Gravierende Änderungen durch die MaKo 2020
Mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende, dem Messstellenbetriebsgesetz und dem neuen erweiterten Rollenmodell zur Marktkommunikation 2020 (MaKo 2020) kommen erhebliche Änderungen auf alle Teilnehmer im deutschen Energiemarkt zu. Start des neuen Zielmodells ist bereits der 1. Dezember 2019.
Die MaKo 2020 bringt eine nicht zu unterschätzende Vielzahl an neuen Prozessen, Datenformaten und Aufgaben – nicht nur für Messstellenbetreiber (MSB), sondern auch für Verteilnetzbetreiber (VNB), Lieferanten und Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB). Bis zum 1. Dezember 2019 müssen alle IT-Systeme die neuen Regeln beherrschen, damit die EVU weiterhin am Markt agieren können. Das will gründlich geplant und effizient umgesetzt sein.
Änderungen für VNB und ÜNB sowie Lieferanten
Die Marktrolle VNB erfährt zunächst mit der MaBiS 3.0 (auch ab 1. Dezember 2019) für die Strom-Bilanzierung eine erhebliche Erweiterung zur Einbeziehung und Synchronisation des ÜNB auf Basis analoger Grundmechanismen der bisherigen MaBiS. Der ÜNB übernimmt die Bilanzierung der intelligenten Messsysteme und Einspeiseanlagen. Durch diese Aufteilung wird ein Clearing-Mechanismus zwischen ÜNB und VNB notwendig, um die Qualität der Gesamtbilanzierung auf VNB-Gebietsebene abzusichern. Neben unterstützenden Anpassungen in der MPES und der GPKE bedeutet die WiM Strom eine entscheidende Systematik-Änderung für den VNB: Weil er nun die Verantwortung für Messdatenaufbereitung und -versand in der Sparte Strom an den MSB abgibt, sind zusätzliche Datenaustauschprozesse zwischen VNB und MSB erforderlich.
Die ÜNB werden als zusätzliche Rolle in die Marktkommunikation miteinbezogen, was umfangreiche Datenweitergabe-Prozesse mit den VNB, Bilanzkreiskoordinatoren und -verantwortlichen sowie Lieferanten erfordert.
Für Lieferanten ergeben sich konsequente Prozessergänzungen/-anpassungen, damit sie weiterhin alle für ihr Geschäft benötigten Informationen erhalten und neue Möglichkeiten nutzen können (zum Beispiel für die Bilanzkreisabrechnung oder die Rechnungsabwicklung des Messstellenbetriebs für den MSB).
Insgesamt folgen Mehraufwände für alle Marktrollen und Änderungen nicht nur in den Kommunikationsprozessen, sondern auch in Datenstrukturen beziehungsweise Zeitreihen, Clearing-Listen, Versionierung und vielen weiteren Bereichen.
Änderungen für MSB: Trennung vom VNB und Startpunkt der Sternkommunikation
Der MSB als eigenständige Marktrolle wird massiv gestärkt. Ihm kommt eine zentrale Rolle zu. Er ist zukünftig unter anderem für Datenempfang, -aufbereitung und -weiterleitung an die Marktteilnehmer aus seinem Back-End-System heraus zuständig. Insbesondere übernimmt er die Funktion der Datendrehscheibe vom VNB und muss den sternförmigen Datenversand für alle Messwerte aufbauen. Er verantwortet die Datenqualität am Markt, muss alle Messwerte plausibilisieren und gegebenenfalls Ersatzwerte bilden.
Die sternförmige Kommunikation startet also im MSB-System und nicht, wie ursprünglich geplant, direkt im Gateway. Die Weitergabe der aufbereiteten Werte muss mit Bezug auf ihre Marktlokation (MaLo) und bei Bündelentnahmen unter Verrechnung der Messlokationen (MeLo) erfolgen. Das erfordert die Entgegennahme von Berechnungsformeln des VNB für komplexe Messungen zur Bildung der MaLo.
Die neuen Datenaufbereitungs- und -versandaufgaben betreffen alle Messstellen, also neben den intelligenten Messsystemen (iMSys) auch die für konventionelle Zähler (SLP, RLM).
Möglichkeiten für die neue Systemlandschaft des MSB
Das Back-End-System des MSB wird zur zentralen Messdatendrehscheibe, deren Dimensionierung und strategische Ausrichtung entsprechend zu gestalten ist (Grafik). Abgesehen vom buchhalterischen Unbundling zwischen MSB und VNB macht der Gesetzgeber hier keine weiteren Vorgaben.
Für MSB stellt sich die Frage, ob eine mit dem VNB integrierte Lösung oder eine systemtechnisch getrennte MSB-Lösung sinnvoller und zukunftssicherer ist. Die Vor- und Nachteile sowie Folgekosten:
Option a): Integrierte Lösung MSB und VNB
Die Verwendung des VNB-Bestandssystems ist nach aktuellem Diskussionsstand (nur) dem grundzuständigen MSB (gMSB) erlaubt. Zunächst verspricht diese Option den Charme, keine neuen Systeme anschaffen zu müssen und so Kosten zu sparen. Allerdings reduziert sich die Menge der neu zu implementierenden MSB-Funktionen nicht, sodass keine Kostenvorteile für diesen wesentlichen Kostentreiber entstehen. Inhaltlich muss de facto ein neues System implementiert werden.
