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+++ Exklusiver Fachbeitrag +++ 01.06.2022, 08:00 Uhr

KI-Anwendungsbeispiele aus dem ZSW-Labor: Brücke zwischen Forschung und Anwendung

Künstliche Intelligenz (KI) spielt bei der Energiewende eine bedeutende Rolle. Selbstlernende Verfahren helfen dabei, die Wind- und Solareinspeisung besser vorherzusagen oder Entwicklung und Produktion von Brennstoffzellen, Batterien und e-Fuels zu optimieren. In welchen Bereichen KI noch einsetzbar ist, zeigt das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) Baden-Württemberg mit seiner Service-Plattform. Dort lassen sich neue KI-Modelle unkompliziert erstellen und auf ihre Anwendungstauglichkeit testen.

Junge Start-ups lassen sich die Vorteile von Künstlicher Intelligenz am ZSW zeigen. Foto: ZSW / Ellen Klose

Junge Start-ups lassen sich die Vorteile von Künstlicher Intelligenz am ZSW zeigen.

Foto: ZSW / Ellen Klose

Nicht nur für Musikfans war die Meldung eine Überraschung: Ludwig van Beethovens 10. Sinfonie wurde vollendet. Fast 200 Jahre nach dem Tod des großen deutschen Komponisten und Pianisten konnte seine „Unvollendete“ vollendet und zur Uraufführung gebracht werden. Zu Ende komponiert wurde das Werk mit Künstlicher Intelligenz.

Im Sommer 2021 hatte eine Meldung aus der Medizin für Aufsehen gesorgt: Der Grundbaustein des Lebens wurde entschlüsselt. Britischen Forschenden ist es mithilfe von KI gelungen, die Struktur von Eiweißmolekülen präzise vorherzusagen. Entstanden ist eine frei zugängliche Datenbank, die viele Tausend Proteinstrukturen enthält. Diese sollen für Durchbrüche in der medizinischen Forschung genutzt werden, aber auch für die Pflanzenzucht – oder für die Entwicklung von Bakterien, die Plastik in der Umwelt zersetzen können.

Die Reihe von Schlagzeilen über kreative Anwendungen von KI lässt sich beliebig fortsetzen. Sie zeigt zwei Dinge ganz deutlich: Vieles, von dem wir früher nur geträumt haben, ist heute mit KI möglich. Und mit dem Staunen fängt das Fragen an. Das ist auch eine Erfahrung, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit dem Labor für KI am ZSW machten: Erst gab es ein großes Staunen bei den Teilnehmenden, und dann kamen viele Fragen.

KI-Lab für erneuerbare Energien

Um den Mythos KI zu entmythisieren und aufzuzeigen, in welchen Bereichen KI erfolgreich eingesetzt werden kann und wie umfangreich das KI-Repertoire ist, hatte das ZSW von April 2020 bis Juli 2021 zum KI-Lab für erneuerbare Energien nach Stuttgart eingeladen. Für die Umsetzung des Projekts gab es Fördermittel vom baden-württembergischen Wirtschaftsministerium. Als Zielgruppe wurden hauptsächlich kleine und mittlere Unternehmen aus den Anwendungsfeldern der Energiewirtschaft definiert, doch es sollte sich schnell zeigen, dass KI auch für Firmen aus anderen Bereichen interessant ist.

Der Hype um KI überrascht nicht. Schon seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sich das ZSW mit dem Thema. Der Nutzen wurde schon früh erkannt: Bessere Verfahren für Satellitendatenverarbeitung, Leistungsprognosen für Solar-, Wind- und Wasserkraft sowie Optimierungsverfahren für Produktionsprozesse in vielen Bereichen – das alles wurde auf Basis von KI entwickelt und damit schon vor zehn Jahren Pionierarbeitet geleistet. In vielen Forschungsprojekten und Industriekooperationen konnten die Forschenden ihre Erkenntnisse unter Beweis stellen. Zu den Projekten gehören unter anderem Leistungsprognosen für Windenergie-, Solaranlagen und Laufwasserkraftwerke mithilfe von KI-Methoden, die Rolle von Power-to-Gas in der zukünftigen Energieversorgung oder der Einsatz von maschinellen Lernverfahren (Machine Learning, ML) zur Optimierung der Produktionsprozesse für Batterien, Brennstoffzellen und Photovoltaikmodule. Auch die effizientere Erzeugung von regenerativem Wasserstoff und Methan mithilfe von KI ist Bestandteil der Forschungsarbeiten. Inzwischen ist das KI-Team am ZSW auf zehn Personen angewachsen. Zeit also, das Wissen zu teilen und aktuelle KI-Werkzeuge zur Verfügung zu stellen.

