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01.06.2019, 00:00 Uhr

Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen – RLS19

Zusammenfassung Die derzeit gültigen „Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen“ (RLS90) stammen aus dem Jahre 1990. Sie sind Bestandteil der „Verkehrslärmschutzverordnung – 16. BImSchV“. Die wesentlichen Änderungen der RLS19 gegenüber den RLS90 beziehen sich auf das Emissionsmodell. Die RLS19 kennt drei unterschiedliche Fahrzeugarten: Pkw, leichte und schwere Lkw. Motorräder können zusätzlich berücksichtigt werden. Der Schallleistungspegel der jeweiligen Quelle wird mit bis zu vier additiven Größen für die Straßendeckschichtkorrektur, die Längsneigungskorrektur, die Knotenpunktkorrektur und den Mehrfachreflexionszuschlag berechnet. Dabei werden die Korrekturwerte für Straßendeckschichten zukünftig nach dem in den TP KoSD19 beschriebene Verfahren ermittelt. Dieses Verfahren basiert auf dem „Statistischen Vorbeifahrtverfahren“ (SPB) und dem „Nahfeldmessverfahren“ (CPX). RLS19 und TP KoSD19 müssen vor ihrer Anwendung noch in einem parlamentarischen Verfahren eingeführt werden. Eine Harmonisierung aller nationalen Lärmberechnungsverfahren ist aus vielen Gründen wünschenswert.

Quelle: Panther Media/Harald Jeske

Quelle: Panther Media/Harald Jeske

Die derzeit gültigen „Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen“ (RLS90) [1] stammen aus dem Jahre 1990. Sie sind, neben der Schall 03 für den Lärmschutz an Schienenwegen, Bestandteil der „Verkehrslärmschutzverordnung – 16. BImSchV“ [2]. Davor gab es die RLS81 [3], die Teil des im Bundesrat verworfenen „Gesetzes zum Schutz vor Verkehrslärm an Straßen und Schienenwegen“ (VLärmSchG) werden sollten [4], dann aber durch ein „Allgemeines Rundschreiben Straßenbau“ (ARS) eingeführt wurden und die „Vorläufige Richtlinie für den Schallschutz an Straßen“ (VRSS75) [5] ablösten. Der die Straße betreffende Teil des verworfenen Gesetzes wurden als „Richtlinien für Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes“ (VLärmSchR 97) [6] vom Verkehrsministerium per ARS eingeführt.

1974 wurde das „Bundes-Immissionsschutzgesetz“ (BImSchG) [7] verabschiedet. Darin heißt es in § 41 Straßen und Schienenwege: „(1) Bei dem Bau oder der wesentlichen Änderung öffentlicher Straßen […] ist […] sicherzustellen, dass durch diese keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden können, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind.“ In § 43 wird die Bundesregierung ermächtigt, Rechtsverordnungen u. a. über „1. bestimmte Grenzwerte, die zum Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche nicht überschritten werden dürfen, sowie über das Verfahren zur Ermittlung der Emissionen oder Immissionen, [und] 2. bestimmte technische Anforderungen an den Bau von Straßen […]“ zu erlassen.

Die RLS-19 [8] befassen sich mit dem Verfahren zur Ermittlung der Immissionen. Die „Technischen Prüfvorschriften zur Korrekturwertbestimmung der Geräuschemission von Straßendeckschichten“ (TP KoSD19) [9] beschreiben das Verfahren zur Ermittlung der Emissionen und den damit zusammenhängenden technischen Anforderungen an den Bau von Straßen und sollen die „Verfahren zur Messung der Geräuschemission von Straßenoberflächen“ (GeStrO92) [10] ersetzen. Zukünftig sollen die neuen „Korrekturwerte für Straßendeckschichttypen“ (DSD-Werte) der RLS19 im Verkehrsblatt bekannt gegeben werden. Bisher wurde die „Korrektur für unterschiedliche Straßenoberflächen“ (DStrO) der RLS90 per ARS [11 bis 15] eingeführt.

Die „Bundesanstalt für Straßenwesen“ (BASt) wurde beauftragt, die RLS90 zu aktualisieren. In einer „kleinen Lösung“ sollten vor allem die veralteten Emissionsannahmen aktualisiert, der Ausbreitungsteil der RLS90 aber weitgehend unverändert übernommen werden. Im selben Jahr wurde in der „Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen“ (FGSV) die Bearbeitergruppe „Aktualisierung der RLS90“ gegründet, die unter der Leitung des Autors bis zum Jahre 2014 bestand. Im Frühjahr 2015 wurden die fertiggestellten RLS16 dem „Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur“ zugestellt.