Die komplexen Prozessstrukturen und Datenabhängigkeiten beider Marktrollen werden in einem einzigen System zusammengefasst, sodass sich dessen Gesamtkomplexität mehr als verdoppeln dürfte. Interferenzen zwischen beiden Funktionsbereichen sind auszuschließen und immer wieder intensiv zu testen, zum Beispiel bei Formatanpassungen. Hier kann man nicht von funktionalen Synergien profitieren, da es sich um Prozesse unterschiedlicher Marktrollen handelt. Die Synergien in diesem Modell beschränken sich im Wesentlichen auf die Basis-IT-Systeme. Diese werden aber durch dauerhaft erhöhte Stabilitätsrisiken und Pflegeaufwände für beide Marktrollenfunktionen belastet.
Zusätzlich schwebt über dem integrierten Ansatz das Damokles-Schwert einer möglicherweise später vom Gesetzgeber geforderten Systemtrennung, wie es seinerzeit auch bei Lieferanten- und VNB-Systemen der Fall war. Dann stünden zusätzlich umfangreiche Migrationsprojekte zur Trennung von Daten, Systemen und Funktionen an.
Option b): Separate MSB-Lösung
Alternativ erfordert eine konsequente Systemtrennung von MSB und VNB eine Investition in die gleichen, neuen MSB-Funktionen in einem eigenständigen IT-System. Der dabei anfallende Migrationsaufwand ist aber vergleichsweise gering, da es zu diesem Zeitpunkt noch keine Stammdatenhistorie der MSB-Prozesse gibt. Außerdem ist die Implementierung der neuen Prozesse gut beherrschbar, weil die Anmelde-, Stammdaten- und Abrechnungsprozesse mit einer Anlaufkurve (also geringen Fallzahlen) starten. Die neuen Prozessfunktionen lassen sich klar getrennt vom VNB-System aufbauen und härten, sodass VNB-Funktionen nicht durch Systemanpassungen bezüglich der MSB-Funktionen kompromittiert werden können oder umgekehrt. Bei einer späteren Systemtrennung entfällt dieser Vorteil, denn die Prozesslast für eine wiederholte Implementierung beträgt dann 100 %, zusätzlich zur Übernahme historischer Prozessinformationen.
Integriert oder getrennt?
Für eine Entscheidung zwischen den Optionen a) und b) sind letztlich die Gesamtkosten für die Implementierung der MSB-Prozesse zu vergleichen und zu bewerten.
Der zentrale Hebel für einen effizienten Messstellenbetrieb liegt in einer umfassenden, automatisierten und integrierten Softwarelösung. Die Kisters AG stellt den MSB in den Mittelpunkt ihrer cloud-fähigen Lösung für gMSB und wMSB. Die Lösung umfasst alle relevanten Prozesse für den MSB inklusive aller WiM-Prozesse bezüglich Datenaufbereitung und -versand, Vertragsmanagement, technischem Gerätemanagement und Abrechnungsvorbereitung. Viele Prozesse laufen automatisiert ab und können über prozess-orientierte Monitoring-Oberflächen überwacht und gesteuert werden.
Auch für die anderen Marktrollen stellt Kisters die neuen Funktionalitäten, Prozesse und Formate in rollenspezifischen Lösungen zur Verfügung. Für Marktnähe und Effizienz sorgen Erkenntnisse aus der Mitarbeit der Kisters AG in der deutschen Energie-Agentur Dena, im Verband kommunaler Unternehmen VKU und im Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW.
Last but not least: Chancen für EVU
Trotz den neuen Aufgaben für MSB und den damit verbundenen Kosten gibt es auch eine positive Seite: Durch seine neuen Verpflichtungen hat er die nötige Datenbasis, um Mehrwertdienste anzubieten. Auch gMSB dürfen gemäß der aktuellen Rechtsauffassung wettbewerbliche Angebote machen. Das bedeutet, dass sie die Datenbasis, die Infrastruktur und das Know-how, die sie jetzt aufbauen müssen, dauerhaft gewinnbringend einsetzen können – beispielsweise bei der Kundenbindung in Endkundenportalen, steuerbegünstigenden Energiemanagement-Systemen (ISO 50001), bei Leerstandkontrolle, Leckage-Überwachung und in der Abrechnungsvorbereitung zum Beispiel für Mieterstrommodelle. Lieferanten können den Messstellenbetrieb als Erweiterung ihres Leistungsportfolios nutzen und dadurch ihre Kundennähe stärken und ausbauen. Die Möglichkeiten, die sich aus den aufbereiteten Daten des MSB ergeben, beschränken sich nicht auf die im Markt kommunizierten Informationen und eignen sich zur kundensegmentspezifischen Adressierung.
energie.kisters.de
Dr. Heiko Schell, Vertriebsleiter Energie
Christoph Braun, Bid Manager Metering, Kisters AG, Aachen