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01.10.2015, 00:00 Uhr

Rutschhemmung von Bodenbelägen im Barfußbereich

Stolper-, Rutsch- und Sturzunfälle stellen einen Schwerpunkt im Unfallgeschehen dar. Für die Unfallverhütung ist es wichtig, dass Bodenbeläge eine ausreichende Rutschhemmung aufweisen. Diese lässt sich durch ein Begehungsverfahren bestimmen. Der Beitrag zeigt, wie dieses Verfahren mit Blick auf nassbelastete Barfußbereiche optimiert werden kann.

Quelle: Mewes

Quelle: Mewes

Nach der Unfallstatistik der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung ereignen sich pro Jahr rund 3 000 meldepflichtige Rutsch- und Stolperunfälle allein beim Schulschwimmen. Die Hälfte dieser Unfälle lässt sich auf eine mangelnde Rutschhemmung der jeweiligen Bodenbeläge zurückführen. Bei den übrigen Unfällen spielen neben der Rutschhemmung noch andere, z. B. verhaltensbedingte Faktoren eine Rolle. Die Unfallstatistik berücksichtigt nur Un­fälle, bei denen ein Arzt aufgesucht wurde. Unfälle mit glimpflichen Folgen, die keine weitergehende ärztliche Behandlung erforderten, sind in der Unfallstatistik nicht erfasst. Darüber hinaus fließen in die Unfallstatistik auch keine Unfälle von Badegästen ein. Die tatsächlichen Unfallzahlen werden also weitaus höher sein als die oben genannten. Um die Unfallzahlen und die hieraus resultierenden Kosten für Heilbehandlung und Rehabilitation zu reduzieren, ist es wichtig, in den jeweiligen Gefahrenbereichen von privaten Schwimm­bädern und öffent­lichen Badeanstalten nur solche Bodenbeläge einzubauen, die eine ausreichende Rutschhemmung bieten.

Die Rutschhemmung von Bodenbelägen wird üblicherweise im Begehungsverfahren auf einer neigbaren Ebene durch Prüfpersonen ermittelt. Die Prüfung für nassbelastete Bereiche nach der Norm DIN 51097 [1] erfolgt barfuß, für Arbeitsräume in gewerblichen Bereichen nach DIN 51130 [2] mit einem speziellen Prüfschuh. Als Maß für die Rutschhemmung wird der Neigungswinkel ermittelt, bei dem die Grenze des sicheren Gehens erreicht ist und die Personen ausrutschen. Je höher der Neigungswinkel ist, desto höher ist das Rutschhemmungspotenzial eines Bodenbelags.

Bei Prüfungen mit Probanden können naturgemäß Schwierigkeiten auftreten, die u. a. vom Grad der Übung und der momentanen individuellen Konstitution der jeweiligen Prüfperson beeinflusst werden. Jung und Schenk [3] konnten zeigen, dass durch ein Kalibrierverfahren die Präzision des Begehungsverfahrens verbessert und der individuelle Einfluss der Prüfperson auf das Ergebnis minimiert werden kann. Diese Untersuchungen haben zu dem in der DIN 51130 [2] für Arbeitsräume in gewerblichen Bereichen beschriebenen Kalibrierverfahren geführt, um subjektive Einflüsse bei der Prüfung einzugrenzen. Bevor die Rutschhemmung von Prüfmustern bestimmt wird, begehen Prüfpersonen sog. Kalibrierbeläge, um individuelle Korrekturfaktoren festzulegen, die bei der Auswertung der Prüfergebnisse berücksichtigt werden.

Das Kalibrierverfahren setzt Bodenbeläge voraus, deren Standard-Akzeptanz-Winkel mit hoher statistischer Sicherheit bekannt sind. Das Verfahren ist inzwischen auch europäisch akzeptiert [4].

Gemäß dem aktuellen Prüfverfahren in der DIN 51097 [1] erfolgt die Bewertung durch Vergleich mit Grenzwert­belägen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit bestand darin, auch für Bodenbeläge, die barfuß begangen werden und deren Oberfläche nass ist, ein Kalibrierverfahren zu entwickeln und so die Ergebnisse der Rutschhemmungsprüfung zu präzisieren und zu objektivieren.

