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Drei Jahre Muster-Industriebau-Richtlinie 01.01.2018, 00:00 Uhr

Erfahrungen mit den neuen Regeln zur Rauchableitung und zum Rauchabzug

Gut 14 Jahre nach der bisherigen Fassung vom März 2000 hat die Fachkommission Bauaufsicht die neue Muster-Richtlinie für Industriebauten (MIndBauRL) [1] im Juli 2014 verabschiedet. In 14 Bundesländern wurde bis 2017 diese Sonderbauvorschrift durch die Aufnahme in die länderbezogenen Liste der technischen Baubestimmung baurechtlich wirksam eingeführt. Mit den neuen Regelungen zur Rauchableitung wird erstmals ein sog. Regelbeispielkatalog geschaffen, der die Verwendung alternativer Lösungsmöglichkeiten eröffnet, um das Schutzziel (Unterstützung der Brandbekämpfung) zu erfüllen, ohne dass es einer formalen Abweichungsentscheidung (nach § 67 Musterbauordnung) bedarf. Dieser Regelbeispielkatalog stellt auf den in den Sonderbauvorschriften geregelten Standardfall ab und behandelt ausschließlich das baurechtlich relevante Schutzziel „Unterstützung der Brandbekämpfung durch die Feuerwehr“. Drei Jahre nach der Veröffentlichung wird hier dargestellt, wie die neuen Regeln angenommen und beachtet werden.

Quelle: PAnther MEdia/ cta88

Quelle: PAnther MEdia/ cta88

Bisher war in der Industriebauricht­linie je nach Raumgröße eine Vor­gabe aufgeführt, ob und wenn ja wie die Ent­rauchung umzusetzen war:

  • Bis 200 m² große Räume waren nicht zu entrauchen.
  • Räume zwischen 200 m² und 1 600 m² waren mit einer Rauchab­leitung in einer Größe von mindestens 2 % zur Grundfläche auszustatten.
  • Für Räume über 1 600 m² war eine raucharme Schicht von mindestens 2,5 m nachzuweisen.

In Räumen mit Sprinkleranlagen reichte für

  • den Rauchabzug eine Rauch-/Wärmeabzugsanlage (RWA) mit 0,5 % Aw oder
  • eine vorhandene Entlüftungsanlage zur Rauchableitung aus.

Der neue Regelbeispielkatalog ist hier deutlicher und umfangreicher. Durch den neuen Regelbeispielkatalog der IndBauRL werden je nach Raumgröße, Anzahl der im Raum vorhandenen Ebenen, dem Vorhandensein einer Werks­feuerwehr oder einer Wasserlöschanlage unterschiedliche mögliche Lösungen zur natürlichen oder maschinellen Rauchableitung oder auch zur natürlichen oder maschinellen Rauchabzugsanlage benannt.

Neue Regeln zu Entrauchung durch die MIndBauRL 2014

Tore, die früher (nach einer fehlerhaften Interpretation der früheren MIndBauRL ) in vielen Fällen als Rauchableitungsöffnung mitgenutzt wurden sind nach der neuen Fassung nur noch als im unteren Drittel der Wand einzubauende notwendige Zuluftöffnungen festgeschrieben. Rauchableitungsöffnungen dürfen dagegen nun im Dach oder im oberen Drittel der Wand angeordnet sein. Damit ist klar: Tore oder Türen stellen keine Rauchableitungs-, sondern nur not­wendige Zuluftöffnungen dar (Bild 1).

Bild 1 Lage von Zuluft- und Rauchableitungsöffnungen. Quelle: FVLR Fachverband

Bild 1 Lage von Zuluft- und Rauchableitungsöffnungen.

Foto: FVLR Fachverband

Rauchableitungsöffnungen dürfen nur für Räume bis 1 600 m² verwendet werden, beim Dacheinbau mit 1 % freiem Querschnitt zur Raumgrundfläche, beim Einbau im oberen Drittel der Wand mit 2 % freiem Querschnitt zur Raumgrundfläche. Die Zuluft ist in gleicher Größe, maximal mit einem 12 m² freien Quer­­­schnitt sicherzustellen (Tabelle 1 und Bild 2).