Wesentliche Änderungen

In den RLS19 wird zwischen Emission und Ausbreitung unterschieden. Die Schnittstelle bildet dabei der längenbezogene Schallleistungspegel.

Emission

Die wesentlichen Änderungen der RLS19 gegenüber den RLS90 beziehen sich auf das Emissionsmodell. Die RLS19 kennt drei unterschiedliche Fahrzeugarten: Pkw sowie leichte und schwere Lkw. Wegen des unterschiedlichen Geräuschverhaltens sind die Lkw der RLS90 jetzt in zwei Klassen unterteilt. Diese Einteilung erfolgt nach TLS 2012 [16]. Die obere Gewichtsgrenze von Pkw ist auf 3,5 t festgelegt. Zusätzlich können Motorräder emissionsmäßig wie schwere Lkw aber mit Geschwindigkeiten wie Pkw berücksichtigt werden (s. u.).

Für jede Fahrzeugart wird generisch der sog. Grundwert LW0 in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit v gebildet:

Die Parameter A, B und C sind für das jeweilige Fahrzeug typisch und aus Emissionsmessungen mit dem SPB-Verfahren (s. u.) ermittelt worden. Die kombinierte Geschwindigkeitsabhängigkeit von Pkw und Lkw der RLS90 in deren Gleichung (8) wurde vermieden.

Bild 1 Emissionskurven von RLS90 und RLS19. Längenbezogener Schallleistungspegel in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit jeweils für ein Fahrzeug. In blau nach den RLS90 und in schwarz nach den RLS19.  Quelle: Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)

Bild 1 Emissionskurven von RLS90 und RLS19. Längenbezogener Schallleistungspegel in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit jeweils für ein Fahrzeug. In blau nach den RLS90 und in schwarz nach den RLS19. 

Foto: Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)

In Bild 1 sind die Emissionskurven von RLS90 und RLS19 dargestellt. Der längenbezogene Schallleistungspegel (s. u.) für jeweils ein Fahrzeug ist nach den RLS90 in blau und nach den RLS19 in schwarz gegen die anzusetzende Geschwindigkeit aufgetragen. Während der Pegel für Pkw im gesamten Geschwindigkeitsbereich erhöht ist (s. u.), ist dieser für leichte Lkw bei niedrigen Geschwindigkeiten jetzt deutlich niedriger. Insbesondere bei Lkw ist das Antriebsgeräusch zurückgegangen.

Aus dem Grundwert LW0 wird der Schallleistungspegel LW der jeweiligen Quelle mit bis zu vier additiven Größen für die Straßendeckschichtkorrektur DSD, die Längsneigungskorrektur DLN, die Knotenpunktkorrektur DK und den Mehrfachreflexionszuschlag Drefl berechnet.

Die Straßendeckschichtkorrektur DSD unterscheidet grundsätzlich zwischen innerörtlichen und außerörtlichen Straßen. Dabei wird zur Abgrenzung der beiden Bereiche eine Geschwindigkeit von 60 km/h verwendet. Daher werden je Straßendeckschichttyp bis zu vier DSDWerte angegeben. Für Pflasterbeläge wurde jedoch die alte Einteilung der Geschwindigkeiten (30 km/h, 40 km/h und 50 km/h) der RLS90 beibehalten.

In der Tabelle 4a der RLS19 sind alle in den ARS veröffentlichte Korrekturwerte DStro für unterschiedliche Straßenoberflächen DStro [11 bis 15] als umgerechnete DSDWerte enthalten. DSDWerte für weitere Straßendeckschichttypen (LOA, SMA LA 8 und DSH-V 5) wurden bereits nach der TP KoSD19 bestimmt. Im Gegensatz zu den RLS-90 und den Ergänzungen der dortigen Fußnote zur Tabelle 4 über die ARS sind jetzt auch für innerörtliche Straßen Korrekturwerte kleiner 0 dB enthalten. Darin spiegelt sich die Geräuschminderung durch leisere Antriebe wieder. Die Grenze, ab der das Reifenrollgeräusch überwiegt, hat sich zu geringeren Geschwindigkeiten verschoben. Durch die zunehmende E-Mobilität alleine wird daher keine nennenswerte Geräuschminderung des fließenden Verkehrs erreicht, auch nicht in den Städten.

