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01.11.2017, 00:00 Uhr

Schienenlärm in Abhängigkeit vom Schienenzustand

Zusammenfassung Der Fahrflächenzustand der Schiene ist neben dem Zustand der Fahrzeuge eine weitere wesentliche Einflussgröße für die Schallemission des Schienenverkehrs und hat daher auch Eingang in gesetzliche und normative Regelungen gefunden. Abhängig von der Verkehrsbelastung und Instandhaltungsmaßnahmen unterliegt der Fahrflächenzustand ständigen Veränderungen. Mit dem Schallmesswagen der DB Netz AG steht ein Messfahrzeug zur Verfügung, welches büG-Strecken effizient überwacht und darüber hinaus regelmäßig den allgemeinen akustischen Zustand des Schienennetzes erfasst. Durch Erhöhung der jährlich geschliffenen Strecken-Kilometer hat sich der durchschnittliche akustische Schienenzustand in den vergangenen Jahren deutlich verbessert und übertrifft inzwischen signifikant den Wert, der als „durchschnittlicher Schienenzustand“ Eingang in die Schall03 gefunden hat. Die seit einiger Zeit bei bestimmten eingesetzten Schleifverfahren nach der Schienenbearbeitung vermehrt auftretenden belästigenden Geräusche mit tonalen Komponenten werden derzeit im Rahmen des Forschungsprojekts „Geräuschoptimiertes Schienenschleifen“ mit finanzieller Förderung aus Mitteln des Zukunftsinvestitionsprogramms der Bundesregierung untersucht. Ziel ist neben der Beseitigung der Belästigung die Erarbeitung von Anforderungen an Schleifverfahren aus akustischer Sicht, die zukünftig bei der Vergabe von Schleifleistungen gestellt werden können. Eine Pflicht zur Einhaltung und Überwachung des akustischen Zustands des Schienennetzes besteht für die DB Netz AG als Betreiber der Schieneninfrastruktur ausschließlich für das besonders überwachte Gleis als Maßnahme des aktiven Schallschutzes (derzeit auf ca. 1 200 Gleis-Kilometer). Allerdings wurde auch hier keine Grenze für die Schienenrauheit vom Gesetzgeber vorgegeben, sondern eine Eingriffsschwelle für den Schallpegel. Anforderungen an die Schienenrauheit aus der TSI NOISE und der Norm DIN EN ISO 3095 gelten ausschließlich für Abnahmemessungen an Eisenbahnfahrzeugen. Sie gelten ausdrücklich nicht für den regulären Eisenbahnverkehr.

Quelle: Panther Media/gogiyan

Quelle: Panther Media/gogiyan

Die vom Schienenverkehr ausgehenden Schallemissionen werden wesentlich von den Parametern Geschwindigkeit, Zuglänge, Rad- und Schienenrauheit beeinflusst. Während die ersten beiden Parameter leicht zu bestimmen sind, ist die Messung der Rauheiten aufwendig. Die Radrauheit ist eng verknüpft mit der Bremsbauart eines Fahrzeugs und erreicht bei einem neuen Rad nach kurzer Einfahrzeit einen konstanten Wert. Dagegen ist die Schienenrauheit eines realen Gleises ständigen Veränderungen unterworfen, sodass eine Rauheitsmessung immer nur eine Momentaufnahme liefert.

Die mangelnde Kenntnis der Schienenrauheit ist oft ein Hindernis bei der Interpretation von Messungen des Schallpegels vorbeifahrender Züge oder bei Feldversuchen zur Bewertung der Wirksamkeit innovativer Schallschutzmaßnahmen. Auch bei der Berechnung von Beurteilungspegeln im Rahmen von Lärmvorsorge und -sanierung sowie bei der Lärmkartierung geht die Schienenrauheit in die Berechnungsergebnisse ein, ohne dass dies für den Anwender explizit sichtbar wird.

Dieser Beitrag widmet sich zunächst der Entstehung des Rollgeräuschs und erläutert den Begriff des „Grundwerts“, der die zentrale akustische Größe in der bis Ende 2014 gültigen Fassung der Richtlinie Schall03 ist. Anschließend wird die Entwicklung des akustischen Zustands des deutschen Schienennetzes beschrieben. Abschließend wird der Frage nachgegangen, wo der Schienenzustand Eingang in gesetzliche Regelwerke gefunden hat und welche Anforderungen sich daraus für die DB Netz AG als Betreiber von Eisenbahninfrastruktur ergeben.