Ergebnis des ZSW-Auto-ML-Optimum-Finder für den Produktionsprozess von CIGS-Dünnschichtsolarmodulen und dessen Interpretation durch die Prozessfachleute. Die Indium- und Selen-Konzentration sollte gesenkt und die Heizleistung in der Abkühlsektion reduziert werden, um den Wirkungsgrad der Module zu optimieren. Grafik: ZSW

Flexible und schlaue Energiewelt

Kurz nachdem die Ankündigung zum KI-Lab in der Zeitung stand, kamen auch schon die ersten Rückmeldungen. Sie stammten nicht alle von Firmen aus der Energiebranche, auch aus anderen Bereichen wie Medizin waren Anfragen dabei. So formierte sich eine große Gruppe von KI-Neulingen aus unterschiedlichen Branchen, darunter Wetter- und Energieprognosedienstleister oder Unternehmen aus der Wind- und Solarindustrie.

In einem ersten Schritt sollten Workshops mit den interessierten Firmen am ZSW durchgeführt und anschließend gemeinsam exemplarische Anwendungen mit KI und ML entwickelt werden. Danach standen Besuche der KI-Fachleute des ZSW bei den Unternehmen und die Erstellung von individuellen Umsetzungskonzepten auf dem Programm.

Doch es kam natürlich alles anders. Der Start des KI-Labs fiel mitten in den Beginn der Corona-Pandemie und den anschließenden Lockdown. Damit waren alle Pläne Makulatur, Präsenztreffen waren nicht mehr möglich. Die gesamte Kommunikation musste auf Online umgestellt werden.

Eine flexible und schlaue Energiewelt, die mit menschlichem und maschinellem Wissen gesteuert wird – wie funktioniert das? Das war die erste Frage, die gestellt wurde. „KI ist ein Werkzeug, um Muster in großen Datenmengen zu finden“, sagt der KI-Guru Sebastian Thrun. Und Muster lassen sich in allen Daten finden. Zu Beginn der Workshops wurde schnell deutlich, dass häufig eine große Unsicherheit darüber herrscht, was unter KI zu verstehen ist. Vielfach wird KI mit verwandten Begriffen wie ML, Big Data, neuronale Netze oder Deep Learning vermengt oder gar gleichgesetzt.

Große Anlagenzahl erschwert Prognosen

Eine wichtige Rolle spielt KI bei der Energiewende. Mit zunehmendem Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung entsteht ein riesiges, dezentrales Netz aus vielen verschiedenen Anlagen und Speichern. Dies erschwert zuverlässige Prognosen zur Energieerzeugung und zum Energieverbrauch. Zudem sind die Leistung von Windkraft-, Solaranlagen und Laufwasserkraftwerken vom Wetter abhängig. Hier kommt KI ins Spiel. Wenn diese mit allen relevanten Daten trainiert wird, kann sie daraus den komplexen Zusammenhang von Wetter und Erzeugungsleistung der genannten Anlagen lernen und letztendlich Voraussagen treffen, wie viel Energie eingespeist wird, wann Energie gespeichert werden muss und wie hoch der Energiebedarf sein wird. Nur so kann unser Energiesystem auch mit einem sehr hohen Anteil an erneuerbaren Energien in der Zukunft stabil bleiben.

Auch das Freiburger High-Tech-Start-up greenventory, das auf softwaregestützte Lösungen für die Inventarisierung und Analyse verteilter Energiesysteme spezialisiert ist, profitiert von den maßgeschneiderten Angeboten aus dem ZSW-Digitallabor. Für das junge Start-up in der Energiebranche war das KI-Lab eine sehr große Hilfe. Das ZSW konnte dem Unternehmen konkrete Einsatzmöglichkeiten von KI und Anwendungen mit ihren Daten aufzeigen, so beispielsweise in der kommunalen Energieplanung, wo große Datenmengen aus unterschiedlichen Quellen verarbeitet werden müssen.

Automatisierte KI-Prozesse analysieren diese Daten und lokalisieren alle erneuerbaren Energiequellen. So sorgt die KI dafür, dass Naturschutzauflagen eingehalten und neue Energiequellen erschlossen werden können. Während der Erkundungsphase im KI-Labor beschäftigten sich die Teilnehmenden auch mit der Batterieproduktion. Dabei wurde diskutiert, wie sich auf Basis der ZSW-Erkenntnisse und -Erfahrungen die Technologie für die Batteriefertigung einsetzen lässt. Vor allem für das Monitoring und die Optimierung von Anlagen für die Batteriezellfertigung sind die Einsatzmöglichkeiten groß.

Weltweiter Wettstreit der Systeme

Beim Abschlusstreffen des Labs im September 2021 war den Beteiligten klar, dass es weitergehen muss. Alle spürten den Sog, den KI auf die Wirtschaft hat und wie alle um die besten Positionen wetteifern. Auf internationaler Ebene ist ein „Wettstreit der Systeme“ zu beobachten, der vor allem zwischen den USA und China ausgetragen wird. Europa will sich natürlich nicht abhängen lassen. In Deutschland haben sich vor allem die großen Unternehmen schon in Position gebracht. Die Befürchtung ist, dass die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) von den Big Playern abgehängt werden.