In den RLS-19 wird kein Bezug mehr auf die Geräuschentwicklung einer Referenzoberfläche, die für die RLS-90 aus „nicht geriffeltem Gussasphalt“ bestand, genommen. Mit Einführung des ARS 14/91 [11] wurde durch eine geänderte Festlegung des Referenzbelages für die typischen Straßendeckschichten eine rechnerische Pegelminderung von zunächst 1,2 dB erreicht. Durch die Entwicklung der Fahrzeugflotte – höhere Motorisierung und breitere Reifen – kamen bis 1998 noch einmal 0,5 dB hinzu.

Aus den Emissionskurven in Bild 1 ist zu erkennen, dass diese Pegelerhöhung um 1,7 dB in den RLS19 kompensiert wurde. Das in der TP KoSD festgeschriebene Verfahren zur Bestimmung der Korrekturwerte garantiert darüber hinaus, dass die Emissionspegel an der Realität orientiert bleiben. Um Pegelsprünge aufgrund von Rundung auf ganze Zahlen zu vermeiden, werden die DSD-Werte jetzt mit einer Nachkommastelle angegeben.

Die Längsneigungskorrektur DLN der RLS19 ist durch ihren Bezug zu Fahrzeugart und Geschwindigkeit, ähnlich wie bei der BUB [17], deutlich detaillierter als der Zuschlag DStg für Steigung und Gefälle der RLS90 (s. Bild 2).

Bild 2 Zuschlag für Steigung und Gefälle der RLS90 und Längsneigungskorrektur der RLS19. In grün, rot bzw. magenta sind für die Fahrzeugarten Pkw, leichte und schwere Lkw (Lkw1 und Lkw2) jeweils die Längsneigungskorrekturen der RLS19 für Längsneigungen von –8% (durchgezogen), 4% (gestrichelt) und 8% (stichpunktiert) dargestellt. Der Zuschlag für Steigung und Gefälle der RLS90 beträgt 0 dB für Längsneigungen bis 5% und 1,8 dB für eine Längsneigung von ±8% und ist in blau dargestellt. Quelle: Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)

Bild 2 Zuschlag für Steigung und Gefälle der RLS90 und Längsneigungskorrektur der RLS19. In grün, rot bzw. magenta sind für die Fahrzeugarten Pkw, leichte und schwere Lkw (Lkw1 und Lkw2) jeweils die Längsneigungskorrekturen der RLS19 für Längsneigungen von –8% (durchgezogen), 4% (gestrichelt) und 8% (stichpunktiert) dargestellt. Der Zuschlag für Steigung und Gefälle der RLS90 beträgt 0 dB für Längsneigungen bis 5% und 1,8 dB für eine Längsneigung von ±8% und ist in blau dargestellt.

Foto: Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)

So ist die die Längsneigungskorrektur der RLS19 abhängig von der Fahrzeugart und dem Vorzeichen der Längsneigung, d. h. ob es eine Steigung oder ein Gefälle ist. Der Zuschlag für Steigung und Gefälle der RLS90 wird erst ab 5 % wirksam und ist unabhängig sowohl von der Fahrzeugart als auch von dem Vorzeichen der Längsneigung.

Die Knotenpunktkorrektur DK basiert auf psychoakustischen Untersuchungen zur zusätzlichen Belästigungswirkung von lichtzeichengeregelten Knotenpunkten und Kreisverkehrsplätzen im Vergleich zu Knotenpunkten ohne Lichtzeichenanlagen [18]. Im Gegensatz zu den RLS90 wird der Zuschlag auf den Emissionswert erhoben und nicht als Korrektur des Beurteilungspegels. Damit werden unschöne Pegelsprünge im Bereich von Knoten- punkten vermieden. Auch Kreisverkehrsplätze führen so zukünftig zu erhöhten Beurteilungspegeln.

Der Mehrfachreflexionszuschlag Drefl der RLS19 wird jetzt ebenfalls als Zuschlag auf den Emissionswert erhoben. Er wird aus den RLS90 übernommen, allerdings auf die Hälfte vermindert, da in den RLS19 mit zwei Reflexionen gerechnet wird (s. u.). Wie bei der Knotenpunktkorrektur werden in den neuen RLS19 so Pegelsprünge vermieden.