Entstehung des Rollgeräuschs

Der Ursprung der Rollgeräuschemission liegt im Rollvorgang des Rads auf der Schiene. Unebenheiten auf den Laufflächen von Rad und Schiene („Rad- und Schienenriffel“) im Wellenlängenbereich von 1 bis 10 cm bilden während des Überrollens eine „kombinierte Rauheit“ mit Amplituden, die typischerweise im Bereich von 1 bis 20 m liegen. Aufgrund dieser kombinierten Rauheit entsteht beim Rollvorgang eine zeitabhängige Kraft im Rad-Schiene-Kontakt, die Rad und Schiene zu Schwingungen anregt. Über das Schienenbefestigungssystem wird auch die Schwelle angekoppelt. Entsprechend ihren jeweiligen dyna­mischen Eigenschaften strahlen Rad, Schiene und Schwelle Luftschall ab. Dies ist in Bild 1 dargestellt.

Bild 1 Mechanismus der Entstehung des Rollgeräuschs. Quelle: DB Netztechnik/DB Systemtechnik GmbH

Bild 1 Mechanismus der Entstehung des Rollgeräuschs.

Foto: DB Netztechnik/DB Systemtechnik GmbH

Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass gemäß Bild 1 nur die Summe der Rauheiten für die Schwingungsanregung von Fahrzeug und Oberbau verantwortlich ist, d. h. die Schiene wird sowohl durch die Schienenrauheit als auch durch die Radrauheit angeregt. Welcher Anteil dabei überwiegt, ist für das Schwingungsverhalten der Schiene und die dadurch bewirkte Luftschallabstrahlung nicht relevant. Entsprechendes gilt für das Rad.

Der Zusammenhang zwischen der Wellenlänge  (in cm) von Unebenheiten auf der Schienenfahrfläche und der Frequenz f (in Hz) des Luftschalls ergibt sich aus der Beziehung

 

f = 27,8 v/     (1)

 

wobei für v die Geschwindigkeit des Zugs in km/h einzusetzen ist. Gleichung (1) kann so interpretiert werden, dass die Räder eines Zuges die Unebenheiten der Wellenlänge  auf der Schienenfahrfläche mit der Geschwindigkeit v abtasten, was zu einer Anregung von Rad und Schiene mit der Frequenz f führt.

Die Bedeutung dieses Zusammenhangs soll anhand eines Beispiels erläutert werden. Die rote Kurve in Bild 2 zeigt exemplarisch ein Spektrum der Schienenrauheit.

Bild 2 Beispiel für ein Spektrum der Schienenrauheit (rote Kurve). Die grünen Balken kennzeichnen den für das Rollgeräusch relevanten Wellenlängenbereich für drei verschiedene Zuggeschwindig­keiten. Die Wellenlängenbereiche entsprechen nach Gl. (1) jeweils dem Frequenzbereich von 500 bis 3 000 Hz. Quelle: DB Netztechnik/DB Systemtechnik GmbH

Bild 2 Beispiel für ein Spektrum der Schienenrauheit (rote Kurve). Die grünen Balken kennzeichnen den für das Rollgeräusch relevanten Wellenlängenbereich für drei verschiedene Zuggeschwindig­keiten. Die Wellenlängenbereiche entsprechen nach Gl. (1) jeweils dem Frequenzbereich von 500 bis 3 000 Hz.

Foto: DB Netztechnik/DB Systemtechnik GmbH

Typisch ist der Anstieg des Spektrums mit zunehmender Wellenlänge. Der Frequenz­bereich des Rollgeräuschs erstreckt sich etwa von 500 bis 3 000 Hz. Die grünen Balken kennzeichnen den zugehörigen Wellenlängenbereich nach Gl. (1) für drei verschiedene Geschwindigkeiten. Der akustisch relevante Wellenlängenbereich verschiebt sich mit zunehmender Geschwindigkeit zu größeren Wellenlängen hin und damit generell auch in den Bereich höherer Rauheiten. Dies ist der wesentliche Grund für das Ansteigen des Rollgeräuschs mit zunehmender Geschwindigkeit der Züge.

Schienenbearbeitung

Entstehung und Wachstum von Schienenriffeln ist eine Folge der mechanischen Belastungen der Schiene durch den Zugverkehr, wodurch ihre Oberfläche permanenten Veränderungen ausgesetzt ist. Es entstehen Unebenheiten und Schienenfehler, die zur Wahrung des sicheren Betriebs und zur Minimierung von Materialverschleiß an der Schiene regelmäßig beseitigt werden müssen. Dieses Wechselspiel von Abnutzung und Instandhaltung wirkt sich auch auf die Schallemission des Schienenverkehrs aus und bestimmt den mittleren akustischen Zustand des Schienennetzes.