Ermittlung und Bewertung der Rutschhemmung nach DIN 51097

Die Rutschhemmung von Bodenbe­lägen für nassbelastete Barfußbereiche wird nach DIN 51097 durch Begehen auf einer neigbaren Plattform, der sog. schiefen Ebene, ermittelt (Bild 1).

Quelle: Mewes

Bild 1 Bestimmung der Rutschhemmung von Bodenbelägen im Begehungsverfahren .

Foto: SFV / DGUV

Die Bodenbeläge werden dabei gleich­mäßig mit netzmittelhaltigem Leitungswasser besprüht. Während die barfüßige Prüfperson den zu prüfenden Bodenbelag vor- und rückwärts begeht, wird der Neigungswinkel der schiefen Ebene stufenweise gesteigert. Der Neigungswinkel, bei dem die Prüfperson die Grenze des sicheren Gehens erreicht hat, ist ein Maß für die Rutschhemmung. Der Neigungswinkel wird von zwei Prüfpersonen jeweils viermal ermittelt. Der Mittelwert aus den acht Einzelmessungen dient der Zuordnung des Bodenbelags in eine Bewertungsgruppe (Tabelle 1).

 

Tabelle 1 Zuordnung der mittleren Neigungswinkel zu Bewertungsgruppen nach DIN 51097.

Tabelle 1 Zuordnung der mittleren Neigungswinkel zu Bewertungsgruppen nach DIN 51097.

 

Je höher der erzielte Neigungswinkel, desto höher ist die Rutschhemmung.

Durch vergleichendes Begehen des zu prüfenden Bodenbelags mit sog. Grenzwertbelägen wird die Zuordnung zu einer Bewertungsgruppe abgesichert. Grenzwertbeläge sind solche Beläge, deren Winkelwerte (12 °, 18 ° und 24 °) bekannt sind. Diesen Winkelwerten sind die Bewertungsgruppen A, B und C zugeordnet. Die Grenzwertbeläge sind bei diesem Verfahren notwendig, um zu prüfende Bodenbeläge zielsicher bewerten zu können. Die Winkelwerte der Grenzwertbeläge hat man in den 1970er-Jahren in aufwendigen Untersuchungen bei der Säurefliesner-Vereinigung e. V. ermittelt. Entsprechende Grenzwertbeläge wurden damals in begrenzter Anzahl hergestellt. Da sie nicht mehr verfügbar sind, werden in absehbarer Zeit qualitätsgesicherte Prüfungen mit Grenzwertbelägen nicht mehr möglich sein.

Versuchsdurchführung

Die aktuelle DIN 51097 [1] schreibt die Verwendung eines Netzmittels vor, ohne dieses jedoch näher zu spezifizieren. Das Netzmittel wird dem Wasser bei der Barfußprüfung zugegeben, um einen gleichmäßigen Flüssigkeitsfilm auf dem Prüfmuster zu gewährleisten. Prüfinstitute setzen bisher unterschiedliche Netzmittel ein. Dies kann zu unterschied­lichen Prüfergebnissen beitragen. In Voruntersuchungen mit elf verschiedenen Netzmitteln auf unterschiedlichen Bodenbelägen erwies sich ein Fettalkohol (Handelsname: Dehypon LS 45) als geeignetes Netzmittel. Dehypon wird in annähernd gleicher Zusammensetzung und Qualität im Fachhandel angeboten und ist global zu beziehen. Es ist hautverträglich, gut mischbar, flockt nicht aus und neigt nicht zur Schaumbildung.

Für die Begehungsversuche wurde Dehypon LS 45 dem Wasser im Verhältnis 1 : 1000 beigemischt. Der Volumenstrom des netzmittelhaltigen Wassers wurde für die Untersuchungen auf 6 l/min festgelegt. Die Temperatur betrug 30  3 °C.

Die Begehungsversuche wurden auf drei keramischen Bodenbelägen durchgeführt (Bild 2 und Tabelle 2).

