiden Testdurchläufen betrug mindestens einen Tag bis maximal acht Tage ohne Testung.
Ergebnisse
Da in beiden Untersuchungsgruppen (RR und GG) mit jeweils sechs Personen die Stichproben recht klein waren, werden Ergebnisse, die sich lediglich auf eine der beiden Gruppen beziehen, nur deskriptiv dargestellt.
Anzahl der richtig bearbeiteten Items
Mit einem t-Test für abhängige Stichproben wurde ein signifikanter Unterschied zwischen der Anzahl der richtig bearbeiteten Items im ersten Durchgang und der Anzahl der richtig bearbeiteten Items im zweiten Durchgang ermittelt (t(11) = -2,747, p = 0,019; Mittelwerte siehe Tabelle).
Im zweiten Durchgang wurden somit über alle Teilnehmenden betrachtet signifikant mehr Items bearbeitet als im ersten Durchgang. Die Differenz der Mittelwerte betrug weniger als drei Items. Die Mittelwerte getrennt für die beiden Gruppen (Ruhe-Ruhe und Sprache- Sprache) in der Tabelle zeigen, dass die Werte in beiden Gruppen ähnlich ausfallen. Eine detaillierte Betrachtung ergab, dass in beiden Gruppen jeweils eine Person ein besseres Ergebnis im ersten als im zweiten Durchgang hatte, während jeweils vier Personen im zweiten Durchgang eine höhere Anzahl richtig bearbeiteter Items als im ersten Durchgang erzielten. Die Verbesserungen lagen zwischen einem und acht Items. Bei jeweils einer Person war der Wert in beiden Durchgängen genau gleich.
Anstrengung
Ein t-Test für abhängige Stichproben über alle Personen zeigte keinen signifikanten Unterschied zwischen den mittleren Anstrengungswerten im ersten und im zweiten Durch- gang (t(11) = -0,701, p = 0,498; MD1 = 48,42; MD2 = 52,33). Die Ergebnisse in Bild 3 deuten an, dass die Differenzen zwischen beiden Durchgängen in den beiden Gruppen RR und GG unterschiedlich ausgeprägt sind.
Während sich in der Gruppe RR die Mittelwerte kaum unterscheiden, zeigt sich in der Gruppe GG ein Unterschied.
Diskussion und Ausblick
Die Ergebnisse der Teilstudie I haben gezeigt, dass sich in der hier verwendeten Leseaufgabe ein Sprachgeräusch als Hintergrundgeräusch nachteilig auf das Finden von Fehlern in geschriebenen Sätzen auswirkt. In der Sprachgeräuschbedingung wurden weniger Fehler entdeckt als in der Ruhebedingung. Mit der neu entworfenen Leseaufgabe konnten somit bereits in dieser relativ kleinen Stichprobe von Beschäftigten Unterschiede in den Effekten zweier akustischer Bedingungen sichtbar gemacht werden. Die Gestaltung der Aufgabe (Realisierung der Fehlerarten, Variation des Kontextes, Komplexität der Items) und des Ablaufs (Zeitbegrenzung, kein Rückspringen möglich) haben sich als geeignet erwiesen, die Aufgabe hinreichend schwierig zu realisieren, um sie in einer Lärmwirkungsstudie mit Erwachsenen mit normaler Leseleistung als sensitives Instrument einsetzen zu können. Auch im Hinblick auf Instruktion und Handhabung hat sich die Aufgabe als angemessen herausgestellt. Die Rückmeldung der Teilnehmenden lautete zusammengefasst: Die Aufgabe ist inhaltlich anspruchsvoll, und die praktische Handhabung am Computer ist schnell zu erfassen.
Hinsichtlich des Geräuscheffekts ist festzuhalten, dass in dieser Studie die Wirkungen von zwei deutlich unterschiedlichen akustischen Bedingungen miteinander verglichen wurden. Ob mit dieser Leseaufgabe auch Effekte zwischen akustischen Bedingungen, die sich weniger deutlich voneinander unterscheiden (z. B. Variationen einer bestimmten Geräuscheigenschaft), sichtbar gemacht werden können, muss in weiteren Studien untersucht werden.