Zur Schienenbearbeitung stehen unterschiedliche Verfahren zur Verfügung. Einen guten Überblick gibt [1]. Traditionell erfolgte die Schienenbearbeitung zustandsbezogen, d. h. bei Er­reichen festgelegter Eingreifwerte für die Riffeltiefe. Durch die Einsatzreife neuer Verfahren ist die DB Netz AG auf hochbelasteten Strecken mit mehr als 30 000 Lasttonnen pro Tag zu zyklisch-präventivem Schleifen übergegangen. Regelmäßiges Schleifen in kürzeren Zeitabständen mit geringerem Materialabtrag und hohen Arbeitsgeschwindigkeiten beugt der Ausbildung von Ermüdungserscheinungen an Fahrfläche und Fahrkante der Schiene vor und lässt unerwünschte Oberflächenfehler erst gar nicht entstehen.

Durch die zunehmende Schleifleistung ist die mittlere Schallemission aus dem Schienennetz der DB AG in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken. Seit einiger Zeit mehren sich jedoch Beschwerden der Anwohner von Strecken mit frisch geschliffenen, mit rotierenden Schleifsteinen bearbeiteten Schienen. Es treten in einigen Fällen nach der Schienenbearbeitung bei Zugvorbeifahrten Geräusche mit tonalen Komponenten und teilweise starker Belästigungswirkung auf, die über einen längeren Zeitraum anhalten können. Dieses Phänomen ist auf das bei bestimmten eingesetzten Schleifverfahren nach der Schienenbearbeitung hinterlassene Schliffbild zurückzuführen. Die DB Netz AG hat darauf kurzfristig reagiert. Mit Mitteln aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm der Bundesregierung hat sie das Forschungsprojekt „Geräuschoptimiertes Schienenschleifen“ gestartet. Mithilfe von Hörprobanden wird in einer psychoakustischen Studie ein Geräuschszenario entwickelt, das die Probanden nicht mehr als belästigend empfinden. Dieses Szenario wird anschließend mithilfe von Computersimulationen in Anforderungen an die Schienenoberfläche umgewandelt. Daraus resultiert eine „Zielrauheit“, die nach der Schienenbearbeitung durch die Schleifmaschinen herzustellen ist. Vermieden werden sollen insbesondere tonale Komponenten im Rollgeräusch. Parallel dazu wird in diesem Projekt ein besseres Verständnis des Zusammenhangs zwischen den Bearbeitungsparametern beim rotierenden Schienenschleifen (Anpressdrücke, Arbeitsgeschwindigkeiten, Materialparameter etc.) und der akustischen Wirkung erarbeitet, sodass zukünftig auch Anforderungen bezüglich der Akustik bei der Vergabe von Schleifleistungen gestellt werden können.

Schienenzustand und Grundwert

Das Konzept eines mittleren akustischen Zustands, der sich als Mittelwert über einen längeren Zeitraum auf einem Streckenabschnitt als Folge von Belastung durch den Zugverkehr und Instandhaltungsmaßnahmen ausbildet, wurde über den Begriff des „Grundwerts“ LG in das gesetzliche Regelwerk eingeführt. Die Schall03 [2] definiert den Grundwert als den auf eine Stunde bezogenen Mittelungspegel eines Zuges in 25 m seitlicher Entfernung, 3,5 m über Grund in ebenem Gelände. Dieser Zug hat eine Länge von 100 m, fährt mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h und besteht zu 100 % aus Fahrzeugen, die mit Scheibenbremsen ausgerüstet sind. Der Zahlenwert für den Grundwert wurde auf LG = 51 dB(A) festgelegt, wobei die Schall03 von 1990 ausdrücklich besagt, dass dies unter der Voraussetzung eines „durchschnittlichen Schienenzustands“ gilt. Eine Definition dieses durchschnittlichen Schienenzustands gibt die Schall03 von 1990 nicht, womit einer der wesentlichen die Schallemission bestimmenden Parameter zunächst unbestimmt blieb.

Mit der Entwicklung des besonders überwachten Gleises (büG) und dessen Anerkennung als Maßnahme des aktiven Schallschutzes durch das Eisenbahn-Bundesamt im Jahr 1998 [3] wurde die Frage nach einer Definition des durchschnitt­lichen Schienenzustands relevant.