Bild 2 Für Begehungsversuche ausgewählte Kalibrierbeläge (links: Belag A, Mitte: Belag B, rechts: Belag C). Quelle: SFV / DGUV

Bild 2 Für Begehungsversuche ausgewählte Kalibrierbeläge (links: Belag A, Mitte: Belag B, rechts: Belag C).

Foto: SFV / DGUV

 

Tabelle 2 Eigenschaften der untersuchten Bodenbeläge.

Tabelle 2 Eigenschaften der untersuchten Bodenbeläge.

Diese kamen aufgrund ihres Eigenschaftsprofils prinzipiell als Ersatz für die bisherigen Grenzwertbeläge A, B und C in Betracht. An den Begehungsversuchen nahmen 30 Probanden teil. Das Alter lag zwischen 12 und 79 Jahren; das Gewicht betrug zwischen 48 und 110 kg. Jede Versuchsperson beging einen Belag dreimal. Der Winkel, bei dem die Grenze des sicheren Gehens erreicht war, wurde als Akzeptanzwinkel bezeichnet.

Ergebnisse

Die Begehungsversuche bestätigten zunächst die langjährige Erfahrung, dass gerade für Barfußprüfungen nicht alle Versuchspersonen in gleicher Weise geeignet sind. Individuelle Unterschiede machen sich bei Barfußprüfungen in viel stärkerem Maße bemerkbar als bei Versuchen, bei denen die Versuchspersonen Schuhe tragen, wie im Verfahren nach DIN 51130 [2].

Ergebnisse von Versuchsteilnehmern, die keinen Unterschied zwischen den drei Belägen erkennen ließen, außergewöhnlich niedrig (z. B. < 5 ° auf dem A-Belag) oder ungewöhnlich hoch (z. B. > 20 ° auf dem A-Belag) waren, wurden als Ausreißer gewertet und für die weiteren Untersuchungen nicht berücksichtigt. Die Probandenzahl verringerte sich so von 30 auf 25. Bild 3 zeigt die aus­reißerfreie Verteilung des Akzeptanz­winkels für die drei Bodenbeläge. Die Verteilungen können näherungsweise als normal verteilt angesehen werden. Die Messergebnisse wurden unter Anwendung der DIN ISO 5725 [5] mit Blick auf ein Signifikanzniveau von 95 % statistisch ausgewertet. Dabei wurde im Sinne dieser Norm jeder Begeher als „separates Labor“ betrachtet [3].

Bild 3 Verteilung der Akzeptanzwinkel . Quelle: SFV / DGUV

Bild 3 Verteilung der Akzeptanzwinkel .

Foto: SFV / DGUV

Tabelle 3 weist neben den Mittelwerten und den Standardabweichungen die Wiederholstandardabweichungen und die Vergleichsstandardabweichungen der Akzeptanzwinkel für die drei Beläge auf. Aus der Vergleichsstandardabweichung und der Wiederholstandardabweichung lässt sich gemäß der Norm DIN ISO 5725 die kritische Differenz bestimmen.

Tabelle 3 Präzisionsdaten der Akzeptanzwinkel.

Tabelle 3 Präzisionsdaten der Akzeptanzwinkel.

 

Die kritische Differenz gibt dabei an, wie weit das Ergebnis einer Versuchsperson von einem vorgebenden Sollwert abweichen darf, ohne dass das Ergebnis als fehlerhaft einzustufen ist. Ist also der Standard-Akzeptanzwinkel (Sollwert) eines Bodenbelags mit hoher statistischer Sicherheit bekannt, kann dieser Bodenbelag benutzt werden, um die momentane Eignung eines Probanden für Begehungsversuche einzuschätzen und diesen Probanden danach zuzulassen oder abzuweisen.

Tabelle 4 gibt für die drei untersuchten Bodenbeläge die berechneten kritischen Differenzen sowie den Zulassungsbereich für die Prüfpersonen an.

 Tabelle 4 Kritische Differenz und Zulassungsbereiche der neuen Kalibrierbeläge.

 Tabelle 4 Kritische Differenz und Zulassungsbereiche der neuen Kalibrierbeläge.