In den neuen RLS19 wird, wie in allen modernen ingenieurtechnischen Schallausbreitungsmodellen, vom längenbezogenen Schallleistungspegel L‘W ausgegangen. Es besteht eine einfache Umrechnung zum Mittelungspegel Lm(25) in 25 m Entfernung der RLS90 [19; 20]:

Dabei wird der längenbezogene Schallleistungspegel L‘W aus den Schallleistungspegeln LW aller Fahrzeugarten mit deren jeweiligen Verkehrsstärken und Geschwindigkeiten gebildet. Die jeweiligen Geschwindigkeiten der Fahrzeugarten werden so, im Gegensatz zu den RLS90, explizit berücksichtigt und nicht als unnötig komplizierte Geschwindigkeitskorrektur Dv der Pkw Pegel.

Als Geschwindigkeit für Pkw auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung wird 130 km/h angenommen. Für Lkw wird auf einbahnigen Straßen außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geschwindigkeit von 80 km/h und auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung von 90 km/h angenommen.

Die Standardwerte für die stündliche Verkehrsstärke und die Anteile der Fahrzeuggruppen p wurden aufgrund von Hochrechnungen aus Verkehrszählungen neu bestimmt. Im Übrigen gilt weiterhin, dass für die Prognose vorrangig projektbezogene Verkehrsdaten herangezogen werden sollen.

Motorräder können mit ihrer Geräuschemission wie schwere Lkw berücksichtigt werden. So führt ein Verkehrsanteil von beispielsweise 10 % Motorrädern bereits zu einer Steigerung des Beurteilungspegels um ca. 5 dB.

Ausbreitung

In den RLS-19 ist nur noch das Teilstückverfahren der RLS90 enthalten. Das Verfahren für „lange, gerade“ Fahrstreifen kann noch angewandt werden (s. u.), ist aber nicht mehr für „amtliche“ Berechnungen zulässig.

Da am Ausbreitungsmodell keine wesentlichen Änderungen vorgenommen wurden, ist die Bewertung von der Quelle ab beibehalten worden. Weiterhin beträgt die Mittenfrequenz der Schallausbreitung ca. 670 Hz.

Für die Straße wird in den RLS19, wie schon in den RLS90, für jede Fahrtrichtung eine eigene Quelllinie angesetzt. Allerdings rückt die Quelllinie bei einer zunehmenden Anzahl von Fahrstreifen immer mehr in Richtung Fahrbahnmitte. Dadurch wird einer Überschätzung der abschirmenden Wirkung von Lärmschirmen entgegengewirkt (s. u.). Bei der geometrischen Behandlung von Parkplätzen ergeben sich keine Änderungen.

Die Beschreibung der Dämpfung auf dem Ausbreitungsweg des Schalls hat sich in den RLS19 gegenüber der Vorgängerver­sion kaum verändert. Die Korrektur zur Berücksichtigung der Teilstücklänge l bzw. Größen der Parkplatzteilflächen P erfolgt jetzt erst bei der Ermittlung des Beurteilungspegels. Hier werden auch die Reflexionsverluste DRV (s. u.) der ersten und zweiten Reflexion berücksichtigt. Bei den RLS90 werden die Absorptionseigenschaften spiegelnder Flächen als Korrektur DE bei der Emissionsberechnung berücksichtigt.

Die Pegelminderung durch geometrische Divergenz Ddiv und durch Luftdämpfung Datm der RLS19 entsprechen in Summe der Pegeländerung DS zur Berücksichtigung des Abstandes und der Luftabsorption der RLS90, allerdings mit geändertem Vorzeichen und bei Abzug einer Korrektur von 19,2 dB. Die Tatsache, dass hier nicht die Differenz zwischen längenbezogenem Schallleistungspegel und Mittelungspegel in 25 m Entfernung herauskommt, liegt in der Berücksichtigung der Luftdämpfung bei der Integration begründet.