Das besonders überwachte Gleis (büG) und der Schallmesszug

Das büG als Verfahren zur Lärmminderung an der Quelle zeichnet sich dadurch aus, dass büG-Strecken mittels eines anerkannten Verfahrens aus akustischen Gründen geschliffen, in regelmäßigen Abständen auf ihren akustischen Zustand hin messtechnisch überprüft und im Fall einer Überschreitung der definierten Eingriffsschwelle nachgeschliffen werden müssen. Das Schleifen erfolgt mittels eines speziellen Verfahrens, bei dem die Schleiflineale mit einer Schwingfrequenz von 4 Hz in Schienenlängsrichtung oszillieren. Derzeit umfasst das büG ca. 1 200 Gleis-Kilometer. Das Verfahren ist in [4] ausführlich beschrieben.

Mit Einführung des büG als Schallschutzmaßnahme entstand die Notwendigkeit der regelmäßigen Überwachung der akus­tischen Qualität der Schienenoberfläche. Speziell zu diesem Zweck wurde von der DB AG der Schallmesswagen (SMW) entwickelt. In einem umgebauten Reisezugwagen wurde eine re­flexionsarme Messkabine eingerichtet, in der das Rollgeräusch mit einem Mikrofon direkt über einer Öffnung im Wagenboden und unmittelbar über einem Drehgestell mit ungebremsten Rädern gemessen wird. Da die Radlaufflächen des SMW kon­tinuierlich in einem sehr glatten Zustand gehalten werden, ist das Messsignal des SMW ein direktes Maß für die Oberflächenrauheit der Schiene. Gegenüber einem System, das die Ober­fläche der Schiene abtastet, bietet die Schallmessung erhebliche Vorteile:

  1. Hohe Arbeitsgeschwindigkeit: Der SMW kann Strecken mit einer Höchstgeschwindigkeit von vmax = 200 km/h befahren und lässt sich dadurch in den laufenden Verkehr eintakten.
  2. Einfache Kalibrierung: Der SMW-Messwert lässt sich leicht auf den Emissionspegel eines Zugkollektivs beziehen.

Die Kalibrierung des SMW erfolgte über den Vergleich der Messwerte des SMW mit dem Ergebnis von Außenmessungen der Vorbeifahrtpegel eines Zugkollektivs, dass sich aus den Zuggattungen ICE, IC, Regionalbahn und Güterzug zusammensetzt. Dazu wurden Streckenabschnitte ausgewählt, deren Um­gebungsbedingungen für Mikrofonmessungen geeignet waren und auf denen die genannten Zuggattungen in ausreichender Anzahl verkehren. Für jede Zugfahrt wurden der Vorbeifahrt­pegel gemessen und durch Anwendung der Korrekturen für Geschwindigkeit, Zuglänge und Bremsbauart nach Schall03 von 1990 ein „streckenspezifischer Grundwert“ LG,spez ermittelt. Der Begriff „streckenspezifischer Grundwert“ trägt der Tatsache Rechnung, dass die Teststrecken im Allgemeinen nicht den mittleren Schienenzustand aufweisen und daher LG und LG,spez nicht identisch sind.

Da der SMW zunächst ausschließlich für die Überwachung der büG-Strecken eingesetzt wurde, für die gemäß EBA-Verfügung [3] im zeitlichen Mittel ein Pegelabschlag von 3dB gegenüber dem Grundwert nachzuweisen war (d. h. auf büG-Strecken ist im zeitlichen Mittel ein streckenspezifischer Grundwert LG,spez = 48 dB einzuhalten), wurde folgende Skalierung der SMW-Pegel eingeführt:

 

LSMW = LG,spez – 48 dB              (2)

 

Das bedeutet:

LSMW = 0 dB: Zeitlicher Mittelwert, der auf einem büG-Gleis einzuhalten ist

LSMW = 3 dB: Streckenspezifischer Grundwert entspricht genau dem Grundwert LG = 51 dB. Das Gleis hat dann genau den durchschnittlichen Schienenzustand nach Schall03 von 1990.

LSMW < 3 dB: Gleiszustand besser als „durchschnittlich“

LSMW > 3 dB: Gleiszustand schlechter als „durchschnittlich“

 

Die Kalibrierung des SMW wird regelmäßig durch den Abgleich mit Mikrofonmessungen überprüft. Mittlerweile hat der SMW den Status eines akkreditierten Prüflabors nach DIN EN ISO/IEC 17025 bei der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) erhalten.