 

Der Zulassungsbereich umfasst CD. Prüfpersonen, deren Begehungsergebnisse außerhalb des Zulassungsbereichs liegen, können für die Prüfung von Bodenbelägen nicht eingesetzt werden und müssen zumindest zum aktuellen Zeitpunkt von weiteren Prüfungen ausgeschlossen werden. Prüfpersonen, deren Ergebnisse innerhalb des Zulassungsbereichs liegen, können an der Prüfung weiterer Bodenbeläge teilnehmen.

Wie Tabelle 4 zeigt, weisen die drei Bodenbeläge unterschiedlich hohe kritische Differenzen und damit auch unterschiedlich große Zulassungsbereiche auf. Die Zulassungsbereiche der einzelnen Bodenbeläge liegen aber so weit aus­einander, dass eine ausreichende Trenncharakteristik zwischen den Belägen gegeben ist.

Zusammenfassung und Schluss­folgerungen

Mit den vorgeschlagenen Kalibrier­belägen ist die Umstellung des Prüfverfahrens zur Ermittlung der Rutschhemmung von Bodenbelägen für nassbelastete Barfußbereiche von einem Grenzwertverfahren auf ein Kalibrierverfahren möglich. Ein solches Kalibrierverfahren ist für Arbeitsbereiche, die mit Schuhen begangen werden, allgemein akzeptiert. Mit der Etablierung eines Kalibrierverfahrens ist es möglich, die Genauigkeit des Begehungsverfahrens zu erhöhen und individuelle Einflüsse der Prüfpersonen auf die Messergebnisse einzu­engen. In Verbindung mit einer präzisieren Fassung der Prüfbedingungen, etwa im Hinblick auf das zu verwendende Netzmittel, liegen nunmehr die Voraussetzungen für die Optimierung des Prüfverfahrens und eine entsprechende Überarbeitung der DIN 51097 vor. Diese soll Ende 2015 beginnen, um schnellstmöglich ein normatives Instrument zur Verfügung zu stellen, mit dem nachprüfbare Anforderungen an die Rutschhemmung von Bodenbelägen in nassbelasteten Barfußbereichen gestellt werden können. Es ist zu erwarten, dass so die Unfallzahlen, z. B. in Schwimmbädern und öffent­lichen Badeanstalten, weiter gesenkt werden können.  TS 478

Autoren

 

 

 

 

 

 

 

  1. Literaturverzeichnis
  2. [1] DIN 51097: Prüfung von Bodenbelägen; Bestimmung der rutschhemmenden Eigenschaft; nassbelastete Barfußbereiche; Begehungsverfahren; schiefe Ebene. Berlin: Beuth Verlag 1992.
  3. [2] DIN 51130: Prüfung von Bodenbelägen – Bestimmung der rutschhemmenden Eigenschaft – Arbeitsräume und Arbeitsbereiche mit Rutschgefahr – Begehungsverfahren, schiefe Ebene. Berlin: Beuth Verlag 2010.
  4. [3] Jung, K.; Schenk, H.: Objektivierbarkeit und Genauigkeit des Begehungsverfahrens zur Ermittlung der Rutschhemmung von Bodenbelägen. Zbl. Arbeitsmed 39 (1989) Nr. 8, S. 221-228.
  5. [4] DIN CEN /TS16165: Bestimmung der Rutschhemmung von Fußböden – Ermittlungsverfahren, Berlin: Beuth Verlag 2012.
  6. [5] DIN ISO 5725-6: Genauigkeit ( Richtigkeit und Präzision) von Messverfahren und Messergebnissen – Anwendung von Genauigkeitswerten in der Praxis. Berlin: Beuth Verlag 2002.
Von Dr.-Ing. Detlef Mewes, Orhan Ceylan, Dipl.-Ing. Tobias Mantlik und Dr.-Ing. Erich H. Nolting

Dipl.-Ing. Tobias Mantlik, Dr.-Ing. Erich H. Nolting, Institut für Wand- und Bodenbeläge, Säurefliesner –Vereinigung e. V. (SFV), Großburgwedel. Dr.-Ing. Detlef Mewes, Orhan Ceylan, Institut für Arbeitsschutz (IFA) der Deutschen Gesetzlichen Unfall- versicherung, Sankt Augustin