 Tabelle 1 Rauchableitungsöffnungen in Wand oder Dach für einen 1 600 m² großen Raum.

 Tabelle 1 Rauchableitungsöffnungen in Wand oder Dach für einen 1 600 m² großen Raum.

 

 

Bild 2 links: 2 % Rauchableitungsöffnung in der Wand; rechts: 1 % Rauch­ableitungsöffnung im Dach. Quelle: FVLR Fachverband

Bild 2 links: 2 % Rauchableitungsöffnung in der Wand; rechts: 1 % Rauch­ableitungsöffnung im Dach.

Foto: FVLR Fachverband

Werden Rauchabzugsgeräte (NRWG) im Dach eingebaut und zur Rauchableitung eingesetzt, ist unabhängig von der Raumgröße pro 400 m² Grundfläche mindestens ein Gerät mit mindestens 1,5 m² aero­dynamisch wirksamer Rauchabzugsfläche zu installieren. Pro 1 600 m² Grundfläche sind diese NRWG in Auslösegruppen zusammenzufassen. Die Zuluft ist mit 12 m² freiem Querschnitt sicherzustellen (Bild 3).

Bild 3 Rauchabzugsgeräte mit mindestens 1,5 m² Aw pro 400 m² Raumfläche. Quelle: FVLR Fachverband

Bild 3 Rauchabzugsgeräte mit mindestens 1,5 m² Aw pro 400 m² Raumfläche.

Foto: FVLR Fachverband

Für einen 1 600 m² großen Raum können damit die Annahmen wie in Tabelle 2 in getroffen werden:

 Tabelle 2 NRWG mit mindestens 1,5 m² Aw pro 400 m² im Raum mit 1 600 m².

 Tabelle 2 NRWG mit mindestens 1,5 m² Aw pro 400 m² im Raum mit 1 600 m².

 

Werden Rauchabzugsgeräte (NRWG) im Dach eingebaut und zum Rauchabzug eingesetzt, ist unabhängig von der Raumgröße pro 200 m² Grundfläche mindestens ein Gerät mit mindestens 1,5 m² aerodynamisch wirksamer Rauchabzugsfläche zu installieren. Pro 1 600 m² Grundfläche sind diese in Auslösegruppen zusammenzufassen. Die Zuluft ist mit 17 m² freiem Querschnitt sicherzustellen (Bild 4).

Bild 4 Rauchabzugsgeräte mit 1,5 m2 Aw pro 200 m2 Raumfläche. Quelle: FVLR Fachverband

Bild 4 Rauchabzugsgeräte mit 1,5 m2 Aw pro 200 m2 Raumfläche.

Foto: FVLR Fachverband

Beim Vergleich der Tabellen von Aufwand, Nutzen und Kosten der verschiedenen Lösungen aus dem Regelbeispielkatalog wird deutlich, dass eine qualifizierte Rauchabzugs­- an­lage (eine NRWG pro 200 m² Raum­fläche, Rauchabzugsfläche nach DIN 18232-2[2] berechnet) eine technisch und auch wirtschaftlich sehr sinnvolle Lösung darstellt (Tabelle 3).

 Tabelle 3 NRWG mit 1,5 m² Aw pro 200 m² in einem 1.600 m² großen Raum.

 Tabelle 3 NRWG mit 1,5 m² Aw pro 200 m² in einem 1.600 m² großen Raum.

 

 

Erfahrungen nach drei Jahren Anwendung

Früher gab es für ein Problem nur eine Lösung. Dies war scheinbar einfach und vor allem bequem. Abweichungen davon wurden oft großzügig umgesetzt, oft ohne formelle Abweichungserklärungen. Dies ist jetzt durch die neue Aus­gabe deutlich verbessert. Für die Ent­rauchung ist das Schutzziel der Muster-Industriebau-Richtlinie nicht der Personen- oder der Sachschutz. Daher sind die Begriffe Rauchabschnitt und rauch­arme Schicht nicht mehr vorhanden. Räume dürfen danach – und sie werden es im Brandfall auch – sicherlich sehr schnell verrauchen.