Der akustische Zustand des deutschen Schienennetzes

Seit mehr als zehn Jahren wird der SMW zusätzlich zu seinen Überwachungsaufgaben beim büG auch zur Ermittlung des akustischen Zustands des deutschen Schienennetzes eingesetzt. Auf einem großen Teil der Hauptabfuhrstrecken in Deutschland wird seither zweimal jährlich der akustische Zustand gemessen und statistisch ausgewertet. Bild 3 zeigt das Ergebnis der Messungen aus der ersten Jahreshälfte 2016.

Bild 3 Häufigkeitsverteilung der vom SMW gemessenen Pegel außerhalb von büG-Strecken. Befahren und ausgewertet wurden ca. 13 000 Gleis-Kilometer. Der Wert des „durchschnittlichen“ Schienenzustands nach Schall03 mit LSMW = 3 dB wurde auf 85 % des befahrenen Streckennetzes unterschritten (Zustand im ersten Halbjahr 2016). Quelle: DB Netztechnik/DB Systemtechnik GmbH

Bild 3 Häufigkeitsverteilung der vom SMW gemessenen Pegel außerhalb von büG-Strecken. Befahren und ausgewertet wurden ca. 13 000 Gleis-Kilometer. Der Wert des „durchschnittlichen“ Schienenzustands nach Schall03 mit LSMW = 3 dB wurde auf 85 % des befahrenen Streckennetzes unterschritten (Zustand im ersten Halbjahr 2016).

Foto: DB Netztechnik/DB Systemtechnik GmbH

Befahren und ausgewertet wurden ca. 13 000 Gleis-Kilometer. Die Häufigkeit der gemessenen Pegel LSMW (siehe Gl. (2)), dargestellt in Pegelklassen mit einer Breite von 1 dB, zeigt die rote Kurve. Zusätzlich sind die kumulierten Häufigkeiten der LSMW als blaue Kurve dargestellt. Bild 3 erlaubt drei Schlussfolgerungen:

  1. Auf 85 % der vermessenen Strecken ist der Schienenzustand besser als der „durchschnittliche“ Schienenzustand (LSMW = 3 dB).
  2. Der tatsächliche durchschnittliche Schienenzustand liegt bei LSMW = 0. Dies ist der häufigste Messwert und er wird in 50 % aller Fälle unter- bzw. überschritten.
  3. Schlechte Schienenzustände, bei denen der streckenspezifische Grundwert LG,spez den Grundwert LG um mehr als 5 dB überschreitet (LSMW > 8 dB), sind sehr selten (Häufigkeit < 2 %).

Bild 3 bildet als Momentaufnahme den akustischen Zustand des Schienennetzes ohne büG-Abschnitte im ersten Halbjahr 2016 ab. Vergleicht man unterschiedliche Halbjahreszeiträume miteinander, so zeigen sich Unterschiede in den Verteilungen, die insbesondere die Intensität des Schienenschleifens abbilden. Bild 4 zeigt den Anteil der Schienenzustände für die Jahre 2007 bis 2016, die besser als der „durchschnittliche Schienenzustand“ (LSMW = 3 dB) sind.

Bild 4 Veränderung des akustischen Schienenzustands im Zeitraum von 2007 bis 2016. Aufgetragen ist der Anteil der Schienenzustände in %, die besser als der „durchschnittliche Schienenzustand“ (LSMW = 3 dB) sind. Der Anteil der überdurchschnittlich guten Zustände hat sich über einen Zeitraum von zehn Jahren von unter 70 % auf deutlich über 80 % erhöht. Quelle: DB Netztechnik/DB Systemtechnik GmbH

Bild 4 Veränderung des akustischen Schienenzustands im Zeitraum von 2007 bis 2016. Aufgetragen ist der Anteil der Schienenzustände in %, die besser als der „durchschnittliche Schienenzustand“ (LSMW = 3 dB) sind. Der Anteil der überdurchschnittlich guten Zustände hat sich über einen Zeitraum von zehn Jahren von unter 70 % auf deutlich über 80 % erhöht.

Foto: DB Netztechnik/DB Systemtechnik GmbH

Der Anteil der überdurchschnittlich guten Zustände hat sich demnach über einen Zeitraum von zehn Jahren von unter 70 % auf deutlich über 80 % erhöht. Dadurch hat sich der akustische Zustand des Schienennetzes innerhalb der letzten zehn Jahre um ca. 2 dB verbessert. Eine ausführliche Analyse findet sich bei Rothhämel et al. in [6].

