Wer trägt die Verantwortung?
Explosionsgefährdete Anlagen müssen nach der Betriebssicherheitsverordnung regelmäßig einer Prüfung unterzogen werden. Die Ergebnisse werden in einem Anlagensicherheitsreport durch die Prüfstellen (ZÜS) zusammengefasst. Diese können jedoch nur auf Beseitigung der Mängel hinweisen. Die Verantwortung für die Umsetzung liegt beim Betreiber. Doch selbst wenn alle Schutzmaßnahmen bedacht werden, bleibt ein Restrisiko. Was kann verbessert werden?
Nach der Explosion in einer Entsorgungsanlage in Leverkusen beantwortet der TÜV-Verband beantwortet die wichtigsten Fragen zur technischen Sicherheit und Prüfung entsprechender Anlagen. Dr. Hermann Dinkler, Experte für Brand- und Explosionsschutz beim TÜV-Verband: „Das Sicherheitsniveau explosionsgefährdeter Anlagen wie chemischer Anlagen, Tankstellen oder Tanks mit Gas, Benzin oder Lösungsmitteln ist in Deutschland sehr hoch. Dafür sorgen strenge gesetzliche Vorgaben und regelmäßige Prüfungen durch unabhängige Sachverständige. Trotzdem sind Vorfälle wie in Leverkusen nicht völlig auszuschließen. Entscheidend für die Sicherheit ist, dass die Betreiber ihre Anlagen regelmäßig warten, Beschäftigte ausreichend qualifizieren und Prüftermine gewissenhaft einhalten.“ Hier gilt es seitens der Betreiber Sicherheitslücken zu schließen und das Risiko für solche Explosionsunfälle möglichst auf Null zu senken.
Trotz hohem Sicherheitsstandard in Deutschland teils gravierende Mängel
Die Ergebnisse des Anlagensicherheits-Reports der Zugelassenen Überwachungsstellen (ZÜS) zeigen, dass Sachverständige im Jahr 2019 bei 24 Prozent der geprüften Lageranlagen, bei 18 Prozent der Tankstellen und bei 14 Prozent der sonstigen Ex-Anlagen erhebliche Mängel festgestellt haben. Dazu zählen zum Beispiel fortschreitende Korrosion, eine unzureichende Kennzeichnung von Anlagenteilen oder auch Änderungen der Betriebsweise ohne eine vorhergehende Bewertung.
Große Bedeutung des Explosionsschutzes im Arbeitsalltag der Industrie
Überall dort, wo brennbare Flüssigkeiten, Gase oder Stäube gelagert werden, die in Kontakt mit der Umgebungsluft und einer geeigneten Zündquelle explodieren können, müssen besondere Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Das betrifft viele Industrieunternehmen, insbesondere aber die chemische Industrie und die Mineralölwirtschaft. Aber auch Getreidemühlen oder Sägewerke gehören dazu, weil es hier zu gefährlichen Staubexplosionen kommen kann. Besondere Schutzbestimmungen gelten auch an Flughäfen im Umfeld der Betankungsanlagen für Flugzeuge. Im Alltag am meisten von der Bevölkerung frequentiert sind Tankstellen für Benzin und Gas.
Wie ist Explosionsschutz definiert?
Laut der Definition in der Betriebssicherheitsverordnung sind Ex-Anlagen die „Gesamtheit der explosionsschutzrelevanten Arbeitsmittel“. Dazu gehören neben verfahrenstechnischen Anlagen auch erlaubnispflichtige Anlagen wie zum Beispiel Füllanlagen, Tankstellen oder Flugfeldbetankungsanlagen sowie Lageranlagen mit Tanks.
Wann können Explosionen durch Bedienfehler auftreten?
Wenn durch technische Mängel oder eine fehlerhafte Bedienung brennbare Flüssigkeiten, Gase oder Stäube mit der Umgebungsluft in Kontakt kommen und sich dadurch ein explosionsgefährliches Gemisch bildet, entstehen in Kombination mit einer wirksamen Zündquelle massive Gefahren für die unmittelbare Umgebung, zum Beispiel für Beschäftigte oder Anwohner:innen. Zu den möglichen Zündquellen zählen auch elektrostatische Entladungen wie sie vom Ausziehen eines Wollpullovers bekannt sind. Explosionen in Industrieanlagen richten immer wieder große Schäden an: So war die Explosion in einer Raffinerie südlich von London im Jahr 2005 noch bis an die holländische Küste zu hören. Die Anlage wurde komplett zerstört und mehr als 200 Menschen verletzt. Bei einer Explosion in einer Düngemittelfabrik bei Toulouse im Jahr 2001 wurden große Teile der Stadt beschädigt, über 30 Menschen starben.