Die Pegelminderung durch Bodendämpfung Dgr entspricht exakt der negativen Pegeländerung –DBM zur Berücksichtigung der Boden- und Meteorologiedämpfung. Von der Pegeländerung DB durch topografische Gegebenheiten und bauliche Maßnahmen der RLS90 bleibt in den RLS19 die Pegelminderung durch Abschirmung Dz bis auf das Vorzeichen unverändert erhalten, da die Mehrfachreflexion jetzt schon bei der Emission berücksichtigt wird. Die mittlere Höhe des Strahls von der Quelle zum Immissionsort über Grund hm ist in den RLS19 jetzt eindeutig definiert. Während in den RLS90 die Bodendämpfung bei Abschirmung entfällt, wird in den RLS19 das Maximum aus beiden Pegelminderungswerten Dgr und DZ angenommen. Bei ebenem Boden spielt diese Änderung keine Rolle.

Eine insbesondere für Städte relevante Änderung ist die Berechnung von zwei Reflexionen. Wie Vergleichsrechnungen gezeigt haben, wird so die Lärmsituation in Hinterhöfen und anderen nicht direkt von einer Reflexion erreichbaren Gebieten realistischer abgebildet. Damit der Pegel z. B. in Straßenschluchten nicht unrealistisch ansteigt, wurde der Mehrfachreflexionszuschlag halbiert (s. o.) [21].

Bei der Reflexion von Schall wird statt der Absorptionseigenschaften der reflektierenden Flächen nunmehr deren Reflexionsverlust berücksichtigt. Hintergrund ist eine Änderung der akustischen Testmethoden für Lärmschutzwände. Wurde früher der Absorptionsgrad im Hallraum gemessen, so muss der Reflexionsindex heute in nicht-halliger akustischer Umgebung in situ ermittelt werden [22]. Die Korrekturwerte DE zur Berücksichtigung der Absorptionseigenschaften der RLS90 wurden dementsprechend in anzusetzende Reflexionsverluste DRV, für die erste und zweite Reflexion gleich, umgerechnet [23]. Die „Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für die Ausführung von Lärmschutzwänden“ (ZTVLsw 06) [24] werden derzeit entsprechend angepasst.

Korrekturwerte für Straßendeckschichten

Die Korrekturwerte für Straßendeckschichten werden zukünftig nach dem in den TP KoSD19 beschriebenen Verfahren ermittelt. Dieses Verfahren basiert auf dem „Statistischen Vorbeifahrtverfahren“ (SPB) [25] und dem „Nahfeldmessverfahren“ (CPX) [26]. An mindestens fünf Messstrecken des gleichen Straßendeckschichttyps, die sich seit mindestens sechs Jahren unter Verkehr befinden, werden zunächst entsprechende Messungen mit beiden Verfahren durchgeführt. Innerorts kann für SPBMessungen auch die „Abschirmplatte“ [27, 28] verwendet werden; außerorts wird wegen der hohen Verkehrsdichte häufig das Array [29] eingesetzt. Zur VerkehrsProblematik bei SPBMessungen siehe auch [30 bis 32].

Die SPB-Werte werden nach erfolgter Korrektur bzgl. Mikrofonposition und Temperatur mit dem Grundwert der RLS-19 verglichen. Aus den Differenzen werden Mittelwert und Unsicherheit der SPB-Messungen bestimmt. Aus den bzgl. Temperatur, Geschwindigkeit und Shore-Härte des Messreifens korrigierten CPX-Werten werden Mittelwert und Unsicherheit der CPX-Messungen sowie die Pegelabweichung am SPB-Messort bestimmt.

Die Korrekturwerte für Pkw und Lkw für jeden untersuchten Straßenabschnitt ergeben sich aus der Differenz zwischen dem Mittelwert der SPBMessung und dem CPXWert am SPBMessort, erhöht um die kombinierten Unsicherheiten der SPB und CPXMessungen. Die Straßendeckschichtkorrektur DSD ergibt sich aus dem Mittelwert plus einfacher Standardabweichung für alle untersuchten Straßenabschnitte, getrennt nach Pkw und Lkw.

Mit diesem Verfahren gelingt eine statistisch abgesicherte Bestimmung der DSD-Werte. Die SPB-Messungen garantieren dabei den Bezug zur akustischen Realität des frei fließenden Verkehrs mit unterschiedlichen Fahrzeug und Reifentypen im Gebrauchszustand. Mit den CPX-Messungen wird garantiert, dass zufällige Schwankungen in der akustischen Qualität des Belages ausgeglichen bzw. statistisch berücksichtigt werden.

Grundsätzlich sollen für alle Straßendeckschichttypen, die in den Regelwerken R1 und R2 der FGSV genau definiert sind, DSD-Werte bestimmt werden.