Auf aktuell bestehende Probleme in der Einfahrphase nach präventiv-zyklischen Schleifarbeiten und deren anstehende Lösung wurde bereits weiter oben verwiesen. Der positive Trend der letzten Jahre wird dadurch jedoch nicht gebrochen.

Anhand von Bild 3 kann auch der zeitliche Verlauf des akus­tischen Zustands eines einzelnen Streckenabschnitts veranschaulicht werden. Durch Schienenschleifen verbessert sich der akustische Zustand erheblich. Unmittelbar nach dem Schleifen vorhandene Schleifriefen werden nach kurzer Zeit glatt gefahren, die Schienenfahrfläche hat dann ihren besten Zustand erreicht. Die SMW-Pegel liegen üblicherweise bei -2 dB. Im Laufe der Zeit verschlechtert sich die Schienenfahrfläche durch die mechanischen Belastungen des Zugverkehrs, d. h. der akus­tische Zustand wandert entlang der blauen Kurve nach rechts bis zum nächsten Schienenschleifen.

Die Schienenrauheit in der Neufassung der Schall03

Mit der Neufassung der Schall03 [5], die im Jahr 2015 in Kraft gesetzt wurde, wurde das Konzept des Grundwerts zugunsten einer differenzierteren Beschreibung der relevanten Parameter aufgegeben. Als Grundgröße wurde der A-bewertete längen­bezogene Schallleistungspegel gewählt. Zur differenzierteren Beschreibung der akustischen Eigenschaften von Fahrzeugen enthält die Schall03 [5] zehn Fahrzeugkategorien. Die relevanten akustischen Kenngrößen sind für jede Fahrzeugart in einem eigenen Datenblatt festgelegt. Auch in der Neufassung verweist die Schall03 explizit darauf, dass die Werte für den durchschnittlichem Fahrflächenzustand gelten.

Während die Schall03 von 1990 nur die Schallquelle „Roll­geräusch auf Schienenoberkante“ berücksichtigte, unterscheidet die Schall03 von 2015 zwischen den Schallquellen “Roll­geräusche“, „Aerodynamische Geräusche“, „Aggregatgeräusche“ und „Antriebsgeräusche“, denen jeweils unterschiedliche Höhen über Schienenoberkante zugeordnet sind. Das Rollgeräusch ist wiederum in vier Teilquellen unterteilt:

  1. Anteil des Rollgeräuschs, der durch die Schienenrauheit erzeugt wird ,
  2. Anteil des Rollgeräuschs, der durch die Radrauheit erzeugt wird ,
  3. Abstrahlung des als Körperschall übertragenen Rollgeräuschs aufgrund der Schienenrauheit durch Kesselwagenaufbauten,
  4. Abstrahlung des als Körperschall übertragenen Rollgeräuschs aufgrund der Radrauheit durch Kesselwagenaufbauten.

Die Teilquellen 3 und 4 treten ausschließlich bei Kesselwagen auf und haben nur geringe Auswirkungen auf den Emissions­pegel. Sie werden im Folgenden nicht weiter betrachtet.

Für jede Teilquelle gibt die Schall03 von 2015 den längenbezogenen Schallleistungspegel als Oktavspektrum an. Der Gesamtpegel der längenbezogenen Schallleistung aus der Schallquelle „Rollgeräusch“ ergibt sich dann aus der energetischen Summa­tion der Teilquellen 1 und 2. In Analogie zur Schall03 von 1990 ist in der Neufassung festgelegt, dass die Teilquelle 1 sich auf den durchschnittlichen Schienenzustand bezieht.

Da die Interpretation der Teilquellen 1 und 2 immer wieder zu Missverständnissen führt, sei hier folgende Klarstellung angebracht:

Teilquelle 1 ist nicht der Anteil der Schiene an der Schallemis­sion. Ebenso ist Teilquelle 2 nicht der Anteil des Rades an der Schallemission. Gemäß Bild 1 regt die Schienenrauheit sowohl Rad als auch Schiene/Schwelle zur Luftschallabstrahlung an. Teilquelle 1 enthält daher sowohl Anteile des Luftschalls, die vom Fahrzeug als auch solche, die vom Oberbau abgestrahlt werden. Entsprechendes gilt für Teilquelle 2.