Wie wird die Anlagensicherheit in Deutschland geprüft?
In Deutschland fallen die Ex-Anlagen als überwachungsbedürftige Anlagen unter die Betriebssicherheitsverordnung. Das bedeutet, dass sie regelmäßig vom Arbeitgeber oder bei bestimmten Anlagen von einer Zugelassenen Überwachungsstelle (ZÜS), zum Beispiel einem TÜV, geprüft werden müssen. Die Betriebssicherheitsverordnung legt die Prüfungen und Prüffristen fest: Spätestens alle sechs Jahre muss eine Anlage auf Explosionssicherheit geprüft werden. Für Lüftungs- und Gaswarnanlagen sowie sogenannte Inertisierungsanlagen sind jährliche Prüffristen vorgeschrieben. Die Anlagen reduzieren das Explosionsrisiko, indem der Sauerstoff der Atmosphäre in der explosiven Umgebung durch ein reaktionsträges Gas ersetzt wird (Inertgas) oder durch Lüftung brennbare Dämpfe oder Gase unter die Grenze eines zündfähigen Gemisches verdünnt werden. Eine ZÜS prüft erlaubnispflichtige Anlagen (Tankläger, Tankstellen, Füllstellen, Gasfüllanlagen, Flugfeldbetankungsanlagen) erstmalig vor ihrer Inbetriebnahme und im laufenden Betrieb in regelmäßigen Abständen. Geräte, Schutzsysteme, Sicherheits-, Kontroll- und Regelvorrichtungen im Sinne der harmonisierten Rechtsvorschriften in der EU (ATEX-Richtlinie) müssen mindestens alle drei Jahre geprüft werden.
Wer ist für die Sicherheit verantwortlich?
In Deutschland gilt: Grundsätzlich ist der Betreiber für die Sicherheit seiner technischen Anlagen verantwortlich. Er muss alle geltenden Vorschriften einhalten, die ihm zum Beispiel durch die Betriebssicherheitsverordnung auferlegt sind. Dazu gehören neben umfangreichen Dokumentationspflichten unter anderem auch die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung und der regelmäßigen Prüfungen sowie die Einhaltung der Prüffristen. Wer Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen betreibt, muss ein Explosionsschutzdokument erstellen. Darin muss die Explosionsgefährdung systematisch bewertet und das Konzept der Schutzmaßnahmen dokumentiert werden. Das Explosionsschutzdokument ist ein Teil der Gefährdungsbeurteilung und umfasst unter anderem eine Analyse der Anlage sowie einen strukturierten Prüfplan.
Anlagensicherheitsreport: Sicherheitsniveau in Deutschland
Im jährlichen Anlagensicherheits-Report wertet der TÜV-Verband die Ergebnisse aller Prüfungen von Lageranlagen mit einem Gesamtrauminhalt von mehr als 10.000 Litern, Füll- und Entleerstellen für entzündliche Flüssigkeiten, Tankstellen sowie Flugfeldbetankungsanlagen ausgewertet. Im Jahr 2019 sind bei 24 Prozent der geprüften Lageranlagen, bei 18 Prozent der Tankstellen, bei 17 Prozent der Gasfüllanlagen und bei 14 Prozent der sonstigen Ex-Anlagen erhebliche Mängel festgestellt worden. Mit Hilfe der Prüfungen durch neutrale Stellen wurden diese Mängel erkannt und die Anlagen konnten wieder in einen einwandfreien Zustand gebracht werden.
Wie sieht es mit der Digitalisierung der Anlagensicherheit aus?
Mit der digitalen Vernetzung technischer Anlagen entstehen völlig neue Gefahren. Im Mai 2021 musste die größte Treibstoffpipeline der USA nach einem Cyberangriff für mehrere Tage vom Netz genommen werden, was zu Versorgungsengpässe in mehreren Bundesstaaten führte. Auch Tanklager für entzündliche Kraftstoffe oder Gase werden zunehmend digital überwacht, um Füllstände oder den Druck zu messen. Das bedeutet: Auch digitale Systeme müssen nachweislich sicher sein und Anlagen gegen Cyberangriffe geschützt werden. Hier ist vor allem die Gesetzgebung gefragt. Die digitale Sicherheit muss zwingend integraler Bestandteil der Prüfungen von Ex-Anlagen werden.