Will man den Personen- und den Sachschutz aus den baurechtlich verlangten Mindestschutzzielen heraushalten, darf man sich aber auch nicht wundern, dass Räume im Brandfall ver­rauchen. Kann man Abweichungen von den zahlreichen materiellen Anforderungen des Baurechts nicht vermeiden (und dies ist bei den meisten Sonder­bauten der Fall) oder will man zusätzlich das Schutzziel des Personen- oder Sachschutzes umsetzen, wählt man den Rauchabzug. Der Regelbeispielkatalog erlaubt den Einsatz der klassischen natürlichen oder maschinellen Rauchabzugsanlage. Dann ist die raucharme Schicht wieder da.

Der Regelbeispielkatalog ist damit sicherlich ein Weg in die richtige Richtung. Man muss ihn nur richtig anwenden können. Die Anzahl der Abweichungs­anträge und Einzelfallentscheidungen zum Rauchabzug bei der unteren Bauaufsicht nimmt ab. Dies nimmt man dort erfreut zur Kenntnis. In der täglichen Praxis werden aber vor allem in der Planung noch viele Fehler gemacht, es herrscht oft Unsicherheit bei der Anwendung der neuen Regeln. Die häufigsten Fehler sind:

  • Die Öffnung zur Rauchableitung wird auch in Räumen, die eine größere Grundfläche als 1 600 m² haben, eingeplant/eingesetzt. Hier sind jedoch nur NRWG (nach DIN EN 12101-2 [3]) oder eine maschinelle Entrauchung erlaubt.
  • Als Öffnungen zur Rauchableitung werden immer noch Öffnungen verwendet, die nicht ausschließlich im oberen Drittel der Außenwand eingebaut sind. Im Extremfall also auch Türen oder Tore. Dies ist nach der neuen Richtlinie nicht mehr zulässig.
  • Die nun ausdrücklich verlangte Zuluftöffnung wird komplett vergessen, Tore und Türen werden immer noch als Rauchableitungsöffnung verplant.
  • Bei der Fläche der Zuluftöffnung, z. B. bei Toren, werden auch die Flächen mitgewertet, die oberhalb des unteren Drittels der Außenwand angeordnet sind. Dies ist aber nicht zulässig, weil Zuluftflächen nur im unteren Drittel der Außenwand angeordnet sein dürfen.
  • Der in der Bauordnung verlangte „freie Querschnitt“ (sowohl für die „Öffnung zur Rauchableitung als auch für die Zuluft) wird nicht erreicht, weil man nur in Rohbauöffnung denkt. 15 % Rahmen­anteil sollten zumindest berücksichtigt werden. Und das auch nur, wenn die Abdeckung vollständig geöffnet werden kann. Können Fenster nur teilweise aufgeklappt werden, muss die Rohbauöffnung noch größer sein.
  • Sind Abweichungen von den materiellen Anforderungen des Baurechts nicht vermeidbar und dadurch weitere Schutzziele (z. B. der Personenschutz) umzusetzen, bleiben aus dem Beispiel­katalog i. d. R. nur noch die klassische qualifizierte natürliche oder maschinelle Rauchabzugsanlage übrig und damit auch die raucharme Schicht.
  • Die Investitionskosten einer „Öffnung zur Rauchableitung“ werden häufig zu niedrig eingeschätzt. Da Türen und Tore nicht mehr als Rauchableitungsöffnung „missbraucht“ werden dürfen und die im oberen Drittel der Wand einzubauenden (Fenster-)Öffnungen in einer Fläche von 2 % der Raumfläche an einer Stelle zusammengefasst geöffnet werden müssen, kostet auch eine Öffnung zur Rauchableitung Geld.
  • Die Nutzung der Wandflächen wird stark eingeschränkt.

Bei einem 5 m hohen Raum mit 1 600 m² Fläche wird bei verlangtem 32 m² Querschnitt für die Rauchableitungsöffnung (bei 50 cm öffnenden Kippfensterflügeln) folgende Fensterrohbauöffnung erforderlich:

  • Einbau im oberen Drittel der Wand bedeutet eine Fensterbrüstungshöhe von 5/3  2 = 3,33 m, dies ist für die Raumbeleuchtung wenig hilfreich.
  • Mögliche Fensterhöhe (Rohbaumaß) 5,0 m – 3,33 m = 1,67 m.
  • Um den freien Querschnitt sicherzustellen, ist bei 50 cm Fensteröffnung ein etwa 64 m langes Fensterband notwendig.
  • Bei dem Raum von 1 600 m² Fläche mit 160 m Wandlänge sind dadurch etwa 40 % der Wandfläche blockiert. Hier kann der Betreiber keine Regale, Einbauten oder Maschinen mehr davorstellen.