Die Aufteilung des Rollgeräuschs bezüglich seiner Entstehung durch Rad- und Schienenrauheit wurde bei der Neufassung der Schall03 eingeführt, um den Einfluss unterschiedlicher Radrauheiten und die besondere Gleispflege im Rahmen des büG konzeptionell sauber abbilden zu können. In der Fahrzeugkategorie Güterwagen kann nun bezüglich der Rauheiten zwischen Radsätzen mit Grauguss-Klotzbremse, Verbundstoff-Klotzbremse, Wellenscheibenbremse, Radscheibenbremse differenziert werden.

Das büG in seiner ursprünglichen Form gemäß EBA-Ver­fügung von 1998 [3] sah einen pauschalen Pegelabschlag von 3 dB unabhängig von der Zugart vor. In der Praxis hängt die erreichbare Minderung der Schallemission jedoch von den Rauheiten der Räder ab. Das neue Berechnungsmodell erlaubt durch die Aufteilung des Rollgeräuschs auf die Teilquellen 1 und 2 und deren energetische Summation die korrekte Berücksichtigung der jeweiligen Anteile von Rad- und Schienenrauheit an der Entstehung des Rollgeräuschs nach Bild 1. Bei Fahrzeugen mit Grauguss-Klotzbremsen dominiert die Rauheit der Räder, sodass Verbesserungen der Schienenoberfläche eine geringere Wirkung haben als bei Fahrzeugen mit Scheibenbremsen oder mit Bremsen mit Verbundstoffsohle. Dies ist der neuen Schall03 berücksichtigt.

Anforderungen an die Schienenrauheit in Normung und Gesetzgebung

Bundes-Immissionsschutzgesetz

Die Schall03 ist als Anlage 2 zur 16. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (16. BImSchV) Teil der deutschen Immissionsschutzgesetzgebung. Anwendung findet sie in der Lärmvorsorge bei der Planung von Neu- und Ausbauvorhaben. Mithilfe des Rechenmodells der Schall03 werden „Beurteilungspegel“ ermittelt, die mit den Grenzwerten der 16. BImSchV verglichen werden. Überschreiten die Beurteilungspegel im Plan-Zustand (das ist der Zustand der Strecke nach Beendigung des Bauvorhabens unter Berücksichtigung der erwarteten Verkehre) die Grenzwerte, so sind Schallschutzmaßnahmen vorzusehen. Wie zuvor erläutert, werden die Beurteilungspegel auf der Basis eines durchschnittlichen Schienenzustands berechnet. Dies impliziert, dass sowohl Überschreitungen als auch Unterschreitungen im konkreten Einzelfall vorkommen können. Eine Verpflichtung für den Infrastrukturbetreiber zur Überwachung und Einhaltung einer bestimmten Fahrflächenqualität lässt sich aus der Schall03 nicht ableiten. Die kontinuierliche Verbesserung des Schienenzustands in Deutschland in den vergangenen Jahren hat bewirkt, dass die berechneten Beurteilungspegel die tatsächlichen Emissionen in der Realität tendenziell überschätzen (s. Bilder 3 und 4).

Anders stellt sich die Situation beim büG dar. Auf Strecken, bei denen das büG als aktive Schallschutzmaßnahme planfestgestellt worden ist, ist eine Obergrenze für die Schienenrauheit einzuhalten. Diese Obergrenze ist nicht in Form eines Grenzwerts für die Rauheit, sondern indirekt über eine Eingriffsschwelle für die resultierende Schallemission festgelegt. Diese ist dann vom SMW zu überwachen. Wird die Eingriffsschwelle durch Verriffelung der Schiene erreicht, ist die DB Netz AG verpflichtet, den entsprechenden Streckenabschnitt zu schleifen.

EU-Umgebungslärmrichtlinie

Im Jahr 2002 ist die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bewertung und die Bekämpfung von Umgebungslärm (EU-Umgebungslärmrichtlinie) in Kraft getreten. Diese verpflichtet die Mitgliedsstaaten, Lärmkarten für die Umgebung hochbelasteter Eisenbahnstrecken mit mehr als 30 000 Zügen pro Jahr zu erstellen. Den Mitgliedstaaten ist es grundsätzlich freigestellt, die Lärmkartierung auf der Basis von Messungen oder mittels Rechenmodellen zu erarbeiten. In Deutschland werden Lärmkarten ausschließlich berechnet. Dazu wurde im Jahr 2006 die „Vorläufige Berechnungsmethode für den Umgebungslärm an Schienenwegen (VBUSch)“ in Kraft gesetzt. Das Rechenmodell der VBUSch stützt sich weitestgehend auf das Modell der Schall03 in der Fassung von 1990 [2]. Die mittels VBUSch berechneten Lärmkarten bilden daher auch wieder den „durchschnittlichen Schienenzustand“ ab. Wesentlicher Unterschied ist die Berechnung eines Beurteilungspegels LDEN, der gewichtet aus den Beurteilungspegeln für Tag, Abend und Nacht zusammengesetzt wird, während gemäß Schall03 die Beurteilungspegel für den Tages- und Nachtzeitraum separat auszuweisen sind. Einen Abendzeitraum kennt die Schall03 nicht.

