Was ließ die Seilbahn am Monte Mottarone abstürzen?
Seilbahnen besitzen ein ausgetüfteltes Sicherheitssystem. Sogenannte Kabelschuhe verhindern, dass eine Seilbahn „am Seil entlang“ entgleisen oder abstürzen kann. Genau dies passierte jedoch in Stresa am Monte Mottarone, unweit vom Lago Maggiore in Italien. Mit tödlicher Folge für 14 der 15 Insassen. Wie funktioniert eine „Notbremse“ bei einer Seilbahn eigentlich?
Technisches Versagen und mangelnde Wartung ?
14 Menschen sind bei einem tragischen Seilbahnunglück in Stresa am Lago Maggiore in Norditalien ums Leben gekommen. Überlebt hat nur ein kleiner Junge. Die Seilbahn war am Sonntag, 23. Mai, abgestürzt. Laut Ermittlungen wurde das Sicherheitsbremssystem manipuliert um Verspätungen im Seilbahnbetrieb zu vermeiden. Dadurch konnte die ausgeschaltete Notbremse nicht eingreifen, als das Zugseil riss, sodass die Kabine ungebremst gegen einen Stützpfeiler krachte und anschließend 20 Meter in die Tiefe stürzte. Den Medienangaben zufolge war das derzeit laut Betreiber Probleme bereitende Notbremssystem (Tragseilbremse) über eine Gabel ausgeschaltet. Laut der ermittelnden Staatsanwältin Olimpia Bossi zeigen Fotos, dass die Metallgabel, die die Bremsen blockierte, fixiert worden war. Das Betreiberteam handelte vermutlich fahrlässig, als es die Tragseilbremse außer Kraft setzte und sich allein auf die Zuverlässigkeit des Zugseils verließ. Bereits über einen Monat soll die Seilbahn trotz blockiertem Notbremssystem in Betrieb gewesen sein.
Eine Gefahr für die Betriebssicherheit von Seilbahnen können neben Seilrissen, die jedoch bei entsprechender Überprüfung relativ selten auftreten auch fehlerhaft eingehakte Kabinen oder falsche Einstellung der Fahrtgeschwindigkeit sein. Dies sind die häufigsten Ursachen des verhältnismäßig sehr sicheren Verkehrsmittels Seilbahn. Seit 1999 war die Zahl der Toten bei Unglücken solcher Art sehr gering, bei den meisten Seilbahnunglücken kamen die Insassen mit leichten Verletzungen oder dem Schrecken davon.
Stand der Technik ist eigentlich schon weiter
Seit dem 21. April 2018 gilt die neue Seilbahnverordnung EU-weit. Das darin vereinheitlichte Seilbahnrecht sieht vor, dass die Bestimmungen in allen Mitgliedsstaaten unmittelbar gelten und nicht wie bisher in der Seilbahnrichtlinie in national geltendes Recht umgewandelt werden müssen. In der Verordnung wird der Grundsatz bekräftigt, dass bei Entwurf, Bau und Betrieb von Seilbahnen die Sicherheit von Fahrgästen, Betriebspersonal und Dritten oberstes Gebot ist. Die Verordnung regelt auch die Marktbereitstellung und den freien Verkehr von Teilsystemen und Sicherheitsteilen für Seilbahnen. Weiterer Inhalt sind Vorschriften für den Entwurf, den Bau und die Inbetriebnahme von Anlagen. Damit bestehen für alle Seilbahnanlagen in der Europäischen Union exakt die gleichen Anforderungen, nationale Abweichungen sind nicht mehr möglich. Nach Stand der Technik sollte es Vorfälle, wie den am Monte Mottarone eigentlich nicht mehr geben.
Nach in Kraft treten der neuen Seilbahnverordnung in 2018 gab es in den Jahren 2019 keinen und 2020 einen Unfall bei einer Sicherheitsübung, bei der sich keine Personen in der Gondel befanden. Seilrisse sind bei modernen Seilbahnen eigentlich ein sehr seltenes Phänomen und waren eher ein Problem in der Frühphase der Seilbahnentwicklung vor über 100 Jahren. Damals standen die Seile häufig unter einer zu geringen Spannung. Je mehr die Seile durchhängen, desto enger sind die Seilradien an den Tragseilschuhen. Das Seil wird an diesen Stellen stark gebogen was relativ schnell zu Materialermüdung führt. Dies erhöht die Gefahr von Seilrissen. Seit Jahrzehnten ist eine gleichbleibende hohe Seilspannung Standard, um genau das zu verhindern. Allerdings kann es auch an anderen Stellen zu Knicken und Belastungen kommen. Auch Korrosion kann dazu führen, dass die Stahlseile, die aus mehreren ineinander verdrillten Seilen bestehen, irgendwann reißen. Deshalb müssen die Seile regelmäßig geprüft werden.