Der erreichbare Nutzen der unterschiedlichen Lösungen aus dem Regelbeispielkatalog zur Rauchableitung wird häufig nicht oder nicht richtig berücksichtigt.

Die zu Recht von vielen Versicherungen verlangte raucharme Schicht kommt bei der Genehmigungsplanung etwas außer Sicht. Rückt dann später der Sachschutz wieder in den Fokus, stehen schnell höhere Änderungskosten an.

Zusammenfassung

Die Regeln des Baurechts dienen vor allem der Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit von Gebäuden ohne Abweichungen unter Berücksichtigung der baurechtlich relevanten Schutzziele. Die im Baurecht beschriebenen Mindestanforderungen zur Rauchableitung sind nur dann zur Erlangung der Bau­genehmigung ausreichend, wenn die materiellen Anforderungen des Baurechts eingehalten bleiben (also keine Abweichungen vorliegen) und kein anderes weiteres Schutzziel zu beachten ist. Da in der täglichen Praxis kaum ein Sonderbau ausgeführt wird, der keinerlei Abweichungen zum Baurecht hat und bei dem nicht auch der Personen- oder Sachschutz als Schutzziel umzusetzen ist, behalten die allgemein anerkannten Regeln zum Rauchabzug (z. B. DIN 18232-2 [2] und DIN EN 12101-2 [3]) ihre führende Bedeutung. Durch den neuen Regelbeispielkatalog und durch die Möglichkeit der Umsetzung größerer Brandabschnitte in Verbindung mit einer Brandmeldeanlage ist deren Bedeutung künftig sogar noch höher einzuschätzen. Die anerkannten tech­nischen Regeln sind insbesondere dann heranzuziehen, wenn weitere Schutzziele umgesetzt, definierbare Zustände erreicht, oder Abweichungen kompensiert werden sollen. Dafür sind in der Regel qualifizierte Rauchabzugsanlagen (qualifizierte Geräte (nach DIN EN 12101-2[3]) mit einer qualifizierter Bemessung (nach [2]) einzusetzen. Die Begrenzung des Rauchschutzes auf die „Öffnung zur Rauchableitung“ reduziert nicht grundsätzlich die Kosten, oft ist das Gegenteil der Fall.

Werden zumindest NRWG mit der vom Baurecht reduzierten Bemessung von 1,5 m² Aw pro 400 m² Raumfläche eingesetzt, ist die Funktionssicherheit des Systems deutlich verbessert. Im Brandfall werden die Räume aber dennoch verrauchen.

Erst der Einbau einer qualifizierten Rauchabzugsanlage erfüllt die wesent­lichen Anforderungen aus der Genehmigungs-, Errichtungs- und Nutzungsphase, in Gebäuden mit und ohne Abweichungen und für unterschiedliche Schutzziele. Raucharme Schichten unterstützen die Selbst- und Fremdrettung, den Löschangriff und auch den Sachschutz. Und dies, wie der Vergleich der Tabellen deutlich macht, auch zu wirtschaftlichen Bedin­gungen.  TS 627

 

 

 

Literaturverzeichnis

[1] Muster-Richtlinie über den baulichen Brandschutz im Industriebau (MIndRL Muster-Richtlinie für Industriebauten). Hrsg.: Deutsches Institut für Bautechnik. Berlin 2014.

[2] DIN 18232-2: Rauch- und Wärmefreihaltung – Teil 2: Natürliche Rauchabzugsanlagen (NRA); Bemessung, Anforderungen und Einbau. Berlin: Beuth Verlag 2007

[3] DIN EN 12101-2: Rauch- und Wärmefreihaltung – Teil 2: Natürliche Rauch- und Wärmeabzugsgeräte. Berlin: Beuth Verlag 2017

 

Von Thomas Hegger

Thomas Hegger, FVLR Fachverband Tageslicht und Rauchschutz e. V., Detmold.