Die in Bild 1 dargestellten Ergebnisse deuten an, dass die Abfolge der akustischen Bedingungen einen Einfluss darauf hat, wie groß der Unterschied zwischen beiden Bedingungen ausfällt. Der Unterschied war größer, wenn die Aufgabe zunächst in der Geräuschbedingung und dann in der Ruhebedingung bearbeitet wurde als umgekehrt. Das Ergebnis deutet auf einen leichten Trainingseffekt hin, sodass der (hier nachteilige) Geräuscheffekt durch die Vertrautheit mit der Aufgabe im zweiten Durchgang möglicherweise etwas reduziert wurde.
Die Ergebnisse der Anstrengungsbeurteilung unterstreichen das Ergebnis, das für die Leistungsdaten (Anzahl der richtig bearbeiteten Items) ermittelt wurde. Die Bearbeitung der Aufgabe in der Bedingung mit einem sprachlichen Hintergrundgeräusch wurde im Mittel als signifikant anstrengender beurteilt als die Bearbeitung in der Ruhebedingung. Es gab keine Person, die die Bearbeitung in der Sprachgeräuschbedingung weniger anstrengend fand – auch dann nicht, wenn die Sprache im zweiten Durchgang eingespielt wurde, wenn also die Handhabung der Aufgabe bereits bekannt war. Die Anstrengungsbeurteilungen lagen in beiden akustischen Bedingungen deutlich höher als in der Studie von Sukowski und van de Par [12; 16], in der eine für Kinder konstruierte Leseaufgabe bei demselben Sprachgeräusch verwendet wurde (vgl. in [16]: MRuhe = 27,95, MSprache = 41,21). Auch diese Beobachtung ist ein Hinweis darauf, dass die neu entworfene Aufgabe tatsächlich ein hohes Anforderungsniveau hat.
In der Teilstudie II hatte sich in beiden Untergruppen (Ruhe-Ruhe; Sprachgeräusch-Sprachgeräusch) bei vier von sechs Personen ein leichter Anstieg der Anzahl richtig bearbeiteter Items vom ersten zum zweiten Durchgang gezeigt. Diese Beobachtung deutet ebenfalls darauf hin, dass es einen Trainingseffekt vom ersten zum zweiten Durchgang gab. Dieses Ergebnis müsste – wie das Ergebnis aus Teilstudie I – mit einer deutlich größeren Stichprobe überprüft werden. Der bislang beobachtete Übungseffekt ist im Vergleich zum Übungseffekt, der beispielsweise in der Studie von Smith-Jackson et al. [11] berichtet wurde, jedoch gering. Für zukünftige Studien ist geplant, die Übungsphase zu erweitern, um bereits vor dem ersten Durchgang eine größere Vertrautheit mit der Aufgabe zu schaffen. Zudem kann bei experimentellen Studien der Zeitraum zwischen zwei Testungen vergrößert werden.
Die Werte der Anstrengungsbeurteilung unterschieden sich zwischen dem ersten und zweiten Durchgang nicht signifikant voneinander, wenn die Ergebnisse beider Untergruppen gemeinsam betrachtet wurden. In Bild 3 deutete sich an, dass bei einer zweimaligen Bearbeitung in der Sprachgeräuschbedingung im zweiten Durchgang mehr Anstrengung erlebt wurde als im ersten Durchgang. Da in jeder Untergruppe nur wenige Personen teilgenommen haben, kann die Bedeutung dieser Beobachtung zwar noch nicht abgeschätzt werden, aber dieser Aspekt wird genauso wie der angesprochene Trainingseffekt in weiteren Studien mit berücksichtigt werden.
Bedeutung der Aufgabe
Ein zentrales Ziel der Pilotstudie war es, einen ersten Eindruck hinsichtlich Praktikabilität, Durchführbarkeit und Lärmsensitivität der neu entworfenen Aufgabe zu erhalten, um daraus auch Ansatzpunkte für Optimierungsschritte ableiten zu können. Die Daten der ersten und zweiten Teilstudie sollen daher in einem nächsten Schritt dazu genutzt werden, die einzelnen Items genauer zu betrachten. Neben der Ermittlung der Schwierigkeit wird dabei auch der Frage nachgegangen, welche Fehlerarten in welchen Satzkonstruktionen unter Lärm im Vergleich zur Ruhebedingung besonders häufig übersehen wurden. Darüber hinaus wird auch auf die Parallelität der Items in den beiden Testversionen geschaut. Itempaare, bei denen sich unter gleichen Bedingungen große Unterschiede im Schwierigkeitsindex zeigen, sowie zu leichte und zu schwierige Items werden schließlich ersetzt.
