Zum E-Paper
Machine Learning 03.01.2025, 15:00 Uhr

Wie selbstlernende Prognosen das Energiesystem transformieren

Das Energiesystem verändert sich: Durch den Zubau von erneuerbaren Energien wie Wind- und Photovoltaik-Anlagen wird die Stromerzeugung zunehmend wetterabhängig. Gleichzeitig steigt die Anzahl flexibler Verbraucher wie Wärmepumpen, Wallboxen und Speicher. Um das Potenzial nutzen zu können, sind verlässliche Prognosen erforderlich. Traditionelle Vorhersagemodelle geraten jedoch aufgrund ihrer statischen Natur an ihre Grenzen.

PantherMedia B383855672

Auch beim Strommanagement werden verlässliche Prognosen immer wichtiger.

Foto: PantherMedia / Milkos

Neue, selbstlernende Prognoseverfahren, die am Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE in Kooperation mit der Universität Kassel und dem Windenergieanlagenhersteller Enercon entwickelt werden, sollen helfen, das Strommanagement entscheidend zu verbessern. Ziel ist es, dass sich Prognosen kontinuierlich und automatisiert an die dynamischen Bedingungen eines sich wandelnden Energiesystems anpassen. Das Forschungsprojekt „KonSEnz“ („Kontinuierlich selbstlernende Vorhersagemethoden und Services in smarten Energiemärkten und -netzen“) verfolgt genau dieses Ziel.

Die Herausforderung: Dynamik im Energiesystem

Der Ausbau erneuerbarer Energien stellt die bisherigen Vorhersageansätze vor erhebliche Probleme. Insbesondere die fluktuierende Natur von Wind- und Sonnenenergie erfordert eine präzisere und dynamischere Modellierung. Darüber hinaus müssen Netzbetreiber und andere Akteure die Flexibilität neuer Verbrauchstechnologien wie Elektromobilität oder Wärmepumpen optimal nutzen, um Netzüberlastungen zu vermeiden und die Marktintegration zu erleichtern.

Traditionelle Prognosemodelle sind jedoch oft starr und erfordern manuelles Training, um auf neue Bedingungen reagieren zu können. Diese Prozesse sind zeitaufwändig und ineffizient. Wichtige Veränderungen, wie der rasant zunehmende Ausbau von PV-Anlagen oder der Einsatz neuer Verbraucher, können in solchen Modellen nicht rechtzeitig berücksichtigt werden, was zu ungenauen Vorhersagen führt. Die im Rahmen des KonSEnz-Projekts entwickelten Prognosemethoden basieren auf Verfahren des kontinuierlichen, adaptiven Lernens. Diese Methoden ermöglichen es den Modellen, sich in Echtzeit an neue Gegebenheiten anzupassen. Veränderungen auf der Erzeugungs- und Verbrauchsseite, wie der Zubau neuer Anlagen oder die Inbetriebnahme flexibler Verbraucher, werden automatisch in die Vorhersagen integriert.

Datenmangel erschwert Dekarbonisierung

Eine der Schlüsseltechnologien ist hierbei Machine Learning Operations (MLOps). Diese Herangehensweise verbindet maschinelles Lernen mit operativen Prozessen, um Prognosemodelle nahtlos in den Echtzeitbetrieb zu überführen. Dabei wird die Aktualisierung der Modelle kontinuierlich durchgeführt, ohne dass ein manueller Eingriff erforderlich ist. Dies stellt sicher, dass die Prognosen stets auf dem neuesten Stand der Entwicklungen im Energiesystem basieren.

Ein besonderes Merkmal dieser Methoden ist die Fähigkeit, das Verhalten neuer Anlagen anhand von Daten bestehender Systeme zu simulieren. Dies ist besonders wertvoll in Situationen, in denen noch keine historischen Daten für neue Verbraucher oder Erzeuger vorliegen.

Neue Prognoseverfahren werden getestet

Die Anwendung der neuen Prognoseverfahren wird anhand mehrerer Use Cases erprobt. Ein zentraler Bereich ist die Vorhersage von PV-Erzeugung und Eigenverbrauch. Angesichts der hohen Anzahl an PV-Anlagen in Deutschland besteht ein großer Bedarf an skalierbaren und effizienten Methoden, die sowohl die Erzeugung als auch die Flexibilitätspotenziale von PV-Systemen genau abbilden können.

Ein weiterer Anwendungsfall ist die Vorhersage von Leistungsflüssen zwischen Hoch- und Höchstspannungsnetzen. Diese Flüsse werden durch Schaltzustände und andere Faktoren beeinflusst, die sich dynamisch ändern. Mit verbesserten Vorhersagen können Netzbetreiber potenzielle Überlastungen frühzeitig erkennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen.

Die im Rahmen von KonSEnz entwickelten Methoden sollen in realen Feldtests ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Ziel ist es, die Modelle nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch zu validieren und deren Nutzen für die Energiewirtschaft zu demonstrieren.

Batteriespeicher in Europa: Boom durch Großprojekte erwartet

Technologische Umsetzung: Skalierbare Microservices

Die neuen Prognoseverfahren werden als skalierbare, resiliente Microservices entwickelt. Diese Architektur erlaubt eine einfache Integration in bestehende Steuerungs- und Managementsysteme. Dank zahlreicher Schnittstellen können die Microservices flexibel an die individuellen Bedürfnisse verschiedener Akteure angepasst werden.

Künstliche Intelligenz beschleunigt Entwicklung hocheffizienter Solarzellen

Die Microservice-Architektur kombiniert kontinuierliches Lernen mit Transferlernen und MLOps. Das soll eine hocheffiziente Verarbeitung großer Datenmengen und die gleichzeitige Optimierung einer Vielzahl von Prognoserechnungen ermöglichen. Auf diese Weise sollen auch komplexe Anforderungen, wie sie beispielsweise bei der Integration von Millionen PV-Anlagen entstehen, bewältigt werden können.

Ein weiterer Schwerpunkt des Projekts liegt auf der Transparenz und der Verfügbarkeit der Ergebnisse. Die Forschenden planen, ihre Erkenntnisse als Open-Access-Publikationen zugänglich zu machen. Zudem sollen Software-Komponenten als Open Source bereitgestellt werden, um der Energiewirtschaft eine breite Nutzung zu ermöglichen. Dieser Ansatz fördert nicht nur den Wissenstransfer, sondern auch die Zusammenarbeit innerhalb der Branche.

Die Ergebnisse des KonSEnz-Projekts könnten weitreichende Auswirkungen auf die Energiewirtschaft haben. Mit der zunehmenden Dezentralisierung und Flexibilisierung des Energiesystems steigen auch die Anforderungen an die Prognosequalität. „Unsere Methoden erlauben es, selbst in einem hochkomplexen Umfeld präzise Vorhersagen zu treffen“, erklärt Raphael Riege, Co-Projektleiter vom Fraunhofer IEE. Damit könnten die selbstlernenden Verfahren Netzbetreiber, Anlagenbetreiber und Energiehändler dabei unterstützen, ihre Prozesse zu verbessern.

Elke von Rekowski