TSI NOISE und DIN EN ISO 3095

Zur Begrenzung der Lärmemissionen des Eisenbahnsystems in der Europäischen Union hat die EU-Kommission die Verordnung über die technische Spezifikation für die Interoperabilität des Teilsystems „Fahrzeuge — Lärm“ (TSI NOISE) [7] erlassen. Dort sind Grenzwerte für die Schallemission von Schienenfahrzeugen bei unterschiedlichen Betriebsbedingungen festgelegt, deren Einhaltung bei der Neuzulassung nachzuweisen ist. Die TSI NOISE legt Anforderungen an Teststrecken für Abnahmemessungen von Schienenfahrzeugen fest. Diese betreffen das Schwingungsverhalten der Schiene (Gleisabklingrate) und die Rauheit der Schienenoberfläche. Dadurch wird sichergestellt, dass Messungen reproduzierbare Resultate liefern, Messungen auf verschiedenen Teststrecken vergleichbar sind und der Einfluss des Oberbaus auf die Messergebnisse minimiert wird.

Die Messbedingungen nach TSI NOISE leiten sich weitestgehend aus den Anforderungen der Norm DIN EN ISO 3095 [8] her. Die DIN EN ISO 3095 definiert in ihrem Kap. 6 ein oberes Grenzspektrum des Pegels der akustischen Schienenrauheit, das auf Teststrecken bei Abnahmemessungen von Schienenfahr­zeugen nicht überschritten werden darf. Die Norm legt in ihrem Anwendungsbereich ausdrücklich fest, dass sie nicht für die Bewertung der Umweltbelastung und nicht für die Bewertung der Geräuschimmission gilt. Diese Festlegung grenzt die Anwendungsbereiche von Schall03 und TSI NOISE klar voneinander ab. Daher lassen sich aus der Norm auch keine Anforderungen ableiten, dass die Rauheit aus immissionsschutzrechtlicher Sicht allgemein auf dem Streckennetz der DB AG einzuhalten sei.

 

 

 

Literatur

[1]  Marx, L.; Moßmann, D.: Arbeitsverfahren für die Instand­haltung des Oberbaus. Berlin: Bahn-Fachverlag 2011.

[2]  Richtlinie zur Berechnung der Schallimmissionen von Schienenwegen – Schall 03. ABl. DB Nr. 14 vom 4. April 1990.

[3] Verfügung Pr.1110 Rap/Rau 98 des Eisenbahnbundesamtes vom 16. März 1998.

[4] Hartleben, D.: Lärmminderung durch oszillierendes Schleifen. ZEV Rail Glasers Ann. 129 (2005) Nr. 8, S. 324-329.

[5] Sechzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, Anlage 2: Berechnung des Beurteilungs­pegels für Schienenwege (Schall 03); Neufassung 2015.

[6] Rothhämel, J.; Schröder, S.; Koch, B: Akustischer Fahr­flächenzustand im Netz der DB Netz AG. ZEVRail 139 (2015).

[7] V erordnung (EU) Nr. 1304/2014 der Kommission vom 26. November 2014 über die technische Spezifikation für die Interoperabilität des Teilsystems „Fahrzeuge – Lärm“ sowie zur Änderung der Entscheidung 2008/232/EG und Aufhebung

des Beschlusses 2011/229/EU. ABl. EU (2014) Nr. L 356, S. 421-437.

[8] DIN EN ISO 3095: Akustik – Bahnanwendungen – Messung der Geräuschemission von spurgebundenen Fahrzeugen. Berlin: Beuth Verlag 2014.

 

Von Dr. Bernd Asmussen, Dr. Susanne Lange und Dr. Jörg Rothhämel

Dr. Bernd Asmussen, Dr. Susanne Lange, DB Netz AG, Frankfurt a. M. Dr. Jörg Rothhämel, DB Systemtechnik GmbH, München.