Auch für zukünftige Studien werden zusätzlich zur grundsätzlichen Eignung der Aufgabe weiterhin die angesprochenen Aspekte Itemschwierigkeit, Parallelität der Testversionen sowie Trainingseffekte als bedeutsam angesehen. In den Veröffentlichungen zu Wirkungen auf kognitive Leistungen werden oftmals nur wenige Hintergrundinformationen zu diesen Aspekten berichtet. Es wird zwar darauf hingewiesen, dass äquivalente Aufgaben in den verschiedenen Bedingungen verwendet wurden, und es wird zumeist auch beschrieben, wie häufig welche Fehler in den Dokumenten enthalten sind. Aber wie die Gleichheit der verschiedenen Versionen ermittelt wurde, ob separate Test-Retest-Messungen durchgeführt wurden oder Erkenntnisse über Übungseffekte vorliegen, wird kaum im Detail oder in Zahlenwerten berichtet.
Die Kenntnis über die Parallelität verschiedener Testversionen und über Trainingseffekte ist vor allem dann von Bedeutung, wenn eine Aufgabe in einem Messwiederholungsdesign durchgeführt wird. Ein Trainingseffekt kann einen Geräuscheffekt maskieren und schließlich sogar zu der Interpretation führen, dass ein bestimmtes Geräusch keinen Einfluss auf die Bearbeitung einer Aufgabe hatte. Das Ausbalancieren von Versuchsbedingungen und Testversionen wirkt diesem Problem zwar entgegen, kann aber nicht immer eingesetzt werden, z. B. dann nicht, wenn in der Praxis an einem Arbeitsplatz mit einer Person die Effekte zweier unterschiedlicher akustischer Bedingungen beschrieben werden sollen.
Mit der Konzentration auf den Einsatz von Korrekturleseaufgaben in diesem Beitrag wird nicht infrage gestellt, dass Leseaufgaben, die andere Komponenten des Lesens erfassen, ebenfalls wichtige Ergebnisse liefern können. Um ein vollständiges Bild über die Wirkungen von ungünstigen akustischen Bedingungen auf das Lesen im Arbeitskontext zu erhalten, kann daher eine Kombination verschiedener Aufgaben sinnvoll sein.
Ruhebedingung
In dieser Studie war die Ruhebedingung ein ruhiges Büro mit einer zusätzlichen Abschirmung vor unerwarteten Geräuschen durch das Tragen von Kopfhörern. Auch wenn es in zukünftigen Studien ein Ziel ist, Effekte mehrerer für Arbeitssituationen typischer Geräusche miteinander zu vergleichen, so wird es trotzdem als erforderlich angesehen, weiterhin eine natürliche Ruhebedingung als eine Art Referenzbedingung zu berücksichtigen. Laut Arbeitsstättenverordnung gilt: „In Arbeitsstätten ist der Schalldruckpegel so niedrig zu halten, wie es nach der Art des Betriebes möglich ist. Der Schalldruckpegel am Arbeitsplatz in Arbeitsräumen ist in Abhängigkeit von der Nutzung und den zu verrichtenden Tätigkeiten so weit zu reduzieren, dass keine Beeinträchtigungen der Gesundheit der Beschäftigten entstehen“ ([17], Anhang 3.7 Lärm). In Studien, in denen Aussagen über vorteilhafte und möglichst optimale Arbeitsbedingungen abgeleitet werden sollen, ist es daher besonders wichtig, für die jeweiligen Tätigkeiten realistische Ruhebedingungen im Studiendesign zu berücksichtigen. Werden lediglich die Effekte verschiedener Variationen eines vermeintlichen Störgeräuschs miteinander verglichen, kann leicht aus dem Blick geraten, dass in vielen Arbeitsumgebungen die optimale Bedingung möglicherweise die natürliche Ruhebedingung wäre.
