E-Autos sorgen für Versorgungssicherheit
Private Solarbatterien und andere Stromspeicher sorgen dafür, dass das Stromnetz stabil bleibt. Doch das reicht noch bei weitem nicht aus. Jetzt werden auch Elektrofahrzeuge integriert.
Den wohl kuriosesten Grund für den Kauf eines Elektroautos nennt der australische Weinbergbesitzer Joseph Evans. Er legte sich einen Nissan Leaf zu, der Vehicle-to-Grid (V2G)-fähig ist, also Strom sowohl aus dem Netz beziehen als auch einspeisen kann. Tagsüber lädt er dessen Batterien mit Solarstrom auf, nachts bezieht er aus der Autobatterie den benötigten Strom. Ein Teil bleibt stets übrig, den er zu Zeiten ins Netz einspeist, wenn dort Ebbe herrscht. Dafür wird er fürstlich entlohnt. „Ich musste früher 8 750 AUD pro Jahr für Strom zahlen“, sagt der Winzer. „Heute verdiene ich nach der Installation einer Solaranlage und dem Kauf des Nissans pro Woche 50 AUD mit dem Stromverkauf.“
E-Autos zum Fahren und Stabilisieren
Ähnliches könnte auch in Deutschland gelingen. Der niederländisch-deutsche Übertragungsnetzbetreiber TenneT in Bayreuth und das Unternehmen Sonnen in Wildpoldsried, das nicht nur Solarbatterien an private Nutzerinnen und Nutzer verkauft, sondern sie auf Wunsch auch in virtuelle Kraftwerke integriert, haben jetzt erstmals Elektroautos verschiedener Hersteller in ein solches Kraftwerk integriert. Zentral gesteuert fangen sie Überschüsse im Netz auf und geben den Strom bei Bedarf wieder ab, wenn er besonders hoch vergütet wird. Anders als der Nissan des australischen Winzers werden diese E-Autos auch zum Fahren genutzt.
Puffer aus lauter Hyundais
Ein ähnliches Projekt haben der südkoreanische Autobauer Hyundai, der Übertragungsnetzbetreiber Amprion und Next Kraftwerke, eine Shell-Tochter, die wie Sonnen virtuelle Kraftwerke betreibt, bereits in Offenbach realisiert. Dort stehen nebeneinander acht Ladestationen, die den angeschlossenen Hyundai-Modellen Ioniq 5 Strom entnehmen, wenn das Netz Bedarf hat, und Strom in die Akkus fließen lassen, wenn Überfluss herrscht. „Der notwendige und rasche Ausbau der erneuerbaren Energien geht mit einem erhöhten Bedarf an Flexibilitätspotenzialen einher“, sagt Markus Stobrawe, Leiter Energiemarkt und Systembilanz von Amprion. „Als Übertragungsnetzbetreiber sind wir sehr an neuen Wegen und Technologien interessiert, um diese Potenziale ausschöpfen zu können.“
Kraftwerke auf vier Rädern
Mit dem neuen „Kraftwerksblock“ auf vier Rädern stehen TenneT bisher ungenutzte Speicherkapazitäten von E-Autos aus vernetzten Haushalten zur Verfügung. Nach einer erfolgreichen Testphase ging diese Technologie in den Alltag über. Verwendet werden dabei E-Autos in verschiedenen Haushalten der Sonnen Community, wie die Gruppe genannt wird, die ihre Solarbatterien als virtuelle Kraftwerke zur Verfügung stellt. Neben ihrer normalen Nutzung im Alltag werden die Autos nebenbei zum aktiven Teil des Stromnetzes: Mehrere Fahrzeuge sind im Netzgebiet von TenneT in das Sonnen-VPP (so nennt Sonnen sein virtuelles Kraftwerk, wobei VPP für Virtual Power Plant steht, also virtuelles Kraftwerk) integriert und können sogenannte Primärregelleistung erbringen. Das bedeutet, dass die Speicherkapazität der E-Auto-Batterien innerhalb von 30 Sekunden flexibel regelbar für den Ausgleich von Laständerungen und damit einhergehenden Frequenzschwankungen im Stromnetz zur Verfügung stehen muss. Das wird allein über einen intelligenten Ladevorgang erreicht.
Autos könnten fast die Hälfte des Bedarfs decken
TenneT und Sonnen wollen 5 000 Haushalte, die zur Sonnen Community gehören, in das Projekt einbinden. Gemeinsam mit den jeweiligen Sonnen-Batterien der Haushalte entspricht das einem Potenzial von rund 80 MW. TenneT hat einen Primärregelleistungsbedarf von 170 MW. „Wir machen einen großen Schritt, indem wir das Laden von Elektroautos nutzen, um gleichzeitig Angebot und Nachfrage im Stromnetz auszugleichen und es so stabilisieren“, sagt Oliver Koch, CEO von Sonnen. „Damit können wir das enorme Speicherpotenzial von E-Autos bereits heute nutzen und dazu beitragen, dass wir fossile Kraftwerke früher abschalten können“. Wenn es tatsächlich einmal Millionen Elektrofahrzeuge in Deutschland geben sollte könnten sie einen entscheidenden Beitrag leisten.
Die Politik hinkt hinterher
„Je mehr volatile, stark schwankende Wind- und Sonnenenergie in das Stromnetz eingespeist wird, desto wichtiger ist die Schaffung neuer Speichermöglichkeiten zur Flexibilisierung und Stabilisierung des Gesamtsystems“, so Tim Meyerjürgens, der die operativen Geschäfte von TenneT leitet. Bisher wird dieser Bereich von der Politik sträflich vernachlässigt. Alle Parteien rufen mehr oder weniger laut nach dem Ausbau von Wind- und Solarenergie. Dass das allein nichts bringt zeigt die Wirklichkeit. Wenn zu viel Strom eingespeist wird müssen saubere Stromerzeuger reihenweise abgeschaltet werden. Bei Mangellagen geht dagegen nichts ohne Erdgas- und Steinkohlekraftwerke.