Lange, gerade Fahrstreifen

Die in den RLS19 vorgenommenen Änderungen im Ausbreitungsteil bestehen also, bis auf den Bereich der Reflexion, lediglich aus Umstellungen der Summanden. Das Verfahren für „lange, gerade“ Fahrstreifen kann daher weiterhin zur überschlägigen Berechnung genutzt werden. Dazu ist in der Gleichung (2) der RLS19 zur Berechnung des Beurteilungspegels Lr statt der Summe lediglich der Ausdruck in der geschweiften Klammer zu verwenden und dort ist statt DA,i ohne Abschirmung

bzw. bei Abschirmung

 

zu verwenden.

Die Korrekturen für die Länge des Fahrstreifenstücks und für die Reflexionsverluste entfallen dann. Voraussetzung ist aber, neben den Bedingungen für die Anwendbarkeit des Verfahrens für „lange, gerade“ Fahrstreifen der RLS90, dass keine Kreuzungen und Kreisverkehrsplätze betrachtet werden, keine Doppel oder Mehrfachreflexionen stattfinden und das Gelände eben ist. Die Formelzeichen Ds⊥, DBM⊥, und DZ⊥; entsprechen denen der RLS90 – Gleichungen (10), (11) und (14). Die Diagramme III, IV, VIII der RLS90 können für Überschlagrechnungen weiterhin verwendet werden.

Bei den Diagrammen IX bis XVI der RLS90, die in parametrisierter Form das Abschirmmaß von Lärmschutzwänden und -wällen darstellen, muss aber bedacht werden, dass sich zum einen die Regelquerschnitte geändert haben. Zum anderen ändert sich bei größeren Regelquerschnitten mit mehr als zwei Fahrstreifen je Fahrtrichtung die Lage der Quelllinien in Bezug auf den Lärmschirm. Beides führt aber nur zu leicht unterschiedlichen Pegelminderungen. Exemplarisch sind die Unterschiede für den Regelquerschnitt RQ 37,5 mit einem horizontalen Abstand von = 100 m (Bild XIIc der RLS90) in Abhängigkeit von der Höhe des Immissionsorte über der Straße für unterschiedlich hohe Lärmschutzwände dargestellt (s. Bild 3).

Bild 3 Abschirmmaß für eine dreistreifige Autobahn (RQ 37,5) in 100 m Abstand nach dem Verfahren „langer, gerader“ Fahrstreifen für RLS90 und RLS19 in Abhängigkeit von der Höhe H des Immissionsortes über der Straße für Lärmschutzwandhöhen von 1,0 m bis 6,0 m.  Quelle: Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)

Bild 3 Abschirmmaß für eine dreistreifige Autobahn (RQ 37,5) in 100 m Abstand nach dem Verfahren „langer, gerader“ Fahrstreifen für RLS90 und RLS19 in Abhängigkeit von der Höhe H des Immissionsortes über der Straße für Lärmschutzwandhöhen von 1,0 m bis 6,0 m. 

Foto: Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)

Ausblick

Die RLS-19 und TP KoSD-19 wurden im Verkehrsblatt Nr. 20 vom 31.10.2019 amtlich bekanntgemacht. Vor der verbindlichen Anwendung der RLS-19 und der TP KoSD-19 im Rahmen der Lärmvorsorge ist das Verordnungsgebungsverfahren zur Änderung der 16. BImSchV durchzuführen, da die 16. BImSchV die RLS-19 und die TP KoSD-19 in Bezug nimmt. Was bleibt darüber hinaus noch zu tun?

Zwei Jahre nach Inkrafttreten der RLS90 erschienen zunächst die „Rechenbeispiele zu den Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen“ (RBLärm92) [33] und nach weiteren zwei Jahren die „Testaufgaben für die Überprüfung von Rechenprogrammen nach den Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen“ (TEST94) [34]. Während in den RBLärm92 an Rechenbeispielen die konkrete Umsetzung der RLS90 in die Praxis erläutert wird, geht es bei den TEST94 um die Qualitätssicherung der Software, mit der die RLS90 gerechnet wird. Zumindest Testaufgaben zur Qualitätssicherung sind daher möglichst zeitnah nach Inkrafttreten der RLS19 zu veröffentlichen.