In den Studien von Venetjoki et al. [5] und Haka et al. [10] beispielsweise, die mit dem Ziel durchgeführt wurden, die Effekte unterschiedlicher Sprachverständlichkeit zu überprüfen, wurde die Versuchsbedingung „48 dB(A); STI = 0 bzw. 0,1“ einem „single-person office room with open doors“ ([5], S. 1074) bzw. einem „private room“ ([10], S. 456) zugeordnet. Der Pegel ist mit 48 dB(A) für ein Einzelbüro, in dem grundsätzlich die Tür auch geschlossen werden kann, jedoch relativ hoch (s. o. „ruhiges Büro“ in der Pilotstudie). Eine Aussage über die Leistung in einem Büro mit einem geringeren – in der Realität möglichen – Schalldruckpegel, könnte aus diesen Untersuchungen daher nicht abgeleitet werden.
Erlebte Anstrengung
Die Einschätzung der erlebten Anstrengung hat sich in dieser Studie erneut als eine wichtige abhängige Variable und nützliche Ergänzung zu den Leistungsdaten erwiesen. Dies steht im Einklang mit den Ergebnissen anderer Studien, in denen ebenfalls subjektive Einschätzungen bezüglich Anstrengung, erlebter Belastung oder erlebter Aufgabenschwierigkeit erhoben wurden. Manchmal ist sogar nur anhand der subjektiven Einschätzungen zu erkennen, dass eine Beeinträchtigung vorgelegen hat (vgl. z. B. [10] für selbst eingeschätzte Aufgabenschwierigkeit). Die konsequente Erfassung einer subjektiven Einschätzung kann auch ein wichtiges Instrument sein, um Ergebnisse verschiedener Studien auch dann miteinander vergleichen zu können, wenn die verwendeten Aufgaben, Geräusche, Untersuchungsansätze usw. sehr unterschiedlich waren.
Geräuschbedingungen
Wie oben erläutert, wurden in der hier vorgestellten Studie die Effekte zweier Geräuschbedingungen miteinander verglichen, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Da in zukünftigen Studien stärker auf die Geräuschproblematik am Arbeitsplatz geschaut werden soll, ist dementsprechend auch beabsichtigt, realistische Geräuschsituationen als Hintergrundgeräusche einzusetzen. Dabei soll auch auf besondere Geräuschcharakteristika geachtet werden, von denen möglicherweise in besonderer Weise Störungen ausgehen.
Ausrichtung auf den Arbeitskontext
In Untersuchungen zu Effekten auf die Leistung steht meist die akute Störung im Mittelpunkt. Bezogen auf das Korrekturlesen hat selbstverständlich nicht jeder überlesene Fehler im beruflichen Alltag eine gravierende langfristige Auswirkung. Die Beobachtung, dass in bestimmten Geräuschbedingungen mehr Fehler übersehen werden, sollte aber trotzdem ernst genommen werden, denn das Übersehen eines Fehlers zeigt an, dass die konzentrierte Bearbeitung der Aufgabe durch die Geräuschbedingung gestört wurde. Gesicherte Erkenntnisse, wie sich häufige lärmbedingte Effekte auf kognitive Leistungen langfristig auf Motivation, Arbeitsverhalten, Wohlbefinden und Gesundheit von Beschäftigten auswirken, liegen nicht vor. Hier sind langfristig angelegte Studien, die reale Arbeitsbedingungen mitberücksichtigen, wünschenswert.
Um Aussagen für Arbeitssituationen ableiten zu können, wäre es darüber hinaus notwendig – so wie in der berichteten Pilotstudie – Beschäftigte als Probanden zu untersuchen. Eine Gruppe (junger) Studierender ist nicht repräsentativ für die Arbeitswelt. Die systematische Berücksichtigung des Faktors Alter sowie das Einbeziehen von Personen mit bereits vorliegenden Beeinträchtigungen wäre zudem eine wichtige Ergänzung, um ein vollständigeres Bild über die Auswirkungen von ungünstigen akustischen Bedingungen auf Menschen am Arbeitsplatz zu erhalten.