Fünfjahresrevision erfolgte bereits im März
Wie die Frankfurter Allgemeine am 25. Mai 2021 schrieb, hatte das Unternehmen Leitner aus Sterzing in Südtirol, das in aller Welt Seilbahnen baut und betreibt, am Dienstag die Liste der seit November an der Anlage in Stresa vorgenommenen Wartungen veröffentlicht. Leitner war seit der im Jahr 2016 abgeschlossenen Modernisierung der 1970 in Betrieb genommenen Bahn für die regelmäßige Wartung der Anlage verantwortlich. Danach seien in Stresa im November sechs Wartungen entsprechend der gesetzlichen Vorschriften durch das Unternehmen erfolgt. Für die täglichen Kontrollen sei aber der örtliche Seilbahnbetreiber Ferrovie del Mottarone zuständig. Bereits vor Inbetriebnahme, von Ende März bis Anfang April, sei die Fünfjahresrevision erfolgt, die planmäßig erst im August 2021 fällig gewesen wäre. Auch die jährliche magnetinduktive Kontrolle der Zugseile und aller Seile der Anlage erfolgte bereits im November 2020. Dabei seinen an den Seilen keine Schäden festgestellt worden. Zuletzt sei Anfang Mai die hydraulische Bremsanlage gewartet und kontrolliert worden. Im Dezember 2020 wurde die Tragseilbremse überprüft.
Worauf sollte bei der Wartung von Bremsanlagen geachtet werden?
Bei den meisten Pendelbahnen sind die Fahrzeuge mit Fangbremsen („Tragseilbremsen“) ausgestattet, die manuell betätigt werden können oder im Falle eines Zugseilrisses automatisch einfallen und das Fahrzeug auf dem Tragseil zum Stillstand bringen. Die Bremsung erfolgt durch Bremsbacken am Tragseil. Neben den, für den äußersten Notfall (bei Zugseilriß) eingesetzten Tragseilbremsen gibt es weitere Arten der Stillsetzung, beispielsweise zur Wartung. In der Seilbahnnorm 13223 sind zwei Arten der Stillsetzung beschrieben: erstens die elektrische Bremsung ist die Stillsetzung des elektrischen Antriebs und zweitens die mechanische Bremsung, dann tritt die Stillsetzung durch mechanische Bremsen in Kraft. Im Falle der „Notbremse“ greift die elektrische Bremsung als Reaktion auf das Ansprechen von bestimmten Sicherheitseinrichtungen. Diese Art der Bremsung wird als Elektrischer Halt oder Nothalt– Hauptantriebsmotor bezeichnet. Die Bremsverzögerung darf dabei bis zu 1,25 m/s2 erreichen („scharfe“ Bremsung). Überschreitet die Geschwindigkeit der Seilbahn die Sollgeschwindigkeit um 10 % wird normalerweise automatisch der Befehl: Nothalt-Betriebsbremse ausgelöst, wird die Sollgeschwindigkeit um 20 % überschritten, erfolgt der Stillsetzungsbefehl Nothalt-Sicherheitsbremse („scharfe“ Bremsung). In der Norm steht weiter „Bei Seilbahnen muss mindestens eine geregelte Stillsetzung mit möglichst konstanter, überwachter Verzögerung vorhanden sein.“ Die erforderliche Kraft zum Verzögern der Seilbahn kommt vom elektrischen Hauptantrieb und wird über die selben Elemente der Kraftübertragung auf die Antriebsscheibe übertragen, die für den Antrieb der Seilscheibe erforderlich sind (siehe Abschnitt Aufbau des Hauptantriebes im Beitrag Seilbahnantriebe in ISR 3/2019, S. 10) (Bremseinrichtungen an Seilbahnen, J. Nerez, ISR Magazin Sept. 2020). Eine Seilbahn darf ohne eine solche „Notbremse“ laut Norm gar nicht betrieben werden, auch dann nicht, wenn Defekte nicht vollständig behoben werden konnten. Seilbahnantriebe müssen über mindestens zweiseitige funktionierende Bremseinrichtungen verfügen um eine möglichst gleichmäßige Abbremsung zu ermöglichen.