Im Jahre 2012 erschienen die „Common Noise Assessment Methods in Europe“ (CNOSSOS-EU) [35]. Diese bildeten die Grundlage für die im Jahre 2015 erlassene „RICHTLINIE (EU) 2015/996 DER KOMMISSION vom 19. Mai 2015 zur Festlegung gemeinsamer Lärmbewertungsmethoden gemäß der Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates“ [36]. Im Jahre 2018 erfolgte mit Bekanntmachung der Berechnungsmethoden – u. a. der „Berechnungsmethode für den Umgebungslärm von bodennahen Quellen (Straße, Schiene, Industrie und Gewerbe)“ (BUB) [16] die Umsetzung in Deutsches Recht. Nach der ersten Anwendung der BUB bei der Lärmkartierung 2022 sollte überprüft werden, ob es zukünftig vielleicht möglich ist, eine einheitliche Berechnungsvorschrift für den Lärm aller bodennaher Quellen zu entwickeln, die dann für alle Bereiche der Lärmberechnungen – Prognose, Bestandsaufnahme und Bekämpfung – gilt. Themen wie Lärmkumulation und gemeinsame Maßnahmen zur Lärmbekämpfung könnten dann endlich effektiv und effizient angegangen werden.

Die Entwicklung lärmarmer Beläge, gerade auch im innerörtlichen Bereich, hat in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht. Jetzt ist es wichtig die Erkenntnisse aus über zehn Jahren Forschung und Entwicklung in die Praxis umzusetzen. Ein hohes Pegelminderungspotential besteht noch bei der Schallausbreitung. Mit vertikalen und horizontalen Anordnungen von über das konventionelle Maß hinausgehender akustisch wirksamer Abschirmeinrichtungen sind noch erhebliche Pegelminderungen in Quellnähe zu erzielen. Zu einer richtigen Einschätzung der Wirksamkeit innovativer Maßnahmen ist aber eine spektrale Ausbreitungsrechnung unabdingbar.

Literatur

  1. RLS-90: Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen. FGSV 334. Ausgabe 1990. Berichtigter Nachdruck 1992.
  2. 16. BImSchV: Verkehrslärmschutzverordnung vom 12. Juni 1990 (BGBl. I S. 1036), die durch Artikel 1 der Verordnung vom 18. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2269) geändert worden ist. Geändert durch Art. 1 V v. 18.12.2014 I 2269.
  3. RLS-81: Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen. FGSV 334. Ausgabe 1981.
  4. Plenarprotokoll 485 des Bundesrates. Bonn am 18. April 1980. S. 151 D ff.
  5. VRSS-75: Vorläufige Richtlinie für den Schallschutz an Straßen, FGSV und BASt. Ausgabe 1975.
  6. VLärmSchR 97: Richtlinien für den Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes. Bundesministeriums für Verkehr. Verkehrsblatt Heft 12/1997.
  7. BImSchG: Bundes-Immissionsschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2013 (BGBl. I S. 1274), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 8. April 2019 (BGBl. I S. 432) geändert worden ist. Neugefasst durch Bek. v. 17.5.2013 I 1274; zuletzt geändert durch Art. 1 G v. 8.4.2019 I 432.
  8. RLS-19: Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen. FGSV 052. Ausgabe 2019.
  9. TP KoSD-19: Technischen Prüfvorschriften zur Korrekturwertbestimmung der Geräuschemission von Straßendeckschichten. FGSV 053. Ausgabe 2019.
  10. GeStrO-92: Verfahren zur Messung der Geräuschemission von Straßenoberflächen. Anlage zum ARS 16/1992 vom März 1992. Der Bundesminister für Verkehr – Abteilung Straßenbau. Ausgabe 1992.
  11. ARS 14/1991 vom 25.4.1991 zur Ergänzung der Fußnote der Tabelle 4 der RLS-90. Der Bundesminister für Verkehr – Abteilung Straßenbau.
  12. ARS 05/2002 vom 26. März 2002 – Fahrbahnoberflächen-Korrekturwerte DStrO für offenporigen Asphalt (OPA). Der Bundesminister für Verkehr – Abteilung Straßenbau.
  13. ARS 05/2006 vom 17.02.2006 – Änderung des ARS 14/1991: Deckschichten aus Waschbeton. Der Bundesminister für Verkehr – Abteilung Straßenbau.
  14. ARS 03/2009 vom 31.3.2009 – Fahrbahnoberflächen-Korrekturwerte DStrO für offenporigen Asphalt. Der Bundesminister für Verkehr – Abteilung Straßenbau.
  15. ARS 22/2010 vom 04.09.2010 – Fahrbahnoberflächen-Korrekturwerte DStrO für Lärmarmen Gussasphalt. Der Bundesminister für Verkehr – Abteilung Straßenbau.
  16. TLS-2012: Technische Lieferbedingungen für Streckenstationen. BASt. Ausgabe 2012.
  17. BUB: Berechnungsmethode für den Umgebungslärm bodennaher Quellen (Straßen, Schienenwege, Industrie und Gewerbe). Anlage 1 zu BAnz AT 28.12.2019 B7.
  18. Papenfus, T. et al.: Akustische Auswirkungen von Lichtsignalanlagen und Kreisverkehren. Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 1053. Bonn, Januar 2011.
  19. Popp, Ch. et al.: Lärmschutz in der Verkehrs- und Stadtplanung. Kirschbaum Verlag. Bonn, September 2016.
  20. Probst, W.: Vergleich der Schallberechnung nach den Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen mit anderen Europäischen Verfahren. Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 1030. Bonn, April 2010.
  21. Probst, W.: Straßenlärm bei dichter Randbebauung. Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 1082. Bonn, Februar 2013.
  22. DIN EN 1793–5: Lärmschutzvorrichtungen an Straßen – Prüfverfahren zur Bestimmung der akustischen Eigenschaften – Teil 5: Produktspezifische Merkmale – In-situ-Werte der Schallreflexion in gerichteten Schallfeldern. Beuth-Verlag. Dezember 2018.
  23. Bartolomaeus, W.: Reflexionsverlust vs. Absorptionsgrad bei Lärmschutzwänden. DAGA. Aachen 2016.
  24. ZTV-Lsw 06: Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für die Ausführung von Lärmschutzwänden. FGSV 258. Ausgabe 2006.
  25. DIN EN ISO 11819–1: Akustik – Messung des Einflusses von Straßenoberflächen auf Verkehrsgeräusche – Teil 1: Statistisches Vorbeifahrtverfahren. Beuth-Verlag. Mai 2002.
  26. DIN EN ISO 11819–2: Akustik – Messung des Einflusses von Straßenoberflächen auf Verkehrsgeräusche – Teil 2: Nahfeldmessverfahren. Beuth-Verlag. Oktober 2017.
  27. ISO/PAS 11819: Akustik – Messung des Einflusses von Straßenoberflächen auf Verkehrsgeräusche – Teil 1: Statistisches Vorbeifahrtverfahren unter Verwendung einer Abschirmplatte (backing board). Beuth-Verlag. November März 2013.
  28. Gutbier, M.; Schierz, H.: Verfahren zur Klassifizierung der Geräuschemission von Innerortsstraßen. Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 1034. Bonn, März 2010.
  29. Püschel, D. et al.: Einsatz eines Mikrofon-Arrays für Statistische Vorbeifahrt-Messungen. Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 1054. Bonn, März 2011.
  30. Bartolomaeus, W.: Wind Influence on SPB-Measurements. AIA-DAGA. Meran 2013.
  31. Bartolomaeus, W.: Korrekturwerte der Geräuschemission von Straßendeckschichten. DAGA. Oldenburg 2014.
  32. Kluth, S. et al.: Untersuchung des Einflusses systematischer Fehler bei der Anwendung des SPB-Verfahrens. DAGA. Aachen 2016.
  33. RBLärm-92: Rechenbeispiele zu den Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen. FGSV 334/1. Ausgabe 1992.
  34. TEST-94: Testaufgaben für die Überprüfung von Rechenprogrammen nach den Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen. FGSV 334/2. Ausgabe 1994.
  35. Kephalopoulos, S. et al.: Common Noise Assessment Methods in Europe (CNOSSOS-EU). JRC. Ispra 2012.
  36. ULR-2: RICHTLINIE (EU) 2015/996 DER KOMMISSION vom 19. Mai 2015 zur Festlegung gemeinsamer Lärmbewertungsmethoden gemäß der Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft L 169/1–823, 1.7.2015.
  37. Platon: Politeia – siebentes Buch: Das Höhlengleichnis.
Von Wolfram Bartolomaeus, Bergisch Gladbach

Dipl.-Phys. Dr.-Ing. Wolfram Bartolomaeus Oberregierungsrat Referat V3 – Umweltschutz, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach. Bild: Guido Rosemann, BASt.