Fazit
Die hier berichtete Pilotstudie war ein erster Schritt, um mit einer neu entworfenen Korrekturleseaufgabe die Wirkung von unterschiedlichen akustischen Bedingungen auf das Lesen untersuchen und beschreiben zu können. Bei der Konstruktion der Aufgabe (Items mit Bezug zum Arbeitskontext, Zeitdruck) und der Durchführung (Beschäftigte als Probanden, reale Büroumgebung) wurden bereits einige Elemente in der Form gestaltet, dass sie in Richtung Arbeitskontext weisen. Die Ergebnisse der Pilotstudie sind eine gute Ausgangsbasis, um die Aufgabe für weitere Anwendungen zu verfeinern und sie in weiteren Studien mit Blick auf den Arbeitsalltag einsetzen zu können.
Danksagung
Vielen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen, die sich bereiterklärt haben, an der Pilotstudie teilzunehmen, und an alle, die bereits im Vorfeld der Pilotstudie für Probedurchläufe zur Verfügung standen und mit wertvollen Rückmeldungen zur erfolgreichen Anwendung der Aufgabe beigetragen haben. Ebenso danke ich Herrn Ulrich Hold (BAuA), der die computerbasierte Testversion programmiert hat.
Literatur
[1] Arbeitsschutzgesetz vom 7. August 1996. BGBl. I, S. 1246, zul. geänd. durch Art. 427 der Verordnung vom 31. August 2015. BGBl. I, S. 1474.
[2] Technische Regeln zur Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (TRLV Lärm – Teil Allgemeines). GMBl. Nr. 18-20 vom 23. März 2010, S. 359.
[3] Technische Regeln zur Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (TRLV). www.baua.de/TRLV
[5] Venetjoki, N.; Kaarlela-Tuomaala, A.; Keskinen, E.; Hongisto, V.: The effect of speech and speech intelligibility on task performance. Ergonomics 49 (2006) Nr. 11, S. 1068- 1091.
[6] Weinstein, N. D.: Effect of noise on intellectual performance. J. Appl. Psychol. 59 (1974) Nr. 5, S. 548-554.
[7] Jones, D. M.; Broadbent, D.: Side-effects of interference with speech by noise. Ergonomics 22 (1979), S. 1073-1081.
[8] Schwabe, M.: Eine Studie über den Einfluss von Verkehrslärm auf die Tätigkeit des Korrekturlesens. Z. Arbeitswissenschaft 36 (1982) Nr. 1, S. 49-53.
[9] Liebl, A.: Auswirkungen von Hintergrundschall auf das Lesen und Verstehen von Texten. Dissertation Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt 2006.
[10] Haka, M.; Haapakangas, A.; Keränen, J.; Hakala, J.; Keskinen, E.; Hongisto, V.: Performance effects and subjective disturbance of speech in acoustically different office types – a laboratory experiment. Indoor Air 19 (2009) Nr. 6, S. 454- 467.
[11] Smith-Jackson, T. L.; Klein, K. W.: Open-plan offices: Task performance and mental workload. J. Environ. Psychol. 29 (2009), S. 279-289.
[12] Sukowski, H.; van de Par, S.: Noise effects on reading and attention: Investigating the role of the chosen test procedure. In: Proceedings of the 11th International Congress on Noise as a Public Health Problem (ICBEN), 1.-5. Juni 2014. Nara, Japan.
[13] Sukowski, H.: Die Wirkungen von Geräuschen auf das Lesen bei Kindern. Teil II: Konstruktion und Anwendung einer lärmsensitiven Leseaufgabe. Lärmbekämpf. 9 (2014) Nr. 5, S. 222-232.
[14] Sukowski, H.; Romanus, E.: Effects of background speech on reading performance in adults: Results using a new test procedure. In: Proceedings of the 22nd International Congress on Acoustics (ICA 2016), 5.-9. September 2016. Buenos Aires, Argentinien.
[15] Sukowski, H.; Romanus, E.: Effects of background speech on reading performance in adults. In: Proceedings of Meetings on Acoustics (22nd International Congress on Acoustics), im Druck.
[16] Sukowski, H.; Urbschat, A.; van de Par, S.: Erlebte Anstrengung bei der Bearbeitung kognitiver Aufgaben unter Sprachgeräuschbedingungen. In: Fortschritte der Akustik – DAGA 2015 Nürnberg, S. 745-748.
[17] Arbeitsstättenverordnung vom 12. August 2004. BGBl. I, S. 2179, zul. geänd. durch Art. 1 der Verordnung vom 30. November 2016. BGBl. I, S. 2681.
Dr. Helga Sukowski, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund.