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Scan-Technologien 16.09.2024, 13:00 Uhr

Hochautomatisierter 3D-Scan hilft beim Rückbau von Kernkraftwerken

Den robotergestützten Rückbau von Kernkraftwerken erleichtern soll eine neue 3D-Scan-Technik des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung (IGD). Sie erlaubt es, komplexe Objekte in höchster Präzision zu erfassen und farbgetreue, detailreiche Modelle zu erstellen – und das völlig autonom, ohne manuelle Nachbearbeitung.

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Seitt Frühjahr 2024 wird das Fraunhofer-System im Block A des Kernkraftwerks Biblis eingesetzt.

Foto: PantherMedia / wirestock_creators

Die Herausforderungen bei der digitalen Erfassung von Oberflächen sind vielfältig: Metalle glänzen, Edelsteine sind durchsichtig und filigran, und jedes Material erfordert eine spezifische Scan-Technologie. Das Fraunhofer IGD hat eine Lösung entwickelt, die eine zuverlässige und präzise Digitalisierung unabhängig von der Größe, Komplexität oder Materialbeschaffenheit des Objekts ermöglicht. Zunächst für die Digitalisierung von Kulturerbe-Objekten entwickelt, hat sich diese Technologie inzwischen auf industrielle Anwendungen ausgeweitet.

Präzision und Automatisierung beim Rückbau von Kernkraftwerken

Ein Anwendungsbeispiel für die Technologie des Fraunhofer IGD ist der Rückbau von Kernkraftwerken. Beim Abbau von Kernkraftanlagen sind Sicherheitsstandards von höchster Priorität, da kontaminierte Oberflächen sorgfältig dekontaminiert werden müssen, ohne die Arbeiter unnötigen Risiken auszusetzen. Bisher waren solche Entschichtungen entweder manuell oder chemisch durchzuführen, was einen enormen Einsatz von Personal und zeitaufwendige Verfahren erforderte. Nun ermöglicht die neue 3D-Technologie eine hochpräzise und autonome Erfassung der individuellen Geometrie von Rohrleitungen und Stahlträgern. Auf Basis der exakten digitalen Modelle werden Dekontaminationsprozesse von Robotern autonom durchgeführt. Dadurch kann das Personal von potenziell gefährlichen Arbeitsumgebungen ferngehalten werden, während der Roboter die aktivierten Schichten mit hoher Wiederholgenauigkeit entfernt. „Im Bereich des Kernkraftwerksrückbau sind die Herausforderungen enorm. Die Rohre werden beim Rückbau herausgeschnitten und zerteilt, sodass kein vorhandenes CAD-Modell mehr ihre Geometrie beschreibt. Da wir mit unserer Technologie individuelle Geometrien autonom und vollständig erfassen können, haben wir diesen Prozess automatisiert“, erläutert Pedro Santos, Abteilungsleiter Digitalisierung von Kulturerbe beim Fraunhofer IGD.

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Bereits seit Frühjahr 2024 wird das System im Block A des Kernkraftwerks Biblis erfolgreich eingesetzt. Diese autonomen Verfahren reduzieren nicht nur das Risiko für die Mitarbeitenden, sondern steigern auch die Effizienz und Präzision der Rückbauarbeiten. Mit der Lösung wird die Strahlenbelastung des Personals minimiert, da sich die Roboter selbstständig in gefährlichen Bereichen bewegen und dort die notwendige Dekontaminationsarbeit verrichten.

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3D-Scanning in anderen kritischen Bereichen

Neben dem Rückbau von Kernkraftwerken hat sich das Fraunhofer IGD auch in anderen sicherheitskritischen Bereichen etabliert. Im Rahmen eines Projekts mit der Polizei Hessen kommen die 3D-Scanroboter in der Asservatendigitalisierung zum Einsatz. Hierbei können Beweisstücke, die an Tatorten sichergestellt wurden, digitalisiert und in hochauflösende 3D-Modelle überführt werden. Diese Modelle stehen dann Polizeibehörden und forensischen Ermittlern jederzeit zur Verfügung, ohne dass physische Beweisstücke umständlich transportiert werden müssen und eventuell beschädigt werden können. So wird der Zugriff auf Beweisstücke erheblich erleichtert und kann von mehreren Dienststellen gleichzeitig erfolgen.

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In der Automobilindustrie kommt die Technik des autonomen 3D-Scannings ebenfalls verstärkt zum Einsatz. Besonders in der Restauration von Old- und Youngtimern spielt die Digitalisierung beschädigter Originalteile eine zentrale Rolle. Vergleichbares gilt auch für ältere Energieanlagen: Oftmals existieren keine CAD-Modelle oder originalen Ersatzteile mehr, weshalb die beschädigten Bauteile digital erfasst und in virtuellen Umgebungen rekonstruiert werden, bevor sie mittels 3D-Druck neu gefertigt werden. Die Technik bietet so eine kostengünstige und präzise Alternative zu traditionellen Methoden, die teure Gussformen oder aufwendige manuelle Fertigungsprozesse erfordern.

Elke von Rekowski