Um für dieses Wettrüsten der Ideen eine gute Startposition zu haben, brauchen KMU Unterstützung. Mit dem KI-Labor wurde am ZSW der Grundstein für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft gelegt. Durch den Austausch der Unternehmen untereinander und die Netzwerkbildung entstand eine Brücke von der Forschung in die Anwendung. Rückblickend hat sich daraus eine Win-win-Situation ergeben. Die Unternehmen haben viel mitgenommen, aber auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten vom KI-Lab profitieren. Sie lernten, wo die Unternehmen Unsicherheiten haben und welche Unterstützung sie noch brauchen. Und es geht weiter.

Im Rahmen des KI-Labs wurde eine Innovationsplattform entwickelt, auf der Firmen selbst testen können, wie sie mit KI neue Ideen entwickeln und ihre Prozesse von der Produktentwicklung bis zum Geschäftsbetrieb zukunftstauglich und wirtschaftlich tragfähiger machen können. Damit wird ein niederschwelliger Zugang für eigene KI-Anwendungen angeboten, damit auch Unternehmen rasch Praxiserfahrung sammeln können.

Geschützter Datenraum für KI-Ideen

Die Nutzung der ZSW-KI-Serviceplattform ist denkbar einfach: Firmen registrieren sich auf der Website https://kilab-ee.zsw-bw.de und können nach der Freischaltung kostenfrei mit ihren Daten KI-Modelle erstellen und somit Software sowie Infrastruktur am ZSW nutzen, um selbstständig KI-Modelle mit ihrem Datenschatz zu trainieren. Spielend einfach können sie mit dem KI-PlayGround-Tool testen, ob und wie KI in ihr Unternehmen integrierbar ist und ob es sich für sie lohnt – also Test-Before-Invest. Für das Softwareframework wurde ein einfach handhabbares Web-Frontend als Benutzeroberfläche entwickelt. Zum Trainieren der KI-Modelle wird der Hochleistungsrechencluster des ZSW verwendet.

Große Datenmengen werden vom Hochrechnungscluster am ZSW erfasst. 

Foto: ZSW

Durch das KI-Lab und andere Forschungsprojekte ist der technologische Reifegrad der Plattform sehr hoch. Wichtig ist, dass die User wissen, dass ihre Daten auf der Plattform sicher sind und sie in einen geschützten Datenraum hochgeladen werden, zu dem niemand anderes Zugriff hat. Das ZSW legt sehr großen Wert auf Datensicherheit sowie Datenintegrität, und das hat ihm bei Unternehmen eine hohe Glaubwürdigkeit verschafft.

Während beim KI-Lab der Fokus auf Firmen aus dem Südwesten lag, steht die KI-Plattform mit ihren Analysetools nun Unternehmen aus ganz Deutschland zur Verfügung. Den Unternehmen werden mit größerer Effektivität, Effizienz und Agilität Wettbewerbsvorteile verschafft. Die dynamische Entwicklung des Markts erfordert Flexibilität und eine KI-Lösung, die neue Geschäftsmodelle unterstützt.

KI-Readiness-Level

Unternehmen, die sich auf der Plattform anmelden, durchlaufen einen Prozess. Zunächst können Einsatzgebiete von KI im jeweiligen Unternehmen bestimmt werden. Daraus können ein KI-Readiness-Level festgelegt und die weiteren Schritte Richtung KI diskutiert werden. Anschließend werden in einer Proof-of-Concept (PoC)-Phase die Daten mit KI geprüft und erste KI-Modelle mithilfe der Plattform entwickelt. Tutorials geben Hinweise für die Handhabung der KI-Plattform. Sollen KI-Modelle auf Basis eines PoC bei den Firmen zur Prozessoptierung für die Überwachung und vorausschauende Wartung von Anlagen oder für neue Dienstleistungen und Produkte eingesetzt werden, unterstützt die Plattform die Unternehmen, um individuelle Anwendungen und Software zu entwickeln. Damit sind Firmen in der Lage, die Time-to-Market für neue Entwicklungen wesentlich zu verkürzen, sowie ihre Produkte und Dienstleistungen früher in den Markt einzuführen.

Mit der KI-Plattform sollen vor allem die Schnittstellen zwischen Digital- und Energiewirtschaft, zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette der erneuerbaren Energien effektiv genutzt werden, da KI in diesem Bereich große Innovationskraft besitzt. Eine Studie, die das Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hat, zeigt, dass Unternehmen, die KI einsetzen, bei gleichem Umsatz einen höheren Gewinn erzielen und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Durch KI sind Unternehmen eher in der Lage, Innovationen hervorzubringen und Meilensteine zu setzen. Letztendlich sind die Anwendungsmöglichkeiten nur durch unsere Vorstellungskraft begrenzt.

Von Anton Kaifel / Frank Sehnke

Anton Kaifel
Teamleiter des Bereichs Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) Baden-Württemberg
anton.kaifel@zsw-bw.de
Dr. Frank Sehnke
Data-Scientist für Künstliche Intelligenz am ZSW Baden-Württemberg
frank.sehnke@zsw-bw.de